MKL1888:Pflanzenbewegungen

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Pflanzenbewegungen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 12 (1888), Seite 957959
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Pflanzenbewegungen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 12, Seite 957–959. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Pflanzenbewegungen (Version vom 06.04.2024)

[957] Pflanzenbewegungen. Unter den Bewegungsformen der Pflanzen lassen sich zwei große Gruppen unterscheiden, die als Wachstums- und als Reizbewegungen bezeichnet werden; erstere entstehen ausschließlich durch das Wachsen und hören auf, sobald letzteres sistiert wird (s. Pflanzenwachstum). Als Reizbewegungen dagegen erscheinen alle diejenigen Vorgänge, bei welchen durch eine spezifische Ursache, wie Wärme, Licht, Berührung, Erschütterung, chemische oder elektrische Einwirkung, eine Lagenveränderung des gereizten Pflanzenteils herbeigeführt wird. Rein mechanisch-physikalische Bewegungen, wie das Ein- und Aufrollen der Zweige an der Rose von Jericho (Anastatica hierochontica), das Aufspringen von Fruchtklappen, die Schraubenbewegungen an der Fruchtgranne von Erodium gruinum u. a., gehören nicht hierher.

Charakteristisch für die Reizbewegung der Pflanzen ist es zunächst, daß ein minimaler Reiz eine sehr bedeutende Wirkung hervorzubringen vermag. Wenn man wachsende Pflanzensprosse einseitig beleuchtet, so krümmen sich ihre Gipfel gewöhnlich einseitig nach der Lichtquelle hin (heliotropische Krümmung), obgleich die mechanische Kraft der Lichtstrahlen diese Krümmung durchaus nicht zu bewirken vermag; es sind vielmehr in dem Stengel Einrichtungen vorauszusetzen, welche, durch den Lichtreiz angeregt, die Bewegung auslösen. Bringt man ferner einen gewöhnlich aufwärts wachsenden Stengel in horizontale Lage, so krümmt er sich mit Gewalt aufwärts; die Hauptwurzel einer Keimpflanze biegt sich in gleichem Fall mit der Spitze nach abwärts, obgleich die gegen die Richtung der Schwerkraft geänderte Lage des Organs (geotropische Krümmung) in keiner begreifbaren Beziehung zu der sonstigen Wirkung der Schwerkraft steht. Überschreitet ferner der auf ein Organ gerichtete Reiz eine gewisse Grenze, so tritt schließlich ein Zustand völliger Reizlosigkeit (Starrezustand) ein, während dessen die Beweglichkeit aufhört; so werden die beweglichen Blättchen der Sinnpflanze (Mimosa pudica) unbeweglich, wenn die Pflanze mehrere Stunden einer Temperatur unter 15° (Kältestarre) oder einer solchen über 40–50° (Wärmestarre) oder mehrtägiger Finsternis (Dunkelstarre) ausgesetzt wird; dasselbe geschieht bei ungenügender Wasserzufuhr (Trockenstarre) oder bei Entziehung des atmosphärischen Sauerstoffs durch die Luftpumpe. Der an einer einzelnen Stelle des reizbaren Organs, z. B. einem Teilblättchen der Mimosa, ausgeübte Reiz pflanzt sich von diesem auch auf die andern Teilblättchen desselben Blattes, nach längerer Zeit schließlich auch auf benachbarte Blätter fort: es findet in der Pflanze somit sowohl eine Nachwirkung als auch eine Fortleitung des Reizes statt.

In hervorragender Weise zeigt sich das Protoplasma der Pflanzenzelle (s. Zelle) mit Reizbarkeit ausgestattet. Nackte Plasmakörper, wie die Schwärmsporen vieler Algen, besitzen häufig die Fähigkeit selbständiger Ortsveränderung (lokomotorischer Reizbewegungen), welche durch zarte, hin- und herschwingende Wimpern vermittelt wird. Die Richtung ihrer Bewegung hängt teils von Temperatureinwirkungen, teils von der Richtung des anfallenden Lichts ab. Auch die Kriechbewegungen (amöboide Bewegungen) der Plasmodien von Schleimpilzen, wie der Lohblüte (Aethalium septicum), sind vom Licht abhängig, und zwar sind diese zähen, auf ihrem Substrat sich langsam fortschiebenden Schleimkörper negativ heliotropisch, indem sie von beleuchteten Stellen in den Schatten kriechen. Außerdem besitzen [958] sie die merkwürdige Fähigkeit, sich vertikal aufwärts zu bewegen und z. B. eine senkrecht gestellte Glasplatte von untenher mit einem zierlichen Netz von Schleimsträngen zu überziehen (negativer Geotropismus).

