Karl Beck

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Autor: Wilhelm Goldbaum
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Titel: Karl Beck
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 300–301
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Ein Nachruf
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Karl Beck.
Ein Nachruf von Wilhelm Goldbaum.

Nach hartem Kampf mit dem Tode und härterem mit dem Leben ist in diesen Tagen Karl Beck, der deutsch-ungarische Dichter, in dem Vororte Währing bei Wien von hinnen gegangen. Die ihn persönlich kannten, wissen nicht genug des Rühmlichen von ihm zu erzählen, und Jene, welchen er blos literarisch vertraut war, verheißen ihm ein pietätvolles Andenken bei der Nachwelt.

Die Lücken mehren sich in dem Häuflein deutscher Poeten, welche in den Tagen des nationalen Erwachens mit hinreißender Jugendfrische die Leier rührten. Freiligrath und Prutz, Hoffmann von Fallersleben, Herwegh und Moritz Hartmann sind nach einander innerhalb sechs Jahren gestorben. Und Keinem von ihnen, außer dem liederfrohen Hoffmann, ist es vergönnt gewesen, das biblische Maß der Jahre zu erschöpfen. Nun ist auch Karl Beck geschieden im zweiundsechszigsten Lebensjahre, halb verschollen bei der großen Menge, aber unvergessen von den oberen Zehntausend, welche unseren literarischen Areopag ausmachen.

Wäre er fruchtbarer gewesen, so hätte er vermuthlich bis an sein stilles, kaum bemerktes Lebensende die Bewunderung seiner Zeitgenossen an sich gefesselt. Denn seine Begabung war wie dazu gemacht, um auch nüchterne Menschen in den Zauberbann der Poesie zu zwingen. Es war etwas von der Gluth des Tokayerweins in seiner dichterischen Natur. Aber er schwieg fast dreißig Jahre, nachdem er mit überraschender Schnelligkeit seinen Ruhm gegründet hatte, und in diesen dreißig Jahren ging die Fluth der weltgeschichtlichen Ereignisse so hoch und gewaltig daher, daß auch der schönste Dichterkranz davon hinweggeschwemmt werden mußte.

So bleibt denn Karl Beck in der Erinnerung als Poetenjüngling, als früh vollendeter, nach dem berühmten Goethe’schen Worte in der Gestalt bestehen, in welcher er zu dichten aufhörte: als der Dritte im Bunde mit Anastasius Grün und Lenau, der Sendboten Oesterreichs einer, welche zum gemeinsamen Kampfe um die Freiheit ihre Heroldrufe nach Deutschland hinübersendeten, als der Dichter des wilden „Janko“, der düsteren „Lieder vom armen Manne“, der unvergleichlich formschönen „Stillen Lieder“, als „gepanzerter“ Verkündiger einer neuen Zeit.

Karl Beck war einundzwanzig Jahre alt, als er seine „Nächte. Gepanzerte Lieder“ herausgab. Man hatte sich schon – es war 1838 – an diese bilderreiche, blutwarme Sprache gewöhnt, seit Anastasius Grün und Lenau ihre Stimmen erhoben hatten; man schätzte und pries sie als die „Sprache der österreichischen Poeten“. Und schwungvoller, ungestümer, farbensatter – wenn auch nicht correcter – war sie ist der That, als die poetische Diction des deutschen Nordens, für den erst ein Jahr nach den „Nächten“ Ferdinand Freiligrath den Ruhm einer unübertroffenen Coloristik erringen sollte. Auch ging diesen österreichischen Poeten die Sympathie auf allen Wegen nach; man erblickte in ihnen die Märtyrer eines zu vollem frischem Leben bestimmten und in halber Todesstille festgebannten deutschen Stammes, die Hülfesucher gegen das autokratisch-ultramontane Regiment des „gemüthlichen“ Kaisers Franz. Aber was bei Anastasius Grün und Lenau die Freude am Bilde, an der Farbe und der dichterischen Figur war, das artet bei dem „Gepanzerten“ in Bilderschwulst und in eine wahre Jagd nach Tropen aus. Es ist bekannt, daß Beck unter Anderm die Bäume „Ausrufungszeichen in der Schöpfung Gottes“ nannte.

