Orientalische Palast- und Hofbilder

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Autor: Heinrich von Maltzan
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Titel: Orientalische Palast- und Hofbilder
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, 5, S. 61–64, 76–80
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[61]
Orientalische Palast- und Hofbilder.
Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.
Nr. 1.
Der Hof in Tunis. – Prinzenkäfige. – Ein orientalischer Kaspar Hauser. – Geistererscheinung eines Lebenden. – Ein Prinz als Rebell wider Willen.


Etwa eine halbe Stunde außerhalb Tunis ragt aus der einförmigen Ebene eine kleine Stadt von Palästen, Wachthäusern, Wohnungsgebäuden, Werkstätten und Bazars mit eigenen Mauern und Thoren hervor. Es ist der Bardo, die Palaststadt des Bey’s von Tunis, eine ausschließliche Hofschöpfung, denn Alles, was hier lebt, existirt einzig und allein durch und für den Hof. Gänzlich ohne Einheitsplan ist diese kleine Stadt, die etwa zweitausend Bewohner zählen mag, angelegt, ein wirres Durcheinander von Prachtbauten und bescheideneren Häusern, luftigen Säulenarcaden, schattigen Bogengängen, sonnigen Sälen, dunklen Haremskammern und finsteren gefängnißartigen Hintergebäuden, die der Volksmund mit geheimnißvollem Grauen als „Prinzenkäfige“, um nicht zu sagen Gräber für Lebendige, bezeichnet. Könnten diese Mauern das Echo aller Seufzertöne, den Angstschrei der Gemarterten, das Todesröcheln der Erwürgten, das sie im Laufe der Zeiten vernommen, wieder ertönen lassen, sie würden eine finstre, grauenerregende Geschichte erzählen. Aber in den vorderen Hallen und Prunkgemächern sieht Alles heiter und glanzvoll aus. Da herrscht ein fast zu blendendes Licht, wie hinter ihnen nur zu finsterer Schatten. Dennoch sind und waren es Glieder einer und derselben Fürstenfamilie, welche sich hier im Licht sonnten, dort im Schatten ihr Dasein elend endeten, und oft hat eine einzige Stunde das Trauerspiel gesehen, das den Einen mit seinem gesammten zahlreichen Anhang von dem Glanz der Vordersäle in die Nacht der hinteren finstern Kammern stürzte, um dort eines Todes zu sterben, von dem Niemand etwas zu sagen weiß, als der Fürst, der ihn befahl, und das blindgehorchende Werkzeug, das ihn zur That machte.

Die allerwenigsten jener dunklen Thaten sind von den einheimischen Geschichtschreibern angedeutet. Europäische wissen noch viel weniger davon. In der älteren Geschichte finden wir die Mordthaten nur dann erwähnt, wenn der Fürst auf dem Thron selbst getödtet wurde. Dies kam zwar oft vor, oft jedoch war der Uebergang weniger plötzlich. Manche Fürsten, von einem glücklichen Rivalen besiegt, glaubten durch Abdankung ihr Leben zu sichern. Thörichte Hoffnung! In tiefer Nacht stellte sich ein verhängnißvoller Besuch bei ihnen ein. Es waren die Würgengel in Gestalt von nubischen Eunuchen. Von einem solchen entthronten Fürsten heißt es dann gewöhnlich. „Er starb bald darauf im Gefängniß,“ oder es ist auch gar nicht mehr von ihm die Rede. Es galt für selbstverständlich, daß er nicht weiter lebte.

Nur ein einziges Mal in der Geschichte nordafrikanischer Höfe hatte dieser grausige Zustand der Unsicherheit des Fürstenlebens zu einem rettenden Familienvertrag geführt. Das war zur Zeit der Meriniden in Marokko. Eine Anzahl gefangen gehaltener Prinzen hatte sich das Wort gegeben, daß, wenn einer derselben auf den Thron gelangen sollte, er seine Vettern nicht um’s Leben bringen, sondern sich mit deren Verbannung begnügen werde. Dieser Vertrag wurde innegehalten, ein ziemlich seltnes Beispiel im Orient. Als Sultan Abu’l Abbas einst von einem Feldzug heimkehrte, fand er sein Land und seine Hauptstadt in den Händen eines siegreichen Rivalen und sah sich selbst dessen Willkür [62] preisgegeben. Schon war sein Tod beschlossen; da erinnerte er den Sieger an jenen Vertrag, dem beide, als sie noch im Prinzenkäfig schmachteten, beigestimmt hatten, und er konnte frei in’s Ausland ziehen; ein schönes Beispiel von Milde, das selbst in Europa im Mittelalter nicht immer befolgt wurde; denn es ist ohne Zweifel im Geiste jener Zeit gesprochen, was Shakespeare in Richard dem Zweiten sagt, wo er Jemand den Vorschlag in den Mund legt, den entthronten Fürsten lediglich zu verbannen, anstatt ihn einzukerkern in der Absicht, ihn nachher heimlich zu tödten: „Wohl gütiger wäre dies, doch weniger politisch.“

Das Loos, das Eduard den Zweiten und Richard den Zweiten traf, ist auch das fast aller entthronten Fürsten des Orients gewesen. In Europa freilich hat die Zeit die Sitten gemildert. Sogar in der Türkei ist der schreckliche Brauch, daß der zur Regierung gelangte Sultan alle seine Brüder tödten ließ, seit mehreren Generationen nicht mehr geübt worden. Aber an geheimnißvollen Thaten, die das Dunkel der Prinzengemächer umhüllt, fehlt es doch auch heut zu Tage in mohamedanischen Ländern nicht ganz, und da wir gerade bei Tunis sind, so will ich von zweien berichten, die sich in neuester Zeit zugetragen haben.

Der im Jahre 1814 von seinem Vetter und Nachfolger ermordete Bey Othman hatte eine Nebengattin, eine schwarze Sclavin, in gesegneten Umständen hinterlassen. Ihr Zustand war noch nicht bemerklich, sonst hätte sie sicher das Loos aller Kinder und schwangeren Frauen ihres Gatten getheilt, die sämmtlich gleichzeitig mit ihrem Herrn einem gewaltsamen Tode erlagen. Mit dessen noch übrigem Harem in ein enges Gefängniß gebracht, kam sie nach abgelaufener Frist nieder und hatte das Glück, daß man ihr das Kind ließ. Wahrscheinlich hatte sie es für ein Mädchen ausgegeben, und ein Mädchen ist im Orient Niemandem im Wege. Möglich war dies, weil kein Mensch ein solches Gefängniß zu betreten braucht; das Essen wird durch ein Schiebfenster hineingeschoben; für Entfernung des Unraths ist im Innern vorgesorgt. Man entdeckte erst den kleinen Prinzen Mohammed, als er schon vierzehn Jahre alt war und man den gefangenen Harem frei geben wollte. Der regierende Bey war gewiß sehr unangenehm überrascht, als er von der Existenz dieses kleinen Thronprätendenten hörte. Indeß die milderen Sitten dieses Jahrhunderts waren inzwischen auch in Tunis nicht ohne Einfluß geblieben. Man hatte bereits angefangen, Civilisation zu spielen, und damit hätte das Erwürgen des Knaben denn doch zu sehr in Widerspruch gestanden. Man ließ ihn also am Leben, brachte ihn, da seine Mutter inzwischen gestorben war, mit einer Wärterin in einen andern kleineren Prinzenkäfig, traf für die nöthigen täglichen Rationen Vorsorge und kümmerte sich nicht weiter um ihn. In diesem Gefängniß, gänzlich von der Welt abgeschlossen, blieb der Sohn des einstigen Sultans bis 1855, also bis zu seinem einundvierzigsten Lebensjahre.

