RE:Fenestella

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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historisch-antiquarischer Schriftsteller der ersten Kaiserzeit
Band VI,2 (1909) S. 21772179
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Fenestella (zum Namen vgl. W. Schulze Zur Geschichte latein. Eigennamen 356. 418), historisch-antiquarischer Schriftsteller der ersten Kaiserzeit, von dessen Leben und Persönlichkeit so gut wie nichts bekannt ist. Über die Zeit seines Todes liegen zwei um etwa anderthalb Jahrzehnte divergierende Angaben vor: Hieron. chron. z. J. Abr. 2035 = 19 n. Chr. Fenestella historiarum scribtor et carminum septuagenarius moritur sepeliturque Cumis und Plin. n. h. XXXIII 146 Fenestella, qui obiit noxissimo Tiberii Caesaris principatu. Daß Fenestella eine Frau, die als junges Mädchen im J. 669 = 85 v. Chr. dem L. Crassus in Spanien Dienste geleistet hatte, in ihren hohen Jahren noch persönlich kennen lernte (Plut. Crass. 5) und daß die Zeit des Sulla bei ihm als memoria avorum bezeichnet war (Plin. n. h. XXXIII 21), läßt sich mit beiden Ansätzen vereinigen, die Angabe des Lyd. de mag. III 74 p. 167, 11 W., es habe Varro in den Antiq. rer. hum. Sisenna und Fenestella zitiert, beruht unter allen Umständen auf Konfusion; zugunsten der späteren Datierung und Abfassung zum mindesten einer Schrift erst unter der Regierung des Tiberius spricht der Umstand, daß F. von den divi Augusti novissima tempora sprach (Plin. n. h. VII 195), und F. Münzer (Beitr. z. Quellenkritik der Naturgesch. d. Plinius 345, 2) hat die Abweichung der Angaben über das Todesjahr sehr ansprechend durch die Annahme erklärt, daß F. im Consulatsjahre des Sex. Pompeius 719 = 35 v. Chr. geboren und dieses dann von Hieronymus mit dem des Cn. Pompeius 702 = 52 v. Chr. verwechselt worden sei, wodurch bei gegebener 70jähriger Lebensdauer das Todesjahr von 789 = 35 n. Chr. auf 772 = 19 n. Chr, verschoben wurde.

Von den bei Hieron. a. a. O. erwähnten [2178] carmina ist nichts bekannt, als historiarum scribtor tritt er uns durch seine annales entgegen, die mit Titel und Buchzahl nur von Nonius (vgl. aber auch Tertull. adv. Valent. 34 p. 209, 21 Vindob. annalium commentator Fenestella, bezieht sich auf das J. 611 = 142 v. Chr., vgl. Obseq. 22 [81]) an drei Stellen angeführt werden, an deren einer (p. 221, 36) die Buchzahl ausgefallen ist, während die anderen beiden sich auf B. II (p. 154, 17) und XXII (p. 385, 7) beziehen; nur die letztgenannte Stelle läßt das Jahr, von dem sie handelt, erkennen, sie berührt Ereignisse aus dem Dezember des J. 697 = 57. Die übrigen Bruchstücke, die wir ihrem Charakter nach mit Wahrscheinlichkeit für die Annalen in Anspruch nehmen können, beziehen sich auf die letzten beiden Jahrhunderte der Republik (Biographisches für Terenz, Suet. v. Terent. p. 26, 8. 27, 5 Reiff.; Erbauung der Aqua Marcia 610 = 144 v. Chr., Frontin. de aq. I 7; Hermaphroditenprodigium in Lunae, Tertull. a. a. O., s. o.; Vestalinnenprozeß vom J. 640 = 114 v. Chr., Macr. Sat. I 10, 5; Kämpfe zwischen Marius und Sulla, Plut. Crass. 5; Sulla 28; Wiederherstellung der sibyllinischen Bücher 678 = 76 v. Chr., Lact. de ira dei 22, 5f.; inst. div. I 6, 14, von E. Maass De Sibyllarum indicibus [1879] 39f. zu weitgehenden Schlüssen gemißbraucht), und daß er dafür eine besonders angesehene Quelle (diligentissimus scriptor Lact. inst. I 6, 14) darstelllte, beweist die Tatsache, daß Asconius (p. 59, 3) mit besonderer Betonung hervorhebt, daß neque apud Sallustium neque apud Livium neque apud Fenestellam ullius alterius latae ab eo (C. Aurelius Cotta) legis est mentio. Da ein solches Argumentum ex silentio sich doch nicht wohl auf eine Spezialschrift über Cicero, sondern nur auf eine Darstellung der Gesamtgeschichte, auf die auch die Zusammenstellung mit Sallust und Livius hinweist, gründen kann und es weiterhin nicht angeht, anzunehmen, daß Asconius zwei verschiedene Werke des Fenestella ohne Hervorhebung der Verschiedenheit mit dem bloßen Namen des Verfassers zitiert habe, wird man auch alle übrigen bei Asconius stehenden F.-Bruchstücke (vgl. C. Lichtenfeldt De Asconii Pediani fontibus ac fide [Bresl. philol. Abhandl. II 4] 55ff.) den Annalen zuzuweisen haben (anders R. Reitzenstein Festschr. f. Joh. Vahlen. [1900] 421ff.): daß F. Chronologie und Vorbedingungen der ciceronischen Reden verhältnismäßig ausführlich darstellte (E. Schwartz Herm. XXXII 602f. wollte in ihm eine wichtige Quelle des Plutarch im Leben Ciceros für die catilinarische Verschwörung sehen), kann nicht Wunder nehmen angesichts der Tatsache, daß bei ihm auch über die Lebensumstände des Terenz eingehend gebandelt war. Auch die chronologischen und verfassungsgeschichtlichen Angaben der Bruchstücke (über das zwölfmonatliche Jahr, Censorin. 20, 2; über den Namen der Quaestoren, Ulpian. Dig. I 13, 1, 1 = Lyd. de mag. I 24 p. 27, 16 W.) können sehr wohl ihren Platz in den Annalen finden, sobald man annimmt, daß F. ein Annalist von mehr antiquarischen Interessen, etwa von der Art des Cassius Hemina, war (vgl. dazu H. Peter Geschichtl. Literatur über die röm. [2179] Kaiserzeit I 113f.): dafür, daß dies der Fall war, spricht das Zeugnis des Seneca, der ihn unter die philologi einreiht (epist. 108, 31). Gerade unter der Voraussetzung, daß die Annalen des F. neben der historischen Erzählung reich an detailliertem Beiwerk literaturgeschichtlicher und antiquarischer Natur waren, wird es leicht verständlich, daß es von ihnen auch eine verkürzte Ausgabe gab; denn daß die Epitomae, aus deren 2. Buche Diomedes p. 365, 7 K. ein paar auf Caesars Gefangennahme durch die Seeräuber bezügliche Worte zitiert, ein Auszug der Annalen waren, kann bei der Häufigkeit der Epitomierung gerade historischer Werke (Jordan Herm. III 403) nicht zweifelhaft sein (W. Soltau Die Quellen des Livius im 21. und 22. Buch II [Gymn. Progr. v. Zabern 1896] 15 hält diese Epitomae gegen den festen Sprachgebrauch für von F. aus den Schriften anderer angefertigte Auszüge, eine Art ,historisches Lesebuch‘).