Das war aber sehr erklärlich. Denn Karl Beck hatte einen unregelmäßigen, vielfach abgelenkten und unterbrochenen Bildungsgang hinter sich. In dem ungarischen Städtchen Baja, das ziemlich tief unten an der Donau liegt, hatte er Jugend und Schulzeit durchlebt; dann in Wien ein Jahr Medicin studirt, hierauf in Pest das kaufmännische Gewerbe ergriffen, um schließlich Poet – „fahrender Poet“ zu werden. Da kamen denn Methode und Zweckdienlichkeit arg zu Schaden, und es blieb im Grunde der Autodidakt übrig, dem das volle Herz von Liedern überquoll, ohne daß die Hand unter ihnen eine kritische Auswahl zu treffen vermochte.

Aber so ernstlich strebsam war diese deutsche Poetennatur mit dem jüdisch-magyarischen Ursprunge, daß von Jahr zu Jahr sich eine größere Selbstzucht an ihr bemerklich machte. Waren die „Nächte“ ein nach Zigeunerart bunt durch einander gewürfelter Bilderkram, so ließ der „fahrende Poet“, der freilich inzwischen in Leipzig und namentlich bei Ottilie von Goethe in Weimar kostbare Tage geistiger Anregung verlebt hatte, sich schon bei Weitem vornehmer, formgewandter und wählerischer an. Vollends aber zeigten die „Stillen Lieder“ den Dichter in einer Abklärung und geistigen Sammlung, welche ihm zuzutrauen man nach den „Gepanzerten Liedern“ kaum einen Anlaß gehabt. Hatte er in diesen noch gesungen:

„Mich drängt’s hinaus in’s Stürmen und in’s Grauen,
Wo Völker bluten, Männerthränen blitzen;
Auf des Gedankens Eichen möcht’ ich sitzen,
Ein Aar in’s dunkle Thal hinunterschauen;
Kein Vöglein, das begehrt im sichern Hafen
Auf eines Mädchens Busen einzuschlafen –“

so klang es in den „Stillen Liedern“ wie heilige Bescheidung nach ausgetobter Lust und Unruhe, da er dem Liebchen, das an seiner Brust einschlafen wollte, zuflüsterte:

„Wenn dann ein Traumbild Dich umkreiste,
Was sprach es traut?
Es sprach von einem Geiste,
Der ohne Laut
Beim reichen Schatz, den er verborgen
Fern von der Welt,
Bis an den sonnengoldnen Morgen
Die Wache hält.“

Der Ruhm ist aber ein verhängnißvolles Geschenk. Er neidet sich selbst die Erfolge und Kränze. Karl Beck war rasch berühmt geworden, rascher als die Erkenntniß der Dinge bei ihm Platz greifen konnte, und jede neue Berührung mit hervorragenden Menschen veränderte seinen Compaß. In Hamburg, auf dem Wege nach Helgoland, lernte er Gutzkow und Wienbarg kennen, und Etwas von dem revolutionären Geiste der „Jungdeutschen“ kam über ihn. Nach Leipzig zurückgekehrt, that er, durch Gutzkow angeregt, unnütze Arbeit an einer Tragödie „Saul“ – der Stoff lag damals in der Luft – und erst, als er wahrgenommen hatte, daß die Bühne gegen ihn spröde sein müßte, griff er mit dem Epos „Janko, der Roßhirt“, mitten hinein in die Welt seiner Heimath, um den besten Wurf seines Lebens zu thun.

