RE:Genista

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Ginster, niedriger Strauch für Bienen, Farbstoff und Bindematerial
Band VII,1 (1910) S. 11511154
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Genista, genesta, genista (it. ginestra, neuprov. genesto, franz. genêt [wall. dinièse], span. hiniesta, portug. giesta; vgl. Dz. 459 hiniesta. Gröber A. L. L. II 137, wo ital. genestra, siz. ginestra angeführt werden. Körting Lat. rom. Wörterbuch3 1906, 479). Ginster. Spärlich beblätterter, niedriger Strauch aus der Ordnung der Leguminosae, der Familie der Papilionaceae mit rutenartigen, grünen Zweigen, die in manchen Gegenden zur Herstellung von Besen verwendet werden, und gelben, seltener weißen Blüten, welche den Bienen Nahrung gewähren, und in mehreren Arten (G. tinctoria L. [Europa und Asien], G. ovata W. et K. [Banat], G. anglica L. [England]) als wichtiger Farbstoff in den Färbereien Verwendung finden. Auch als Gründüngung wird die ganze Pflanze (G. hispanica L.) untergeackert. Der Ginster findet sich in zahlreichen Arten in Europa, Nordafrika und Westasien vornehmlich an trockenen, sandigen Hügeln.

Über G. erfahren wir von den römischen Schriftstellern: G. wird aus Samen oder Schößlingen in umgegrabenem Lande gezogen, auch kann sie in Furchen gepflanzt werden (Col. XI 2). Plinius (XVIII 240) rechnet das Pflanzen der G. zu den unaufschiebbaren Arbeiten des Landmanns, welche gleich nach dem Wehen des Favonius, des den Frühling anzeigenden milden Westwindes, vorgenommen werden müssen. Zum Auspflanzen soll man zweijährige Pflänzlinge nehmen. Die ausgewachsenen Pflanzen können jährlich abgemäht werden (Col. IV 31). G. gedeiht auf trockenem Boden (Col. arb. 29), wo die Weiden nicht fortkommen (Col. IV 31). Unentbehrlich ist daher ihr Anbau dem Landmann, welcher Wein- und Obstkulturen besitzt und nicht über Weidenpflanzungen verfügt, denn ihre binsenartigen Ruten liefern ein vortreffliches Bindematerial für Weinstöcke und junge Ostbäumchen (Col. IV 31. XI 2. Plin. XXIV 65). Auch dem Imker ist die Anpflanzung der G. zu empfehlen, da die Bienen die leuchtend gelben Blumen mit Vorliebe aufsuchen (Plin. XXI 72. XXIV 65). Nach Vergil (Georg. II 436) wurde G. neben Hasel, Weide, Holunder und andern Sträuchern gern zur Anlage lebender Hecken [1152] verwandt. In Asien bereitete man aus G. durch zehntägiges Einweichen des Strauches Flachs (linum), der sich besonders zu Netzen für den Fischfang eignete (Plin. XIX 15). Der wie bei den Schminkbohnen in Schoten befindliche Samen wurde als Purgiermittel nüchtern eingenommen, indem man 11/2 Drachmen G.-Samen mit vier Becher Wassermet (aquae mulsa) mischte. Grüne Zweige der G. wurden mehrere Tage lang in Essig oder Seewasser eingeweicht, und dann die Flüssigkeit gegen Ischias entweder getrunken oder als Klystier benützt. G.-Saft mit Öl gemischt, sollte ebenfalls für Ischiaskranke schmerzlindernd sein. Gequetschter Ginster mit Schweineschmalz (axungia) vermengt, sollte Knieschmerzen heilen (Plin. XXIV 66).

Leunis (Synopsis II3 1885, 99) ist der Ansicht, daß diese geschilderte G. identisch sei mit G. hispanica L., die in Italien häufig vorkommt und zur Gründüngung geeignet untergepflügt wird.

