Pariser Bilder und Geschichten/Ernst Renan

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Autor: Sigmund Kolisch
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Titel: Pariser Bilder und Geschichten. Ernst Renan
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Pariser Bilder und Geschichten.
Von Sigmund Kolisch.
Ernst Renan.

Es wäre mir ein Leichtes gewesen, mich durch einen gemeinschaftlichen Bekannten bei Herrn Renan, dem Verfasser des vielbesprochenen „Leben Jesu“, einführen zu lassen, ich zog es jedoch vor, mich selber dem Gelehrten vorzustellen, und in dem Empfange, welcher mir zu Theil wurde, gab sich der schlichte Hausgebrauch und dann der Mann von feiner Sitte und liebenswürdiger Einfachheit zu erkennen. Eine Magd, die ein blondes Kind an der Hand führte, hieß mich, ohne auch nur zu fragen, wer ich sei, in einen Salon treten, der kaum fünf bis sechs Personen zu fassen vermochte, und der sich durch die Glanzlosigkeit der Einrichtung hervorthat. Auf einem Stuhl lag ein Blatt; ich las ein wenig erstaunt: „Deutsche Blätter, Beigabe zur Gartenlaube etc.“, nachher erfuhr ich, daß Auerbach das Exemplar dem Verfasser des „Leben Jesu“ zugeschickt.

„Wen soll ich anmelden?“ frug die Magd.

„Herr Renan kennt mich nicht, sagen Sie gefälligst, daß ihn ein Fremder zu sprechen wünsche,“ versetzte ich.

Das Mädchen ging in die angrenzende Stube, und keine Minute war verflossen, als Herr Renan eintrat. Nach einer kurzen Auseinandersetzung meinerseits, den Zweck des Besuches anlangend, wurde durch die leichte gefällige Weise des Gelehrten ein behaglicher Verkehr, eine angenehme Berührung zwischen ihm und mir hergestellt. Er behandelte mich mit einer Freundlichkeit, die so wohl that, weil sie gleich entfernt von Steifheit, wie von Uebertreibung bleibt, weil sie so absichtslos, so zwangslos auftritt.

Der Mann, welcher seit einiger Zeit die civilisirte Welt beschäftigt, ist von stämmiger, gedrungener Gestalt, sein kräftiger Körper verspricht lange den Mühen und Anstrengungen des Geistes Stand zu halten. Die Züge des Gesichts sind scharf ausgeprägt, aber durch den Ausdruck von Gutmüthigkeit und durch ein sanftes gewinnendes Lächeln gemildert, das ab und zu um die hübschen Lippen spielt. Die Haare von blonder Schattirung haben bereits eine gewaltige Lichtung erlitten; es scheint, daß die Gedanken an dem Umfang der Stirn, ob er gleich beträchtlich ist, nicht genug haben und sich nach oben hin auszubreiten suchen. Auf den ersten Anblick macht Herr Renan den Eindruck eines behäbigen Bürgers, der sich redlich nährt. Spricht er aber, dann beleben sich die Züge, das dunkle Auge erglänzt und der vornehme Geist giebt sich zu erkennen, den Natur und Gewohnheit dem Niedrigen und Gemeinen fern hält, der, den höchsten Interessen des Lebens zugewendet, die alltäglichen Jämmerlichkeiten verachtet oder im besten Falle bemitleidet. Dann gewahrt man, daß man es nicht nur mit einem Gelehrten, sondern mit einem würdigen unabhängigen Denker zu thun habe.

Die Unterhaltung drehte sich um den Lebensweg des Orientalisten, um die Verhältnisse und Schwierigkeiten, durch die er geführt, um die Personen und Dinge, welche Einfluß auf die bereits reich ausgefüllte und noch vielverheißende Existenz geübt haben. Natürlich, daß ich es war, der diese Wendung des Gespräches herbeiführte. Herr Renan sprach sich mit einem Freimuth über die Angelegenheiten aus, denen er mit seiner Wirksamkeit und seinen Ueberzeugungen gegenübergestellt wurde, aus welchem sich die ganze Unabhängigkeit seines Charakters, so wie die Echtheit seiner liberalen Ansichten ergab. Schade, daß mir eine leicht begreifliche Discretion verbietet, seine auf diesen Gegenstand bezüglichen Aeußerungen hier aufzuzeichnen.

