Ein gefeiertes Wirthshaus

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Ein gefeiertes Wirthshaus
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 486–488
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein gefeiertes Wirthshaus.


Culturgeschichtsbild.


Es wird bald so weit kommen, daß wir in unseren lieben deutschen Landen mit allem Dampf des Riesenverkehrs der steigenden Vertheuerung des Lebens nicht entweichen können und uns manchmal nach einem stillen Winkel sehnen, um uns wenigstens geistig in Zeiten mit einfacheren Bedürfnissen zurück zu versetzen. Heute überkommt mich ein solches Gefühl, und um so mehr freue ich mich, durch eine äußere Veranlassung in eine Vergangenheit und an einen Ort geführt zu werden, wo Beides, der große, aber weit mühseligere Verkehr unserer Altvordern und zugleich die Einfachheit ihrer Reisezehrung, uns vor Augen tritt. Denn unsere Abbildung zeigt uns eines jener alten Wirthshäuser an den Heerstraßen, welche auf weiten Strecken die einzigen Gebirgsübergänge bildeten. Da mußten, in hoher Waldöde, Fürsten und Bettler unter demselben Dache fürlieb nehmen, da nächteten mit ihren Rossen die Fuhrleute wie die Ritter, da hielten der Pilger und der Landsknecht Rast, da waren Obdach und Mahlzeit für Hoch und Niedrig nicht so unterschieden, wie heutzutage, aber auch die Kosten nicht.

Ein solcher Gebirgsübergang war Jahrhunderte lang zwischen Thüringen und Franken die Straße über Judenbach und den Sattelpaß.

Judenbach ist ein langgestrecktes Gebirgsdorf des Meininger Oberlandes zwischen Coburg und Gräfenthal, zwei Stunden nordöstlich von der weltbekannten Spielwaarenfabrikstadt Sonneberg. „Sattelpaß“ nennt man eine tiefe brückenartige Einsenkung auf der Grenze von Thüringen und Franken, wo der Judenbacher Bergrücken an das Thüringer Hauptgebirg stößt. Durch die Natur des Gebirges war dies ein schwerer und zugleich leicht zu vertheidigender Uebergang und als solcher schon im Alterthum anerkannt. Die militärische Besetzung dieses Punktes hatte später nur die Bewachung des Thores und des Schlagbaums, die hier zum Behufe der Zoll- und Geleitseinnahme die Straße sperrten, zum Zweck. Der wachhaltende Corporal mußte über den dortigen Verkehr Wochenberichte nach Meiningen liefern. Wie naiv die Auffassung dieser Mannschaften über den Grad von Wichtigkeit der Ereignisse der Zeit war, verräth ein Bericht vom October 1806, wo es heißt: „In den verflossenen 8 Tagen ist nichts Neues vorgefallen. 25,000 Franzosen sind bloß durch den Paß gezogen und haben übrigens Mönchröden in Brand gesteckt.“ Das war also „nichts Neues“. – Beim Sattelpaß ist nach und nach ein Oertchen entstanden, das denselben Namen führt.

Ueber Ursprung und Einrichtung solcher Straßenwirthshäuser verdanke ich eine gründliche briefliche Belehrung einer anerkannten Autorität in thüringisch-fränkischer Landes- und Culturgeschichtsforschung, dem Geheimen Hofrath Professor G. Brückner in Meiningen, der in seiner „Landeskunde des Herzogthums Meiningen“ ein bis jetzt schwerlich übertroffenes Musterwerk in dieser literarischen Specialität geliefert hat. Seine Mittheilungen werden dankbar im Folgenden benutzt.

Schon unter den Römern führten bekanntlich Handelszüge vom Süden Deutschlands nach dessen Norden. Mit Naturnothwendigkeit bildeten sich hierbei und hierfür feste Verkehrsstromwege mit festen Stationen. Eine dieser Verkehrsbahnen führte von Nürnberg nach Erfurt und stand schon unter dem besonderen Schutze Kaiser Karl’s des Großen, durch welchen letztere Stadt im Jahre 805 zum Haupthandels- und Stapelplatz für die Sorben bestimmt und mit sehr fördersamen Privilegien und Stapelgerechtigkeiten bedacht worden war; von da aus brach der Handelszug sich weitere Bahnen nach Norddeutschland und zu den nordischen Meeren.