Im gedachten Jahre gelangte Mohammed Bey auf den Thron, ein sanfter, gutmüthiger Fürst, der seine Regierung damit begann, seinem gefangenen gleichnamigen Vetter die Freiheit zu geben. Aber was sollte dieser mit ihr machen, da er nie gelernt hatte, sich frei zu bewegen? Er war auch viel zu alt, um noch die ihm bisher gänzlich unbekannt gebliebenen Gebräuche der Außenwelt zu erlernen. Man glaubte einen neuen Kaspar Hauser zu sehen, so linkisch benahm, so unwissend in den einfachsten Dingen zeigte er sich, so gänzlich fremd war ihm die Welt. Nur war der wirkliche Kaspar Hauser ein Jüngling und folglich noch lernfähig gewesen; der einundvierzigjährige Mohammed dagegen, dessen Fähigkeiten nie geübt worden waren, vermochte nicht mehr, sich in die Welt zu schicken. Er war ein Kind, aber leider ein sehr altes Kind. Man machte zwar allerlei Versuche, ihn ein wenig zu dressiren, aber ohne Erfolg. Man gab ihm Unterricht im Sprechen, denn er redete kaum eine menschliche Sprache, aber er blieb bei seinem kindischen Kauderwälsch. Man ließ ihn spazieren fahren, reiten, den Bazar besuchen. Als er zum ersten Male ausfuhr, beängstigte ihn die Bewegung des Wagens dergestalt, daß er weinte, schrie und herausspringen wollte. Man mußte ihn gewaltsam festhalten. Noch unglücklicher fiel sein Versuch im Reiten aus; dem Orientalen kommt das Reiten so einfach vor, daß er nicht daran denkt, daß auch dies gelernt sein will. So gab denn der Fürst Befehl, Mohammed sollte spazieren reiten; die Stallknechte thaten auch das Ihrige, diesen Befehl in’s Werk zu setzen. Aber mehr glaubten sie nicht thun zu können, als den Prinzen auf ein Pferd zu setzen und ihn so lange festzuhalten, als dieses stille stand. Kaum war es aber im Gange, so verlor der Unglückliche das Gleichgewicht, fiel und beschädigte sich. Wenn er den Bazar besuchte, so gefiel er sich darin, die bunten, ihm meist unbekannten Waaren durcheinander oder auch wohl auf die Straße zu werfen. Für den Hof wurden diese Besuche sehr kostspielig, aber seltsamer Weise (für uns Europäer, dem Orientalen jedoch sehr erklärlich) machten ihn seine Absonderlichkeiten bei dem gewöhnlichen Volk beliebt. Man sah darin ein Zeichen gestörten Geistes, und da jeder Verrückte im Orient für heilig gilt, so fing man an ihn als einen Auserwählten zu verehren. Nebenbei zeigte es sich, daß er mit gemeinen Leuten vom Schlage seiner Wärterin, des einzigen menschlichen Wesens, das um ihn gewesen war, viel leichter und verständlicher sprechen und verkehren konnte, als mit vornehmen. Seine Volksthümlichkeit wuchs dadurch. Man sprach nur noch von dem „heiligen“ Prinzen, dem Freunde der Armen und Geringen; ja man raunte sich in die Ohren, daß er rechtmäßiger Weise eigentlich der Herrscher oder wenigstens der Thronfolger sein müsse. Ersteres war nicht richtig, letzteres zweifelhaft, denn er stand mit dem damaligen designirten Thronfolger etwa in einem Alter und das Alter der Prinzen (einerlei ob sie mit dem Herrscher näher oder entfernter verwandt sind) entscheidet bei der Thronfolge im Orient. War er aber einige Tage älter oder jünger, als sein begünstigter Vetter, wer vermochte es zu sagen? Dies genügte jedoch, um ihn dem Hofe gefährlich erscheinen zu lassen. Man gab plötzlich Befehl, die Spaziergänge einzustellen. Man sperrte ihn zwar nicht wieder ein, aber man sorgte dafür, daß er den Bardo nicht mehr verließ. So erfreute er sich einer relativen Freiheit bis zum Jahre 1859, als sein Beschützer starb und eben jener Thronfolger, der mit ihm gleichaltrig war, die Herrschaft antrat. Jetzt war es mit stiller Freiheit vorbei. Er mußte wieder in den Prinzenkäfig wandern, diesmal allein, denn man trennte ihn sogar von seiner alten Wärterin. Man weiß nicht genau, wie lange er noch im Gefängniß gelebt hat. Daß er aber noch im Jahre 1866 lebte, ist gewiß. Nach und vor jenem Jahre fanden zwei Rebellionen in Tunesien statt und mit den Schreckensmaßregeln, welche ihrer Ueberwältigung folgten, bringt man den Tod des Prinzen in Verbindung; daß dieser ein gewaltsamer war, wird allgemein geglaubt. Sein Datum ist aber Niemand bekannt, außer natürlich dem, der ihn befohlen, und dessen Werkzeugen. Mohammed starb, wie er gelebt, unbemerkt und geheimnisvoll.

Wenn ich freilich einem Manne Glauben schenken dürfte, den ich einmal in einer Ramadhan-Nacht in einem Kaffeehause von Tunis kennen lernte, so könnte ich die Geschichte jenes Todes mit mehr Einzelheiten erzählen. Sie ist allerdings ein wenig grauenhaft, nebenbei auch hinlänglich abergläubisch, aber man muß der orientalischen Phantasie etwas zu Gute halten und nicht vergessen, daß es eben ein Orientale ist, der sie erzählte oder vielmehr erzählt, denn ich will sie hier mit seinen Worten, so gut ich im Gedächtniß habe, wiederholen und werfe damit alle und jede Verantwortlichkeit an derselben von meinen Schultern ab.