Das eben erwähnte Blatt brachte einen Augenblick das Gespräch auf die deutsche Sprache und auch auf Berthold Auerbach. Der Gelehrte versicherte, daß er mit dem lebhaftesten Interesse den Roman „Spinoza“ gelesen habe, auf den er einen außerordentlichen Werth lege, daß er des Deutschen hinreichend mächtig sei, um Bücher in germanischer Sprache mit Leichtigkeit zu lesen, nur wisse er sich auf Deutsch nicht auszudrücken, weil er allein für sich unsere Sprache gelernt habe, ohne Ohr und Zunge zu üben. Die Energie des wissenschaftlichen Strebens, welche aus diesem Zuge spricht, kennzeichnet die Laufbahn des Orientalisten.

Herr Ernst Renan ist am 23. Februar 1823 zu Treguier in der Bretagne geboren, und es hat etwas Pikantes, daß der Verfasser des Lebens Jesu ein Kind dieser altgläubigen fanatischen Provinz ist. Von seinen frommen Eltern für den priesterlichen Stand bestimmt, bezog er mit sechzehn Jahren das kleine Seminarium, welches der Abbé Dupanloup leitete, der, nunmehr Bischof von Orleans, einer der eifrigsten, jedenfalls der begabtesten von den Gegnern des Herrn Renan ist. Nachdem er später zwei Jahre lang in der Schule von Isoy Philosophie studirt hatte, trat er in die Anstalt von St. Sulpice zu Paris. Daselbst lag er den theologischen Wissenschaften ob und trieb mit besonderer Vorliebe und mit Fleiß Hebräisch. Allein je mehr sich sein Geist entwickelte und in die Tiefen der Geschichte eindrang, je mehr sein Forschen an Gründlichkeit, sein Urtheil an Kraft gewonnen, desto weiter entfernte sich sein Verstand von der blinden unbedingten Annahme überlieferter Wahrheiten unfehlbarer Dogmen, desto klarer wurde ihm die Unvereinbarkeit seines Gewissens mit der erwählten Laufbahn. Und als ein Mann, der entschlossen ist, seiner Würde nichts zu vergeben, entsagte er dem geistlichen Beruf (1845), aller Gegenvorstellungen seiner Meister ungeachtet, die in dem jungen Theologen eine kräftige Säule des Glaubens und der Kirche vorhersehen mochten. Im Vollgenuß der Unabhängigkeit und der freien Verfügung [710] über seine Zeit und seine Fähigkeit, wirft er sich mit ganzer Kraft auf das Studium der Theologie, der Philologie, der Philosophie und der Geschichte, Wissenschaften, die ihm bei der religiösen Kritik, zu welcher er sich immer mehr und mehr hingezogen fühlt, behülflich sein sollten. Da er ohne Vermögen ist, ertheilt er Privatunterricht zu seinem Unterhalt. Einen Augenblick denkt er daran, sich für einen Lehrstuhl an der Universität vorzubereiten, doch kommt er bald von dem Gedanken zurück, sein Wirken durch ministerielle Vorschriften, durch allerlei Regeln beschränken zu lassen, und entscheidet sich für den freieren Weg der Belehrung durch die Druckschrift. Die von ihm verfaßten Abhandlungen „über die semitischen Sprachen“ und „über das Studium des Griechischen im Abendlande während des Mittelalters“, gewinnen ihm nach einander zwei Mal den Preis Volney. Schon in diesen Ausarbeitungen zeigt sich ein tüchtiges Wissen, Schärfe des Verstandes und eine außerordentliche Fähigkeit der Darstellung.

Der politische Umschwung von 1848 konnte einen Geist wie den des jungen Extheologen nicht unerfaßt lassen, und die Hoffnungen, welche er in jungen und sogar alten Gemüthern erregt, auf das Ende verjährter Mißbräuche, beschwingte die Gedanken des strebsamen Gelehrten. Die Wochenschrift „La liberté de penser“ veröffentlichte in dem verhängnißvollen Jahre eine Anzahl von Artikeln, welche dem Glauben die Prüfung, der Ueberlieferung das Urtheil gegenüberstellten und die man als Vorläufer des Werkes betrachten kann, dessen eben so weit gehender als rascher Erfolg staunen macht. Von da ab war die Richtung klar gezeichnet, in welcher der junge Gelehrte voranzuschreiten berufen und entschlossen war.

