RE:Claudius 230

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Marcellus, M. Schwiegersohn d. Augustus
Band III,2 (1899) S. 27642770
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230) M. Claudius Marcellus, Schwiegersohn des Augustus. a) Name. M. Claudius C. f. Marcellus CIL X 832; M. (Claudius) Marcellus Inschr. Not. degli scavi 1887, 284 nr. 671; (M. Claudius) Marcellus CIL VI 15033; M. Marcellus Mon. Anc. lat. 4, 23. Vell. II 93, 1. Suet. Tib. 10. Dio XLVIII 38, 3 = Zonar. X 22; Claudius Marcellus Tac. ann. I 3. Porph. zu Hor. carm. I 12, 46, sonst Marcellus. Der Name nicht genannt Prop. IV 18. Sen. cons. ad Polyb. 15.

b) Leben. Sohn des C. Claudius Marcellus (Nr. 216), CIL X 832. Plut. Ant. 87; Marc. 30, und der Octavia, der Schwester des Augustus, (Plut. aa. OO. Liv. perioch. 140. Strab. XIV 675. Vell. II 93, 1. Sen. cons. ad Marc. 2, 3; cons. ad Polyb. 15. Plin. n. h. XIX 24. XXXVII 11. Tac. ann. I 3; hist. I 15. Suet. Aug. 63; Tib. 6. Cons. ad Liv. 65. Serv. Aen. V 4. VI 861. Porph. und Acro zu Hor. carm. I 12, 46), mithin Neffe des Augustus, Plut. Marc. 30. Appian. bell. civ. V 73. Dio XLVIII 38, 3 (= Zonar. X 22). LI 21, 3. LIII 27, 5 und 31, 2 (vgl. Sen. cons. ad Marc. 2, 3. Plin. n. h. XIX 24); Nachkomme des berühmten M. Claudius Marcellus (Nr. 220), Plut. [2765] Marc. 30; πρόγονος des Triumvirn M. Antonius, des zweiten Gemahls der Octavia, Appian. bell. civ. V 73; avunculus des Germanicus, Tac. ann. II 41. Als Geburtsjahr des Marcellus ergiebt sich 712 = 42 (erste Hälfte) aus der Zeitbestimmung seines Todes (Ende 741 = 23) und der Nachricht bei Properz IV 18, 15, dass er im zwanzigsten Lebensjahre gestorben sei. Nach Dio LIII 28, 3f. zu schliessen, war er älter als Tiberius (geb. 16. Nov. 712 = 42). Im Vertrag von Misenum 715 = 39 wurde er mit der Tochter des Sex. Pompeius verlobt, ohne dass diese Ehe später zu stande kam, Appian. bell. civ. V 73. Dio XLVIII 38, 3 = Zonar. X 22. Bei der grossen Siegesfeier nach der Schlacht bei Actium im August 725 = 29 ritt Marcellus auf dem rechten Beipferd von Caesars des nachmaligen Augustus, Triumphalwagen, während Tiberius auf dem linken ritt, Suet. Tib. 6. Die in demselben Jahre anlässlich dieses Triumphes dem Volke gewährte Geldspende dehnte Caesar unter dem Namen des Marcellus auch auf die Knaben unter 11 Jahren aus, Dio LI 21, 3, vgl. Suet. Aug. 41. Zum Lehrer hatte Marcellus nach Strabon XIV 675 den Akademiker Nestor (nicht zu verwechseln mit dem Stoiker Nestor von Tarsos, s. Zeller Phil. d. Gr. III³ 1, 610, 3. 570 Anm. Susemihl Gesch. d. alex. Litt. II 243, 27). Ende 727 = 27 (vgl. Suet. Aug. 26 und dazu Schiller Gesch. d. röm. Kaiserzeit I 206, 2) begleitete er zugleich mit Tiberius, und jedenfalls wie dieser Tribunus militum (vgl. Suet. Tib. 9), Augustus in den cantabrischen Krieg und machte die ersten Feldzüge in demselben mit. Dio LIII 26, 1 berichtet von Spielen, die Augustus 729 = 25 im Lager (zu Tarraco) durch die beiden Prinzen für die Soldaten veranstalten liess; irrig ist nur dabei die Angabe, dass sie schon damals Aedilen gewesen seien. 