Auch das im Innern von Zellhäuten eingeschlossene Plasma führt Bewegungen aus, die als Zirkulation, z. B. in jungen, lebhaft wachsenden Haaren vieler Pflanzen (Tradescantia, Kürbis, Althaea rosea u. a.), als Rotation in den Zellen des Charen und einiger andrer Wassergewächse wie in den Wurzelhaaren von Hydrocharis auftreten. Diese Bewegungen sind von der Temperatur abhängig und hören schon bei etwa 45° auf; ebenso wirken elektrische Reizung, Druck u. dgl. Mit der Plasmabewegung im Innern der Zellen hängen endlich auch Ortsveränderungen der Chlorophyllkörper (s. Chlorophyll) zusammen, welche in Beziehung zu der größern oder geringern Intensität des Lichts stehen.

Unter den Reizbewegungen höherer Pflanzen sind seit langer Zeit die sogen. Schlafbewegungen gewisser Laubblätter, wie der Bohne, der Robinie und andrer Leguminosen, der Blätter von Oxalis u. a., bekannt. Bei der Feuerbohne sind die dreizähligen, an der Einlenkungsstelle der Fiedern und des Hauptblattstiels mit einem krümmungsfähigen Gelenkpolster ausgestatteten Blätter am Tag flach ausgebreitet, während sich die Gelenkpolster der Einzelblättchen am Abend nach abwärts krümmen und dadurch die Blattflächen nach unten geschlagen erscheinen (Nachtstellung); gleichzeitig krümmt sich das Gelenk des Hauptblattstiels etwas nach aufwärts. Dieser eigentümlichen, periodischen Bewegung liegt als nächste Ursache eine Änderung in der Gewebespannung an der Ober- und Unterseite des krümmungsfähigen Gelenkpolsters zu Grunde. Diese Spannungsänderung wird dadurch veranlaßt, daß bei eintretender Verdunkelung die konvex werdende Oberseite des Organs wasserreicher wird und dabei die Turgeszenz sowie das Volumen des hier befindlichen Zellparenchyms schneller zunehmen als die der konkav werdenden Unterseite, wodurch das Organ passiv auf die Seite der schwächern Turgeszenz hinübergedrückt wird. Inzwischen tritt langsam dieselbe Veränderung auf der nunmehr konkav gewordenen Seite ein, und das Bewegungsorgan nimmt allmählich wieder die entgegengesetzte Krümmung an. Dasselbe Spiel wiederholt sich mit immer schwächer werdenden Schwingungen, bis es zuletzt völlig aufhört. Diese der ursprünglichen Reizung folgende, in pendelartigen Bewegungen sich zeigende Nachwirkung tritt jedoch nur dann deutlich hervor, wenn die in Tagesstellung befindlichen Blätter einer konstanten tagelangen Beleuchtung ausgesetzt werden; Verdunkelung führt dann sofort Nachtstellung herbei. Das periodische Schlafen und Wachen der Blätter entsteht durch Kombination der täglich wiederkehrenden Lichteinwirkung mit der sich in Pendelschwingungen äußernden Nachwirkung. Verschieden von diesen Schlafbewegungen ist das Öffnen und Schließen von Blüten (Blumenschlaf) insofern, als diese Bewegungen durch ein periodisch verändertes Längenwachstum der Zellen an der Außen- und Innenseite der Blumenblätter veranlaßt werden. Besonders empfindlich für Temperaturschwankungen sind die Blüten des Krokus und der Tulpe, welche, in geschlossenem Zustand bei kühlem Wetter in ein geheiztes Zimmer gebracht, sich schon nach wenigen Minuten öffnen; ähnlich wirkt Beleuchtungswechsel, jedoch wechselt die Art der Empfindlichkeit je nach der Pflanzenspezies, woraus erklärbar erscheint, daß manche Blumen (z. B. die von Oxalis, Nymphaea, Taraxacum) im Freien eine Tagesperiode verschiedener Dauer ungefähr einhalten, während andre (z. B. von Adonis vernalis) durch plötzlichen Witterungswechsel zu beliebiger Tageszeit sich schließen und öffnen.