Von dieser Heer- und Handelsstraße ging ein Strang, von Bamberg aus abgezweigt, nach Coburg und von da über den südöstlichen Thüringerwald. Auf den Gebirgsübergängen, namentlich auf den Uebergängen über hohe breitrückige Gebirge, wie dies im südöstlichen Thüringerwalde der Fall war und noch ist, war die Errichtung von Schutzpunkten und Ruhorten mit zweckentsprechenden Wirthshäusern ein zwingendes Bedürfniß. Das Zweckentsprechende der Einrichtung derselben war natürlich bedingt durch das Bedürfniß jener Zeit, und darum muß ein Einblick in ihr Inneres und ihre Umgebung uns ganz besonders anziehen.

Den Hauptnerv solcher Straßenwirthshäuser bildete ein quadratischer Hofraum mit seitlichen Pferde- und Viehställen und Futterscheunen, denn hier lag der Hochquell der Einnahmen. Es war eine alte Heerstraßenregel: die Straßenthiere gehen den Passanten vor. Diese Regel, der sich Kaiser und Wagenknechte fügten, hat sich in ihrer Menschlichkeit und Rentabilität bis jetzt erhalten, wie man in jedem Wirthshaus, wo Fuhrleute einkehren, beobachten kann. In zweiter Linie kam erst das Gasthaus, das sich durch ein Thierschild oder das Drudenflinner als ein solches kennzeichnete. Der niedrige Hauptstock desselben bestand aus Fachwerk, das hohe spitzzulaufende Dach bedeckten grauweißliche Schindeln. In diesem (unteren) Stocke betrat man zuerst den Hausern, das heißt einen geräumigen Vorplatz mit festgestampftem Lehmfußboden. Von diesem Hausern aus führten Thüren in die einzige und darum sehr große Gaststube, dann in einige Kammern und Nebengemächer und in die nach ihrer Wichtigkeit würdig ausgeweitete Küche. Auf der Treppe nach oben gelangte man wieder zu einem geräumigen Vorplatze mit Thüren in eine Mansardengaststube und mehrere Bodenkammern.

In der Wirths- oder Gaststube fallen uns zunächst die kleinen Schiebefenster und der große Ofen auf, zwei Hausstücke, welche gegenwärtig die entgegengesetzten Dimensionen angenommen haben. Die Größe des Ofens war schon dadurch gerechtfertigt, daß er der einzige im ganzen Hause war; alle übrigen Räume, selbst wenn das Haus ein zweites Stock und in demselben eine „gute Stube“ für „die großen Herren“ besaß, waren nicht heizbar. Desto stattlichere Reisigbündel, Holzscheite und Baumknürze nahm der schwarz-, manchmal auch grünkachelige Riese in sich auf; hatte er doch nicht bloß Menschen zu wärmen, sondern auch ihre nassen Gewänder zu trocknen, denn dazu waren die Stangen da, die oben um den Ofen herum in ihren an der Decke befestigten Leisten hingen. Um den Ofen in Sitzhöhe zog sich die Ofenbank, deren Lehne die warmen Kacheln selber waren; aber an den Wänden hin liefen die Wandbänke mit getäfelten Lehnen und vor denselben standen die Langtische mit weißgescheuerten Tischplatten auf ihren stämmigen, gekreuzten Beinen mit den durch Querhölzer stark verschränkten Füßen. Die ebenbürtigen Stühle mit den so oft verhängnißvoll gewordenen wuchtigen Beinen sind bekannt genug. An der Gegenwand der Hauptfront der Stube befand sich das meist dreifachige Kammbrett, auf welchem die zur Begastung dienenden Trinkgeräte paradirten, vornehmlich die ansehnlichen Bierkannen in Gestalt bemalter, weiß und blau geflammter Steinkrüge mit Zinndeckeln, Weingläser in hoher Kelchform, ferner zinnerne und irdene mit Reimsprüchen auf dem Rande verzierte Teller und Schüsseln. Unter dem Kammbrette machte der lederne Großvaterstuhl sich breit, auf welchem der Gastwirth der Ruhe pflegte.

In der Küche waltete die Wirthin, stolz auf ihre Vorrathsschränke, namentlich auf den Küchenschrank mit den Geschirren von Kupfer und Zinn, und auf ihren Herd mit dem großen Koch-, Schlacht- und Waschkessel. – Nicht weniger stolz war sie aber auch auf ihre Betten im Herrenstübchen. Befaßte dasselbe auch nur wenige Mobilien, so fielen die zwei großen zweischläferigen Himmelbetten mit ihren festgefüllten und hochaufgebauten Unter- und Deckbetten desto mehr in’s Auge. Für Leute, die nicht zu den „großen Herren“ gehörten, standen in den Kammern Betten bereit, und in Zeiten starker Einkehr mußten auch, besonders für die Wanderer aus den unteren Volksschichten, Strohbündel auf dem Fußboden die Bänke der Wirthsstube oder Heuboden und Pferdestall zum Nachtlager gut thun. Auf diese Weise konnte ein von außen unansehnliches Gebäude eine große Anzahl von Menschen zugleich beherbergen.