729 = 25 kehrte Marcellus noch vor Augustus nach Rom zurück, um Iulia, die Tochter desselben aus der Ehe mit Scribonia, zu heiraten, vgl. Suet. Aug. 63. Mon. Anc. lat. 4, 23 = gr. 11, 12. Cons. ad Liv. 67. Sen. cons. ad Marc. 2, 3. Plut. Marc. 30; Ant. 87. Dio LIII 31, 2. Augustus, dessen Abreise sich infolge seiner Krankheit verzögerte, liess nach Dio LIII 27, 5 die Vermählungsfeier durch Agrippa veranstalten. Über diese Eile des Augustus, der nicht einmal sein Eintreffen in Rom abwartete, bemerkt Gardthausen Augustus und seine Zeit (Leipzig 1896) I 2, 722, dass er im Stillen den geheimen Widerstand der Livia fürchtete, welche die Braut ihrem eigenen Sohne zugedacht hatte. Auf diese Vermählung nimmt Horaz carm. I 12, 45–48 Bezug, vgl. Haupt Opusc. III 61. Die Annahme Kiesslings (Philol. Untersuchungen II 70, 26), dass die Hochzeit erst im J. 24 stattgefunden habe, ist von Schiller a. a. O. 183, 8 widerlegt worden. Das Fest der ersten Bartabnahme (vgl. Marquardt Privatleben der Römer² 599f.) hatte Marcellus kurz vorher bei seiner Rückkehr aus Spanien gefeiert und bei dieser Gelegenheit widmete ihm der Dichter Krinagoras aus Mytilene, der damals auf seiner zweiten Gesandtschaftsreise zu Augustus (vielleicht begleitete er Marcellus von Spanien nach Rom) am kaiserlichen Hofe und insbesondere im Hause der feingebildeten Octavia verkehrte (vgl. Susemihl Gesch. d. alex. Litt. II 562f.), [2766] ein Epigramm, Anth. Pal. VI 161 = Rubensohn Crinagorae Mytilenaei epigramm. (Berlin 1888) nr. 11. Auf dieses Fest wollte Geist (Krinagoras von Mytilene, Giessen 1849) auch das Epigramm Anth. Pal. VI 242 (= Rubensohn nr. 7) beziehen mit Conjectur εὔκλεινον oder εὐκλειᾶ für Εὐκλείδην (dagegen Rubensohn a. a. O. 70), ebenso Bergk Aug. rer. gest. ind. (Göttingen 1873) 111, 1 mit der Conjectur Κλαυδιάδην. Ungefähr gleichzeitig mit dem erstangeführten dürfte ein anderes Epigramm, Anth. Pal. IX 545 = Rubensohn nr. 41, gedichtet sein, mit welchem Krinagoras die Sendung eines Exemplars der Hekale des Kallimachos an Marcellus begleitet und ihm die Kraft und den Ruhm des Theseus wünscht, vgl. Mommsen S.-Ber. Akad. Berlin 1889, 981 Anm. gegen Cichorius (Rom und Mytilene, Leipzig 1888, 54), der dasselbe vor 727 = 27 setzt; s. auch Susemihl a. a. O. 563, 210. Dass Marcellus (bei oder besser vor seiner Vermählung mit Iulia) von Augustus adoptiert worden sei, wird zwar von Plut. Ant. 87 (ἅμα παῖδα καὶ γαμβρὸν ἐποήσατο Καῖσαρ) und Serv. Aen. VI 861 = Mythogr. Vat. I 226 ausdrücklich überliefert, scheint jedoch keineswegs der Wirklichkeit zu entsprechen, vgl. Cichorius a. a. O. S. 40 Anm. (nach einer Mitteilung Mommsens). Von den dort angeführten Gegengründen wiegt am schwersten das Schweigen der übrigen Autoren, insbesondere des Augustus selbst im Mon. Anc. und Dios (LIII 31, 2 nur: ὡς γαμβρὸν καὶ ὡς ἀδελφιδοῦν ἀγαπῶν); das staatsrechtliche Bedenken gegen eine Geschwisterehe kommt bei Adoptivverhältnis fast nicht in Betracht, dagegen ist hinzuzufügen, dass sich in der Litteratur auch nicht die Spur einer Namensänderung findet, vgl. z. B. Tac. ann. I 3. Möglich, dass die späteren Autoren, die von Adoption sprechen, diese aus einem zärtlichen Ausdruck in der von Augustus gehaltenen Leichenrede (s. u.) erschlossen. Nach der Rückkehr des Augustus aus Spanien 730 = 24 erhielt Marcellus den Pontificat (Tac. ann. I 3), wurde als Quaestorier in den Senat aufgenommen mit dem Rechte unter den Praetoriern zu stimmen (vgl. Mommsen St.