Und weder Entmuthigungen auf der einen, noch Verlockungen auf der andern Seite, nicht der traurige Rückgang der politischen Ereignisse seit dem Jahre 1851, nicht der Druck, der auf dem Gedanken lastete und noch lastet, nicht der Pakt der neuen Gewalt mit den Vertretern der unbedingten Tradition vermochten den forschenden Mann aus dieser Richtung zu bringen. In seinem Kopfe und in seiner Studirstube blieb trotz des Staatsstreichs die Freiheit. Sein Streben begann, vorerst freilich nur in einem beschränkten Kreise von Gelehrten und Schriftstellern, hier zu gewinnen, dort zu entrücken, hier Hoffnungen, dort schlimme Vorahnungen zu erregen. Allmählich nahm die Zahl der Anhänger und Widersacher zu, bis sie zu zwei Heeren anwuchs, die in diesem Augenblick feindselig, nicht ohne Erbitterung einander gegenüber stehen. Die Artikel, welche das „Journal des Débats“ und „La Revue des deux mondes“ seit 1851 aus seiner Feder veröffentlichten, thaten es kund, daß der 2. December und die schlimme Zeit, die der unheilvolle Tag brachte, an dem Eifer des Forschers nichts geändert, wenigstens nichts geschwächt haben.

Im Jahre 1855 erschien seine allgemeine Geschichte der semitischen Sprachen, welche in der Gelehrtenwelt Aufsehen machte. Ein Jahr darauf ernannte ihn die Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften zu ihrem Mitgliede und kurz nachher zum Mitglied der Commission der Literaturgeschichte von Frankreich, da die Stelle durch den Tod des großen Historikers August Thierry frei geworden war.

Nach seiner Rückkehr aus Italien, wohin ihn eine wissenschaftliche Sendung gerufen, hatte Herr Renan eine untergeordnete Anstellung in der kaiserlichen Bibliothek erhalten. Wer sich mit dem Gelehrten und seinem Wirken beschäftigte, dachte nicht daran, ihm diesen Anschluß an die Gewalt zum Vorwurf zu machen, da sein Wirken unverändert blieb und der bestehenden Ordnung der Dinge durch seinen freiheitlichen Charakter eher entgegentrat, als Vorschub leistete, und da seine Artikel in den Debats und der Revue des deux mondes, Organen der Opposition, statt im Constitutionel oder einem anderen Regierungsblatte erschienen. Etwas Anderes war es jedoch, als Herr Renan im Jahre 1860 dem Kaiser Napoleon vorgestellt ward und von diesem eine wissenschaftliche Mission nach Syrien erhielt, um daselbst den Schauplatz des größten welthistorischen Ereignisses zu untersuchen, den Spuren der heiligen Geschichte zu folgen. Man wußte, immer nur in engeren Kreisen, daß der Gelehrte von dem Herrscher mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit empfangen wurde, und fürchtete – wenigstens wer den Gelehrten nicht genauer kannte – daß die glänzende Verlockung für die liberale Gesinnung des Strebenden zur Klippe werden könnte, an welcher sie zerschellen würde. Nichts war natürlicher als diese Furcht gegenüber dem Lager, das lediglich aus Ueberläufern besteht, und bei der allgemeinen Herabgekommenheit und Faulheit der Charaktere.

Die Berichte des Herrn Renan aus dem gelobten Lande über die Ergebnisse seiner Nachforschungen, wie es Brauch und Regel an den Kaiser gerichtet und im Moniteur abgedruckt, zogen die Aufmerksamkeit des größeren Publicums auf sich, das sich erstaunt durch die Behandlung von Gegenständen angezogen fühlte, die seiner Theilnahme und seinem Interesse so fern lagen. Man bewunderte den Reiz, den der talentvolle Schriftsteller trockenen Fachgegenständen zu verleihen wußte. Andererseits frugen seine Bundesgenossen bestürzt, wem nun seine Ueberzeugung angehöre, von der sich in seinen officiellen Berichten keine Spur befand. Sein Name fing an, viel genannt zu werden, man wußte aber nicht, welche Bedeutung ihm zu geben sei.

Diese Zweifel wurden noch lebhafter, als Herr Renan nach seiner Rückkehr aus Palästina zum Professor der hebräischen, syrischen und chaldäischen Sprache am College de France ernannt wurde. Die Frommen und die Liberalen, welche beide den Werth des Streiters erkannten, erschraken in gleichem Maße. Jene fürchteten den heiligen Eifer des Forschers, der sich nun einmal herausnahm, das freie Urtheil über das Dogma, die Natur dem Wunder entgegenzusetzen und die Ueberlieferung der Kritik zu unterwerfen. Da die intimen Beziehungen zwischen dem Kaiserreich und der Klerisei durch die Schlachten von Magenta und Solferino aufgehoben worden und Reibungen der leidenschaftlichsten Art zwischen den beiden Gewalten eingetreten waren, nahmen sie die Ernennung des ungläubigen Professors für einen Trotz, welcher der Kirche geboten werde. Die Freisinnigen besorgten, daß Herr Renan, wie es so viele Andere gethan, die Gunst der Regierung durch den gänzlichen Abfall von seinen Ueberzeugungen erkauft, daß er sich mit seinem Wollen und Denken dem Bonapartismus verschrieben habe.

