Alkyoneus (Ἀλκυονεύς und Ἁλκυονεύς). 1) Zur Geschichte der Sage vgl. Robert Hermes XIX 473ff. M. Mayer Gig. und Tit. 172ff. A. ist ursprünglich eine Figur der achaeischen, vordorischen Sage. Er ist in vielfacher Weise mit der Argolis und dem korinthischen Isthmos verknüpft: bei Lerna liegt der alkyonische See, wo der Eingang zur Unterwelt ist (Paus. II 37, 5. Conze-Michaelis, Ann. d. Inst. 1861, 20); der innerste Teil des korinthischen Meerbusens heisst alkyonisches Meer (Strab. VIII 336. IX 393. 400), in das sich seine Töchter (s. Alkyonides) hineinstürzen; an den benachbarten skironischen Klippen haust Alkyone (s. d.), die ins Meer gestürzt wird; A. treibt die Rinder des Helios von Akrokorinth fort. Schol. Pind. Isthm. V [VI] 47. Apollod. I 6, 3. Robert a. a. O. 482.
Aus der dorischen Wanderung ergab sich die Weiterbildung, dass Herakles es ist, mit dem A. als Repräsentant des achaeischen Isthmos in Kampf gerät. Der Kampf um die Herde, der wohl dem ältesten Bestande der Sage angehört, wird von achaeischer und dorischer Seite verschieden dargestellt: a) nach der dorischen Version ist es die Herde des Geryoneus, das Eigentum des Herakles, die der Unhold A. rauben will; es entspinnt sich ein gewaltiger Kampf, der Riese schleudert einen Felsblock auf Herakles und wird durch den zurückgeschleuderten getötet, der Felsblock später noch auf dem Isthmos gezeigt (Schol. Pind. Nem. IV 25 [43]); b) in der achaeischen Version (nur aus den Vasenbildern [s. u.] und Schol. Pind. Nem. IV 25, vgl. Robert a. a. O. 478, zu erschliessen) ist A. der Hirt der Herde, und Herakles der Räuber. Herakles kann ihn im offenen Kampfe nicht besiegen;
[1582]
deshalb wird A. auf Athenas Geheiss von Hypnos eingeschläfert; im Schlafe tötet der dorische Held den Wehrlosen.
Diese Version bringen achaeische Colonisten nach der Chalkidike, auch dort ist nun A. der Rinderhirt, der im Schlaf bewältigt wird. In dieser Form findet die Sage Eingang in eine Heraklee und wird dort mit dem Heereszug des Herakles gegen Troia und Kos verknüpft. Der Felsblock, den A. wirft, zermalmt zwölf Viergespanne mit ihren Lenkern und Kriegern, aber A. sinkt in Zauberschlaf und wird so getötet. Diese Form liegt wahrscheinlich der Auffassung des Pindar (Nem. IV 25ff.; Isthm. V [VI] 31ff.) zu Grunde. Auch Telamon ist hier Teilnehmer des Abenteuers.
Die letzte Stufe ist die Verbindung des A.-Kampfes mit der Gigantomachie, die in dieser Zeit bereits auf Pallene localisiert ist und in der A. nun eine hervorragende Rolle spielt; bereits das älteste Zeugnis, das (pindarische?) Lyrikerfragment PLG⁴ III 713, nennt ihn Γιγάντων πρεσβύτατον; an der Spitze der Giganten steht er neben Porphyrion, Schol. Hes. Theog. 185. Tzetz. Lyk. 63; da er in der Heimat unsterblich ist, wird er auf Rat der Athena von Herakles fortgeschleppt, Apollod. I 6, 1, 3 (dieser Zug ist von A. auf Antaios übertragen, vgl. Robert a. a. O. 481. Mayer Gig. und Tit. 172); bei Nonnos nimmt er hervorragenden Anteil am Gigantenkampf gegen Dionysos, Dionys. XLVIII 22. 71ff. Als man Phlegrai in Campanien suchte, dachte man sich A. unter dem Vesuv liegend, Philostr. Her. p. 671 (II 140, 10ff. Kays.). Claudian Rapt. Pros. III 184f.
Darstellungen: Im Schlaf getötet durch Herakles auf Vasenbildern, zuletzt besprochen von Koepp Arch. Ztg. XLII 31ff. A. teils im Einschlafen, teils schlafend (älteste Vase die – nicht etruskische – Caeretaner Hydria Sächs. Ber. 1853 Taf. VIII 2 = Helbig Führer II 293). Von Athena an den Haaren fortgeschleift, geflügelt, am pergamenischen Altar, vgl. Puchstein S.-Ber. Akad. Berl. 1889, 328. 342. Koepp Bonner Stud. 109. Eine ursprünglich beabsichtigte A.-Darstellung zu der von zwei Negern getragenen Leiche Memnons umgestaltet (Lekythos in Gela, Samml. Navarra, abg. Benndorf Griech. u. Sic. Vasenb. Tf. 42, 2), nachgewiesen von Klein Arch. Jahrb. VII (1892) 143.