Jagdschloß Grunewald und die „schöne Gießerin“

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Autor: August Trinius
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Titel: Jagdschloß Grunewald und die „schöne Gießerin“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 56–58
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Jagdschloß Grunewald und die „schöne Gießerin“.

Der Grunewald, jenes meilenlange Waldgebiet am linken Havelufer zwischen Spandau und Potsdam, war noch vor einem Jahrzehnt ein freundlicher Zufluchtsort für jeden still empfindenden Naturfreund. Die reiche Fülle seiner tiefblauen, träumerischen Seen, der liebliche Wechsel zwischen grünen Thalmulden und sanft ansteigenden Höhen, von wo der Blick auf und ab den breiten segelbedeckten Havelstrom schweift, der geheimnißvolle Zauber, welcher unter diesen sonnendurchhuschten, schlanken Kiefernstämmen, über dem rothblühenden Heidekraut webte: dies Alles hatte einen Reiz und eine schlichte Anmuth, die jedes empfängliche Herz gefangen nahmen. Jener Zauber ist längst dahin. Seitdem breite neue Kunststraßen den Wald kreuz und quer durchschneiden, ein Schienennetz von allen Seiten ihn umspannt, Rangirbahnhöfe, Massenlokale aus der Erde wuchsen; seitdem jeder Sonntag zahllose Tausende sich lärmend in die stillen Waldesgründe ergießen sieht, ist der Grunewald zu einem Volksprater geworden. Ein Wanderziel für sangeslustige Berliner, für Kremserpartien, Turner und zahllose Vereine war er ja immer. Aber dies Alles entfaltete sich ehemals im kleinen Stile, harmlos, vereinzelt. Jetzt durchtobt allsonntäglich ein Lärm den schönen Wald, daß die koncessionirten Sänger in den schwankenden Wipfeln verdutzt und scheu ihre Symphonien abbrechen. Statt ihrer lauert hinter jedem fünften Baume an den Hauptwegen Leierkasten oder Ziehharmonika; Bettler halten ihre Kongresse hier ab, und der Duft warmer Würste, vor denen jeder ehrliche Droschkengaul unwillig zusammen schaudert, durchzieht die Luft.

Nur einen Tag gab es von jeher, wo hier der Friede des Waldes für kurze Zeit unterbrochen wurde. Das ist am Mittag des 3. November, wo nach althergebrachter Sitte die Hubertusjagd im Grunewald abgehalten wird und der königliche Hof mit seinen geladenen Gästen sich vom Jagdschloß Grunewald nach der Saubucht begiebt, um von dort aus die Hatz auf die unter einem Vorsprung von zehn Minuten losgelassene Sau zu beginnen. Dann klingen helle Fanfaren, das Schmettern der Hörner durch den Forst; in das Knallen der Piqueurpeitschen, das Gekläff der Rüden mischt sich das Stampfen der Hufe, Wagengerassel, Wiehern, Klappern, Rufen und Jauchzen, bis das bedrängte Opferthier seine arme Seele aushaucht, der frische Bruch an die Jagdtheilnehmer vertheilt ist und der gesammte Zug sich zur Festtafel in das Jagdschloß zurückbegiebt.

Jagdschloß Grunewald, im Wald und am See gleichen Namens gelegen, ist ein Stückchen romantischer Poesie inmitten der rings ruhelos schaffenden Neuzeit geblieben. Von den Wellen des schönen Sees umspült, durch Hof und angrenzende Oekonomiegebäude von der Verkehrsstraße geschieden, athmet hier Alles noch den Hauch wohlthuender Stille und träumerischer Vergessenheit.