„Wissen sie,“ so begann mein tunesischer Kaffeehausbekannter, „was die eigentliche Ursache von des Prinzen Mohammed Tode war? Eine Geistererscheinung, aber keine Geistererscheinung gewöhnlicher Art, also keine Erscheinung eines Verstorbenen. Dergleichen kommt bei uns alle Tage vor. Was aber ganz unerhört ist, besteht darin, daß eine noch lebende Person, von der man genau weiß, daß sie wo anders ist, plötzlich leibhaftig vor uns steht. so ging es unserm Herrn, dem Bey von Tunis, mit dem Prinzen Mohammed, von dem er doch sehr gut wußte, daß er in einem Hintergebäude seines Palastes wohlverwahrt hinter Schloß und Riegel saß. Dennoch zeigte sich dieser eines Abends neben dem Ruhebette des Fürsten. Er hatten eine alte Dschobba (Aermelhemd) und ein Paar gelbe Babuschen an, einen grünen Turban auf dem Haupte und sah sehr wehmüthig aus. Der Fürst war zum Tode erschrocken und konnte lange nicht um Hülfe rufen. Als er dies endlich vermochte und seine Diener kamen, suchte man den Prinzen umsonst. Man schickte nach seinem Gefängnisse und fand ihn zwar ganz so gekleidet, wie ihn der Bey gesehen, aber in tiefem Schlafe. Man gewann durch Untersuchung des Kerkers die Gewißheit, daß er nach dem natürlichen Laufe der Dinge unmöglich entschlüpfen konnte. Dennoch [63] hielt es der erste Minister, dem der Fürst die Schrecken jener Erscheinung geschildert, für angemessen, den Prinzen in Ketten zu legen. Wenn er aber glaubte, seinem Herrn dadurch eine ruhige Nacht zu verschaffen, so irrte er sich. Wieder zeigte sich die Gestalt, diesmal mit den Ketten belastet, die ein grauenerregendes Gerassel ertönen ließen, so daß der Bey noch viel mehr erschreckt wurde. Die Untersuchung ergab ganz dieselben Resultate wie die frühere. Da aber doch etwas geschehen mußte, so verfiel der erste Minister auf den Gedanken, dem Prinzen die Bastonade auf die Fußsohlen ertheilen zu lassen. Nach dieser Operation vermag der Mensch tage-, oft wochenlang nicht zu gehen. Diesmal glaubte man also alle Gefahr des Wiedererscheinens des Tausendkünstlers, von dem man trotz seiner Einfalt anzunehmen schien, daß er Riegel und Ketten brechen und wieder unbemerkbar schließen könne, beseitigt zu haben. Eitle Hoffnung! In der Nacht zeigte sich eine auf Knieen und Händen kriechende Gestalt am Bette des Fürsten. Es war der Prinz, der mit einem Ausdrucke des Vorwurfs dem Bey seine blutigen Fußsohlen zeigte. Neuer Lärm, neue fruchtlose Untersuchung. Der Bey rief seinen ersten Minister und befahl ihm, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln die Wiederholung der Erscheinung zu verhindern. Er habe volle Freiheit, mit dem Prinzen zu machen, was er wolle. Aber sein, des Ministers, Kopf stehe auf dem Spiele, wenn die Erscheinung sich noch einmal zeige.

Hätte der Minister noch Haare auf dem Kopfe gehabt, so würden sie ihm wahrscheinlich zu Berge gestanden sein. In seiner Angst rief er seine Vertrauten, darunter auch einen europäischen Arzt. Dieser meinte mit seiner ketzerischen Gesinnung, der Bey habe nur eine sogenannte Vision gehabt und das Beste wäre, ihm blutreinigende und nervenstillende Mittel beizubringen, den Prinzen aber, der ganz unschuldig an der Sache sei, ungeschoren zu lassen. Diese Ansicht war so sehr im Widerspruch mit Allem, was ein frommer Moslem glaubt, daß sie nicht durchdrang. Alle Andern waren der Meinung, daß der Prinz ein Hexenmeister sein müsse, der mit dem Teufel im Bund stehe und von ihm übernatürliche Macht erhalten habe, und daß er dem Tode verfallen sei.

In der nächsten Nacht hatte unser Herr, der Bey von Tunis, wieder eine Erscheinung, schrecklicher, grauenvoller, als alle früheren, aber glücklicherweise auch die letzte. Abermals erblickte er den Prinzen, diesmal sich auf dem Boden windend, eine Schnur um den Hals, die von zwei auf ihm knieenden Eunuchen fest angezogen wurde. Er glaubte das Todesröcheln seines unglücklichen Vetters zu vernehmen; er sah seine Glieder in krampfhaften Zuckungen ringend, wie ein Huhn, das man erwürgt; er sah ihn erst kupferroth im Gesicht werden, dann allmählich erbleichen und ihn zuletzt mit geisterhaften Augen, voll entsetzlichen Vorwurfes erstarren. Ueber diesem schrecklichen Gesicht verfiel der Bey selbst in Krämpfe. Als er wieder zu sich kam und das Geschehene schilderte, erfuhr er, daß in eben jener Stunde Mohammed auf Befehl des ersten Ministers erdrosselt worden war. Von diesem Augenblick an verbot unser Herr, der Bey von Tunis, allen Personen seines Hofes, jemals wieder des Prinzen mit einer Sylbe zu erwähnen. Er ließ ihn übrigens im Stillen ehrbar begraben und soll sogar heimlich auf seinem Sarge geweint haben.“