Erwartungsvoll, unruhig sahen die verschiedenen Parteien der ersten Vorlesung entgegen, in welcher, wie es angekündigt wurde, der Professor seine Anschauung der heiligen Geschichte, die mit seinem Lehrgegenstand eng zusammenhängt, als Glaubensbekenntniß darlegen würde.

Mehr als die anderen Theile von Paris mußte das lateinische Viertel von den schwankenden Voraussetzungen, von dem Getümmel der widersprechenden Gerüchte ergriffen werden.

Unter der studirenden Jugend zeigten sich um jene Zeit Spuren eines erwachenden politischen Lebens. Die Schüler hatten kurz vor der Ernennung des Herrn Renan zum Professor geräuschvolle Demonstrationen gegen Edmond About gemacht, von welchem ein Stück, „Gaitana“, im Odeontheater zur Aufführung kam, und hatten verhindert, daß das Drama zu Ende gespielt wurde. Der Grund dieser Feindseligkeit war der Anschluß des Dichters an die kaiserliche Regierung, sein Auftreten in den bonapartistischen Blättern Opinion Nationale und Constitutionnel, nachdem er sich vorher zu liberalen Grundsätzen bekannt hatte.

Der religiöse Einfluß, welcher seine Anknüpfungspunkte eben so gut im lateinischen Viertel, wie anderwärts hat, suchte die gereizte Stimmung der Studenten zu benützen und gegen Renan zu wenden, der zum Schweigen gebracht werden sollte. Durch diese Umtriebe wurde eine wahre Verwirrung unter die jungen Leute gebracht, die nicht wußten, ob sie in Renan einen Bonapartisten verachten, oder einen Eiferer für Wahrheit und Licht hochschätzen sollten. Die Freunde About’s vermehrten noch diese Unklarheit. Um den Dichter als einen Märtyrer klerikaler Umtriebe darzustellen, wiesen sie auf die Feindseligkeit der studirenden Jugend gegen den Professor hin, welche sie aus eben den nämlichen Umtrieben herleiteten. So standen die Dinge, als der mit Spannung erwartete Tag der Vorlesung herankam. Die Aufregung im lateinischen Viertel, welche sich der Bevölkerung von Paris in verschiedenen Graden mitgetheilt hatte, ließ keinen Zweifel an bevorstehenden Kundgebungen übrig, nur über den Sinn derselben herrschte Ungewißheit. Die Behörde ergriff Vorsichtsmaßregeln, um einer Bewegung Meister zu sein, wenn dieselbe, was bei dem vorherrschenden Geiste unter den Studenten zu befürchten stand, größere Umrisse anzunehmen drohte. Der Auflauf vor dem Hause des Herrn About, welcher die polizeilichen Vorkehrungen zu umgehen wußte, diente ihr zur Warnung.

Um mich von dem Charakter und der Bedeutung der Vorfälle zu überzeugen und nicht von den Gerüchten irre geführt zu werden, [711] die im Fortströmen allerlei Falsches mitschwemmen, begab ich mich ungefähr eine Stunde vor Beginn der Vorlesung auf den Schauplatz der Bewegung. Der Hof, der Platz, das College de France und die nächsten Straßen waren mit Menschen vollgefüllt, von denen die eine Hälfte aus Zöglingen der Wissenschaft, die andere aus Bürgern und Arbeitern bestand, welche Neugierde oder Theilnahme herbeigezogen hatte. Einige Polizeicommissäre mit den Schärpen, den Abzeichen ihres Amtes, und ein kleines Heer von Sergents de ville, welche jeden Augenblick in den naheliegenden Casernen in Bereitschaft gehaltene Truppen zu Hülfe rufen konnten, vertraten die Gewalt, die entschlossen war, nicht nur ernste Kundgebungen, sondern selbst Scenen, wie sie im Odeontheater und vor dem Hause des Herrn About stattfanden, zu verhindern.