Gerade so war auch das alte Judenbacher Wirthshaus beschaffen. Was mag im Laufe der Zeiten auf den hohen Wogen des Verkehrs und des Völkerschicksals hier vorübergezogen sein! Welcher Reichthum von socialen Bildern thut sich vor uns auf! Kriegsschaaren und Waarenzüge, Magnaten und Vasallen, Kaufleute und Priester, Bärenführer und Abenteurer zogen wie im Mittelalter, so in der spätern Zeit von Norden nach Süden, von Süden nach Norden durch Judenbach, bald allda übernachtend, [487] bald nur rastend. „Hätten vor Zeiten“ – klagt mit Recht G. Brückner – „die an den großen Heerstraßen gelegenen Wirthshäuser Tagebücher geführt, so könnten sie eine fesselnde reiche Fundgrube für mercantile und politische Verhältnisse des Volkslebens bieten, was ohne Zweifel werthvoller wäre, als die chronologischen Aufzeichnungen der alten Städte-Annalen von Schnee und Regen, Nebel und Reif, Hagel und Heuschrecken.“ Freilich zeigen die „Sattelpaß-Berichte“ auch, wie diese Tagebücher manchmal ausgesehen haben würden. Immerhin ist Brückner’s Wunsch gerechtfertigt durch den Werth des Wenigen, das uns von der Judenbacher Verkehrsgeschichte erhalten ist. In einem Heftchen „Kleine Chronica von Judenbach“ – gedruckt in diesem Jahre – das als Festgabe zu einer weiter unten zu erwähnenden nahen Feierlichkeit erschienen ist, lesen wir unter Anderm: „Anno

Staffelberg. Vierzehnheiligen. Mupperg. Neustadt. Kulmberg. Mönchröden. Veste Coburg.
 Banz. Sonneberg.
Das Judenbacher Luther-Wirthshaus auf dem Schönberg bei Sonneberg.
Originalzeichnung von L. Hutschenreuther zu Lichte in Thüringen.

1457 passirte Herzog Wilhelm der Tapfere Judenbach und verzehrte mit seinem Gefolge acht Groschen.“ Zwei Menschenalter später – „1516 den 26. und 27. Juni kam der Bischof von Regensburg durch Judenbach und verzehrte auf seiner Reise von Coburg bis hierher acht Gulden zwölf Silbergroschen anderthalben Pfennig“, ein Anzeichen, daß schon damals die geistlichen Herren größere Ansprüche an das Irdische stellten, als die Weltleute.

Uebrigens ist der Verkehr hier noch älteren Datums. Von Kaiser Otto dem Ersten (936 bis 973) an, der mehrmals in Saalfeld Reichstag hielt, sind manche deutsche Reichskronenträger und viele Reichsfürsten mit großem Gefolge, und selbst Könige des Auslandes die Judenbacher Straße gezogen. So nahm 1474 König Christian der Erste von Dänemark auf seiner Fahrt nach Rom seinen Weg über Saalfeld, Gräfenthal, Judenbach und Coburg. Denselben Weg schlug zwei Jahre später Herzog Albrecht von Sachsen auf seiner Pilgerreise nach Jerusalem ein. Aber auch Kaiser Karl der Fünfte kam mit Alba nach der Mühlberger Schlacht (1547) vor das Judenbacher Wirthshaus, und auch sie sind, wie Jeder, der die Bergfahrt überstanden, schwerlich ohne Imbiß und Trunk dort vorübergezogen. Den gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich den Großmüthigen hatten die spanischen Hakenschützen wenige Tage vorher desselben Weges geführt.

In des Volkes Gedächtniß lebt aber von all den Gästen Judenbachs nur Einer von Geschlecht zu Geschlecht fort: Martin Luther. Schon im Jahre 1518, und zwar am 14. April, kam er, der im Jahre zuvor seine fünfundneunzig Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg angeschlagen hatte, auf seiner Reise nach Heidelberg zum Convent der Augustiner gegen Abend nach Judenbach und traf daselbst mit dem kursächsischen Rath und Kammerherrn Pfeffinger zusammen, der mit ihm im Wirthshause übernachtete und für ihn und seine Begleiter die Zeche mitbezahlte. Weil sich keine Fahrgelegenheit fand, kam Luther am folgenden Abend sehr müde in Coburg an.

