RE:Sophokles 1
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Der Tragiker | |||
Band III A,1 (1927) S. 1040–1094 | |||
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Sophokles. 1) Sophokles aus Athen, der Tragiker.
Übersicht: A. Leben. B.Umgang. Charakter. Anekdoten, [v. Blumenthal]. C. Bildnisse. [Zschietzschmann]. D. Erfindungen und Neuerungen nach der antiken Überlieferung. E. Dichtungen. F. Zahl der Dramen und Siege. G. Die verlorenen Dramen. H. Die erhaltenen: I. Überlieferungsgeschichte. II. Ausgaben. Literatur. III. Einzelbesprechung. J. Gesamtcharakteristik der Kunst des S. [v. Blumenthal].
A. Leben. Unsere Hauptquelle ist die in mehreren Hss. – aber nicht im Laur. XXXII 9 – erhaltene Vita, daneben steht ein kurzer Lebensabriß des Suidas. Reste hier stets nach ihren Paragraphen zitierte Ausgabe mit Sammlung der wichtigsten für das Leben in Betracht kommenden sonstigen Nachrichten in der Elektraausgabe von Jahn-Michaelis³ (Bonn 1882), dazu Kirchner Prosop. Att. II 263ff. (nr. 12834). Das größere namenlose γένος ist die verkürzte Fassung einer etwa im 1. Jhdt. v. Chr. entstandenen, den Ausgaben vorangestellten, Lebensbeschreibung (vgl. die sorgfältige Analyse von F. Leo Griech.-röm. Biograph. 22ff.). Das Alter der Vorlage ergeben die zitierten Autoren: Aristoxenos, Neanthes, Hieronymos, Istros, Satyros, Aristophanes von Byzanz, Lobon, Karystios. Lobon ist neuestens mit Sicherheit als Zeitgenosse des Kallimachos nachgewiesen worden (zuletzt O. Crusius Philol. LXXX [1925] 176ff.), Karystios ist der jüngste der Reihe, er gehört in das letzte Drittel des 2. Jhdts. (s. o. Bd. X S. 2254) und stellt den Terminus post quem. Daß wir nur eine gekürzte Fassung besitzen, zeigt die Benutzung der vollständigeren durch Athen. I 20 e (vgl. Leo a. a. O. 23, 1). Suidas = Hesych gibt in knappster Fassung Notizen über γένος, Zeit, εὑρήματα, Werke, Nachkommen, Tod und Lebensalter, Zahl der Dramen und Siege (vgl. Leo a. a. O. 30).
Als Todesjahr des S. kann das Jahr des Archon Kallias 406/5 durch die übereinstimmenden Angaben von Marm. Par. ep. 64. Diod. XIII 103,4. Argum. Oid. Kol. als gesichert gelten. Die an den Lenäen 405 aufgeführten Frösche des Aristophanes (82) erwähnen ihn als tot, ebenso die am selben Tage in Szene gegangenen Μοῦσαι des Phrynichos (I 379, 31 Kock). Daß er den im Winter 407/6 gestorbenen Euripides (s. o. Bd. VI S. 1243) überlebt hat, steht durch Aristophanes fest. Nach vit. Eur. p. 3 Schwartz soll er an der auf den Tod des Gegners folgenden Aufführung beim Proagon im Trauergewande [1041] aufgetreten sein und den Chor unbekränzt hereingeführt haben. Er ist also nach den Dionysien von 406 und einige Zeit vor den Lenäen von 405 gestorben. Die Angaben von Euseb. Kan. ol. 93, 1 (408) [92, 3 der arm. Vers.] fallen nicht ins Gewicht; vgl. noch Radermacher Aristophanes’ Frösche S. 152. 254 und die dort genannte Literatur.
Für das Geburtsjahr bieten die ältesten, doch wohl auf Tradition, nicht auf Rechnung beruhenden Daten wieder das Marm. Par. ep. 64 für das Jahr 406/5: ἀφ’ οὗ Σοφοκλῆς ὁ ποιητὴς βιώσας ἔτη ἐτελεύτησεν .. ἄρχοντος Ἀθήνησι Καλλίου τοῦ δευτέρου und ep. 56 für 469/8: ἀφ’ οὗ Σοφοκλῆς ὁ Σοφίλλου ὁ ἐκ Λπώμπῦ ἐνίκησε τραγωιδίαιἐτῶν ὣν .. ἄρχοντος Ἀθήνησι Ἀψηφίωνος. Nimmt man mit Jacoby Mar. Par. 181, 56 an, daß die Jahre an ersterer Stelle inklusiv, an letzterer exklusiv gerechnet sind, so ergeben beide das gleiche Geburtsjahr 497/6. Davon weicht der auf 90 Lebensjahre normalisierte Ansatz des Apollodor frg. 37 J. (495/4 bis 406/5) weniger ab, als der wohl ebenfalls abgerundete des Ps.-Luk. Macrob. 24, mit dem Val. Max. VIII 7 ext. 12 übereinstimmt. Sie lassen ihn 95 Jahre alt werden, also 500/499 geboren sein, da das Todesjahr – von der Konfusion bei Eusebius abgesehen – feststand. Wenn die Suidasvita ihn κατὰ τὴν ΟΓ ὀλυμπιάδα (488) geboren sein läßt, so dürfte sie wohl mit Dindorf in ΟΑ (496) zu emendieren sein.
S. ist geboren in dem attischen Demos Kolonos (vit. 1, Arg. Oid. K. 1 IG I 237. Marm. Par. ep. 56 u. a.), fraglich, in welchem der beiden gleichnamigen Demen, dem Kol. Agoraios oder Hippios. Eine Entscheidung ist nicht zu treffen (s. o. Bd. XI S. 1111f. Judeich Top. v. Ath. 156, 4). Aus Androtion im Schol. Aristid. III 485 Dind. schließt Judeich, daß er der Phyle Aigeis angehört habe, dasselbe Kirchner Prosop. s. v. aus IG II 643 add. 644. Jedenfalls war der Begräbnisplatz seines Geschlechtes, wo S. auch selber beigesetzt wurde, elf Stadien von der Mauer am Wege nach Dekeleia (vit. 15. Plin. n. h. VII 109). Die Behauptung des Istros vit. 1, er stamme aus Phlius, wird schon von dem Verfasser der Vita zurückgewiesen, wenn dieser auch für möglich hält, daß das Geschlecht sich von dort ableite. Den Namen des Vaters geben die Vita, Suidas, Marm. Par., Simmias Anth. Pal. VII 21, 1, Clem. Alex. protr. VII 21 St., Diodor einstimmig als Sophillos an, nach Aristoxenos (vit. 1) war er Zimmermann oder Schmied, nach Istros (ebd.) Schwertfeger. Der Verfasser des γένος bestreitet es und meint, der Vater habe wohl Sklaven dieser Handwerke besessen, denn sonst wäre der Sohn nicht zusammen mit Perikles und Thukydides in die höchsten Ehrenstellen gelangt, auch hätte die Komödie – was sich hören läßt – ihn sicher deshalb verspottet. Plin. n. h. XXXVII 40 sagt ähnlich von ihm: super omnes est Sophocles poeta tragicus, quod equidem miror, cum tanta gravitas ei cothurni sit, praeterea vitae fama alias principi loco genito Athenis et rebus gestis et exercitu ducto.