Plinius (XXIV 65) ist im Zweifel, ob die von ihm besprochene G. dieselbe Pflanze sei, wie das von den Griechen beschriebene spartion. Die Darstellung des Dioskurides (IV 155 [158]) weicht indessen kaum von der Plinianischen Schilderung ab. Σπάρτιον ist nach Dioskurides ein Strauch mit langen, blattlosen (,spärlich beblätterten‘ Berendes), schwer zu brechenden Zweigen, mit denen man Weinreben anbindet. Die Blüte ist gelb wie bei der Lackviole. Es trägt Hülsen wie die Bohne und darin kleine linsenförmige Samen. Seine Frucht und Blüten im Gewicht von fünf Obolen mit Honigmet getrunken purgieren heftig nach oben, die Frucht aber bewirkt Reinigung nach unten. Der Saft, welcher aus den in Wasser eingeweichten und dann zerstoßenen Zweigen gewonnen wird, ist, nüchtern im Maße eines Bechers genommen, ein Heilmittel gegen Ischias und Anginaleidende. Mit Salzlake oder Meerwasser wird der Saft der Zweige als Klystier für Ischiaskranke benützt. Bei Aristoteles (hist. an. IX 40) gehört σπάρτον ebenso wie ἀτρακτυλλίς, μελίλωτον, ἀσφόδελος, μυῤῥίνη, φλεώς, ἄγνος zu den Pflanzen, von denen die Bienen Wachs sammeln. Theophrast (h. pl. I 5, 2), der die Pflanze λινόσπαρτον nennt, sagt, daß ihre Rinde (Bast) mehrere Schichten bilde (πολύλοπος). Sprengel in seiner Erläuterung zu Theophrasts Naturgeschichte der Gewächse 1822, 28 erklärt den Namen λινόσπαρτον, in dem er das in ganz Griechenland sehr verbreitete Spartiani scoparium L. sieht, aus dem Gebrauche, den man von der Pflanze machte, dessen Platon (polit. 125 ed. Gryn.) und Plinius (XIX 15) ausdrücklich gedenken. Hiernach identifiziert auch Sprengel λινόσπαρτον bezw. σπάρτιον und σπάρτον mit G. Zur Erhärtung seiner Ansicht führt Sprengel (a. O.) die nachfolgende Bemerkung des Castor Durante (Herbar. 209, Venet. 1636) an. ,Man röste die Zweige der ginestra, wie man es mit dem Hanf mache, und verfertige aus den Bastbündeln Schiffseile, auch das grobe Sacktuch, welches man carmignolo nenne‘. Genauer beschreibt Trombelli das Verfahren (Comment. bonon. 4 p. 359): ,Man behandle die Zweige der G. ganz wie Flachs, lasse auch die Bastbündel hecheln, spinne und webe sie‘.

Leunis (Synopsis II3 1882, 98) sieht in dem [1153] Spartium der Alten das Spartium iunceum L. (Spartianthus iunceus Lk.) Binsenpfriemen, span. Ginster oder Brahm (Yates, Spanish Broom), der besonders häufig in Südeuropa, Istrien und Dalmatien vorkomme, wo er wildwachsend ganze Hügel bedecke und aus dem noch heutzutage, wie aus andern G.-Arten, in Griechenland, Südfrankreich und Spanien Seile, Decken, Netze, Körbe, Schuhe zugeschnitten würden, und dessen Bast zum Anbinden der Reben, sowie zur Verfertigung einer Art Leinwand benützt werde.