Noch verwickeltere Erscheinungen als die Schlafbewegungen der Laub- und Blumenblätter bieten die Reizbewegungen der Sinnpflanzen (Mimosa pudica, sensitiva und ähnlicher Arten) dar. Dieselben besitzen doppelt zusammengesetzte Laubblätter, deren Hauptstiel 2–4 sekundäre Stiele mit 15–25 Paaren kleiner Fiederblättchen trägt; an der Einfügungsstelle der Fiedern sowie der Sekundärstiele und des Hauptstiels befinden sich auch hier besondere, krümmungsfähige Gewebepartien. Bei Erschwerung krümmen sich nun die Bewegungsorgane der Hauptblattstiele nach abwärts, die der sekundären Stiele nach vorn, die der Blattfiedern nach vorn und aufwärts, so daß letztere mit ihren Flächen nach oben klappen; eine ähnliche Bewegung erfolgt auch infolge von Verdunkelung; jedoch ist die auf solche Weise herbeigeführte Nachtstellung keineswegs mit der durch Erschütterung hervorgebrachten identisch, da die in Nachtstellung befindlichen Mimosenblätter immer noch für Erschütterung reizbar bleiben und infolge einer solchen schlaff herunterhängen, während mit der Verdunkelung eine gesteigerte Steifung des Hauptbewegungsorgans verbunden ist. Durch vielfache Versuche von Dutrochet, Meyen, Brücke, Sachs und Pfeffer wurde festgestellt, daß in diesem Fall die Bewegung durch Wasseraustritt aus der untern Hälfte des Bewegungsorgans und durch die damit verbundene Volumverminderung der hier befindlichen Zellen bewirkt wird; in letzter Stelle wirkt auch hier das Protoplasma als Auslöser des Bewegungsvorgangs. Auf ähnlichen Vorgängen beruhen mehrere andre Reizbewegungen, wie z. B. die Klappbewegung der Blätter bei der insektenfressenden Dionaea (s. Insektenfressende Pflanzen), die Gleitbewegung am Staubfadencylinder der Kompositen, dessen Filamente bei Berührung mit einer Nadel sich verkürzen, endlich auch das Einwärtsschnellen der Staubgefäße von Berberis infolge von Berührung an ihrer Innenseite. Schließlich gibt es auch von äußern Ursachen scheinbar unabhängige P.; das bekannteste Beispiel hierfür bietet der ostindische Schwingklee (Hedysarum gyrans), dessen Blätter sich aus zwei kleinen Seitenblättchen und großer Endfieder zusammensetzen; die beiden Seitenblättchen führen bei genügend hoher Temperatur (etwa von 22°) im Lauf einiger Minuten eine periodische Kreisschwingung aus.