Die wie üblich durch Klatsch undurchsichtigen Familienverhältnisse des S. scheinen sich folgendermaßen verhalten zu haben: Seine eheliche [1042] Frau war Nikostrate (vit. 13), von ihr hatte er einen Sohn, den Tragiker Iophon (I) (vit. 13. Schol. Aristoph. ran. 78. Suid. s. Ἰοφῶν), der den Vater überlebte (Ar. ran. 73) und einen Sohn mit Namen Sophokles (II) hatte (vgl. das Inventar aus dem J. 376/5 IG II 672, 37). Letzterer war 400/399 ταμίας τῶν ἱερῶν χρημάτων τῆς Ἀθηνάας (IG II 643 add. 644). Sein Sohn hieß wieder Iophon (II) und wird um 350 auf einer Weihbasis als ὑπογραμματεύς erwähnt (IG II 1177).
Als zweite Frau des Dichters wird die Sikyonierin Theoris genannt. Läßt man auch den Klatsch bei Athen. XIII 592 a und Hesych Θεωρίς beiseite, so ergibt doch Hermesian. 57 bei Athen. XIII 598 c mit Sicherheit, daß sie die ἐρωμένη war, also ihre Kinder nicht echtbürtig waren. Von ihr hatte er einen Sohn Ariston (vit. 13), dessen vielleicht erst vom Großvater legitimierter (Robert Oid. I 475ff.) Sohn Sophokles (III) nicht nur 401 den nachgelassenen Oid. Kol. aufführte (Arg. O. K.), sondern auch seit 396 (Diod. XIV 53) als erfolgreicher Tragiker (Suid. Σοφ. Ἀρίστωνος) auftrat. (Die Irrtümer Kirchners Pros. II 12833 sind ausführlich widerlegt von Robert Oid. II 160, 31). Zu welcher der beiden Linien der nach der Pleias lebende (Said.) Tragiker Sophokles (V), Sophokles’ (IV) Sohn um 100 v. Chr. (vgl. IG VII 3197), gehörte, ist nicht auszumachen, ebensowenig, was es mit den nur in der Suidasbiographie genannten Söhnen des S. (I) Leosthenes Stephanos Menekleides für eine Bewandtnis hat. Wäre auf die Reihenfolge Verlaß, so könnte man Leosthenes für einen echten, die beiden andern für unehelich halten. Den von Ar. ran. 791 erwähnten Kleidemides hat nach dem Schol. a. 1. Kallistratos für einen Sohn, Apollonios für einen Schauspieler des Dichters gehalten. Nach Hegesandros Athen. XIII 592 b soll er im hohen Alter noch die Hetäre Archippe bei sich gehabt und als Erbin eingesetzt haben, was natürlich erschwindelt ist.
Sophillos │ | ||||
Nikostrate | Sophokles (I) | Theoris | ||
Iophon (I) (Leosthenes) |
Ariston (Stephanos Menekleides) | |||
│ Sophokles (II) |
│ Sophokles (III) | |||
│ Iophon (II) | ||||
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sophokles (IV) | Sophokles (V) |
Für seinen Lebensgang liegt eine unverhältnismäßig große Zahl gesicherter Tatsachen und Daten vor. Daß er sehr schön war (Athen. I 20 e aus der vollständigeren Vita) und eine sorgfältige gymnische und musische Erziehung genoß, wüßten wir, auch ohne daß es überliefert wäre (vit. 3), ebenso mag er in beiden den Kranz davongetragen haben, wie der erfinderische Istros (vit. 3) behauptet. Nach der Schlacht von Salamis soll er nackt und gesalbt mit der Lyra den Siegesreigen eröffnet haben. Sein Lehrer in der Musik war (nach Athen. I 20 e = vit. 3) Lampros, [1043] den Aristoxenos (Plut. de mus. 31) mit Pindar und Pratinas zu den vorzüglichsten Musikern jener Zeit rechnet. Wegen des Komikers Phrynichos (I 388, 69 Kock) mit Weil-Reinach (zu Plut. de mus. 31) und Abert (s. o. Bd. XII S. 587) an der Identität dieses Lampros mit dem berühmten Musiker zu zweifeln, liegt kein Grund vor. Denn der Anfang des Fragmentes: ⟨καὶ νιγ⟩λαγοὺς θρηνεῖν ἐν οἷσι Λάμπρος ἐναπέθνησκεν spricht nicht, wie Abert meint, von seinem eben erfolgten Tode – die Verse gehören allerdings wohl in die 405 aufgeführten Musen – sondern bedeuten: ,und klagende Gesänge ertönen lassen, in welchen Lampros hinzusterben pflegte‘. – Die Tragödie soll S. bei Aischylos gelernt haben (vit. 4). Sein erstes Auftreten fällt in das J. 468 (Marm. Par. ep. 56). Plutarch (Kim. 8) berichtet, das Volk sei bei dieser Gelegenheit in solchen Eifer geraten, daß es nicht die üblichen Preisrichter ausgelost, sondern Kimon und seine Mitstrategen zum Richteramte gezwungen habe. Der Sieg ist jedenfalls (Marm. Par. Plut.) S. zugefallen. Bekanntlich hat schon Lessing (Leben des Soph. Werke VI 332 Lachm.) diese Nachricht mit Plin. n. h. XVIII 65 verbunden und daraus wahrscheinlich gemacht, daß der Triptolemos unter den 468 aufgeführten Werken gewesen ist (anders v. Wilamowitz Aisch. Interpret. 156, 2). Aus der Hypothesis der Sieben gegen Theben geht hervor, daß S. im folgenden Jahre nicht aufgeführt, und daß er (Hyp. Agam.), wenn er gegen die Orestie auf dem Plane war, jedenfalls 458 nicht gesiegt hat.