Ein Umblick unter den Studenten und der Austausch einiger Worte mit Denjenigen von ihnen, welche die Leitung der Sache über sich zu haben schienen, ließen mich alsbald wahrnehmen, daß die Zöglinge der Wissenschaft geneigt waren, für Herrn Renan Partei zu nehmen, wenn derselbe nicht für die bestehende Ordnung der Dinge gegen das liberale Streben eintreten würde. Die jungen Leute scheinen es erfahren oder selbst gefühlt zu haben, daß sie im Begriffe standen, sich zu Werkzeugen frommen Hasses herzugeben. Mit Energie und Behutsamkeit zugleich wurde die Menge, welche den Hörsaal hundert Mal hätte füllen können, von den Polizeidienern immer weiter und weiter zurückgedrängt, bis sie sich in Nebengassen verlief, so daß der Professor mit seinen Zuhörern in dem vollgedrängten Saale abgeschnitten von der äußeren Strömung blieb.

Seine Einleitungsrede, durch Form und Inhalt gleich ausgezeichnet, riß die Schüler zur Begeisierung, zum Jubel hin, an welchem alle Aeußerungen des Tadels erdrückt wurden, die einige gewonnene Stimmen allerdings versuchten. Das Talent und der männliche Geist des Professors haben die Schlacht gewonnen. Am Abend rückten 2000 Studenten vor die Wohnung des Orientalisten, Rue de Madame, und erfüllten die Luft mit den Rufen: „Es lebe Renan,“ „es lebe die Freiheit,“ „nieder mit den Jesuiten“ etc. Einige von ihnen wurden wohl verhaftet; aber erst nach der Demonstration. Zu spät.

Dieser Tag war ein heißer, aber auch ein schöner, siegreicher für Renan, ein kostbarer für die Liberalen, welche nun wußten, daß die kaiserliche Gunst an den Ueberzeugungen des Gelehrten nichts verrückt habe, daß der wackere Soldat der Wahrheit seiner Fahne, der Versuchung zum Trotze, treu geblieben war.

Allein je größer die Wirkung der Eröffnungsrede auf die Zuhörer war, je mehr sie die jugendlichen Gemüther zum Enthusiasmus fortriß, desto gefährlicher für die Seelen erschien sie den Frommen, desto heftiger war die Entrüstung der Fanatiker gegen den Professor, welcher sich in dieser ersten Vorlesung über Christus folgendermaßen ausgelassen hat: „Ein unvergleichlicher Mensch, – so groß, daß ich, obwohl hier Alles vom Standpunkte der positiven Wissenschaft beurtheilt werden soll, denjenigen nicht widersprechen mochte, welche, ergriffen von dem ausnahmlichen Charakter seines Werkes, ihn Gott nannten.“

Diese „Lästerung,“ wie sie es hießen, setzte die kirchlichen Einflüsse, die offenen, wie die heimlichen, in Bewegung, von allen Seiten schrie man über Jugendverderbniß, über Schändung der Religion, über Verbreitung der Gottlosigkeit, über die absichtliche Demoralisation der nächsten Geschlechter. Außerdem benutzte man die Freiheilskundgebungen vor dem Hause des Herrn Renan, um dessen Vorlesungen als gleich gefährlich für Thron und Altar darzustellen, und die kaiserliche Regierung, so unendlich stark, wenn es gilt, einer Freiheit den Weg zu vertreten, ein Recht zu unterdrücken, gab dem Drängen nach und schloß die Lippen, welchen sie selbst das Wort verliehen hatte.

Und nun war der Name des Lehrers in Aller Munde. Herr Renan war in Paris ein populärer Mann. In einer an seine Mitprofessoren gerichteten Auseinandersetzung, welche unter dem Titel: Der Lehrstuhl des Hebräischen am Collège de France (le chaire d’hébreu au collège de France) erschien, legte Herr Renan die Gedanken und Anschauungen dar, die ihn bei seiner ersten Vorlesung geleitet. Er beweist, daß er an keinem Punkte die Grenzen des Rechtes überschritten, das einem Professor des Collège de France zusteht. Wir empfehlen die kurze Schrift, weil sie einen Einblick in das Wesen des Mannes gestattet, dessen Leben und Wirken nur hier flüchtig zu zeichnen unternahmen. Wir wollen nur ein Wort aus der kleinen Broschüre anführen, weil es das Gepräge der Wahrhaftigkeit an sich trägt und den gelehrten Mann charakterisirt. „Alle Vortheile dieser Welt,“ sagt er Seite 7, „scheinen mir nicht der Mühe wert zu sein, daß man auch nur im Geringsten von Dem abweicht, was man für das Gute hielt.“ – –