Bei Homer (Il. II 135) bedeutet σπάρτον Strick, Schiffstau; aus welchem Material dieser hergestellt wurde, läßt sich aus dieser einzigen Stelle nicht erkennen. Varro (bei Gell. XVII 3) weist einen Zusammenhang des homerischen σπάρτον mit dem erst lange nach der Eroberung Troias eingeführten spanischen spartum zurück. Nach ihm habe man unter σπάρτα bei Homer Schiffstaue zu verstehen, die nicht aus wildwachsenden, sondern gesäten Pflanzen, wie Hanf u. a. gewonnen wurden (σπάρτα von σπείρω = Gesätes). Auch Plinius (XIX 25) sagt, unter dem homerischen σπάρτα habe man den Lein zu verstehen, seien doch nach Ansicht der Gelehrten Tau- und Segelwerk der Schiffe schon in jener ältesten Zeit aus Flachs hergestellt worden. Das spanische spartum sei erst zur Zeit der Punischen Kriege außerhalb Spaniens bekannt geworden. Dies spartum sei eine wildwachsende Binsenart, die nicht gesät werden könne, auf trockenem Boden wachse und seit altersher das Material für die derbe Kleidung der Landleute, für Netze, Seile u. a. liefere. Besonders eigne sich das spanische spartum für Schiffstaue, da es sich im Seewasser geradezu verbessere. Aus der sehr eingehenden Schilderung des Plinius (XIX 26–32) geht hervor, was vor ihm bereits Strabon (III 160) gesagt hatte, daß man in dem spanischen spartum nicht sowohl einen Strauch, als vielmehr eine Sumpfbinsenart zu sehen hat, die an der von den Pyrenäen längs der Küste des Mittelmeeres nach dem Süden führenden Straße auf einem spartophoron genannten, 30 Millien langen, trockenen Felde wachse und spartum zu Stricken liefere, die überallhin, vornehmlich nach Italien ausgeführt würden (Strab. III 160. Plin. XIX 30). Eine geringere Art wachse in Nordafrika (Plin. XIX 26). Auf grund dieser Darstellung mögen neuere Botaniker, wie Beckmann, Lenz u. a., zu der Ansicht geführt worden sein, daß das echte spartum der Alten nicht Spartum iunceum L. sei, sondern das Esparto-Gras Stipa tenacissima L. oder das ihm nahe verwandte Lygeum spartum L. Aus den zähen schmalen Blättern dieses Pfriemgrases, welches auf den Gebirgen Spaniens bezw. in Nordafrika wild wächst, wird noch heute die Espartofaser, Halfa oder Alfa gewonnen, die zur Herstellung der verschiedenartigsten Gebrauchsgegenstände verwandt und massenhaft nach England zur Papierfabrikation ausgeführt wird, während in Deutschland die Espartofaser vielfach als Ersatz für die teueren Roßhaare dient.

Aus dem Gesagten dürfte hervorgehen: die bei Aristoteles und Dioskurides σπάρτος, σπάρτον, σπάρτιον, bei Theophrast λινόσπαρτον genannte Pflanze kann unmöglich identisch sein mit dem spanischen spartum, das Varro (bei Gell.), Strabon [1154] und Plinius kennen. Das σπάρτισν des Dioskurides ist eine strauchartige Pflanze, deren Stengel mehrfache Bastschichten aufweisen (Theophrast), mit leuchtend gelben Blüten, die vorzugsweise zur Bienennahrung dienen (Aristoteles), und Früchten von Binsengröße in kleinen Schoten. Diese Schilderung paßt nicht auf eine Sumpfbinsenart, wohl aber auf G., so wie diese von Plinius (XXI 72. XXIV 65) beschrieben wird: ,Aus den Zweigen wird durch zehntägiges Einweichen eine Art Flachs gewonnen, der sich besonders zu Netzen für den Fischfang eignet, die Blüten bilden eine vortreffliche Bienennahrung, der Samen steckt wie bei den Schminkbohnen in Hülsen‘. Auch die medizinischen Wirkungen des Samens und der eingeweichten Zweige sind bei G. dieselben, welche Dioskurides von σπάρτισν anführt. Hieraus dürfte zu folgern sein, daß das griechische σπάρτισν eine Ginsterart gewesen sei, die mit dem spanischen spartum nur den Namen gemein hatte. Vielleicht könnte man mit Beziehung auf Il. II 135 den Schluß ziehen, daß σπάρτον ursprünglich nicht eine Pflanze, sondern nur ,den Strick‘ bezeichnete (nach Prellwitz Etym. Wörterb. d. griech. Spr.2 1905, 424 ist die Grundbedeutung von σπαρτός usw. vielleicht ,faserig‘, erscheint die Wurzel vielleicht in lett. spurstu, spurt, spurôt ausfasern, spurs Faser, ⎷spera faserig sein, ausfasern, flechten, winden. Vgl. auch σπεῖρα das Geflecht, σπειράω wickeln, zusammendrehen, σπυρίς runder, geflochtener Korb, lat. sporta), und daß später dieser Name auf diejenigen Pflanzen übertragen wurde, die das Material für die Stricke geliefert haben. Daß dies in ältester Zeit vielfach die einheimischen Ginsterarten gewesen sind, dürfte bei der Verbreitung dieser Papilionaceen in Griechenland naheliegen. Der von Plinius ausgesprochene Zweifel, ob g. und spartum identisch seien, muß wohl darauf zurückzuführen sein, daß er in spartum nur das spanische Erzeugnis, also das Spartgras (stipa tenacissima) sieht.

Literatur: Koch Die Bäume u. Sträucher d. alten Griechenlands 1884. Leunis Synopsis der Pflanzen II3 1885.

[Orth. ]