So weit der Tuniser. Es wird natürlich Niemandem zugemuthet, an seine Geistergeschichte zu glauben, mich aber erinnert sie unwillkürlich an etwas, das ich mich entsann in Immermann’s Münchhausen gelesen zu haben. Dort erzählen nämlich die sechs Gebrüder Piepmeyer, jene hoffnungsvollen zopfverschlungenen Gardisten von Hessen-Cassel, daß während König Jerôme’s Herrschaft der in Prag abwesende Kurfürst Wilhelm dennoch jedesmal an seinem Geburtstage auf der Löwenburg erschienen, dort eine gewisse Sorte Varinas (linker Hand oben) geraucht habe und dann eben so geisterhaft wieder verschwunden sei, wie er von Prag, das er körperlich nie verlassen, gekommen war. Als ich im letzten Sommer die Löwenburg besuchte, erzählte mir der Castellan (leider kein Piepmeyer mehr) etwas, das jenes Gerücht, auf welches Immermann seine satirische Erzählung gegründet hat (denn das Gerücht existirte wirklich), erklärt. Das Merkwürdige war, daß Jerôme an die Sache zu glauben schien. Dieser vermied nämlich während seiner letzten Regierungsjahre, einen gewissen Saal auf der Löwenburg zu betreten, weil ihm dort etwas Seltsames begegnet war. In diesem Saal befindet sich der Schreibtisch des Kurfürsten Wilhelm und an diesem Schreibtisch hatte Jerôme einst, wie er deutlich zu sehen glaubte, den Kurfürsten, von dem er doch genau wußte, daß er sich zur Zeit in Prag befand, sitzend gefunden. Jerôme glaubte vielleicht an eine Vision, und da diese Vision ihm seinen Feind gezeigt hatte, mochte für ihn der Saal von nun an eine unangenehme Erinnerung haben. Aber es war Fleisch und Blut gewesen, was er gesehen hatte, nämlich einen seiner Pagen, einen Schalk[1], der in einem alten Schrank eine abgelegte Uniform nebst Hut und Perrücke des Kurfürsten gefunden, diese angelegt und sich an den Schreibtisch gesetzt hatte, um Jerôme einen Streich zu spielen. Jerôme verließ erschreckt den Saal. Er untersuchte übrigens die Sache damals nicht, sprach überhaupt nur sehr selten davon. Erst nach den Befreiungskriegen soll der Thäter sich dazu bekannt haben. Es wäre nun freilich ein sehr schlechter Geschmack gewesen, wenn irgend einer der zahlreichen tunesischen Hofpagen, jener durch Fürstengunst verwöhnten und übermüthig gemachten Bürschchen, sich herausgenommen hätte, seinem Herrn einen ähnlichen, wenn auch leider für den, welchen er darstellte, schrecklich verhängnißvollen Streich zu spielen, wie jener hessische dem Carnevalskönig. Wer sich nicht entschließen kann, dies für möglich zu halten, dem bleibt ja noch immer das Auskunftsmittel, an eine Vision des Bey von Tunis zu glauben, und Visionen sind ja von den Aerzten anerkannte pathologische Zustände.

Dieser grauenerregende Vorfall hatte übrigens leider nicht den Erfolg, künftige Prinzenmorde zu verhindern. Kaum ein Jahr war vergangen, als das Gefängniß mit dem Schiebfenster wieder einen Todescandidaten aufnahm. Derselbe war freilich nicht so unzurechnungsfähig, wie sein unglücklicher Vorgänger. Es war der Prinz el Adel, der jüngste Bruder des Bey. Dieser junge Springinsfeld hatte sich verleiten lassen, Partei für einen aufrührerischen Beduinenstamm zu nehmen, zu diesem zu entfliehen und sich zum Gegenfürsten aufzuwerfen. Eigentlich war er jedoch zu seiner Rebellenrolle fast ohne sein Zutun und wider seinen Willen gekommen. Der genannte Stamm hatte sich empört, und da im Orient selbst die Empörer nicht so demokratisch sind, einen Mann des Volkes an ihre Spitze zu stellen, sondern stets einen hohen Herrn als Aushängeschild haben wollen, so hatte man sich nach einem Prinzen umgesehen. Einer der Hofdiener wurde bestochen, und dieser versprach, ihnen einen Prinzen zu liefern. Man wählte el Adel, weil dieser gerade mit dem allmächtigen Minister eine ziemlich bissige Differenz hatte. Bei einer Spazierfahrt des Prinzen war der Kutscher dazu bewogen worden, recht weit von der Stadt hinauszufahren. El Adel sah sich plötzlich um fünf Uhr Nachmittags einige Meilen von Tunis. Es war Winter, und beim Dunkel zurückzukehren, gestatteten die schlechten Wege nicht. Ums Uebernachten war man übrigens nicht verlegen, denn plötzlich tauchte ein gastfreundlicher Landbesitzer auf, der sich die Ehre des prinzlichen Besuchs ausbat und seinen Gast mit Pomp und Ueberfluß bewirtete. El Adel brachte einen höchst angenehmen Abend zu; aber der nächste Morgen war weniger angenehm. An demselben erhielt der Prinz Brief über Brief von Tunis, alle angeblich mit Extra-Couriren angelangt, worin er vor der Rückkehr gewarnt wurde. Der erste Minister habe seine nächtliche Abwesenheit sogleich erfahren und diese in Verbindung mit dem Aufruhr gebracht. Der Prinz kannte den Minister und wußte, wessen dieser fähig war. Er beschloß also, vor der Hand von Tunis fortzubleiben. Wohin aber gehen? Darum waren seine Begleiter nicht verlegen. Sie kannten einen reichen und angesehenen Scheich, der sich eine Freude daraus machen würde, den Prinzen so lange zu bewirthen, bis die kleine Differenz mit dem Minister ausgeglichen wäre.

Als el Adel zu diesem Scheich kam, merkte er erst, daß er sich im Lager der Rebellen befand. An ein Zurückweichen war nun nicht mehr zu denken; er mußte gute Miene zum bösen Spiele machen. Die Araber sorgten übrigens dafür, daß er vor lauter Zerstreuungen nicht zu sich selbst kam. Erst wurde er reich beschenkt. Man spricht von einem ganzen „Zelt voll Thaler“, das unter diesen Geschenken figurirte. Das „Zelt voll Thaler“ ist eine sehr beliebte orientalische Redeblume, aber der Araber glaubt daran. Abd el Kader soll mehrere solcher Zelte besessen haben, und ich selbst kannte einen Scheich, dem seine Diener gar den Besitz eines „Zeltes voll Goldstücke“ nachrühmten. Dann [64] gab man Feste, Phantasias, führte ihm Tänzerinnen, Sänger und Sängerinnen vor, und damit der Festjubel ja nicht so bald verstumme, verheirathete man den Prinzen mit einer schönen jungen Beduinin, Tochter des angesehensten Scheichs, und eine solche Hochzeit hat immer vierzehntägige Lustbarkeiten im Gefolge.

