RE:Caprotina

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Beiname d. Iuno
Band III,2 (1899) S. 15511553
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Caprotina, Beiname der Iuno (Varro de l. l. VI 18. Macr. Sat. I 11, 36. Arnob. III 30), nur bekannt durch das ihr alljährlich am 7. Juli begangene Fest der Nonae Caprotinae (pridie nonas Caprotinas CIL IV 1555, ausserdem Varro a. a. O. Macr. I 11, 40. Auson. de fer. 9 p. 104 Peip.; νῶναι Καπρατῖναι Plut. Rom. 29; Cam. 33), das wahrscheinlich unter die feriae der ältesten Festtafel gehört, unter denen es auch von Varro a. a. O. aufgeführt wird (vgl. Mommsen CIL I² p. 321); dass in den Steinkalendern der Tag nicht diese Bezeichnung trägt, spricht nicht dagegen, da in allen Fällen, wo feriae auf die Kalendae Nonae oder Idus fielen, diese letztere Benennung den Vorrang beanspruchte und den Festnamen zurückdrängte (Beispiele dafür bei G. Wissowa De feriis anni Rom. vetust. p. XIff.). Dieses Iunofest stand offenbar in engem Zusammenhange mit dem am 5. Juli begangenen Iuppiterfeste der Poplifugia (s. d.), und die antiken Erklärungsversuche pflegen die Ursprungsgeschichte beider Feste mit einander zu vereinigen, wobei für die Nonae Caprotinae die Festbräuche die Anhaltspunkte gaben. Unter diesen tritt zweierlei besonders hervor: einmal die Rolle, welche der wilde Feigenbaum (caprificus) im Caerimoniell des Festes spielte: unter einem solchen Baume fand das Opfer statt (Varro a. a. O. Macr. I 11, 36), eine Rute von ihm (Varro a. a. O.) und der Milchsaft des Baumes (Macr. I 11, 40) kommen dabei zur Verwendung und unter dem Schatten seiner Zweige findet der Festschmaus statt (Plut. aa. OO.). Andererseits [1552] war das Fest ein Frauenfest und zwar ein solches (liberae pariter ancillaeque sacrificant Macr. I 11, 36), von dem auch die Sclavinnen nicht ausgeschlossen waren, wie z. B. von dem der Mater Matuta: sie spielen sogar eine hervorragende Rolle, werden bewirtet, sammeln Spenden ein (vgl. auch Ovid. a. am. II 258) und höhnen die Begegnenden mit Spottreden, auch führen sie untereinander Kämpfe mit Stockschlägen und Steinwürfen (Plut. aa. OO., dessen Angabe, dass das Fest πρὸς τὸ ἕλος τὸ τῆς αἰγός, d. h. ad Caprae paludem [s. o. S. 1545] stattgefunden habe, aus irrtümlicher Vermengung mit den Poplifugia, s. d., entstanden ist; vgl. auch Auson. a. a. O. cum stola matronis dempta teget famulas); daher hiess der Tag auch ancillarum feriae (Polem. Silv. CIL I² p. 269), entsprechend dem servorum dies festus am 13. August, dem Stiftungstage des aventinischen Dianentempels (Fest. p. 343). Die aetiologische Erzählung von der Entstehung des Festes, die uns bei Macr. I 11, 37–39. Plut. aa. OO. Polyaen. VIII 30. Polem. Silv. a. a. O. in allen Hauptpunkten übereinstimmend erzählt wird, geht zurück auf eine Fabula praetexta ungenannten Verfassers, die einstmals an den ludi Apollinares und zwar eben an dem in die Spielzeit derselben (6.–13. Juli) hineinfallenden Tage der Nonae Caprotinae aufgeführt worden war (das besagen die Worte Varros a. a. O.: cur hoc, togata praetexta data eis [d. h. Nonis Caprotinis] Apollinarihus ludis docuit populum). Nach dem Abzuge der Gallier vereinigen sich die Latiner (Ovid. a. am. II 257 porrige et ancillae, qua poenas luce pependit lusa maritali Gallica veste manus beruht auf Flüchtigkeit, Macr. III 2, 14 bezieht sich nicht auf die Nonae Caprotinae) unter Führung des Dictators von Fidenae, Postumus Livius, gegen das geschwächte Rom und verlangen das Zugeständnis des Conubium und damit die Auslieferung von Jungfrauen und verwitweten Matronen; da erbietet sich eine Sclavin Namens Philotis, nach andern Tutula (Τουτόλα oder Τουτούλα Plut., Tutela Macr.), mit andern Sclavinnen in der Tracht edler Frauen und Mädchen den Feinden sich ausliefern zu lassen. Im Lager der Latiner erfolgt nun auf Anregung der ausgelieferten Mägde ein ausgelassenes Gelage, während dessen Philotis von einem wilden Feigenbaume aus den Römern ein Zeichen mit einer Fackel giebt, worauf diese heimlich heranrücken und das in Rausch und Schlaf liegende feindliche Heer übermannen. An dieser Erzählung, die natürlich freie Erfindung ist und für die wirkliche Geschichte des Festes nichts ergiebt, ist bei dem sonstigen Fehlen wirklicher Varianten, die auf verschiedenartige Ausgestaltungen desselben Stoffes schliessen liessen, auffallend der Doppelname der Heldin; in der Praetexta hat sich als Sclavin gewiss Philotis geheissen, der Name Tutula, der an Tutunus in Mutunus Tutunus erinnert und dann gewiss mit einer Bezeichnung des weiblichen Geschlechtsteiles zusammenhängt (vgl. Bücheler Archiv f. lat. Lexikogr. II 119f. 508), stammt vielleicht aus den am Feste üblichen, gewiss nicht sehr decenten Spottreden der Mägde. Auf denselben Gedankenzusammenhang führt auch die Rolle, die die Feige, deren obscoene Bedeutung ja bekannt ist, beim Feste spielt, und all das passt sehr wohl [1553] zur Frauengöttin Iuno; auch die Ziege, deren Name im caprificus wie in der ἐπίκλησις Caprotina enthalten ist, begegnet wiederholt im Culte derselben Göttin (vgl. die Bezeichnung des Ziegenfelles der Luperci als amiculum Iunonis bei Fest. ep. p. 85 und mehr im Art. Iuno).