Dabei hätte es denn sein Bewenden haben können; allein neue persönliche Berührungen mit Freiligrath, Prutz, Herwegh drängten ihn von den nationalen Stoffen ab und in das gährende Treiben der Tagespolitik hinein. Ein gewisser socialistischer Zug trat an seinem Bilde hervor durch die „Lieder vom armen Mann“, welche streng genommen eine versificirte Chronik des menschlichen Elends sind. Die Diction ist glühend, der Pulsschlag fieberhaft, der Athem sengend in diesen furchtbaren Klagen über die Ungleichheit in der Welt, aber die Tendenz schreitet nicht wie eine Königin, sondern wie eine Megäre durch dieses wild dahineilende Versgefüge, und anstatt der Harmonie beherrscht die Dissonanz, statt des schönen Maßes das gemalte Uebermaß, statt der sinnigen Prüfung der nihilistische Zorn den verirrten Poeten.

Mit den „Liedern vom armen Mann“ ist das dichterische Vermögen Karl Beck’s erschöpft. Er bietet noch „Gesänge aus der Heimath“, einen Roman „Mater Dolorosa“ eine Erzählung in Versen „Jadwiga“, aber an die Stelle der grenzenlosen Jugendkraft und des flammenden Ungestüms ist eine wohlerwogene Absichtlichkeit, an die Stelle des Schaffens das Componiren getreten. Andere Zeiten brauchen andere Dichter. Der politische Sturmwind der vierziger Jahre hat sich gebrochen an der ehernen Wand der Reaction, und Lenz, Liebe, Wein nehmen wieder ausschließlich von der deutschen Lyrik Beschlag, die noch soeben den revolutionären Bacchantinnen zum Werkzeug gedient hatte.

So schön hat freilich selten ein Dichter von der Liebe gesungen, wie Karl Beck in den „Stillen Liedern“. Ich weiß mir im ganzen Weltbereiche erotischer Poesie nicht leicht einen herrlicheren Hymnus auf die Liebe, als diesen:

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Sie sprach zu ihm so wundertönig,
Sie streichelte lind sein wirres Haar,
Bis trunken der kranke Geisterkönig
An ihrem Busen entschlummert war.

So wachte die allerschönste der Frauen,
So scheuchte sie den düstern Sinn,
Den trotzigen Adler, von seinen Brauen
Und setzte die Taube des Friedens hin.

Sie preßte zehn Lilien auf seine Locken,
Zwei brennende Rosen auf seinen Mund;
Auf schlug er das Auge, süß erschrocken,
Und war für alle Zeiten gesund.

Sie schwuren sich keine Liebeseide;
Sie sagten ihr Glück nicht leise noch laut,
Nur die duftige Lenznacht hat sie Beide
Die Hände falten und beten geschaut.

Aber im Grunde ist doch der weltvergessene Liebesjubel, das schöne Versteckspiel zu Zweien ein fremder Zug in diesem zur wilden Paradoxie geneigtem Dichternaturell, dessen wahre Losung lautet:

Wen’s mächtig treibt in’s Meer hinaus, in’s wilde,
Wo vom Orkan gepeitscht die Wogen schäumen,
Der kann nicht still auf trock’nem Lande säumen,
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Der muß mit Thaten kämpfen, mit Gedanken;
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Der muß des Schicksals steingeformte Schranken
So lang an seines Willens Kraft zerschlagen,
Bis rings umher die hellen Funken jagen.

Man muß die hinreißende Vision von der künftigen Weltherrschaft des Dampfes, das wahrhaft prophetische Gedicht „Die Eisenbahn“ lesen, um zu erkennen, wie in Karl Beck Phantasie, Sprache, Leidenschaft sich zu einem unwiderstehlichen Bunde vereinigen, so oft eine gewaltige Antithese seiner Seele sich bemächtigt.

Rufend rauschen rings die Räder,
Rollend, grollend, stürmisch sausend;
Tief im innersten Geäder
Kämpft der Zeitgeist freiheitsbrausend.
Stemmen Steine sich entgegen,
Reibt er sie zu Staub zusammen;
Seinen Fluch und seinen Segen
Speit er aus in Rauch und Flammen.