-R. I³ 458f. 459, 1) und erhielt für 731 = 23 (vgl. Plin. n. h. XIX 24: avunculo XI cos.) die curulische Aedilität mit einem zehnjährigen Altersnachlass für die Bewerbung um das Consulat, Dio LIII 28, 3f., vgl. Tac. ann. I 3 (Mommsen St.-R. I³ 576, 2). Die Ansicht, dass Marcellus zum Thronfolger bestimmt gewesen sei, war im Altertum allgemein verbreitet, Vell. II 93, 1. Sen. cons. ad Marc. 2, 3; cons. ad Polyb. 15. Tac. hist. I 15. Augustus selbst erklärte ihn nie, auch nicht 731 = 23, als er sich dem Tode nahe fühlte, officiell zu seinem Nachfolger, obwohl dies alle erwarteten, da er ihn jedenfalls noch nicht für stark genug erachtete, sich gegen die Opposition des Senats und des Agrippa zu halten, vgl. Dio LIII 30, 1f. 31, 2ff. Gardthausen a. a. O. 724f; über Augustus Absichten s. Dio LIII 31, 4. Suet. Aug. 28. Thatsache ist, dass zwischen Marcellus und Agrippa ein Rivalitätsverhältnis bestand, welches sich nach dem eben angeführten Ereignisse derart zuspitzte, dass sich Augustus nach seiner Genesung, veranlasst sah, den Agrippa unter dem Scheinauftrage einer Stellvertretung des Kaisers im Oriente aus Rom zu entfernen, Dio [2767] LIII 32, 1. Vell. II 93, 2. Suet. Aug. 66; Tib. 10. Rivalität herrschte auch zwischen Tiberius und Marcellus, Tac. ann. VI 51, vgl. Dio LIII 33, 4. Wenn Plin. n. h. VII 149 die suspecta Marcelli vota zum Unglücke des Augustus rechnet, so möchte man aus dieser Stelle auch auf ein zeitweiliges Misverhältnis des Marcellus zu Augustus schliessen und annehmen, dass sich der Jüngling durch seine allzugrossen Erwartungen seinem Oheim verdächtig gemacht habe, doch ist die Stelle nicht ganz klar. Aus dem Aedilitätsjahre des Marcellus wird von prächtigen Spielen berichtet, die er mit Beihülfe des Augustus veranstaltete (Dio LIII 31, 2. Vell. II 93, 1; vgl. Suet. Aug. 43), wobei das Theater durch Sonnensegel geschützt war (Prop. IV 18, 13 tam pleno fluitantia vela theatro) und ein Ritter, sowie eine angesehene Frau in der Orchestra auftraten (Dio LIII 31, 3). Dass damit die Ludi Romani im September (Mommsen St.-R. II³ 517f.) gemeint seien, scheint daraus bestimmt hervorzugehen, dass Augustus später gerade an diesen Spielen die Statue des Marcellus zwischen den Sitzen der Magistrate im Marcellustheater aufstellen liess (Dio LIII 30, 6), obwohl dieses schon IIII non. Mai. (743 = 11) mit Spielen eröffnet worden war (Plin. n. h. VIII 65); vgl. auch Buecheler (Rh. Mus. XXXIX 622), der Prop. IV 18, 19f. magnis ludis auf die Ludi Romani bezieht. Auch das Forum liess Marcellus zur Annehmlichkeit für die Spaziergänger mit Sonnensegeln überspannen (Dio a. a. O. παντὶ τῷ θέρει Plin. n. h. XIX 24: a kal. Aug. Hirschfelds Conjectur a. d. XIII kal. Aug. [Wiener Studien 1883, 103, 28] von Gardthausen II 2, 405, 39 mit Recht zurückgewiesen). Nach Plin. n. h. XXXVII 11 weihte Marcellus (wann und bei welcher Gelegenheit?) eine Daktyliothek dem palatinischen Apollo (über den Irrtum Lancianis Bull. com. 1883,197 vgl. Huelsen Röm. Mitt. 1896, 194 Anm.). Dass Marcellus Patron von Pompei war, zeigt eine daselbst auf dem Forum triangulare gefundene Basis mit der Inschrift (CIL X 832) M. Claudio C. f. Marcello patrono. Ob auch die in Tanagra gefundene Inschrift IGS I 571 [Ἡ βου]λὴ [καὶ ὁ] δ[ῆ]μος Μᾶρκο[ν Κλαύδιον ...] υἱὸν