Die nächste sichere Nachricht zeigt ihn in politischer Tätigkeit: nach der Beamtenliste IG I 237 war er im J. 443/2 Hellenotamias, und zwar führte S., wie Ed. Meyer Forsch. z. alt. Gesch. II 82ff. nachgewiesen hat, den Vorsitz; da in diesem Jahre die Neuordnung der Tribute der Bundesgenossen stattfand, war das Amt sicher von großer Bedeutung. Im samischen Kriege 441/39 war er Mitstratege des Perikles (Androt. Schol. Aristid. III 485 D. Strab. XIV 638. Iustin. III 6, 12. Aristod. 15, wo Θεμιστοκλέους statt Σ. überliefert ist, was aber ebensogut eine Konfusion des Autors sein kann), angeblich wegen der Berühmtheit gewählt, die ihm durch die Aufführung der Antigone geworden war (Arg. Antig.). Er hat vor Samos mit dem Philosophen Melissos in einer Seeschlacht gekämpft (Suid. s. Μέλισσος) und ist vielleicht geschlagen worden (vgl. Plut. Per. 20ff.: ὑπὸ δὲ τοῦ Μελίσσου καὶ Περικλέα φησὶν αυτὸν Ἀριστοτέλης ἡττηθῆναι ναυμαχοῦντα πρότερον). Ungefähr Anfang Juli 440, als Perikles die Samier bei der Insel Tragia schlug, scheint S. nach Lesbos detachiert gewesen zu sein (Thuk. I 116 + Ion von Chios bei Athen. XIII 603 e, vgl. Busolt Gr. Gesch. III 1, 545, 4). Um diese Zeit muß die Begegnung mit Ion auf Chios stattgefunden haben, die derselbe in seinen Ἐπιδημίαι geschildert hat, und deren Beschreibung uns noch im Wortlaute bei Athen. a. a. Ο. vorliegt (vgl. auch Cic. de off. I 144. Val. Max. IV 3 ext. 1. Plut. Per. 8). Während seiner Abwesenheit errang Euripides 441 den ersten Sieg (Marm. Par. ep. 60). Unmittelbar nach Beendigung des samischen Krieges hören wir zum ersten Male von einem agonalen Zusammentreffen [1044] der beiden Meister: Euripides wird mit der Tetralogie Κρῆσσαι, Ἀλκμαίων ὁ διὰ Ψωφῖδος, Τήλεφος, Ἄλκηστις (Arg. Alk.) zweiter gegen S. Ein weiterer Wettkampf ist für 431 bezeugt, wo Euripides mit der Medea, Philoktet, Diktys, Theristai hinter Euphorion, dem Neffen des Aischylos, und S. zurückbleibt (Arg. Med.). 428 hat S. nicht aufgeführt, Euripides siegt mit dem Hippolytos (Arg. Hipp.). Vielleicht hängt diese Pause in seiner dichterischen Tätigkeit damit zusammen, daß ihn der Staat wieder mehr in Anspruch nahm, da er im folgenden Jahre wieder als Stratege abwesend gewesen zu sein scheint (vit. 9) im Kriege gegen die Anaier (vgl. Thuk. III 19, 2. 32, 2. IV 75, 1). Im J. 416 hat er jedenfalls nicht den ersten Preis errungen, da Agathon siegte (Athen. V 217 a), 415 überhaupt nicht aufgeführt (Aelian. var. hist. II 8), als Euripides mit Alexandros, Palamedes, Troades, Sisyphos hinter Xenokles zweiter wurde. Denn S. hat nie den dritten Platz erhalten (Karystios vit. 8). Ob der von Aristot. rhet. III 18 p. 1419 a 26 genannte S., der Mitglied des Kollegiums der Probulen in den J. 413–411 war, mit dem Dichter identisch ist, bleibt trotz v. Wilamowitz (Arist. und Athen. I 102, 6) fraglich. Eher wird man geneigt sein, ihn für einen Redner zu halten und ihn mit dem von Aristot. rhet. III 15 p. 1416 a 15 und I 14 p. 1374 b 36 erwähnten Manne gleichzusetzen (vgl. Cope-Sandys zu letzterer Stelle). Unmöglich ist natürlich nicht, daß der mehr als achtzigjährige sich noch einmal dem Staate zugewandt hat. In diese Zeit fällt die Aufführung von Euripides’ Andromeda und Helena (412: Schol. Arist. ran. 53; thesm. 1012), wir wissen nicht, ob S. unter den Gegnern war. Bestimmt aber hat er 409 mit dem Philoktet gesiegt (Arg. Phil.). Im folgenden Jahre wurde des Euripides Orest gespielt (Schol. Eur. Or. 371) und bald darauf sind beide Dichter gestorben. Der Oid. Kol. wurde erst von seinem gleichnamigen Enkel (s. o.) nach dem Tode des Dichters im J. 401 auf die Bühne gebracht und war siegreich (v. Wilamowitz Dram. Techn. d. S. 318. 3).
Eine vielumstrittene Stelle der Vita (11) lehrt uns, daß S. auch ein Priesteramt bekleidet hat: ἔσχεδὲ καὶ τὴν τοῦ ΑΛΩΝΟΣ ἱερωσύνην, ὃς ἥρως μετ’ Ἀσκληπιοῦ παρὰ Χείρωνι … ἱδρυνθεὶς ὑπ’ Ἰοφῶντος τοῦ υἱοῦ μετὰ τὴν τελευτήν. Ganz ins Reine zu bringen ist die Sache kaum; folgendes steht fest: 1. der Kult des Asklepios ist bekanntlich erst im J. 420/19 durch Telemachos von Achamai nach Athen gebracht und in einem Heiligtume am Südhang der Akropolis neben dem Bezirke des Dionysos eingesetzt worden (s. o. Bd. II S. 1664). 2. Daß S. Beziehungen zu diesem Heiligtum hatte, erweisen die ebendort inschriftlich gefundenen Reste eines Paians des Dichters auf den Gott (Anth. Lyr. I 67 Diehl), der noch zur Zeit des jüngeren Philostrat in Athen gesungen wurde (imag. 13; vit. Ap. Ty. III 17). 3. Das Etym. M. p. 256, 6 berichtet: Δεξίων· οὕτως ὠνομάσθη Σοφοκλῆς ὑπὸ Ἀθηναίων μετὰ τὴν τελευτήν. φασὶν ὅτι Ἀθηναῖοι τελευτήσαντι Σοφοκλεῖ, βουλόμενοι τιμὰς αὐτῷ περιποιῆσαι, ἡρῷον αὐτῷ κατασκευάσαντες ὠνόμασαν αὐτὸν Δεξίωνα ἀπὸ τῆς Ἀσκληπιοῦ δεξιώσεως· καὶ γὰρ ὑπεδέξατο τὸν θεὸν ἐν τῇ αὑτοῦ οἰκίᾳ καὶ βωμὸν [1045] ἱδρύσατο· ἐκ τῆς αἰτίας οὖν ταύτης Δεξίων ἐκλήθη (vgl. Plut. non posse suav. viv. 22; Numa 4. Marin, vit. Prokl. 29). Aus dieser Stelle geht nicht nur hervor, daß S. nach seinem Tode heroische Ehren genoß, sondern auch, daß er bei dem Einzuge des Asklepios in Athen ihn in seinem Hause aufgenommen hat, d. h. irgendeine symbolisch-kultische Funktion im Zusammenhange mit der feierlichen Installierung des Gottes vollzog. Daß er dies als Priester jenes rätselhaften ΑΛΩΝΟΣ getan hat, dessen Zusammenhang mit Asklepios durch die Vita gesichert ist, ist kein Zweifel. Bestände er, so würde ihn beheben 4. die im Asklepiosheiligtume gefundene Inschrift IG II 5, 617 c add., wo von ὀργεῶνες τοῦ Ἀμύνου καὶ τοῦ Ἀσκληπιοῦ καὶ τοῦ Δεξίωνος die Rede ist. Es steckt also in dem ΑΛΩΝΟΣ der Vita auch irgendein dem Asklepios verwandter Heilgott, sei es daß man mit Meinecke Ἄλκωνος emendiert und wie Zielinski Philol. N. F. IX 597 dies als gleichbedeutend mit Ἀμύνου setzt, sei es, daß man mit A. Körte Athen. Mitt. XXI (1896) 309ff. (vgl. Robert Oidipus I 476. II 159, 28) paläographisch gewaltsamer Ἀμύνου in den Text einführt. Der Versuch von E. Schmidt Athen. Mitt. XXXVIII (1913) 73ff. Ἅλων als Kurzform von Ἁλιρρόθιος zu erklären und ihn zum ersten Herren der salzigen Heilquelle des Asklepieions zu machen, ist auch zu erwägen, obwohl die von ihm selber vorgebrachten Gegengründe bedenklich stimmen. Über die Statuenfrage s. u. die Besprechung der Bildnisse. Daß man aus den Beziehungen des S. zu den Heilgöttern und gewissen Beobachtungen über die medizinischen Kenntnisse des Dichters nicht mit Zielinski a. a. O. schließen darf, S. sei selber Arzt gewesen, hat T. v. Wilamowitz Dram. Technik d. Soph. 93, 1 mit Recht betont. Neben dem Etym. M. bezeugt uns noch Istros (vit. 17), daß S. nach seinem Tode heroische Ehren genoß: die Athener beschlossen ihm jährlich zu opfern. Sein Grab – über dessen Lage s. o. S. 1041 – soll mit einer ehernen Sirene oder κηληδών (vgl. darüber Athen. VII 290 e) geschmückt gewesen sein (vit. 15).