Ein geräumiger Schloßhof nimmt uns auf. Oekonomiegebäude, Stallungen und Küchenräume schließen ihn nach drei Seiten ab, die vierte Seite bildet das schmucke Jagdschloß. Ebenso interessant wie wenig bekannt ist der durch Herde und gewaltige Rauchfänge gänzlich entstellte jetzige Küchenraum, welcher, im Rundbogenstil stark gewölbt, zugleich eine Säule mit romanischem Kapitäl enthält, deren hohes Alter die Annahme wachruft, daß vielleicht einst, längst vor dem Schlosse, sich eine Betkapelle, ein Wallfahrtsort im stillen Walde erhob. Das Jagdschloß selbst wurde nach einer Inschrift am Haupteingange von 1542 bis 1543 unter dem prachtliebenden, waidlustigen Joachim II. erbaut. Sein Schöpfer war Kaspar Theyß, derselbe glückliche Baumeister, welcher für seinen fürstlichen Gönner die Jagdschlösser Köpenick, Oranienburg wie das an dem Spree-Ufer begonnene Berliner Schloß auf märkischem Boden erstehen ließ. Ihm zu Ehren ist wohl auch im Jagdschloß Grunewald am Treppenaufgang das originelle, buntgetönte Sandsteinrelief in die Wand eingelassen worden. Eine Sehenswürdigkeit des Ortes! Es zeigt in Brustgröße rechts den Kurfürsten Joachim II., links eine unbekannte Person, Namens Consz Buntschug, vielleicht den damaligen Steinmetz, in der Mitte aber Kaspar Theyß selbst, der mit nackten, muskulösen Armen soeben einen mächtigen „Willkomm!“ mit der Inschrift: „Theyß es gilt!“ zum Munde führt, während der ersichtlich aufgeräumte Kurfürst ihn mit der beigefügten Anrede begrüßt:

„Caspar Theis was sal die kleine Flas
Die Consz Buntschug hot in der Tas
Diser Wilkum mus zuvor heraus
Sunst wurt ein solchger Lerman traus.“


(„Kaspar Theyß was soll die kleine Flasch
Die Consz Buntschug hat in der Tasch
Dieser Willkomm muß zuvor heraus
Sonst würd’ ein solcher Lärm daraus.“)

Die Einrichtung des Jagdschlosses ist, dem Sinn der Hohenzollern entsprechend, traulich und schlicht. Eine ansehnliche Vogelsammlung, Geweihe, Kuriositäten, alte Jagdwaffen, eine Reihe alter unter Friedrich Wilhelm I. angefertigter Jagdgemälde, historisch interessant, doch auch voll köstlichen ungewollten Humors, bilden in der Hauptsache die Ausschmückung der alten Räume, deren dunkle Eichenholzmöbel den Eindruck des Gesammtbildes noch erhöhen. Außer einem größeren Saale, wie zahlreichen

[57]

Jagdschloß Grunewald.
Nach dem Oelgemälde von O. v. Kameke.

[58] Jagdzimmern für den Hof und die Gäste, enthält der zweistöckige Bau noch im Erdgeschoß die Wohnränme des jetzigen Jagdzeuginspektors.

Von Joachim II. an sind alle Hohenzollern hier oft und gern aus- und eingegangen. Die Nähe der Residenz, der ausgezeichnete Jagdgrund mit seinem herrlichen Wechsel von Wald und Wasser mögen zum guten Theil diese Gunst bewirkt haben. Auch der große Kurfürst liebte es, mit reichem Gefolge hier manchmal Einkehr zu halten, mit ihm sein Hofpoet, der märkische Dichter Nikolaus Peucker.

Jagdschloß Grunewald in seiner Abgeschiedenheit, der malerischen Lage am blauen See, ist schön. Der Blick von den Uferhöhen droben unter den moosbefranzten, leise rauschenden Kiefern über das in lichtes Grün gebettete, giebelgekrönte Schloß, den leuchtenden See mit seinen schilfumgürteten Buchten, bietet ein Bild echt märkischer Poesie. Aber noch ein Anderes ist’s, das dieser Stätte einen unsagbaren Zauber verleiht. Es ist der Schatten einer unglücklichen Frau, die zu mitternächtiger Stunde händeringend durch die öden, dunklen Räume irrt.