Μάρκελλον ἀρετὴς ἕ[νεκα καὶ] εὐνοίας, τὸν ἑαυτῶν πάτρωνα auf unseren Marcellus zu beziehen sei, ist fraglich, zumal das Praenomen des Vaters nicht erhalten ist. Zu erwähnen ist hier auch die Notiz bei Dio LIV 3, 2 zum J. 732 = 22, wonach M. Primus bei seiner Verantwortung über einen Krieg, den er als Statthalter von Makedonien mit den Odrysen führte, sich dahin ausredete, er sei von Marcellus dazu veranlasst worden. Wäre das richtig, so würde daraus hervorgehen, dass sich Marcellus auch politisch zu bethätigen versucht hat. Noch als Aedil starb Marcellus nach kurzer Krankheit (er erkrankte bald nach Augustus Genesung, Dio LIII 30, 4) zu Baiae, wohin er sich zu seiner Heilung begeben hatte, Prop. IV 18. Vell. II 93, 1. Plut. Marc. 30. Serv. Aen. VI 861 = Mythogr. Vat, I 226 (vgl. Serv. Aen. V 4. VI 865). Sein Tod fällt in die Zeit von September 731 = 23 bis Ende dieses Jahres (s. o.). Nach der glaubwürdigeren Angabe bei Properz a. a. O. v. 15 stand er im 20. Lebensjahre, wogegen ihn Serv. Aen. VI 861 im Alter von 18 Jahren und [2768] zwar nach zweijähriger Krankheit sterben lässt. Die übrigen Altersangaben sind unbestimmter Art: Vell. II 93, 1 admodum iuvenis. Sen. cons. ad Marc. 2, 3 iuvenis. Tac. ann. II 41 intra iuventam. Acro zu Hor. carm. I 12 puer (Plut. Ant. 87 κομιδῆ νεόγαμος; Marc. 30 νύμφιος), vgl. Serv. Aen. III 718 citum interitum. Das Gerücht erklärte Livia für die Mörderin des Marcellus (Dio LIII 33, 4), und einem derartigen Verdachte mag auch die Feindschaft Octavias gegen Livia entsprungen sein (vgl. Sen. cons. ad Marc. 2, 5); allein mit Unrecht, denn diese That wäre für Livias Pläne vollständig nutzlos gewesen, vgl. die Ausführungen Schillers (Kaiserzeit I 1, 188) und Gardthausens (a. a. O. I 2, 730f.). Dio selbst berichtet a. a. O., dass in jener Zeit viele Krankheitsfälle mit tötlichem Ausgange vorkamen, wonach wir etwa an eine epidemisch auftretende Krankheit zu denken hätten. Die Kaltwasserkur des Antonius Musa, die Augustus kurz vorher geheilt hatte, hatte dessen Neffen nicht zu retten vermocht (Dio LIII 30, 4), möglicherweise war eben dieses neue, noch nicht genügend erprobte Heilverfahren der nächste Grund seines Todes (Gardthausen a. a. O. 731). Augustus liess seinen geliebten Neffen mittels eines pomphaften funus publicum (Marquardt Privatleben² 350) in seinem Mausoleum auf dem Campus Martius bestatten (Dio LIII 30, 5. Serv. Aen. VI 861. Cons. ad Liv. 67, vgl. Verg. Aen. VI 872ff.). Dem Leichenwagen des Marcellus zogen 600 Paradewagen mit den imagines der Vorfahren voran (Serv. Aen. VI 861, vgl. 874. V 4. Marquardt a. a. O. 353). Sein kaiserlicher Oheim selbst hielt dem Verstorbenen die Leichenrede (Dio LIII 30, 5. Serv. Aen. I 712. Cons. ad Liv. 442; vgl. Peter Geschichtliche Litt. über die röm. Kaiserzeit, Leipzig 1897, I 456) und nannte ihn darin unter anderem immaturae morti devotus Serv. a. a. O. Auf diese später edierte Leichenrede wird auch Bezug genommen, wenn Augustus bei Plutarch (Marc. 30; Comp. Pelop. et Marc. 1) als Quelle citiert wird (Heeren De font. et auct. Plutarchi 124. Weichert Imp. Caes. Aug. script. rell., Grimma 1835, 116f. Meyer Orat. Roman. fragmenta, Zürich 1842, 520f. Peter Quellen Plutarchs in den Biogr. d. Römer, Halle 1865, 76 Anm. Gardthausen a. a. O. 