Eine eigenartige Gruppe der P. bilden die Bewegungen der Schlingpflanzen und Ranken. Die erstern, z. B. die Windenarten (Convolvulus, Ipomoea), Hopfen, Gartenbohne, Geißblatt u. a., haben dünne Sproßachsen, deren erste Stengelglieder noch nicht die Fähigkeit des Windens besitzen, sondern ohne Stütze aufrecht wachsen; die folgenden, sehr lang auswachsenden Internodien des Sproßgipfels neigen sich zunächst seitlich und beginnen sodann eine eigentümliche Bewegung, bei welcher der Gipfel in einem Kreis oder einer Ellipse herumgeführt wird (rotierende Nutation oder revolutive Bewegung). Die nächste Ursache hierfür liegt darin, daß an den wachsenden Internodien das stärkste Längenwachstum längs einer Linie stattfindet, welche beständig in einer bestimmten Richtung den Stengel umkreist, während die jedesmal entgegengesetzte Seite am schwächsten wächst. Durch die Kreisbewegung, welche bei kräftig wachsenden Schlingpflanzen in [959] 1–2 Stunden einen vollen Umlauf ausführt, in andern Fällen aber viel langsamer verläuft, sucht der Sproßgipfel eine Stütze zu erreichen; sobald ihm dies gelungen ist, krümmt sich der Endteil des Sprosses um sie herum und wächst in einer Schraubenlinie an ihr herauf, deren Richtung in der Regel konstant ist; die meisten Pflanzen, wie die Convolvulus-Arten, winden von links unten nach rechts oben, nur wenige wie der Hopfen und das Geißblatt, in entgegengesetzter Richtung. Das Winden der Sprosse steht nach Sachs in Zusammenhang mit geotropischen Wirkungen, die Mechanik des Vorganges ist jedoch noch nicht aufgeklärt. Verschieden von den schlingenden Stengeln verhalten sich die Ranken der Kletterpflanzen, da dieselben in jugendlichem Zustand für Berührungsreize empfindlich sind und sich infolge eines solchen an der berührten Stelle einkrümmen; der junge Rankengipfel führt zuerst ähnliche Kreisbewegungen aus wie das Sproßende einer Schlingpflanze und sucht durch dieselben eine Stütze zu erreichen; sobald dies geschehen, erfolgt an der Berührungsstelle eine Einkrümmung, welche sich durch Fortleitung des Reizes auch auf benachbarte Teile der Ranke fortsetzt und zur Bildung einer Schlinge führt; durch weitere Reizwirkung und fortgesetzte Krümmung des Rankenendes entstehen neue Windungen, während das freie, zwischen der Rankenbasis und ihrem Befestigungspunkt liegende Rankenstück korkzieherartig, jedoch mit mehrfachem Windungswechsel sich einrollt.

Die durch die Schwerkraft herbeigeführten Bewegungsformen der Pflanzen (geotropischen P.) sind zuerst von Knight im J. 1806 erkannt worden, der im Wachstum befindliche Keimpflanzen auf einem Rotationsapparat befestigte und dieselben dadurch der gleichzeitigen Wirkung der Schwerkraft und der Zentrifugalkraft aussetzte; er fand dabei, daß die wachsenden Wurzelenden vom Rotationszentrum hinweg wuchsen, während sich die Stengelspitzen demselben zukehrten. Sachs verbesserte den Apparat von Knight durch seinen sogen. Klinostaten, dessen horizontale Achse durch ein Uhrwerk in langsam rotierende Bewegung versetzt wird; die auf der Achse in beliebiger Stellung befestigten Pflanzen sind durch besondere Einrichtungen dabei in ihrem Weiterwachsen ungehindert. Indem nun dieselbe Seite eines wachsenden Pflanzenteils in gleichen Zeiträumen bald auf-, bald abwärts gekehrt wird, wirkt die Schwerkraft in entgegengesetzter Richtung auf denselben ein und läßt daher weder ein Aufwärts- noch Abwärtskrümmen desselben zu stande kommen. Die Eigenschaft eines Pflanzenteils, sich unter dem Einfluß der Schwerkraft aus horizontaler Lage aufwärts zu krümmen, wird als negativer Geotropismus, die entgegengesetzte Eigenschaft als positiver Geotropismus bezeichnet. An der sich krümmenden Stelle sind die Zellen stets noch wachstumsfähig; krümmt sich z. B. ein horizontal gelegter Keimsproß nach aufwärts, so muß ein Querschnittsstück der sich krümmenden Region seine Oberseite verkürzen, seine Unterseite dagegen verlängern, während bei der positiv geotropischen Krümmung einer Hauptwurzel das Entgegengesetzte stattfindet. Da dieselben Erscheinungen ebenso an vielzelligen Organen höherer Pflanzen wie an einzelnen Schlauchzellen niederer Kryptogamen eintreten, so sind alle auf die Verschiedenheit der Zellgewebe an der sich krümmenden Stelle begründeten Erklärungen des Geotropismus zu verwerfen. Für die Krümmungen der wachsenden Wurzelspitzen glaubte Ch. Darwin durch zahlreiche Versuche erwiesen zu haben, daß der Vegetationspunkt derselben wie das Gehirn des Tiers die verschiedenen Bewegungen der Wurzel beherrsche; die Versuche andrer Forscher, wie besonders von Sachs und Detlefsen, haben aber gezeigt, daß dies keineswegs der Fall ist, indem die jüngsten Teile einer horizontal gelegten jungen Wurzelspitze vielmehr passiv durch die Krümmung der dahinterliegenden Wurzelregion abwärts gerichtet werden.