Anna Sydow, genannt „die schöne Gießerin“, die Wittwe des Stückgießers Dietrich, deren tragisches Ende noch heute ein Räthsel für uns ist, sie ist es, welche die Sage als hier lebendig eingemauert bis heute nicht schlafen läßt. Nachgewiesen ist, daß schon Friedrich Wilhelm II., wenn er sich zuweilen hierher zurückzog, um dieses spukhafte, nächtliche Treiben wußte. Ist’s eine Sage? Zwischen den zwei Jagdzimmern, welche früher unser Kaiser benutzte, befindet sich hinter dem Ofen in der Mauer ein großer Hohlraum, welcher ehemals die Fortsetzung einer jetzt oben abgebrochenen alten Wendeltreppe aufwies. Die baulichen Einrichtungen beweisen, daß diese Treppe einstens bis zum Erdgeschoß reichte. Das ist die Grabkammer der schönen Gießerin, wie das Volk meint.

Vor den Augen des begehrlichen, lebenslustigen Joachim II. hatte die arme Gießerin einst Gnade gefunden. Die Schönheit ihrer Gestalt, die heitere Milde, welche von ihrem Wesen ausging, ihr kluger Sinn ließen den Kurfürsten für sie in heißer Liebe entbrennen, und als 1549 im Jagdschloß Grimnitz seine Gemahlin, Kurfürstin Hedwig, durch die morsche Decke auf darunter befindliche Hirschgeweihe so jammervoll stürzte, daß sie nur noch an Krücken sich fortbewegen konnte und bald das Zeitliche segnete – da sah der Fürst kein Hinderniß mehr, seine Gießerin fortan ganz auf seine Seite zu ziehen. Sie ward sein besseres Theil, das nunmehr sein ungebundenes Genußleben nach den Gesetzen der Schicklichkeit regelte. Die öffentliche Achtung blieb ihr nicht versagt. Ueberall erschien sie an seiner Seite und Jeder wetteiferte, der schönen, segenspendenden Frau seine Huldigungen darzubringen.

Es war im Schloß Köpenick. Von der Wolfsjagd in den Müggelsberger Forsten heimgekehrt, stand der Kurfürst mit seinem Gefolge, umdrängt von neugierig herbeigelaufenem Volk, im Schloßhofe, die erlegte Beute musternd, neben ihm Anna Sydow im Kreise ihrer herangewachsenen Söhne. Die Bauern steckten die Köpfe zusammen, als sie der noch immer schönen Frau ansichtig wurden, und flüsterten, daß es zu den Ohren des fürstlichen Jagdherrn scholl:

„Ist das die unrechte Frau unseres allergnädigsten Kurfürsten? Wie darf er thun, was wir nicht thun dürfen?“

Das schnitt dem Fürsten tief ins Herz. Ernst wandte er sich um und sagte leise zu der Gießerin:

„Du solltest bei Seite treten; sie nehmen Aergerniß daran.“

Sie that es und mied fortan alle öffentlichen Feste. Seitdem sind uns auch alle verbürgten Nachrichten über ihr trübes Lebensende verschwunden. Birgt diese Mauer eine Todte? Wir wissen es nicht, aber das Volk hält daran fest. Ehe Mitternacht herangekommen ist, geht es wie Seufzer durch die stillen Hallen, und es ist, als schlüge eine Stirn wehvoll gegen die Mauern unter Schluchzen und bitterem Weinen. Dann ist Jagdschloß Grunewald wieder ein verzauberter Märchenort geworden. Unten der schweigende dunkle See, in dessen Fluth sich die Sterne beschauen und an dessen Ufern das Schilf geheimnißvolle Zwiesprach mit den tief sich herniederneigenden Wipfeln der Erlen und Kastanien hält. Nebelschleier spinnen ihre feuchten Kronen um die schauernden Kiefernhäupter und nichts unterbricht die einsame Stille, als das Knarren der Wetterfahnen auf den Giebelthürmchen oder der Schrei eines Nachtvogels, der beutehungrig durch den schlafenden Forst streicht. A. Trinius.