Zur selben Zeit passirte der Ablaßkrämer Tetzel Judenbach auf seiner Reise nach Rom.

Und in demselben Jahre, am 26. October, betrat Luther abermals die Gaststube des Judenbacher Wirthshauses, und wieder als ein sehr müder Mann, denn er kam von seiner Flucht aus Augsburg, wo er, wie er selbst erzählt, „in der Nacht ohne Hosen, Stiefel, Sporn und Schwert“ auf das Roß gestiegen war, das Doctor Staupitz ihm verschafft und auf dem er den bösen Ritt bis gen Wittenberg gemacht hat. „Wie ich den ersten Abend in die Herberge kam, war ich so müde, stieg im Stalle ab, konnte nicht stehen, fiel straks in die Streue.“ –

[488] Zwölf Jahre darnach, und zwar wiederum an einem 14. April, kam der Reformator, dessen Wort längst die ganze deutsche Welt bewegte, dieselbe Straße daher, aber diesmal im Geleite gar hoher und mächtiger Herren, die zur letzten geistigen Vertheidigung des „Evangeliums“ nach Augsburg zogen. Nachdem Luther in der Schloßkirche zu Torgau über das Wort Jesu „Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater“ gepredigt hatte, brach, gestärkt durch solch Gotteswort, der Kurfürst Johann „der Beständige“ zur Reichstagsfahrt auf. Zu seinem Gefolge gehörten außer seinem Sohne, dem Kurprinzen Johann Friedrich (später „der Großmüthige“) und Dr. Martin Luther, die Mitreformatoren Melanchthon, Justus Jonas, Spalatin, Johann Agricola und Andreas Osiander; an Fürsten, Grafen und Rittern Fürst Wolfgang von Anhalt, Herzog Franz von Lüneburg, die Grafen Albrecht und Jobst von Mansfeld, Graf Ernst von Gleichen und ein Herr von Wildenfels; ferner fünf kurfürstliche Räthe und die beiden Kanzler Dr. Brück und Dr. Beier; außerdem siebenzig Edelleute mit hundertsechszig berittenen Knechten, sämmtlich mit Schießzeug bewaffnet und in lederfarbener Kleidung. Die Reise von Torgau bis Coburg nahm vierzehn Tage in Anspruch; am Gründonnerstag gelangte der stattliche Zug von Gräfenthal durch Judenbach bis Neustadt; dort predigte Luther am Charfreitag und am Sonnabend Abends zog er in die Veste Coburg ein.

Am 5. October holte der Kurfürst mit seinem Gefolge Luthern zur Heimreise ab, und so kam der Reformator an diesem Tage zum vierten Male nach Judenbach.

Wenn für die beiden Bergvesten Wartburg und Coburg es als geschichtliche Ehre gilt, „Lutherburgen“ genannt zu werden, wer will es den Bewohnern Judenbachs und der weiten Umgegend verargen, wenn sie mit demselben Stolz von ihrem „Lutherwirthshaus“ sprechen? Und wie durch ein Wunder ist das alte Holzblockhaus, das so viel Großes gesehen, durch all die Jahrhunderte von Krieg und Brand glücklich erhalten worden bis diesen Tag. – Da aber der Verkehr längst sich andere Bahnen gebrochen, da namentlich, als Sonnebergs industrielles Aufblühen eine Straßenverbindung mit dieser Stadt, die vorher abseits der alten Heerstraße gelegen war, zur Nothwendigkeit machte, die neue Poststraße von Coburg über Sonneberg und Wallendorf nach Saalfeld gebaut wurde, so verödete die alte Straße über Judenbach und den Sattelpaß so vollständig, daß auch das alte Wirthshaus für die Bewohner keine Bedeutung mehr hatte. Es sollte in jüngster Zeit abgebrochen und gänzlich beseitigt werden.