Noch mannigfaltiger als die geotropischen Krümmungen erscheinen die durch Lichtreize hervorgerufenen Bewegungen (heliotropischen P.). Sie treten ein, sobald ein Pflanzenteil von einer Seite stärker beleuchtet wird als von der entgegengesetzten, und werden als positiv oder negativ unterschieden, je nachdem die Konkavität oder Konvexität der Krümmung der Lichtquelle zugewendet ist; positiv heliotropisch sind z. B. die Stengel vieler Keimpflanzen, negativ dagegen die Hauptwurzeln. Da diese Organe gleichzeitig auch geotropisch reizbar sind, so muß bei Versuchen über Heliotropismus die geotropische Wirkung ausgeschlossen werden, was sich durch Befestigung der Versuchspflanzen auf der Achse eines Klinostaten unter geeigneter Beleuchtung erreichen läßt. Die Versuche von Sachs und Müller-Thurgau haben gezeigt, daß die ältere, zuerst von P. de Candolle vertretene Ansicht, nach welcher die positiv heliotropische Krümmung durch schnelleres Wachstum an der vom Licht abgewendeten Seite des Sprosses veranlaßt würde, nicht haltbar sei, da dann die negativ heliotropischen Organe im Licht rascher wachsen müßten als im Finstern, was sich thatsächlich umgekehrt verhält. Die heliotropische Krümmung wird vielmehr wie auch die Schwärmsporenbewegung (s. oben) nur durch die Richtung des anfallenden Lichts bedingt. Auch zeigt sich eine Analogie dieser so verschieden erscheinenden Bewegungsformen darin, daß die heliotropischen Krümmungen vorzugsweise durch die stark brechbaren Lichtstrahlen der blauen und violetten Seite des Spektrums angeregt werden. Die Erklärung der heliotropischen Bewegungen muß die durch Licht ebenfalls reizbaren einfachen Zellschläuche der niedern Kryptogamen ebenso umfassen wie die zusammengesetzten Organe der höhern Pflanzen. Es ist kaum ein Zweifel, daß bei allen Reizbewegungen das Protoplasma als das eigentlich reizbare Organ der Pflanze überhaupt anzusprechen ist, welches auf die verschiedenartigen Einwirkungen des Lichts, der Schwerkraft etc. in spezifischer Weise reagiert und zu den direkt wahrnehmbaren Vorgängen des ab- und zunehmenden Zellturgors, des einseitig gesteigerten Wachstums und der Krümmung der Pflanzenorgane den ersten Anstoß gibt. Vgl. Wiesner, Die heliotropischen Erscheinungen im Pflanzenreich (Wien 1878).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 720721
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[720] Pflanzenbewegungen. Die merkwürdigen Bewegungserscheinungen der Sinnpflanze (Mimosa pudica), welche bei Erschütterung oder Verwundung eines Blattteiles derselben eintreten, gehören zu den am längsten bekannten und bestuntersuchten Lebensvorgängen der Pflanzen (s. Pflanzenbewegungen[WS 1], Bd. 12). Nach den Forschungen von Sachs und Pfeffer schien es zweifellos festzustehen, daß die Fortleitung des Reizes von einem Fiederblättchen zu andern Abschnitten des nämlichen Blattes oder zu denen mehr oder weniger von der Reizstelle entfernter Blätter durch eine Wasserbewegung innerhalb des Holzteiles der Gefäßbündel veranlaßt werde. Schneidet man nämlich mit einem scharfen Messer in den Stamm einer kräftig wachsenden Sinnpflanze ein, so beobachtet man beim Eindringen des Instruments in den härtern Holzteil das plötzliche Hervortreten eines wässerigen Tropfens aus der Wunde, worauf die Reizbewegung der nächstbenachbarten Blätter in starkem Grade eintritt. Sachs nahm zur Erklärung der Erscheinung zwei in der ungereizten Pflanze einander