Kaum war der Lärm verschollen, den die Vorlesung und die mit derselben zusammenhängenden Vorgänge hervorgerufene, ja die Aufregung war noch nicht verschwunden, die der Kampf in dem Hörsaal des Collège de France und der Ausgang desselben erzeugt, als die Zeitungen und andere Stimmen das Erscheinen des „Leben Jesu“ von dem berühmt gewordenen Professor ankündigten und die Leidenschaften für und gegen den Meister, für und gegen das noch unbekannte Werk wachriefen. – Den Standpunkt anlangend, von welchem Herr Renan in seinem Buche den Erlöser der Menschheit und das Erlösungswerk ansehen würde, über den Geist des Buches im Allgemeinen konnte nach der Eröffnungsrede über hebräische Sprache kein Zweifel vorwalten. Selbst wenn die eingeweihten Freunde des Gelehrten nicht die bestimmtesten Angaben in dieser Beziehung verbreitet hätten, würde doch alle Welt gewußt haben, was zu erwarten stand.

Ungewiß jedoch war es, ob die Veröffentlichung des Buches in Fraukreich gestattet sein werde, ob nicht dieselben Einflüsse, welchen es gelungen war, die Entfernung des Professors von dem Lehrstuhl durchzusetzen, eine Gewaltmaßregel gegen das von vorn herein angepriesene und angefeindete Buch erwirken würden. Wahrscheinlich wäre dieses der Fall gewesen, wenn nicht gerade in demselben Augenblicke, als das „Leben Jesu“ erscheinen sollte, das Unterrichtsministerium aus den Händen des Herrn Roulland in die Hände des Herrn Duruy übergegangen wäre, der von jeher liberale Neigungen gezeigt hat. Dieser nahm sich des Verfassers und des Werkes an.

Das Buch erschien also im Juni dieses Jahres, und der Erfolg desselben übersteigt die kühnsten Erwartungen der Freunde des Verfassers, die ärgsten Befürchtungen seiner Gegner. Der letzte Roman von Victor Hugo: „Les Misérables“’ fand in so kurzer Zeit keine so große Verbreitung, wie das ernste Werk. An 50,000 Exemplare sind bereits abgesetzt. Nichts natürlicher, als daß dieses Glück der ketzerischen Schrift die Wuth der Frommen erregt und daß ein Kreuzzug gegen dasselbe sowohl, als gegen den Verfasser gepredigt und, soweit es die durch weltliche Gesetze beschränkten Mittel der Klerisei gestatten, ausgeführt wurde. Die Verfolgung dauert noch. Wem von den Gläubigen eine Waffe zur Verfügung stand, der schwang sie gegen den Gelehrten und sein Buch. Geistliche und Laien wetteiferten im Haß und in der Anfeindung. Prälaten sprachen in Hirtenbriefen Verwünschungen gegen den Meister und sein Werk. Sie bedienten sich einer Form, welche an die finsteren Zeiten des Mittelalters erinnert, da ihre Worte bestimmt waren, Scheiterhaufen anzuzünden, um Ketzer zu verbrennen.

Der Bischof von Marseille z. B. erklärte in einem Hirtenbrief, daß Herr Renan „strafbarer sei, denn Robespierre, daß sein verabscheuungswürdiges Werk zu nichts weiter diene, als die Bevölkerung der Galeeren zu vermehren,“ und da jede Heiligenentweihung Büßungen erforderlich macht, schreibt der ehrwürdige Bischof Bußübungen, Almosengebete vor und verordnet besonders, daß man zur Genugthuung für allen Schimpf, der unserem Herrn Jesus Christus angethan, jeden Freitag um drei Uhr Nachmittags in sämmtlichen Kirchen seines Sprengels während drei Minuten die Sterbeglocke läute. In diesem Moment werden Geistliche und Gläubige drei Mal dieses Gebet wiederholen: „Göttliches Herz Jesu, so unwürdig beschimpft, ich bitte Dich um Verzeihung, ich bete Dich an, ich liebe Dich.“ Vor zwei Jahrhunderten hätte es nicht so viel gebraucht, um Herrn Renan dem Scheiterhaufen zu überliefern, jetzt wird er blos dem Haß und dem Abscheu seiner Mitbürger empfohlen. Der zweite Band des „Leben Jesu“ kann, wie mir der Verfasser mitgetheilt hat, nicht vor zwei Jahren erscheinen. Die Vorbereitungsarbeiten nehmen so viel Zeit in Anspruch.