B. Umgang. Charakter. Anekdoten.
Die Zahl der gut bezeugten Stellen über S. als Person ist verhältnismäßig groß. Sein Umgang mit Aischylos ist freilich außer durch die Vita nur durch Chamaileon (Athen. I 22 a. X 428f.) überliefert: er habe zu dem älteren über dessen Dichtung gesagt: εἰ καὶ τὰ δέοντα ποιεῖς ἀλλ’ οὖν οὐκ εἰδώς γε ποιεῖς. Daß diese Anekdote sehr wohl alt sein kann, zeigt das verwandte Urteil des S. über Euripides bei Aristot. poet. 1460 b 33: οἷον καὶ Σοφοκλῆς ἔφη αὐτὸς μὲν οἵους δεῖ ποιεῖν, Εὐριπίδης δὲ οἷοι εἰσί. Von einem Verkehr der beiden jüngeren Dichter wissen nur die sog. Euripidesbriefe. Mit Herodot dagegen hat er Beziehungen unterhalten wie Plut. an seni 3 und das von ihm zitierte Elegiefragment des S. an Herodot (Anth. Lyr. I 67, 2 Diehl) lehren (vgl. Joh. Rasch S. quid debeat Herodoto etc. comment. philol. Ienens. X 2, 4ff.). Zu Perikles brachte ihn schon die gemeinsame Strategie in nähere Verbindung, auch ist die schöne, mehrfach berichtete Anekdote (z. B. Cic. de off. I 144), Perikles habe den Dichter wegen seiner Bewunderung [1046] eines schönen Knaben getadelt – ein Beamter müsse nicht nur die Hände, sondern auch die Augen enthaltsam haben – zum mindesten gut erfunden. Sokrates ist er natürlich auch nicht entgangen: Platon weiß eine sehr drastische Antwort zu berichten, die S. dem Sokrates gegeben hat (Rep. I 329 B). Das wichtigste Dokument ist das schon erwähnte Stück aus Ion von Chios (Athen. XIII 603 e). Dieser hat den Tragiker während seiner Strategie 441/39 auf Chios in der Gesellschaft des Perikles bei einem Gastmahle getroffen und erzählt, wie S. mit einem schönen Knaben dabei gescherzt und sich mit einem vorlauten Schulmeister über Poesie unterhalten habe. Dabei erfahren wir aus des S. eigenem Munde, wie Perikles des Dichters staatsmännische Qualitäten eingeschätzt hat: Περικλέης ποιέειν με ἔφη στρατηγέειν δ’οὐκ ἐπίστασθαι, wozu Ion von sich aus hinzufügt: τὰ μέντοι πολιτικὰ οὔτε σοφὸς οὔτε ῥεκτήριος ἦν ἀλλ’ ὡς ἄν τις εἵς τῶν χρηστῶν Ἀθηναίων. Die Art, wie sich S. bei diesem Symposion mit den Teilnehmern unterredet, paßt genau zu der Charakteristik, welche uns die Vita überliefert: τοῦ ἤθους σοσαύτη γέγονε χάρις ὥστε πάντη καὶ πρὸς ἁπάντων αὐτὸν στέργεσθαι (§ 7). Auch die Komödie weiß ihm außer einer Stelle des Aristophanes, wo ihm Habsucht vorgeworfen wird (pax 695), nichts Böses nachzusagen. In den Fröschen läßt ihn der Komiker zugunsten des Aischylos auf den tragischen Thron im Hades verzichten und Dionysos zeichnet dort sein Wesen ganz ähnlich wie die Vita (v. 82): ὁ δ’εὔκολος μὲν ἐνθάδ’ εὔκολος δ’ἐκεῖ. Ähnlich schön sagt Phrynichos in den gleichzeitig aufgeführten Musen (1379, 31 Kock):
μάκαρ Σοφολκέης ὃς πολὺν χρόνον βιούς
ἀπέθανεν, εὐδαίμων ἀνὴρ καὶ δεξιός
πολλὰς ποιήσας καὶ καλὰς τραγῳδίας
καλῶς δ’ ἐτελεύτησ’ οὐδὲν ὑπομείνας κακόν.
Auch die Anekdote über seine Trauer bei dem Tode des Gegners Euripides fügt sich gut in dieses Bild ein, nicht weniger die urbane Antwort, die er bei Plutarch (Nik. 15) dem Nikias gibt oder die Entgegnung auf einen Angriff, von der Aristoteles Rhet. III 1416 a 15 weiß. Weiter heißt es an einer anderen Stelle der Vita (10), er habe Athen so geliebt, daß er trotz Aufforderungen von vielen Königen seine Vaterstadt nicht habe verlassen wollen. Damit ist er sowohl zu Aischylos wie zu Euripides in Gegensatz getreten. Daß der Dichter φιλομεῖραξ (Athen. XIII 603 e) war, geht aus der Erzählung des Ion zur Genüge hervor, auch hat er die Knabenliebe in der Niobe tragisch dargestellt (Athen. XIII 601 b, wohl aus Chamaileon). Die wenig anmutigen Klatschgeschichten des Hieronymos (Athen. XIII 604 d, 557 e) können wir auf sich beruhen lassen. Aber daneben hat der gleiche peripatetische Historiker noch ein schönes Wort über den Dichter gesprochen: γέγονε δὲ καὶ θεοφιλὴς ὁ Σοφοκλῆς ὡς οὐκ ἄλλος (vit. 12) und mit der Legende begründet, daß Herakles dem Tragiker im Traum erschienen sei und ihm die Stelle gesagt habe, wo ein auf der Akropolis gestohlener goldener Kranz versteckt sei. S. habe dann von dem Wiederfinderlohn dem Μηνυτὴς Ἡρακλῆς ein Heiligtum gestiftet (vit. 12, vollständiger bei [1047] Cic. de divin. I 54, aus dem Tert. de an. 46 schöpft). Aus derselben Sphäre der peripatetischen Skandalliteraturgeschichte wird auch die bekannte Erzählung stammen, sein Sohn Iophon habe den greisen Dichter wegen Altersschwäche, als er seinen Enkel legitimieren wollte, bei den Phratores verklagt, S. habe aber den eben gedichteten Oid. Kol. vorgelesen und so sei der Sohn abgewiesen worden (vit. 13, für eine Einzelheit wird Satyros zitiert). Wenn Robert Oid. I 476ff. diese Geschichte nicht nur für wahr nimmt, sondern sogar zu weitestgehenden Schlüssen über die psychologische Entstehung der Polyneikesszene im Oid. Kol. benutzt, so kann ich ihm hier nicht folgen (vgl. v. Wilamowitz Dram. Techn. d. Soph. 369). Daß die Behauptung von Neanthes und Istros (vit. 14), er sei an einer Weinbeere erstickt, ebenso törichte Erfindung ist, wie die von Satyros, er sei bei einer Lesung der Antigone an Überanstrengung gestorben (ebd.), braucht kaum gesagt zu werden. Eher mag man glauben, daß er aus Freude über seinen letzten Sieg heimgegangen sei (ebd: Diod. XIII 103). Auch seine Bestattung hat die Legende verherrlicht: Der Begräbnisplatz sei von den Spartanern besetzt gewesen. Da sei Dionysos dem Lysander im Schlafe erschienen und habe ihm befohlen, die Beisetzung zuzugeben. So sei er begraben worden (vit. 15. Plin. n. h. VII 109. Plut. Num. 4. Paus. I 21, 1). Daß er nach seinem Tode als Heros Dexion mit Opfern verehrt wurde, ist schon gesagt. Auf seine Lebenszeit ist dies, wie es scheint, nicht zurückgespiegelt worden, wenn man von der Behauptung des Philostrat vit. Ap. Ty. VIII 7 absieht, er habe Winde stillen können. Hier hat wohl das Empedoklesbild eingewirkt,
C. Bildnisse. Die Vit. Soph. 5 berichtet: φασὶ δὲ ὅτι καὶ κιθάραν ἀναλαβὼν ἐν μόνῳ τῷ Θαμύριδί ποτε ἐκιθάρισεν ὁθεν καὶ ἐν τῇ ποικίλῃ στοᾷ μετὰ κιθάρας αὐτοῦ γεγράφθαι etc. etc. Dieser Absatz wird erst im Jahre 2047 gemeinfrei und kann dann hier veröffentlicht werden.