das Gleichgewicht haltende Druckkräfte an, von denen die eine in den Wasserleitungsbahnen des Holzes, die andre in dem Schwellkörper der Bewegungsgelenke am Grunde der Blattstiele ihren Sitz hat; sobald durch die Verwundung jenes Gleichgewicht gestört wird, fließt das Wasser im Holz aus der Wundstelle aus, die Schwellkraft (der sogen. Turgor) in dem Parenchym des Bewegungsgelenkes bewirkt daher auch in diesem ein Austreten von Wasser, und die Turgorabnahme des Gelenkpolsters bedingt in weiterer Folge die äußerlich wahrnehmbare Bewegung der Blattstiele. Pfeffer widerlegte zunächst die an sich mögliche Annahme, daß die Fortpflanzung des Reizes in besondern, reizbaren Zellenzügen innerhalb der Gefäßbündel stattfinde, durch Versuche, bei denen er an kleinen, mittlern Partien der sekundären Blattstiele durch Chloroform oder Äther das Zellprotoplasma unempfindlich machte; trotzdem setzte sich der Reiz auch über die unempfindlich gemachten Stellen fort. Während der infolge von Verwundung eintretende Reiz nach Pfeffer auf Wasserentziehung zurückgeführt wird, erklärt sich die auf Stoßreiz erfolgende Bewegung der Mimosenblätter durch Zufuhr von Wasser, das aus dem gereizten Gelenk in das wasserleitende Gefäßbündel übertritt. Wie Sachs nahm auch Pfeffer den Holzteil des Gefäßbündels als die eigentliche Reizleitungsbahn an. Nachdem neuere Untersuchungen die direkte Verbindung der Plasmakörper benachbarter Zellen durch feine Plasmafäden (s. Pflanzenzelle) festgestellt hatten, lag es nahe, auch bei der Sinnpflanze die Reizleitung in diesen Plasmaverbindungen zu suchen, ein Gedanke, der zuerst von Oliver ausgesprochen wurde. Haberlandt unternahm dann mit ausdrücklicher Rücksicht auf diese neuen Gesichtspunkte eine gründliche anatomische und physiologische Untersuchung des reizleitenden Gewebes der Mimose. Zunächst gelang es ihm, anatomisch festzustellen, daß in den Blattstielen, Gelenkpolstern und Stengelteilen der Pflanze innerhalbdes Weichteiles (Leptom) ihrer Gefäßbündel lange, schlauchförmige, in Längsreihen übereinander stehende Zellen vorhanden sind, welche auf den sie trennenden Querwänden einen einzigen, sehr großen, fein porösen und an den Poren von Plasmaverbindungen durchsetzten Tüpfel haben. Die von frühern Beobachtern als Wassertropfen bezeichnete Flüssigkeit entquillt nicht, wie jene annahmen, dem Holzteil, sondern den von Haberlandt näher beschriebenen Schlauchzellen; auch besteht der Tropfen nicht nur aus Wasser, sondern enthält neben Schleim einen kristallisierbaren, organischen Stoff, der den Glykosiden nahe zu stehen scheint. Die in Rede stehenden, schlauchförmigen Zellen erwiesen sich weiter als das den Reiz fortleitende Gewebe. Wurde nämlich eine kleine, 4–10 mm lange Zone einzelner Blattstiele an kräftigen Versuchspflanzen durch Abbrühen mittels heißen Wasserdampfes getötet und die so behandelten Exemplare durch 24stündiges Einstellen in einen sehr feuchten Treibkasten wieder zu normaler Ausbreitung ihrer Fiederblättchen gebracht, so konnte durch Einschneiden in ein Fiederblatt oder in einen Blattstiel der Reiz fast ausnahmslos auch über die abgebrühte, jedoch für Wasser und Zellsaft passierbare Blattstielzone fortgepflanzt werden. Dieser Versuch beweist schlagend, daß die Reizfortpflanzung nicht durch ein System zusammenhängender Plasmakörper vermittelt wird, da dieselben an der abgebrühten Stelle getötet waren; anderseits zeigt er aber auch, daß die