731f.). Dass Augustus infolge von Marcellus Tode auch die Saecularspiele verschoben hätte, nimmt an O. Hirschfeld Wiener Studien 1881, 103; dagegen Mommsen Ephem. epigr. VIII p. 236 Anm. Vergil verherrlichte Marcellus in der berühmten Stelle Aen. VI 860–886 (vgl. Serv. Aen. VI 861. III 718) und Properz dichtete die Elegie IV 18 auf seinen Tod. Die Trauer des Augustus und der Octavia war tief (Cons. ad Liv. 65 und 441f., vgl. Aen. VI 868), von letzterer berichtet Seneca cons. ad Marc. 2, 4f., dass sie den Rest ihres Lebens in einsamer Zurückgezogenheit der Trauer um den verstorbenen Sohn gewidmet und das Trauerkleid nie abgelegt habe. Nichts, was sie an Marcellus erinnerte, hätte sie in ihrer Nähe geduldet und auch Trostesworten ihr Ohr verschlossen. Als Vergil dem Augustus und der Octavia die oben citierte Stelle vorlas, soll diese bei den Worten tu Marcellus eris ohnmächtig zusammengebrochen und nur mit Mühe wieder zum Bewusstsein gebracht worden sein [2769] (Donat. vita Verg. p. 62 Reiffersch., vgl. auch Serv. Aen. VI 861 und Ribbeck Proleg. ad Verg. 60). Octavia weihte dem Andenken des Marcellus ihre Bibliothek (Liv. perioch. 140. Plut. Marc. 30) und Augustus benannte das von Caesar begonnene, von ihm vollendete und 743 = 11 eröffnete Theater nach Marcellus (Mon. Anc. lat. 4, 22 = gr. 11, 12. Liv. perioch. 140. Plut. Marc. 30. Dio LIII 30, 5, vgl. Suet. Aug. 29; die Litteratur über dasselbe zusammengetragen in Kiepert-Hülsen Formae urb. Rom. ant. p. 90; s. den Art. Marcelli theatrum). Augustus liess auch zum Andenken an seinen Neffen, der kurz vor seinem Tode dieselben Spiele geleitet hatte, bei den ludi Romani dessen Statue aus Gold zugleich mit einem goldenen Kranze und einem curulischen Amtssessel (vgl. Mommsen St.-R. I³ 452) zwischen den Sitzen der praesidierenden Magistrate im Marcellustheater aufstellen, Dio LIII 30, 6. Neuere Litteratur: Gardthausen Augustus I 2, 720–734, dazu die Anmerkungen II 2, 399–408. Klebs Prosopogr. I 384ff. De-Vit Onomasticon II 318.

c) Äusseres und Bildnisse. Über Marcellus äussere Erscheinung fehlen die Nachrichten gänzlich. Vergil nennt ihn Aen. VI 861 ganz allgemein egregium forma iuvenem et fulgentibus armis, da man sich den Jüngling mit Vorliebe in strahlender Rüstung dachte, vgl. v. 878–881; das Weitere (v. 862): sed frons laeta parum et deiecto lumina voltu ist nicht etwa auf trüben, melancholischen Blick zu beziehen, der Dichter zeichnet vielmehr mit diesen Worten den Marcellus trauernd ob seines frühen Todes wie v. 866. Ein sicher beglaubigtes Bildnis des Marcellus existiert nicht. Die von Koehne (Monum. inéd. de Marcellus, Mém. de la Société d’archéol. et de num. de Saint-Pétersbourg I 145–149) publicierte Münze mit jugendlichem Kopf und der Umschrift Μᾶ]ρκος Κλαύδιος Μάρκελλος OP ... ist nach Duchalais (Revue numism. franç. 