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D. Erfindungen und Neuerungen nach der antiken Überlieferung. Es ist bekannt, was im allgemeinen von der Zuteilung bestimmter ἑὑρήματα an eine Einzelperson zu halten ist. Von S. sind uns folgende Neuerungen überliefert: 1. Die Vermehrung der Choreuten von 12 auf 15 (vit. 4. Suid.). 2. Die Einführung des dritten Schauspielers (Aristot. poet. 1449 a 19, Dikaiarch. vit. Aeschyl. Diog. Laert. III 56. Vit. Soph. 4. Suid. Schol. Dem. XVIII 267. XIX 200). 3. Die Erfindung der σκηνογραφία (Aristot. a. a. O.).4. Die Einführung der καμπύλη βακτηρία (Satyros vit. 6. S. o. Bd. X S. 1843) und 5. der λευκαὶ κρηπῖδες für Choreuten und Schauspieler (Istros vit. 6. Serv. Verg. ecl.VΙΙΙ 10, s. o. Bd. XI S. 1711). 6. Die Benutzung phrygischer Melodiebildung und der dithyrambischen Art in der Tragödie (Aristox. vit. 23). Von diesen allen haben die von Aristoteles und Aristoxenos bezeugten Neuerungen wirkliche Gewähr, obwohl die Einführung des dritten Schauspielers auch schon nach Systematisierung klingt. Uns fehlt aber jede Möglichkeit, etwa die Behauptungen des Istros und Satyros zu kontrollieren. Weiter haben noch folgende Angaben die Wahrscheinlichkeit für sich, bzw. sind als richtig zu erweisen: 1. Während die älteren Dichter noch selbst gespielt haben (vit. 4. Aristot. rhet. III 1403 b 23), hat S. wegen seiner kleinen Stimme es später aufgegeben. Das könnte allerdings ein Zug aus der typischen Dichterlegende sein, da von Pindar ähnliches berichtet wird. In seinem Thamyras ist er freilich noch mit der Kithara selbst aufgetreten (Ath. I 20f.) und hat sich als Nausikaa in dem gleichnamigen Drama durch treffliches Ballspiel hervorgetan (Ath. a. a. O. Eust. zu Hom. Od. VI 115 p. 1553; Il. III 54 p. 381, beide aus der vollständigeren Vita). 2. S. habe seine Dramen nach der Natur seiner Schauspieler geschrieben (vit. 6). Von solchen dauernd dem S. dienenden Darstellern kennen wir einen mit Namen, Tlepolemos (Schol. Ar. nub. 1266), einen anderen vielleicht: Kleidemides (Schol. Ar. ran. 791). Aus den so herangebildeten habe er einen Thiasos der Musen gegründet (vit. 6), wohl ein dichterischer Vorläufer der platonischen Akademie. 3. Während in der Tragödie die komische Durchbrechung der Illusion und die Anrede des Publikums im Stile der komischen Parabase ursprünglich verpönt war, hat sie S. – wenn auch im Verhältnis zu Euripides selten – gelegentlich geübt, z.B. in dem verlorenen Ἱππόνους (Poll. IV 111). Dem Satyrspiele war dies, wie es scheint, überhaupt nicht ganz fremd (v. Blumenthal Aischylos 45, 1). 4. Er habe als erster nicht tetralogisch komponiert, sondern Einzeldramen zusammengeordnet (Suid.). Das ist zwar nachweislich falsch (Aischylos’ Perser!), hat aber wohl insofern etwas Richtiges, als S., soweit wir sehen, gar nicht mehr trilogisch oder tetralogisch gedichtet zu haben scheint. Wenigstens zeigen weder die sieben erhaltenen noch die Bruchstücke der übrigen irgendeine Spur davon.[1050]
E. Dichtungen. Nach der Suidasvita hat S. außer Dramen noch 1. Elegien, 2. Paiane und 3. eine Prosaschrift über den Chor geschrieben. 1. Von den Elegien gibt es zwei gut bezeugte Fragmente (Anth. lyr. I 67, 1–2 Diehl), das dritte, aus Hieronymos von Athen. XIII 604 d mitten in einer wüsten Klatschgeschichte übernommene und dichterisch wertlose gehört unter die falsa. 2. Über die Reste eines inschriftlichen Paians und sonstige Nachrichten s. o. S. 1044. 8. Die Prosaschrift soll er im Wettkampfe mit Thespis und Choirilos verfaßt haben. Crusius Philol. LXXX 178 hat nachgewiesen, daß diese und ähnliche Schwindelnotizen aus Lobon περὶ ποιητῶν stammen müssen und keinerlei Wert besitzen. Da keine Fragmente erhalten sind, ist die Frage auch ziemlich belanglos.
F. Zahl der Dramen und Siege. Die Zahl der Dramen wird von Aristophanes von Byzanz (vit 18) mit 130 angegeben, von denen 17 (oder 7) unecht seien ((ιζ P M V c) und erste Hand von G, ζ G²). Die Anecd. Ox. IV 315 überliefern, es seien viele athetiert worden, darunter die Antigone. Suidas gibt die Zahl 123. Nimmt man an, daß in der Vita tatsächlich nur 7 als unecht gebucht waren, so waren die 123 des Suidas die als echt geltenden, und die beiden Quellen waren im Einklang. Wir kennen in leidlicher Übereinstimmung zur Vita etwa 130 Titel (s. u.), eine genaue Zahl ist wegen der Unsicherheit der Identifizierungen nicht angebbar. Siege hat er laut Said. 24, laut Karystios (vit 8) 20, nach Diod. XIII 103 (d. h. Apollodor, vgl. Jacoby Apoll. Chron. 250, 37) 18 errungen. Mit letzterem stimmt die nur die Siege an den großen Dionysien verzeichnende Inschrift Rh. Mus. XXXIV 298 = IG II 977 a überein. Man nimmt an, daß die 6 überschießenden bei Suidas auf die Lenäen fallen und Bergk hat auch bei Karystios (Rh. Mus. a. a. O.) κδ' herstellen wollen. Die uns bekannten Aufführungsdaten s. o. S. 1043f. Ist die Zahl des Suidas richtig, so war er nur etwa 7 Mal nicht siegreich. Dritter ist er nie gewesen. Vgl. Pearson The fragments of Sophokles I p. XIIIf.