Diesem letzteren Loose, gänzlich beseitigt, d. h. vernichtet zu werden, ist jedoch das schicksalreiche Gebäude entrissen worden. Ein Sonneberger Kaufherr, A. Fleischmann, brachte das alte Gasthaus, natürlich ohne die ehemaligen Goldgruben der Stallungen und Scheunen, an sich und beschloß, diesem „Lutherwirthshaus“ eine neue Stätte anzuweisen, wo der Blick in die Nähe und Ferne auf’s Innigste harmonire mit der geschichtlichen Bedeutung des alten Hauses und seiner Gäste aus der Reformationszeit. Unsere Abbildung führt den Leser an Ort und Stelle. Wir stehen auf dem Schönberg, einem im Osten von Sonneberg am weitesten in die fränkische Ebene hervortretenden Ausläufer des Thüringer Waldgebirgs. Hier hat die Natur die Grenze zwischen Thüringen und Franken, zwischen Nord- und Süddeutschland gezogen. Hinter uns beginnt die Thüringer Art der Berge und der Menschen, und vor uns breitet das prächtige Frankenland sich aus und begrüßt uns mit seiner ersten Ebene voll üppiger Fruchtbarkeit und dem Reiz seiner wechselvollen Hügellandschaften, begrenzt von den weitherschauenden Häuptern der Rhön, der Mainberge und des Fichtelgebirgs. Nur der nahe Mupperg bei der Nachbarstadt Neustadt, die von der Eisenbahn von Sonneberg nach Coburg berührt wird, beansprucht mit seiner Höhe von mehr als dritthalbtausend Fuß noch Thüringer Bergwürde. Vierundzwanzig Ortschaften kann ein scharfes Auge hier zählen; aber es sieht noch mehr. Wie vor vierthalb Jahrhunderten stehen hier heute noch die Grenzmarken des Glaubenshaders vor uns: hier der siegende Protestantismus mit seinem treuesten Zeugen, der Veste Coburg auf fernem Hügel; der Geist, der dort waltete, besiegte die Klöster des Landes, von denen wir Mönchröden am Fuße seines Kulmbergs vor uns sehen; ja, in Oberlind, dessen Kirchthurm links vom Wirthshausdache aus der Ebene heraufwinkt, hat Luther selbst die erste evangelische Gemeinde an der Grenze Thüringens und Frankens gegründet. Aber ebenso fest sehen wir dort links vom breiten Rücken des Mupperg auf und an den Höhen des Mains die Burgen der alten Kirche stehen. Dort ragen die Thürme von Banz, dem ehemaligen Benedictinerkloster, und die Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen unter dem kühn geformten Staffelberg verkündet noch heute mit Missionen und Processionen die ungeschwächte Macht der katholischen Kirche.

So erblickt der Wanderer, der am kleinen Schiebfenster der Gaststube dieses Hauses gen Süden schaut, noch immer dasselbe Bild des deutschen Zwiespalts, das vielleicht dem Martin Luther an demselben Fensterlein vor dem geistigen Auge stand.

Unsere Leser werden gern zugestehen, daß die Rettung des alten Judenbacher Lutherwirthshauses und die Versetzung desselben an diese Stelle mehr als gerechtfertigt sind, daß Beides die Anerkennung Aller verdient, die dem schweren Kampf der Gegenwart nicht gleichgültig – oder gar schadenfroh – zusehen, sondern uns beistimmen, daß die Erinnerung an die erste Reformationszeit und ihre unerschütterlichen Helden in den Massen des Volks nicht oft und packend genug geweckt werden kann. Das alte Lutherwirthshaus auf dieser Höhe hat eine solch’ erweckende Kraft, und darum haben wir Beides unseren Lesern in Bild und Wort vorgeführt.

Mit der Einweihung des alten Wirthshauses auf seiner neuen Stelle ist in den ersten Tagen des August ein Volksfest verbunden, ebenfalls ein selbstständiges Unternehmen des Herrn A. Fleischmann, für welches Gelehrte, Dichter und Künstler bereits fleißig vorgearbeitet haben. Gedruckt liegt vor uns, außer Einladung und Programm, ein „Festspiel“, ein „Wettkampf der Meistersinger vor dem Kurfürsten“ und die oben erwähnte „Chronica von Judenbach“, die das Geschichtliche der Feier vertreten, die schon der beschränkten Oertlichkeiten und der gedrückten Geschäftsstimmung wegen keine großen Dimensionen annehmen soll; etwa ein Dutzend fliegende Blätter, in Geist, Stil und Ausstattung des Reformationszeitalters für einen „jahr margkt“ zu Judenbach und ein „Preiß schießen“ auf dem Schönberg, bei welchem auch Tetzel mit seinem Ablaßkram zu erscheinen hat und bei welchem weder der Doctor Eisenbart noch der Bänkelsänger der „großen Morithat“ wird fehlen dürfen, gehören zu den heiteren Partien dieser Lutherwirthshaus-Weihe. Möge der Ernst der Zeit dem gesunden deutschen Humor für dieses Volksfest einen recht guten Tag frei geben!

Friedrich Hofmann.