1848, 72–76) gefälscht. Von Statuen des Marcellus, die wegen seines frühen Todes jedenfalls auch im Altertum nur in geringer Anzahl vorhanden waren, wird nur erwähnt die goldene im Marcellustheater (s. o.); irrtümlich bezieht Klebs (Prosopogr. I 386) die Notiz Tac. ann. I 74 auf unseren Marcellus. Über die Basis einer Statue des Marcellus, gefunden auf dem Forum triangulare zu Pompei, vgl. CIL X 832. Overbeck-Mau Pompei⁴ 1884, 559. Mau Führer durch Pompeii³ 1898, 36. Mau (Statua di Marcello nipote di Augusto, Atti dell’ Accademia di Napoli XV 1890, 133–151) hält es für sehr wahrscheinlich, dass die 1822 im Macellum zu Pompei gefundene Marmorstatue eines bärtigen Jünglings, nach Heroenart mit nacktem Oberkörper, einen Marcellus darstelle (Abbildungen: Mau a. a. O. nach S. 151. Mus. Borb. III 38. Clarac Musée de sculpture, pl. 917. Bernoulli Röm. Ikonographie II 1, Taf. 8. Kekulé Über einen bisher Marcellus genannten Kopf in den kgl. Museen, 54. Winckelmannsprogramm, Berlin 1894, 7; vgl. Röm. Mitt. VI 268f. und Mau Führer durch Pompeii³ 27). Maus Vermutung wird von Helbig (Rittrati di Fulvia e di Ottavia, Monumenti antichi I 1891, 588) gebilligt, von Milani (Röm. Mitt. VI 313) als möglich zugegeben und von Kekulé (a. a. O.) nicht widerlegt. Über andere unberechtigt oder [2770] willkürlich als Marcellus ausgegebene Bildnisse vgl. Bernoulli Röm. Ikonographie II 2, 122–125 und den Nachtrag bei Gardthausen a. a. O. II 2, 399 Anm. 3, über den sog. Marcellus in der Galleria dei candelabri des Vatican auch Helbig Führer durch die Sammlungen in Rom I² (1899) 252f. Die von Mau für Marcellus erklärte Statue zeigt einen Jüngling von nicht allzu starker Statur, mit unten zugespitztem Gesicht, Adlernase und vorstehenden Ohren.

d) Charakter. Marcellus wird von Velleius und Seneca in der im ganzen übereinstimmenden und daher vielleicht auf dieselbe Quelle (Leichenrede des Augustus?) zurückgehenden Charakteristik als ein Jüngling mit den Tugenden eines ingenuus, als gemütsfroh und geistesfrisch geschildert, Vell. II 93, 1 sane ut aiunt ingenuarum virtutum (vgl. Prop. IV 18, 11) laetusque animi et ingenii; Sen. cons. ad Marc. 2, 3 nennt ihn adulescentem animo alacrem, ingenio potentem und fügt hinzu: sed et frugalitatis continentiaeque in illis aut annis aut operibus non mediocriter admirandae, patientem laborum, voluptatibus alienum. Seine pietas (gegen Augustus und Octavia) und die prisca fides hebt Verg. Aen. VI 878 hervor, seine Leutseligkeit Serv. Aen. VI 861. Mag auch das Bild seines Charakters, wie bei einem praesumtiven Thronfolger natürlich, in manchen Zügen überschwänglich ausgestattet sein, so war Marcellus doch jedenfalls ein frischer, ehrlicher Charakter, abhold Leidenschaften und Ausschweifungen, wie auch die Liebe des Augustus (vgl. Dio LIII 31, 2) und die tiefe Trauer seiner Verwandten (s. o.), sowie seine Beliebtheit beim Volke (Tac. ann. II 41. Serv. Aen. VI 861) durchaus für ihn spricht. Ob Marcellus auch der Last des Thrones gewachsen gewesen wäre, wie Vell. und Sen. aa. OO. übereinstimmend behaupten (vgl. auch Verg. Aen. VI 876), können wir natürlich ebensowenig wie die alten Schriftsteller entscheiden. Besondere Energie scheint er nicht besessen zu haben, da in allem sein Oheim oder seine Mutter für ihn die Initiative ergriffen (vgl. oben S. 2765 und Prop. IV 18, 14). Auch seine militärische Laufbahn konnte man sich bei seinem frühen Tode als glorreich ausmalen, vgl. Verg. Aen. VI 878–881.

e) Freigelassene: Not. degli scavi 1887, 284 nr. 671 M. Claudius M. Marcelli l. Dida(s?). CIL VI 15033 M. Claudius Marcel(li) l. Eros. Unsicher: Not. degli scavi 1886, 374 nr. 128 Claudia Marcella. Sclave: ebd. 1887, 284 nr. 679 Hilarus Marcelli.

[Gaheis. ]