G. Die verlorenen Dramen. Fragmentensammlungen: Ich zitiere nach Nauck Fragmenta Tragicorum Graecorum² (1889) 131ff., die ergänzt werden durch Diehl Supplementum Sophocleum (1913), Hunt Fragmenta tragica papyracea (1912). Außerdem stehen die wichtigsten Bruchstücke mit knappen Erläuterungen bei Sophocles ed. Lewis-Campbell vol. II (1887) 482. Vollständigste, ausführlich eingeleitete und sorgfältig kommentierte Sammlung mit Rekonstruktionsversuchen, als Fortsetzung der Jebbschen großen Soph.-Ausgabe von Pearson The Fragments of Sophocles 3 vols. Cambridge 1917 (abgeschlossen 1913) mit wertvollem Sprach- und Sachindex III 192ff. und reicher Literaturangabe I p. XCIff., wo auch die älteren Sammlungen gekennzeichnet sind. Immer noch unentbehrlich ist Welcker Die griechische Tragödie mit Rücksicht auf den epischen Zyklus geordnet, Bonn 1839.
Daß S. mit Vorliebe seine Stoffe dem epischen Kyklos entnommen hat, wird von Chamaileon bei Ath. VII 277 e hervorgehoben und durch eine große Zahl der hier in alphabetischer Ordnung [1051] folgenden uns noch bekannten Titel bestätigt (vgl. Pearson I p. XXXI).
1. Ἄδμητος (frg. 767 N.): Es ist sicher, daß das Stück diesen Titel führte, da der einzige erhaltene Vers zwar von Plutarch mit den Worten ὁ Σοφοκλέους Ἄδμητος sc. εἶπε eingeführt, aber offenbar von Alkestis gesprochen wird. Er scheint sich auf die Dienstbarkeit des Apollon zu beziehen. Die Sprache zeigt, daß es ein Satyrspiel war, vgl. Pearson III 60. v. Wilamowitz Jsyll. 66, 41.
2. Ἀθάμας α' (frg. 1 N.): Von diesem Drama fehlt bis auf ein einziges Wort jede sichere Spur; ob Apollod. I 84 W. Hyg. fab. 5 (vgl. Athen. XIII 560 d) damit etwas zu tun hat, bleibe dahingestellt; vgl. auch Pherekydes frg. 98 FGR I 87. 417.
3. Ἀθάμας β' (frg. 2. 3 N. frg. 4–9 sind streitig zwischen 2 und 3). Die Hypothesis des zweiten Athamas ist uns bei Apostol. XI 58 erhalten, dessen Angaben durch Ar. nub. 257 mit Scholien – es ist also älter als 419 – Schol. Aisch. Pers. 70 bestätigt werden. (Schol. Pind. Pyth. IV 288 a liegt offenbar eine Konfusion vor). Darnach war die Fabel folgende: Athamas hat aus der Göttin Nephele zwei Kinder, Phryxos und Helle, verläßt aber die Gattin um eine Sterbliche. Die eifersüchtige Nephele geht zurück in den Himmel und straft das Land mit Dürre. Athamas sendet Boten an Apollon, um über die Dürre ein Orakel zu erhalten; diese werden von dem neuen Weibe bestochen, zurückzumelden, der Gott habe die Opferung von Phryxos und Helle als Heilmittel geweissagt. Athamas läßt die Kinder von der Weide holen; aber ein mit menschlicher Stimme begabter Widder verrät ihnen die Absicht des Königs. Sie fliehen mit dem Tiere, Helle ertrinkt beim Überschwimmen des Hellespontes herabfallend. Der Meerbusen heißt seither nach ihr; Phryxos wird nach Kolchis gerettet. Dort opfert er den Widder, dessen Fell von den Göttern in ein goldnes verwandelt ist, dem Ares oder Hermes, bleibt im Lande und gibt ihm den Namen Phrygien. Nephele nimmt an Athamas wegen der Kinder Rache: er soll, wie ein Opfertier bekränzt, dem Zeus geopfert werden, wird aber von Herakles gerettet. – Es ist nicht mit Gewißheit zu sagen, wie weit die ganze Erzählung auf S. zurückgeht. Nur der gesperrte Schluß ist durch Koinzidenz aller Zeugen für S. gesichert. War dieses auch der Schluß des Dramas, so dürfte das Werk, ähnlich wie die Alkestis, ein Satyrspiel ersetzt haben. Auch hat es ein Satyrspiel Athamas von Xenokles gegeben (Aelian. var. hist. II 8). Ein neues bei Diehl fehlendes Bruchstück steht Rh. Mus. XLVII (1892) 407 = frg. 5 Pears.
4. Αἵας Λοκρός (frg. 10–17 N.). Das Argumentum ist nicht mit Sicherheit aufzuklären. Bezieht man bei Luc. de salt. 46: καθ’ ἕκαστον γοῦν τῶν ἐκεῖ πεσόντων δρᾶμα τῇ σκηνῇ πρόκειται – ἡ κατὰ Παλαμήδους ἐπιβουλὴ καὶ ἡ Ναυπλίου ὀργὴ καὶ ἡ Αἴαντος μανία καὶ ἡ θατέρου ἐν ταῖς πέτραις ἀπώλεια das letzte Glied auf S., weil er die anderen Vorwürfe auch behandelt hat, so wäre wenigstens das Ende deutlich. Aber frg. 10 mahnt zur Vorsicht: es ist von dem Fell die Rede, das vor dem von den Griechen zu [1052] schonenden Hause des Antenor aufgehängt war. Dies scheint nur in eine Situation zu passen, die unmittelbar mit der Eroberung Troias zusammenfällt. Vergleicht man Prokl. Chrest. 461: Κασσάνδραν δὲ Αἴας Ὀιλέως πρὸς βίαν ἀποσπῶν συνεφέλκεται τὸ τῆς Ἀθηνᾶς ξόανον· ἐφ’ ᾧ παροξυνθέντες οἱ Ἕλληνες καταλεῦσαι βούλονται τὸν Αιαντα· ὃ δὲ ἐπὶ τὸν τῆς Ἀθηνᾶς βωμὸνκαταφεύγει καὶ διασῴζεται ἐκ τοῦ ἐπικειμένου κινδύνου und nimmt die Beschreibung des polygnotischen Bildes bei Paus. I 15, 2 hinzu: Ἕλληνές εἰσιν ῂρηκότες Ἴλιον καὶ οἱ βασιλεῖς ἠθροισμένοι διὰ τὸ Αἴαντος ἐς Κασσάνδραν τόλμημα (vgl. X 26, 3), so wird man Frevel des Aias und Achaiergericht als den wahrscheinlicheren Inhalt des Dramas ansehen; frg. 11: τὸ χρύσεον δὲ τᾶς Δίκας δέδορκεν ὄμμα, τὸν δ’ ἄδικον ἀμείβεται mag man dann auf den schuldbeladenen Helden beziehen und glauben, daß sein Untergang geweissagt wurde. (Vgl. auch Zielinski Eos XXVIII [1925] 37ff.)