Später hörten zwar die Lustbarkeiten auch noch nicht ganz auf, aber sie wechselten mit etwas Ernsterem ab. Man hielt „Kriegsrath“. Jetzt erst merke der Prinz, in welche schlechte Hände er gerathen war. Seine Bundesgenossen waren gänzlich unfähig, einen andern Krieg zu verstehen und zu führen, als den rohen beduinischen, der vor dreihundert Jahren sehr wirksam sein mochte, aber moderner Bewaffnung gegenüber keine Aussicht auf Sieg hatte. Denn so erbärmlich die Armee des Bey’s von Tunis auch genannt werden muß, sie hat eben doch moderne Gewehre und – was der Hauptschreck für die Araber – Kanonen. Jedesmal, wenn ich die Araber fragte: „Giebt es etwas, wovor Ihr Euch fürchtet?“ antworteten sie unwandelbar: „Nur eins, Kanonen!“ So erlag denn auch die ganze Schilderhebung bei dem ersten Anprall der Waffen: für die Araber gerade keine sehr ernste Sache, denn diese hatten ihre Herden schon in die Berge geflüchtet und zogen jetzt in die Wüste, wohin die faule Armee des Bey ihnen nicht nachging. Aber für den Prinzen waren die Folgen die schlimmsten. Gefangen nach Tunis gebracht, wurde ihm zwar, auf die Bitte mehrerer menschenfreundlichen Vertreter europäischer Mächte „verziehen“; eine sehr rührende Scene fand zwischen ihm und seinem regierenden Bruder statt, aber das hinderte nicht, daß er doch in den Käfig mußte. Uebrigens nahm ganz Tunis, und namentlich auch die dortigen Europäer, Theil an dem Schicksal des Irregeführten, denn man kannte seinen heitern, sorglosen Charakter und wußte, daß er sich fast wider seinen Willen in eine Sache verrannt hatte, die ihm eigentlich fremd war. Man besorgte für ihn das Aeußerste und der Regierung gingen von Seiten einzelner Consuln indirekte Mahnungen zu, diesmal wenigstens kein Blut zu vergießen, was man um so mehr zu fürchten Grund hatte, als kurz vorher zwei angesehene hohe Staatsbeamte, die ganz ohne Schuld, blos weil sie Freunde des Prinzen waren, im Verdacht standen, die Rebellion zu begünstigen, in’s Gefängniß geworfen worden und dort eines geheimnißvollen Todes gestorben waren. Als nun plötzlich das Gerücht ging, der eben eingesperrte Prinz sei schwer erkrankt, und die europäische Colonie dem Bey ihren besten Arzt anbot, den Gefangenen zu behandeln, wagte dieser nicht, den Antrag zurückzuweisen. Der Arzt fand den Prinzen am Fieber leidend, zwar an keinem unheilbaren, doch verursachten manche Erscheinungen seine Besorgniß, ja seinen Verdacht. Uebrigens machte die Genesung Fortschritte, freilich langsame, aber der Arzt hoffte, ihn zu retten. Als er eines Morgens sich einfand, sagte man dem Erstaunten, der Prinz sei ganz genesen und bedürfe keines Arztes mehr. Dieselbe Antwort bekam er an dem folgenden Morgen. Da, fast nach acht Tagen, erfuhr er, daß der angeblich genesene inzwischen in aller Stille und zwar bereits seit einer halben Woche begraben worden wäre. Nach strengem Recht hatte Niemand die Befugniß, hier Einwände zu machen. Die Consuln schwiegen. Der Tod des Prinzen war eine vollendete Thatsache, ein Glied mehr in der Kette jener geheimnißvollen Blutthaten, welche orientalische Harems und Prinzenkäfige nach wie vor aufweisen.

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Nr. 2.
Empfangsfeierlichkeiten im Thronsaal. – Ein falscher Pückler-Muskau statt des echten empfangen. – Ein wanderndes Ministerium. – Der Beiram.


Wir haben schon zu lange bei den Schauern der Hinterkammern des fürstlichen Palastes verweilt. Begeben wir uns wieder in die Vordergemächer, so wird sich eine lebensfrohere Stimmung unser bemächtigen. Nicht, als ob diese gerade durch guten Geschmack glänzten, denn das Orientalische ist in den modernen Palästen arabischer Großen mit einer häßlichen Zuthat schlechter europäischer Nachahmung verquickt und verhunzt. Betreten wir zum Beispiel den Thronsaal des Bey von Tunis: wahrlich nicht häßlich nach dem ersten oberflächlichen Eindruck; Alles glänzt und funkelt. Aber welch ein Zwitterding der Geschmacksrichtungen! Die Decke orientalisch, edel und schön im Styl gehalten; die rechte Wand europäisch, auch noch edel, wenn man will; sie wird nämlich von einer Bildergalerie ausgefüllt, bestehend aus einigen dreißig lebensgroßen in ganzer Figur gemalten Portraits europäischer Fürsten, meist wirklich werthvoll, da diese Fürsten sie selbst geschenkt haben – ältere und neuere, große und kleine, heilige und unheilige neben einander; Napoleon neben Louis Philippe, Victor Emanuel neben Ferdinand von Neapel. Sogar der heilige Marinus, Schutzpatron der gleichnamigen Republik, hängt dort neben Isabella von Spanien. Auch der Fürst von Monaco ist hier ebenso groß abgebildet, wie der Kaiser von Rußland. Eine solche Galerie in einem orientalischen Thronsaal überrascht uns, aber sie ist nicht gerade unschön. Ganz lächerlich, ja kindisch ist dagegen die Ausschmückung der linken Seite des Thronsaales. Hier [78] befinden sich die Fenster, etwa zwölf an der Zahl. Der Zwischenraum zwischen einem und dem andern wird jedesmal durch eine Spiegelconsole mit einer Stutzuhr und zwei falschen Blumensträußen unter Glasglocken ausgefüllt. Alle diese Uhren gehen zwar, aber alle falsch; nach ihnen kann jeder die Tageszeit finden, die ihm gerade am besten gefällt. Die Blumen sind solche, wie in keinem, selbst dem exotischsten Klima, welche wachsen. Aber sie sind in Paris gemacht, und das genügt dem modernen Reformtürken, um sie reizend zu finden.

Dieser Saal war vor etlichen dreißig Jahren eben in all’ seiner Pracht und Bizarrerie fertig geworden, als ein denkwürdiges Ereigniß stattfand, wodurch man ihn würdig einzuweihen hoffte. Es war die Anwesenheit eines lebendigen europäischen Fürsten in Tunis. Heutzutage ist man selbst in Tunis gegenüber solchen Besuchen blasirt, aber damals waren sie noch nicht vorgekommen. Zudem war gerade am Hofe die Reform eingerissen; man hatte sich europäisch möblirt, gekleidet, sich uniformirt und besternt, alles aus Paris verschrieben, und nun mußte man doch Jemand haben, dem man diese Herrlichkeiten zeigen konnte, denn die Araber verstanden ihre Schönheiten nicht und unter den in Tunis lebenden Europäern waren so schrecklich wenig hoffähige Leute. Der Fürst war zwar ein mediatisirter, aber er hatte doch wenigstens den Titel. Man erräth wohl, wer er war: der „Verstorbene“ nämlich, Semilasso, vulgo Pückler-Muskau genannt. Dieser war zur Audienz bei Hofe angemeldet worden. Alles erwartete ihn, der Bey von Gold und Diamantsternen strahlend, auf seinem Thron, rings um ihn seine zahllosen Vettern, die Prinzen (die gerade eingesperrten natürlich abgerechnet), die Minister und an den Wänden, steif wie Schildwachen aufgestellt, die vielen, allzuvielen Generale, welche diese kleine Armee damals commandirten oder vielmehr vernachlässigten, um Thürsteherdienste bei Hofe zu thun. Der richtige Moment kam; ein Wagen rollte vor. Aus demselben stieg eine lange kerzengerade Figur in schmucker grüner Uniform mit silbernen Epauletten, einer glänzenden Waffe an der Seite und – Schönstes von Allem – einem hohen dreieckigen Hut mit einem mächtigen, bunten und weißen Federbusch. Der Ceremonienmeister empfing den Ankömmling. Dieser erwiderte ehrfurchtsvoll die Bücklinge. Alles war entzückt über seine stramme militärische Haltung, sein nobles Aussehen, seine leutseligen Begrüßungen. Plötzlich aber begann die hohe Person sich auf eine Weise zu benehmen, die man nicht verstand. Sie hielt ein Papier in der Hand, übergab dies dem Ceremonienmeister und dann, hastig wie der Wind, wollte sie davon eilen. Allein man zog und zerrte den hohen Herrn mit Gewalt in den Thronsaal. Man glaubte nämlich jetzt begriffen zu haben, daß es bei europäischen Fürsten guter Ton sei, sich entsetzlich gegen Ehrenbezeigungen zu sträuben, sogar an der Pforte des Ehrentempels noch einen Fluchtversuch zu machen, und nahm an, daß diese hohen Personen genöthigt sein wollten, das Füllhorn der Ehren zu empfangen, etwa wie eine junge Dame, die zwar vor Begierde brennt, sich hören zu lassen, dennoch fast gewaltsam an’s Piano gezogen werden muß. Der Fürst – denn wer sollte er anders sein? – gelangte so ohne sein Zuthun bis an die Stufen des Thrones. Er sträubte sich zwar noch immer, da er aber entdeckte, daß, je mehr er sich sträubte, desto mehr Nöthigung und Gewalt ihm angethan wurde, um ihn zu all’ den ihm zugedachten Ehren zu zwingen, so wurde er zuletzt lammfromm und ließ sich Alles gefallen, was man mit ihm vornehmen wollte.