Reizfortpflanzung auf einer durch den Schnitt herbeigeführten Gleichgewichtsstörung des hydrostatischen Druckes im Weichteil der Gefäßbündel beruht, die sich auch über die getötete Zone fortzusetzen vermag. Da der äußerlich wahrnehmbare Ausdruck dieser Gleichgewichtsstörung der aus den Schlauchzellen erfolgende Austritt des Zellsafttropfens ist, so muß das genannte Gewebe auch als Sitz der Reizleitung betrachtet werden. Die Verbreitung dieser reiz- oder besser druckleitenden Elemente innerhalb der Sinnpflanze beansprucht somit ein hervorragendes Interesse. Die in ein Fiederblatt eintretenden Schlauchzellen stehen in lückenlosem Verband mit denen des gegenüberliegenden Blättchens, das bei Reizung des erstern zunächst durch Bewegung zu reagieren pflegt, indem Knotenpunkte in den Anheftungsstellen jedes Blattpaares gebildet werden und damit die Reizleitung auch in der Querrichtung ermöglicht wird. Im Gelenkpolster grenzen die reizleitenden Elemente häufig [721] an einen Kollenchymring, der das zentrale Gefäßbündel hier rings umkleidet; die Plasmakörper der Kollenchymzellen stehen miteinander und mit den angrenzenden Zellen des reizbaren Parenchyms in Verbindung. Dagegen findet zwischen den Kollenchymzellen und den ihnen benachbarten Reizleitungszellen nach Haberlandt keine direkte Plasmaverbindung statt, die jedoch von Kienitz-Gerloff (s. Pflanzenzelle) später aufgefunden wurde. Außer in den Blattstielen und den Gelenkpolstern treten die reizleitenden Elemente auch in der Blattfläche selbst, und zwar in den Nerven derselben sowie in den Gefäßbündeln des Stengels auf und vermitteln, da sämtliche Stränge des letztern netzartig untereinander zusammenhängen, die Leitung des Reizes zu sämtlichen übrigen Blättern eines Pflanzenexemplars. Für das Verständnis der nähern Art und Weise, wie innerhalb der reizleitenden Zellen die Mechanik der Saftbewegung und die Filtration des Zellsaftes durch die porösen, mit Plasmaverbindungen versehenen Querwandtüpfel zu stande kommt, ist zunächst hervorzuheben, daß in den unversehrten Schlauchzellen des Weichbastes ein hoher hydrostatischer Druck herrscht, der eine starke Spannung ihrer Röhrenwände bedingt. Letztere ruft notwendigerweise im Momente der Verletzung eine nach dein Orte des verminderten Druckes gerichtete Saftbewegung hervor. Da durch das Durchschneiden eines einzigen Blattstieles der Zellsaft eines ganzen Sprosses oder selbst einer ganzen Pflanze in Bewegung versetzt werden kann, so können die Filtrationswiderstände an den zahlreichen Querwänden der Schlauchzellen nur sehr gering sein, so daß sich die reizleitenden Zellenzüge letzterer wie ein System miteinander in offener Verbindung stehender Röhren verhalten. Die Erscheinung, daß auf einen bloßen Stoßreiz die Leitung desselben nicht über die abgebrühte Blattstielzone hinausgeht, erklärt sich daraus, daß in diesem Falle die durch Erschütterung erregte Saftbewegung zu unbedeutend ist, um sich in genügender Stärke über die abgestorbene Stelle zu verbreiten. Die Frage, auf welche Weise die Übertragung des Reizes zwischen dem reizleitenden Gewebe und dem reizbaren Parenchym des Gelenkpolsters zu stande kommt, beantwortet Haberlandt dahin, daß dies durch die mit der Druckschwankung verbundene Volum- und Gestaltänderung des Gelenkpolsters selbst geschieht. Die nach einem Stoßreiz eintretende Fortleitung desselben beruht darauf, daß auf die schwellkräftigen (turgeszenten) Schlauchzellen