5. Αἰγεύς (frg. 18–22 N. 1 D.). Erst das neue frg. 1 D aus dem Berliner Photius gibt einigen Anhalt. Es zeigt zusammen mit frg. 20 N, daß die Bezwingung des marathonischen Stieres durch Theseus in einem Botenberichte (vgl. Reitzenstein Der Anfang d. Lex. d. Phot. S. XIIIf.) dargestellt war. Damit rückt in den Bereich der Möglichkeit, daß die bisher auf Euripides zurückgeführte Stelle (R. Wagner Epit. vatic. 124) des Apollod. ep. 1, 5 W. doch auf S. zurückgeht und die Hypothesis darstellt. Von den Fragmenten ohne Buchtitel hat man 872. 819. für den Aigeus in Anspruch genommen, doch können sie z. B. auch in den Theseus gehören, vgl. noch v. Wilamowitz Heldens. II BSB 1925 S. 234, 3. 237.
6. Αἴγισθος (frg. 23. 24 N.): Nicht einmal der Titel ist ganz gesichert.
7. Αἰθίοπες (frg. 25–30 N.): Hat man auf die Memnonsage beziehen und mit dem nur dem Titel nach bekannten Drama Memnon identifizieren wollen. Rechten Anhalt geben die Fragmente nicht.
8. Αἰχμαλωτίδες (frg. 31–56 N.): Nach Arg. Soph. Ai. gehörte das Drama zum troischen Sagenkreise, was durch frg. 40 bestätigt wird. Die ziemlich zahlreichen Fragmente verraten von der Fabel wenig; frg. 40 werden Mynes und Epistrophos erwähnt, die in der Ilias (XIX 296. II 689) von Achill bei der Zerstörung von Lyrnessos und Theben erschlagen werden. Aus Lyrnessos ist Briseïs, deren erster Gatte wohl Mynes war (vgl. v. Wilamowitz Hom. Unters. 410). Also ist wahrscheinlich, daß die αἰχμαλωτίδες Briseïs und ihre Mitgefangenen gewesen sind und hier der Anfang der Ilias dramatisiert war. Dann findet frg 31: στρατοῦ καθαρτὴς κἀπομαγμάτων seine Erklärung durch Il. I 313: λαοὺς δ’ Ἀτρεΐδης ἀπολυμαίνεσθαι ἄνωγεν und muß auf Agamemnon bezogen werden, wenn S. nicht den Kalchas etwa als Sühnepriester eingeführt hat; frg. 37 scheint sich auf Apollon zu beziehen (trat er selbst auf?) und gemahnt an Ilias I 37. 451. Vgl. Campbell zu frg. 31. Andere schwerlich richtige Auffassungen zusammengestellt bei Pearson I 25f. Verführerisch ist die Identifikation mit nr. 4 durch Zielinski Eos XXVIII (1925) 43ff.
9. Ἀκρίσιος (frg. 57–73 N.): Daß hier der [1053] Mythos Danae – Perseus in irgendeiner Gestalt dargestellt war, darüber läßt frg. 61 nicht im Zweifel. Wahrscheinlich hat die von Apollod. II 47 W. berichtete Form der Sage zugrunde gelegen; frg. 63. 64 beziehen sich dann auf die Furcht des Akrisios vor der Erfüllung des Orakels, frg. 68 vielleicht auf seine unerwartete Erfüllung; frg. 70 ἀπόδρομον· ἐλαττούμενον τοῖς δρόμοις könnte aus der Schilderung des bei Apollodor a. a. O. erwähnten πένταθλον stammen. Bedenklich ist, daß der Stoff auch in den Λαρισσαῖοι behandelt war und dort bestimmt ein Agon vorkam. Wir tappen ganz im Dunkeln.
10. Ἀλεάδαι (frg. 74–88 N.): Die Fabel ist fast lückenlos rekonstruierbar. Telephos ist ein Bastard (frg. 84), seine Mutter ist unbekannt, sein Vater zweifelhaft (frg. 83). Heimlich von der Mutter geboren und im Parthenion Oros ausgesetzt ist der Heraklessohn von einer Hindin gesäugt (fr. 86), von Hirten gefunden und dem König Korythos gebracht worden, der ihn an Kindesstatt aufzieht (Diod. IV 33, 11 + Apollod. III 104 W.). Seine Mutter Auge war nämlich von ihrem Vater Aleos zur Athenapriesterin gemacht worden, weil ihrem Vater in Delphi geweissagt wurde, ihr Sohn würde seine Söhne töten. Auge aber war von Herakles verführt worden (Alkid. Ulix. 13–16). Wie es zum Konflikt des Telephos mit seinen Oheimen gekommen ist, wissen wir nicht, frg. 81 scheint der Chor darüber zu zürnen, daß Edle dem Bastard unterlegen sind, sich also das Orakel erfüllt hat. Der Schluß muß einen ähnlichen ἀναγνωρισμός, wie der Oid. Tyr. – auch die Argumentation (frg. 83) erinnert an Oid. Tyr. 1080ff. – gehabt haben (frg. 74. 76. 80), wohl hervorgerufen durch die Hirten, die einst den Knaben fanden. Vermutlich geschah die Erkennung, als es nach dem Tode der Aleaden zu einem Zusammenstoße zwischen Großvater und Enkel zu kommen drohte. Das Ende war wohl versöhnlich, frg. 82. 84. 85 erinnern auffallend an euripideische Redeweise. Vergleiche die vortreffliche Rekonstruktion nach Vaters und Welckers Vorgange bei Robert Arch. Jahrb. ΙΙΙ (1889) 60ff.
11. Ἀλέξανδρος (frg. 89–96 N. frg. 2 D.): Die schwangere Hekabe träumt, sie werde eine brennende Fackel gebären, aus der viele Schlangen kröchen. Die Weissager verlangen den Tod des Kindes, weil es dem Lande den Untergang bringen würde. Alexandrοs wird geboren, die mit der Tötung Beauftragten setzen ihn aus, Hirten finden und erziehen ihn als eigenes Kind unter dem Namen Paris. Boten des Priamos kommen und führen seinen Lieblingsstier als Preis für Leichenspiele ab. Um das Tier nicht zu verlieren, geht er mit und siegt über alle, darunter seine Brüder. Deiphobos (oder Hektor: Servius) zieht aus Zorn darüber sein Schwert gegen ihn, er flüchtet an den Altar des Zeus ἑρκεῖος. Kassandra weissagt, er sei der Bruder, Priamos nimmt ihn auf. So etwa Hygin 91 nach Euripides (vgl. Apollod. III 148–50 W.) Daß S. derselben Sage gefolgt ist, zeigt frg. 90; βοτῆρα νικᾶν ἄνδρας ἀστίτας. τί γάρ; auch frg. 89. Bestand der Chor wie bei Euripides aus Landleuten (frg. 91)? vgl. Robert Bild und Lied 235; Oidip. II 131, 22. Pearson I 59.
[1054] 12. Ἀλήτης (frg. 97–103 N.): Welcker Gr. Tr. I 216 hat in Hyg. 122 die Hypothesis des Stückes zu finden geglaubt, dasselbe aber ohne Grund mit der Erigono identifiziert (Ribbeck Röm. Trag. 620). Der Gang bei Hygin ist folgender: Elektra hört fälschlich, Orestes sei in Taurien von Iphigenie der Artemis geopfert worden. So bemächtigt sich Aletes, des Aigisthos Sohn, der Herrschaft von Mykene. Elektra geht nach Delphi, um über den Tod des Bruders Gewißheit zu erhalten. Sie trifft am gleichen Tage wie Orestes und Iphigenie dort ein. Elektra will Iphigenie wegen der angeblichen Ermordung des Bruders mit einem Feuerbrande blenden, da sie nicht weiß, daß diese ihre Schwester ist. Orestes tritt dazwischen. Nach der Erkennung ziehen sie nach Mykene, Orestes tötet Aletes, will auch Erigone, die Tochter des Aigisthos und der Klytaimnestra töten. Artemis entrückt sie nach Attika und macht sie zu ihrer Priesterin (vgl. E. Maass Analecta Eratosth. 133). Die nur bei Stobaios überlieferten Fragmente enthalten ausschließlich Sentenzen ohne rechten Bezug auf eine besondere Lage; der Titel lautet dort immer Ἀλείτης. Hygin gibt wohl sicher den Sagenkreis, an den wir zu denken haben, Aletes spielt aber zu sehr eine Nebenrolle als daß man mit Gewißheit die Hyginfabel zum Argument des Dramas erklären könnte. v. Wilamowitz (Herm. LIV 53, 1) hält wegen der Trivialität der erhaltenen Sentenzen das Drama für unsophokleisch.