Man nöthigte ihn niederzusitzen, denn damals saß man noch am tunesischen Hof (auch heute geschieht dies noch zuweilen, das heißt: nur der Bey, sein Gast und der erste Minister sitzen). Man reichte ihm Kaffee, gab ihm eine lange Pfeife: Alles damals noch übliche Dinge, jetzt von der europäisirenden Etiquette abgeschafft. Dann begann die Conversation, oder vielmehr, sie sollte beginnen. Der Dolmetscher sprach französisch und übersetzte der Durchlaucht einige höfliche Phrasen seines Gastherrn. Aber leider schaute dieser den Beamten nur groß an und erwiderte kein Wort. War es möglich, daß der Fürst ihn nicht verstand? Oder war er taub? Oder huldigte die Etiquette seines Vaterlandes dem Grundsatz: „Schweigen ist Gold“? Kurz, es war kein Wort aus ihm herauszubringen. Mit dem Französisch ging es nicht. Damals war leider der preußische Deserteur Schulze, dessen Leben ich im „Globus“ beschrieben habe, noch nicht Throntrabant bei Seiner Hoheit, sonst hätte der Mann doch eine Seele hier gefunden, die ihn verstand.

Da es mit dem Sprechen nicht vorwärts wollte, so verfiel man auf die Zeichensprache. Der Bey deutete auf Brust, Mund und Stirn und wollte damit die Frage andeuten, ob diese drei wichtigen Organe sich bei seinem Gast wohl befänden. Dieser verstand nur die letzte Geste und glaubte, sein Federbusch sei gemeint. Er reichte dem Bey den Hut und dieser machte unter Lobeserhebungen über den schönen bunten Federbusch die Runde durch den Hofcirkel. Nun deutete der Bey auf das Herz, die beredteste Sprache, um dem Gast seine Gefühle auszudrücken. Dieser aber schüttelte bedeutsam den Kopf und brummte so etwa wie „Nix“, den ersten Laut, den man von ihm vernommen. Diese Geberde war indeß doch ausdrucksvoll genug, um dem Bey nicht unverständlich zu bleiben. Er deutete sie ganz richtig auf die Abwesenheit eines Ordenssterns auf der Brust der hohen Person. Nun entstand aber eine wichtige Discussion. Warum trug der Fürst keinen Orden? Er selbst sagte es nicht, wollte oder konnte es nicht sagen. Aus übertriebener Bescheidenheit ohne Zweifel. Dem mußte abgeholfen werden. Der Bey löste eigenhändig einen Stern von seiner Brust ab und machte Miene, ihn seinem Gast anheften zu wollen. Aber dessen Bescheidenheit war so unverbesserlich, daß dies nicht ohne drastische Maßregeln gelang. Wenn es süß ist, zu Ehren gezwungen zu werden und selbst unter diesem Zwang, der zum Ruhmestempel führt, physische Unannehmlichkeiten, wie Püffe und Faustdruck, zu erleiden, so konnte der Fürst jetzt diese Süßigkeiten schmecken. Da aber alles Sträuben doch nichts half, so wurde er zuletzt wieder sanft wie eine Taube und wartete mit Spannung der weiteren Dinge, die mit ihm geschehen sollten.

Jetzt deutete der Bey auf die Waffe, welche die hohe Person an der Seite trug. Diese nahm sie sogleich ab und überreichte sie seinem erlauchten Gastfreunde. Diese Waffe war ungewöhnlich für einen höheren Militär. Sie war nämlich kurz und gerade, etwa wie ein römisches Schwert. Dem Bey schien sie vortrefflich geeignet, um damit ein Thier auf der Jagd niederzustechen. Er machte deshalb mit einem fragenden Blick gegen seinen Gast die Geberde des Ziehen einer Jagdwaffe und des Niederstechens eines Wildes. Jetzt schien er das Richtige getroffen zu haben. Plötzlich verklärten sich die Augen des hohen Fremden. Er wurde ganz freundlich und lebhaft, wenn auch nicht mit Worten, so doch in seinen Mienen, welche deutlich zu sagen schienen: „Endlich doch einmal etwas, was ich verstehe!“ Da der Gast im besten Zuge schien gemüthlich zu werden, so wurde es der Bey auch. Jagdgespräche sind selbst unter den höchsten Herren nicht gegen die Etiquette. Weil aber hier ein eigentliches Gespräch nicht möglich war und der Beherrscher von Tunis doch gern seinen Gast befragen wollte, welcherlei Wild er zu erlegen pflege, so ließ er einen jungen Pagen kommen, der die geniale Gabe besaß, die Töne aller Thiere täuschend nachzuahmen. Zuerst brüllte er wie ein Löwe. Dieser Laut machte auf den Europäer einen so schrecklichen Eindruck, daß er fast vom Sitze aufsprang; dann kamen der Panther, die Hyäne, der Schakal; auch diese Thiere waren dem Fremden gänzlich unbekannt. Als er den Hasen, den Hirsch, das Reh, den Luchs, den Fuchs nachahmte, hatte dies Alles nur einen Ehrenerfolg. Der mit solchen Thierlauten Angeschrieene schien zwar die Töne zu kennen, aber sie klangen nicht in seinem Herzen wieder. Der Bey richtete einen fragenden Blick auf den Fürsten, als ob er sagen wollte: Nun, was giebt’s sonst noch für ein Thier? Diesem war inzwischen das Verständniß der Zeichensprache immer mehr aufgegangen. Um nun die Antwort nicht schuldig zu bleiben, hielt er beide Zeigefinger mit den Nägeln nach außen an seine Mundwinkel, grunzte dabei und im Uebereifer des Erklärenwollens stieß er endlich die Worte „Sau, Sau“ (womit er jedenfalls einen Eber meinte) aus. Wenn auch nicht diese Worte, so verstand man doch durch die Pantomime, welches unaussprechliche Thier der berühmte Reisende meine. Nun giebt es zwar auch in Afrika Wildschweine. Sie gelten aber für ebenso unrein, wie ihre zahmen Brüder, und man erwähnt ihrer nicht unter höflichen Orientalen, besonders da ihr Name ein gemeines Schimpfwort im Arabischen ist. Der geehrte Fremde hatte dadurch den ganzen Hof in Verlegenheit gesetzt. Man kämpfte mit den Gefühlen beleidigten Anstands und der Ehrerbietung, die man dem Gast erweisen wollte. Dies erleichterte sehr den Aufbruch. Kein Mensch machte Miene, den Besucher zurückhalten zu wollen, als er bald darauf steif und gravitätisch wie ein Ladstock (denn mit der Gemüthlichkeit war’s