von außen ein Druck ausgeübt wird, der das hydrostatische Gleichgewicht des Zellsaftes stört. Die Drucksteigerung pflanzt sich bis in das nächste, noch ungereizte Gelenk genau so fort, wie in einer Kautschukröhre mit Wasser von bestimmtem hydrostatischen Druck eine lokale Drucksteigerung nach Art einer Pulswelle im Blute von einem Röhrenende zum andern fortschreitet; ebenso muß auch eine lokale Druckverminderung wirken, wie sie bei Verwundung eines Blattes eintritt. Daß auch von Organen ohne Reizleitungszellen, z. B. von Seitenwurzeln aus, die Reizbewegung der Blätter erregt werden kann, geht aus einem ältern Versuch Dutrochets hervor, der einen kleinen Teil des Wurzelsystems einer Mimose mit Schwefelsäure begoß, worauf nach einigen Stunden sämtliche Blätter der Sprosse sich in der Reihenfolge von unten nach oben senkten. In diesem Falle hatten die Wasserleitungsröhren der Pflanze (Gefäße und Tracheiden) in Wurzel und Stengel die schädliche Substanz aufgenommen und zu den bei der Bewegung direkt thätigen Organen geleitet. Änderungen im normalen Zustand innerhalb der Wasserleitungs- und der Luftführungsbahnen können jedenfalls auch eine Störung des hydrostatischen Gleichgewichts innerhalb der Reizleitungsbahnen und damit auch eine von den Gelenkpolstern ausgehende Blattbewegung bedingen, da es experimentell feststeht, daß auch bei durchschnittenen Reizleitungszellen unter Umständen die Druckänderung im Zellsafte des Holzkörpers fortgepflanzt werden kann; es erklärt sich dies durch Übertragung des Druckes aus den Gefäßen durch angrenzendes Gewebe auf die eigentlichen Reizleitungszellen.

Bei andern P., z. B. der von den reizbaren Borsten ausgehenden Bewegung der Blätter von Dionaea, bei den Drüsen von Drosera, den Ranken der Kürbisgewächse u. a., ist die Fortleitung des Berührungsreizes an die Plasmaverbindungen der Zellen geknüpft. Um so merkwürdiger erscheint es, daß bei der Sinnpflanze trotz des Vorhandenseins dieser Verbindungen die Reizleitung auf andern Wegen erfolgt. Dieselben sind hier durch Umgestaltung von Elementarorganen zu stande gebracht, die auch bei einigen andern Leguminosen, wie Phaseolus, Apios, Sesbania, Vigna, Lablab u. a., als gerbstoff- oder milchsaftführende Sekretschläuche vorkommen. Außer einigen ebenso wie Mimosa pudica auf Stoßreiz empfindlichen Mimosen gibt es auch andre, in ganz geringem Grade reizbare Arten (so M. speciosa Jacq.), deren sekundäre Blattstiele sich erst nach heftigem Schütteln senken; auch legen sich die Fiederblättchen oberwärts nicht vollständig zusammen, die primären Blattstiele sind ganz oder fast unbeweglich, und die Bewegung erfolgt nur sehr langsam sowie nur mit wenig umfangreicher Fortleitung des Reizes. Die Schlauchzellen der erwähnten Art sind an den Querwänden ungetüpfelt, aber hier doch von größerer Zartheit als sonst, so daß hierin der Anfang der bei M. pudica so auffallenden Tüpfelbildung angedeutet erscheint. Vielleicht hat von diesem Ausgangspunkt aus bei den Vorfahren der M. pudica das reizleitende System sich weiter ausgebildet. Der Umstand, daß bei diesen Pflanzen zu Längsreihen verbundene Sekretzellen bereits vorhanden waren, mag es bedingt haben, daß nicht wie sonst die Plasmaverbindungen, sondern jene Schlauchreihen die Fortleitung des Reizes übernommen haben. Vgl. Haberlandt, Das reizleitende Gewebesystem der Sinnpflanze (Leipz. 1890).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Pflanzen