Die Ungarn haben sich zu Karl Beck sehr kühl verhalten. Vor ihrem grenzenlosen nationalen Dünkel besteht nur als ungarischer Dichter, wer in ungarischer Sprache singt. Dabei wäre wohl die Frage erlaubt, ob Petöfi und Börösmarty in ihren ungarischen oder Lenau und Beck in ihren deutschen Gedichten das innerste Wesen von Volk und Landschaft der Magyaren tiefer erfaßt und schöner dargestellt haben. Allein eine solche Frage wäre nicht nach dem Sinne des heimgegangenen Dichters gewesen, der vielmehr rastlos thätig war, um zwischen Deutsch und Magyarisch eine Brücke herzustellen, und zu diesem Zwecke eine geraume Zeit sogar das Journal „Der Ungar“ herausgab. Es war verlorene Liebesmühe. Das Journal „Der Ungar“ ging ein, und die bewußte Brücke ist niemals zu Stande gekommen. Karl Beck bleibt uns unbestritten und wenn ihm auch bisweilen lodernde Sehnsucht nach der Heimath den Busen schwellte, wenn eines seiner wildesten Gedichte mit dem Wunsche endet:

O tragt mich fort, o tragt den Sehnsuchtskranken,
Ihr meine schlummerlosen Nachtgedanken,
Zu meiner Donau wüthigem Gebraus,
In meine Vaterstadt, in’s Vaterhaus!

so gab es doch kaum jemals eine so treue Liebe zu allem Deutschen, als welche diesen Deutsch-Ungar beseelte, bis der Tod ihm die müden Augen schloß.

Die müden Augen! Und er hatte ein Recht müde zu sein, denn seit dem Tode seiner ersten Frau war sein Leben ein unstetes Hin und Her, ein Anfassen und Loslassen, ein Streben und Verzweifeln. Es war ihm in Berlin ein Mädchen von dreizehn Jahren, Julie Mühlemann mit Namen, zur Erziehung anvertraut gewesen, und er hatte es für sich selbst erzogen. Julie Mühlemann wurde sein Weib, aber nur ein halbes Jahr blieb sie an seiner Seite; die Cholera raffte sie jählings fort. Das ist schon drei Decennien her, aber der Verlust von damals hat nachgewirkt bis zu des Dichters letztem Tage, obwohl er seit sechs Jahren zum zweiten Male verheirathet war und während seines Krankenlagers von seiner zweiten Frau eine beispiellos hingebende Liebe erfuhr.

Ein solches Dichtergemüth ist ein empfindsames Ding. Es erholt sich wohl oft nach tiefen Schlägen, und nicht selten dient ihm das Unglück zur Förderung. Aber oft auch bleibt es todt und klanglos von der Berührung des Unheils. Karl Beck hat sich nicht wieder aufgerafft seit dem Tode seines ersten Weibes, obwohl er ernstliche Anstrengungen dazu machte. Er redigirte für eine Weile das Feuilleton einer Wiener Zeitung, versuchte es mit einem Roman, arbeitete sogar bis in seine letzten Tage an einem Epos „Der Einsiedler“, allein die Kraft hielt dem Willen nicht mehr Stand. Und hier und da blickte auch die Noth zu seinem Fenster herein, und ihr bleiches Antlitz scheuchte die Gedanken aus des Dichters Haupte. O, er hatte tagaus tagein gehofft, es werde ihm ein zweiter Frühling blühen, wie dem Baume:

„Getrost! und wieder blühst du bald,
Denn minder als das Holz im Wald
Wird Gott ein Menschenherz nicht lieben.“

Aber das Sehnen blieb unerfüllt. Karl Beck war „minder geliebt als das Holz im Wald“ und ging nach einmaliger üppiger Blüthe, deren Duft freilich über vier Jahrzehnte vorhielt, dahin, ohne Freude am Dasein, welk und gebrochen – ein Dichter von Gottes Gnaden, aber eben deshalb mit dem Kainsstempel auf der bleichen, vielgefurchten Stirn.