[79] vorbei) sich zurückzog. Nur die niederen Hofleute wagten es, sich geheimnißvoll fragend die einzigen Worte „Nix“ und „Sau“, die der Fremde gesprochen, zu wiederholen.

Als der hohe Besuch sich entfernt hatte, trat der Ceremonienmeister vor die Stufen des Thrones. In der Hand hielt er das Papier, welches jener bei der Ankunft übergeben hatte. Es war ein Brief in französischer Sprache. Man rief den Dolmetscher, um ihn zu übersetzen. Dieser wurde zwar sehr verlegen, als er das Schreiben las; da aber sein Herr sich ungeduldig zeigte, so theilte er zitternd den Inhalt mit. Derselbe war unerwartet. Es hieß darin, der Fürst sei plötzlich krank geworden und könnte heute nicht kommen. Also war es nicht der Richtige gewesen, dem man so viel Ehre erwiesen hatte! Wer aber konnte es sein? Jedenfalls eine hohe Person, denn sie trug ja Generalsuniform mit großen Epauletten und einen prächtigen Federbusch und der Federbusch sollte ja ein Zeichen hohen Ranges bei Europäern sein! Der erste Minister versprach, die Wahrheit von dem Consul des Betheiligten zu erfahren, aber er hat seinem Herrn nie das Erkundigte zu enthüllen gewagt, daß nämlich der so wider seinen Willen Geehrte und gar Decorirte der – man wird es errathen haben – Leibjäger des Fürsten Pückler-Muskau war. Dem Minister blieb nun noch übrig, von dem biedern schlesischen Bauernsohne den ihm aus Versehen geschenkten Ordensstern zurückzuverlangen, welchen dieser auch, da er ihm gänzlich überflüssig und die Diamanten wahrscheinlich falsch waren, gegen ein gutes Trinkgeld mit Freuden abtrat. Uebrigens haben die allerwenigsten tunesischen Hofleute jemals erfahren, welch’ ein Schnitzer hier gemacht worden war.

Heut zu Tage wäre ein solcher Irrthum nicht mehr möglich. Es sind jetzt zu viele Europäer bei Hofe, namentlich beim sogenannten Ministerium des Aeußern angestellt. Das Ministerium! Es verdient wohl eine Beschreibung, da in Europa dergleichen gänzlich unbekannt ist. Es ist nämlich ein wanderndes Ministerium. Alle seine Mitglieder, mit einziger Ausnahme des Ministers, wandeln beständig, huschen wie arme Seelen, die zur Strafe für ihre im Leben begangenen Sünden umgehen müssen, in den Gängen des Palastes umher, oder, wenn sie recht müde von dieser angreifenden Beschäftigung sind, lehnen sie an einen Thürpfosten, als Karyatiden am Tempel der ministerlichen Unfehlbarkeit. Denn der Minister ist eigentlich allein das Ministerium. Er thut Alles; alle Andern dienen nur dazu, seine Größe zu verherrlichen, indem sie den Kometenschweif dieses leuchtenden Gestirns bilden.

Morgens, wenn der Meister noch in seiner Villa weilt, findet sich das Ministerium an den Thoren dieses Gebäudes ein. Dort hat es einige Stunden Muße, die Blumen im Garten zu betrachten, oder, wenn es glücklich ist, mit dem einflußreichen, mit Oberstenrang geehrten Haremseunuchen des Ministers zu plaudern. Dieser weiß allein, wo die Excellenz weilt und wann sie zum Vorschein kommen wird. Ist endlich die Sonne aufgegangen, d. h. der Minister aus seinem Harem hervorgekommen, so begiebt er sich eilig in seinen Wagen, um zu Hofe zu fahren. Das Ministerium würdigt er keines Blickes, aber die zwanzig oder dreißig Personen, welche näher oder entfernter zu ihm gehören, sind desto aufmerksamer auf ihn und drängen sich zur Ehre des Handkusses. Die wenigsten kommen dazu; viele begnügen sich damit, daß sie einen Aermel, Rockzipfel oder Mantelkragen erhaschen und mit Inbrunst an ihre Lippen drücken. Die Europäer verstehen dieses Manöver gerade so gut, wie die Einheimischen, d. h. natürlich nur die im Dienst des Bey stehenden. Sie sind wahre Fanatiker des Handkusses. Die Excellenz kümmert sich gar nicht darum, wie das Ministerium ihr nachkommt. Sie weiß, daß der Kometenschweif nicht ausbleibt. Er folgt den Gesetzen der natürlichen Anziehungskraft.