Eine größere Anzahl nicht in die Annalen gehöriger Bruchstücke des F. liegen bei Plinius vor, der ihn in den Quellenregistern zum 8. 9. 14. 15. 33. 35. Buche der Naturgeschichte als Gewährsmann nennt. R. Reitzenstein (Festschr. f. Vahlen 411ff.) hat den Nachweis geführt, daß es sich um ein umfassendes Werk über die Zunahme des Luxus (in Form einer Tafelunterhaltung?) handelt, das einerseits Plinius ausgiebig benützt hat (F. Münzer a. a. O. 343ff. nahm nur Heranziehung einzelner Lesefrüchte aus F. an) und auf das andererseits viele Angaben der aus Macr. Sat. III 13–17 bekannten rerum reconditarum libri des älteren Serenus Sammonicus (Wissowa Herm. XVI 502ff.) zurückgehen. Sollten auch Gell. II 20. VI 11. 12 (Reitzenstein a. a. O. 424) aus diesem Werke stammen, so könnte das nur mittelbar der Fall sein, da Gellius selbst den F. nicht gelesen hat (die einzige Erwähnung XV 28, 4 stammt aus Asconius, vgl. Kiessling-Schoell Ascon. p. XV).

Der Vollständigkeit halber seien auch die beiden Schwindelzitate aus Fenestella bei Fulgentius erwähnt, mythol. III 2 p. 62, 2 Helm Fenestella in archaicis (über Perdix-Perdiccas) und serm. antiqu. 59 p. 126, 4 H. sicut Fenestella ait ,penes quem vadatus amicitiae nodolo tenebatur‘.

Fragmente bei H. Peter Historic. Roman. fragm. (1883) 272–278; Histor. Roman. relliqu. II 79–87; vgl. L. Mercklin De Fenestella historico et poeta, Dorpat 1844; Philol. III (1848) 151f. J. Poeth De Fenestella historiarum scriptore et carminum, Bonnae 1849. H. Peter Histor. Rom. relliqu. II p. CIX–CXIII.

Die kleine Schrift des Florentiner Domherrn und apostolischen Sekretars Andrea Fiocchi († 1452) de Romanorum magistratibus ist ohne Schuld des Verfassers, der durchaus keine Täuschung beabsichtigt und ohne Arg auch die episcopi und archiepiscopi der katholischen Kirche zu Vergleichen heranzieht, in einem Teile der Hss. und Drucke mit dem Autornamen Lucii Fenestellae versehen worden; vgl. Voigt Wiederbeleb. d. klass. Altert. II2 39. P. de Nolhac La bibliothèque de Fulvio Orsini (Paris 1887) 210. R. Sabbadini Le scoperte dei codici latini e greci (Firenze 1905) 177.