Der Weg nach dem Bardo beträgt eine halbe Stunde, ist im Sommer sehr staubig, im Winter ein Sumpf. Durch diese Wüste oder diesen Sumpf watet nun das Ministerium, trübselig mit Ueberschuhen, Regenschirmen, aufgekappten Beinkeidern gegen die Terrainschwierigkeiten ankämpfend, welche ihrer harmonischen Erscheinung so gefährlich werden können, denn alle diese Herren sind ganz europäisch elegant gekleidet, frisirt und geschniegelt, tragen Glacéhandschuhe, kurz sehen aus, wie wenn sie aus dem Toilettenkasten kämen, d. h. nicht nach ihrer langen Wanderung. Nach dieser folgt erst ein halbstündiges Gebürste, dann geht das Wandern in den Gängen an. Zuweilen bleibt der Minister über Mittag im Palast. In diesem Fall hungert das Ministerium oder es kauft sich in einem der kleinen Läden im Bardo Brod und schlürft als Zuspeise die Gerüche der fürstlichen Küche ein. Einmal soll es vorgekommen sein, daß der Minister, von Mitleid über das hungernde Ministerium beschlichen, Befehl gab, man solle ihm aus der fürstlichen Küche ein Frühstück vorsetzen. Aber das war leichter gesagt, als gethan. An gutem Willen fehlte es zwar nicht. Jedoch bei arabischen Großen pflegt ein Paar Minuten nach dem Essen gar nichts Genießbares mehr vorhanden zu sein. Ihr Dienertroß ist ein Abgrund, der Alles verschlingt. So erinnere ich mich, daß einmal beim Besuch eines englischen Fregattenpersonals mit Officieren und Seecadetten, einige dreißig Köpfe stark, ein ähnlicher Befehl vom Bey selbst gegeben wurde, aber es fand sich nichts Eßbares, als ein großer Käse, den soeben ein europäischer Kaufmann als Geschenk gebracht hatte, sonst wäre er auch schon aufgegessen gewesen. Verläßt der Minister den Palast, so läuft das Ministerium voraus, denn es muß ja da sein, wenn die Excellenz aus dem Wagen steigt, um schnell in den Harem zu huschen, sonst bekommt es ihn nicht mehr zu sehen. Dies sind die einzigen Gelegenheiten, Fortschritte in der Carrière zu machen. Den Beamten wäre deshalb gar nicht damit gedient, wenn sie das Wandeln lassen müßten. Man hat es einmal versucht, Bureaux, wie sie in europäischen Ministerien sind, zu errichten, aber die Beamten hielten es nicht aus. Sie waren zu fern von der Sonne. Zu thun haben sie übrigens selten etwas; Gehalt bekommen sie auch nur auf dem Papier, aber der Dienst wirft einige Nebenvortheile ab und das tröstet sie.

Der Glanzpunkt des tunesischen Hoflebens ist das Beiramsfest. An dessen drei ersten Tagen finden die officiellen Begrüßungen statt. Da strahlt Alles in den prächtigsten Uniformen. Selbst diejenigen, welche ihre Epauletten und Orden (denn Orden regnet es hier) das ganze Jahr hindurch verpfändet haben, tragen sie heute und sie glänzen gerade so helle, als ob sie ihnen selbst und nicht dem gnädigen Pfandleiher gehörten, der sie für eine Vergütung heute hergeliehen hat. Wer nicht das Geld hat, die seinem Grad zugehörige Uniform sich machen zu lassen (und so geht’s den Meisten), leiht sie sich, einerlei ob sie paßt oder nicht, wenn sie nur glänzt.

Der erste Festtag gehört den Einheimischen, der zweite den Europäern, welche dem Bey aufwarten wollen. Am Morgen kommt die mohammedanische Geistlichkeit, naht sich mit feierlichem Singsang dem Thron und segnet den Fürsten. Dieser Auftritt ist würdig, weil unverfälscht orientalisch, denn in Tunis hat sich die Geistlichkeit noch nicht einmal im Costüm europäisirt. Dann folgt die endlose Reihe hoher und niederer Staatsbeamten oder Officiere (die Sache ist hier ungefähr gleich, denn auch die Civilbeamten führen militärische Titel und Uniformen). Die höheren sind alle „Generale“. Es giebt Finanzbeamte, die ihr früheres Geschäft nicht aufgaben und noch Wechselbuden besitzen und dennoch gleichfalls Generale sind. Alle diese Personen küssen dem Bey die Hand, d. h. die innere Seite, und so muß der hohe Herr sechs Stunden mit verdrehter Hand dasitzen. Nicht alle Ehren sind mühelos.

Die Vorstellung der Europäer am zweiten Tage findet nicht so en bloc statt, sondern der Consul und die Angehörigen jeder Nation treten nacheinander, einer den andern ablösend, in den Audienzsaal. Die Audienzen selbst sind nichtssagend, eigenthümlich dagegen ihr Vorspiel. Alle Europäer, und gewöhnlich findet sich außer den Consulatsbeamten noch eine beträchtliche Anzahl von Privaten, Kaufleuten und Reisenden ein, werden in einem abgelegenen Sale vom Ceremonienmeister empfangen. Sind sämmtliche Nationen vertreten, welche hier Consuln haben, so tritt der erste Minister mit seinem „Generalstab“ ein. Er richtet an Jeden ein paar Worte, dann stellt er sich in die Mitte und hält eine Rede. Diese Rede ist arabisch, also den Meisten unverständlich. Aber es fehlt nicht an einem Uebersetzer; nämlich ein Italiener ist beauftragt, sie so wörtlich als möglich wiederzugeben. Früher kam es vor, daß dieser Mann sich bemühte, die Rede des Ministers auch in der Uebersetzung in elegante Sprache zu kleiden. Da aber dies zu allerlei diplomatischen Zwischenfällen Anlaß gab, so wurde ihm eine buchstäbliche Uebersetzung zur Pflicht gemacht. Nichts lautet komischer, [80] als solche buchstäbliche Uebertragung dieser meist verblümten arabischen Phrasen. Eigentlich kommen sie dadurch viel unverständlicher heraus, aber die Diplomatie hat ihren Willen erfüllt gesehen und das ist die Hauptsache.

Dies sind die glänzenden Augenblicke des tunesischen Hofes. Hinter dieser Pracht lauert aber eine entsetzliche Misère, verursacht durch die beständige Geldklemme, in welcher Groß und Klein vom Bey bis zum untersten Beamten (den einzigen ersten Minister ausgenommen) steckt. Nicht selten offenbart sich diese Geldklemme in einer für den Hof sehr ungünstigen Weise. Als z. B. vor einigen Jahren ein deutscher Prinz den Bey besuchte und dieser ihm zur Abreise sein Dampfschiff zur Verfügung stellte, weigerten sich die europäischen Maschinisten auf offenem Meer, weiter zu fahren, wenn sie nicht ihren rückständigen Gehalt bekämen. Ein englischer Prinz, den man im Stadtpalast von Tunis beherbergte, mußte die Miethe der für ihn geliehenen Möbel bezahlen; daß einem Prinzen der Wagen oder sonst ein Gegenstand, welchen er nicht bezahlen konnte, auf offener Straße weggenommen wird, daß man in den europäischen Läden dem Bey selbst allen Credit verweigert, kommt täglich vor. So wechselt Glanz und Elend, Heiterkeit und namenloser Jammer tagtäglich an einem orientalischen Hofe.

  1. Ein Herr von Malsberg, wenn der Castellan Recht hat.