13. Ἀλκμέων(frg. 104–106 N.): Da die Myographie (vgl. die Zeugnisse bei Nauck TGF p. 379) durch die beiden gleichnamigen Dramen des Euripides bestimmt ist, die Sophoklesfragmente aber unergiebig sind, ist die Handlung nicht auszumachen, s. Robert Heldensage II 959, 6, zur Form des Namens Cramer Anekd. Ox. II 337, 4.
14. Ἄμυκος σατυρικός (frg. 107–108 N.): Amykos ist der König der Bebryker, der die Argonauten zum Faustkampfe herausfordert und von Polydeukes besiegt wird: Apoll. Rhod. II 1ff. Apollod. I 119 W. Hyg. fab. 17. s. o. Bd. I S. 2000. frg. 108: σιαγόνας τε [δὴ] μαλθακὰς τίθησι beweist, daß der Faustkampf auch bei S. eine Rolle gespielt hat.
15. Ἀμφιάρεως σατυρικός (frg. 109–117 N.): Es läßt sich nur ausmachen, daß ein Schriftunkundiger aufgetreten ist, der, um sich verständlich zu machen, die Buchstaben vorgetanzt hat (Athen. X 454f.).
16. Ἀμφιτρύων (frg. 118–120 N.): Eine Rekonstruktion aus den Fragmenten ist selbst dann unmöglich, wenn man die des Accius hinzunimmt, von dem man nicht weiß, ob er nach S. gearbeitet hat. Vgl. Ribbek Röm. Tr. 553ff. Welcker Gr. Tr. I 371f.
17. Ἀνδρομάχη (frg. 121 N.): Es ist nur ein Wort erhalten. Auf Grund von frg. 477 will Welcker Gr. Tr. I 114 das Drama mit den Ποιμένες identifizieren, was bei unserem Nichtwissen Spielerei ist.
18. Ἀνδρομέδα (frg. 122–132 N.): Nach Ps.-Eratosth. Kat. 16 und den Parallelberichten in den Germanicusscholien und Hygin (S. 116 Rob.) hat Kassiepeia, die Mutter der Andromeda, ihre eigene Schönheit mit der der Nereiden verglichen. Zur Strafe sendet Poseidon ein das Land verheerendes [1055] Ungeheuer, das die Andromeda zum Fraße verlangte (expostulatam Andromedam et ceto propositam schol. Germ. BP 77, 17). Daß Perseus als Retter erschien, ist selbstverständlich und wird durch fr. 123 nahegelegt. Zur Rekonstruktion vgl. Robert Heldens. I 238, die angebliche bildliche Überlieferung ebd. Anm. 3.
19. Ἀντηνορίδαι (frg. 133–135 N.): Aus Argum. Soph. Ai. wissen wir, daß das Drama zum troischen Sagenkreise gehörte. Mit Recht hat Welcker Gr. Tr. I 166 Strab. XIII 608 (auch I 48. V 212. XII 552) zur Wiederherstellung benutzt. Bei der Zerstörung Troias sei ein Pardelfell als Schutzzeichen am Haus des Antenor aufgehängt worden. Antenor und seine Söhne seien mit den verbündeten Henetern nach Thrakien gerettet und von dort in das Gebiet der Adria verschlagen worden. Aineias sei mit Anchises und Askanios ebenfalls entronnen. Die zahlreichen Söhne des Antenor – Homer nennt 11, Bakchylides gar 50 – müssen den Chor gebildet haben. Die auf Grund von Bakch. XIV von v. Wilamowitz ausgesprochene Identifikation mit der Ἑλένης ἀπαίτησις ist schwerlich haltbar, vgl. Pearson I 89. Ob die gleichnamige Tragödie des Accius auf S. zurückgeht, wissen wir nicht, ist aber wahrscheinlich. Dann hätte das Werk schon vor der Eroberung begonnen, wie Ribbeck Röm. Trag. 406ff. glaubhaft gemacht hat.
20. Ἀτρεὺς ἢ Μυκηναῖαι (frg. 136–137 N.): Da Schol. Guelf. Eur. Or. 812 als unglaubwürdig ausscheidet (vgl. Robert Heldens. I 296, 3), das gut herstellbare Drama des Accius als Vorbild für S. nicht in Frage kommt (Ribbeck Röm. Trag. 456), so ist Welckers Rekonstruktion (Gr. Tr. I 357ff.) nicht mehr haltbar. – frg. 672 scheint in den Atreus zu gehören. Dann hat der Streit um die Herrschaft zwischen Atreus und Thyestes eine Rolle gespielt und ist vorgekommen, daß Zeus den Lauf der Gestirne geändert hat, Robert a. a. O. 296, 1. Der Chor scheint, nach dem Untertitel zu urteilen, aus mykenischen Weibern bestanden zu haben.
21. Ἀχαιῶν σύλλογος (frg. 143–144. 148–150, 152 N., dazu der neue Papyrus bei Diehl S. 29). Noch von Nauck fälschlich mit dem σύνδειπνον Ἀχαιῶν zusammengeworfen. Von der wohl den Kyprien folgenden Handlung ist erkennbar, daß Telephos als Wegweiser für das zum zweiten Male in Aulis versammelte Heer gewonnen und schon als Hellene erkannt ist (v. 3–10 D). Achilleus – nach den Kyprien war er nach Skyros verschlagen – stößt zum Heere, trifft den Odysseus und verlangt ungeduldig nach Tat. Odysseus sucht ihn vergeblich zu beschwichtigen. Vor- oder nachher hat eine Aufzählung der Mitkämpfer stattgefunden (frg. 144). Der Chor bestand aus Achäern. Rekonstruktion durch v. Wilamowitz Berl. klass. Test. V 2, 68ff., vgl. Pearson I 96.
22. Σύνδειπνον Ἀχαιῶν (frg. 138–142. 145–147. 151 N. Dazu neues Fragment bei v. Wilamowitz Berl. kl. Text. V 2, 72. 3 = Pearson II 202, frg. 562, fehlt bei Diehl) wurde lange fälschlich mit nr. 21 gleichgesetzt. Wir wissen etwa folgendes: Wie in den Kyprien machen die Griechen auf Tenedos halt. Agamemnon feiert ein Gastmahl, lädt aber den Achilleus nicht ein (Prokl. 456. Philod. περὶ ὀργῆς 66. Aristot. rhet. [1056] II 1401 b 17). Eine Botenrede hat die Beschreibung des Mahles und der trunkenen (Athen. I 17 d) Hellenen gegeben: dem Boten ist ein Nachttopf an den Kopf geworfen worden (frg. 140), zum Auftragen wird gemahnt (frg. 138), einer wegen seiner Genußsucht getadelt (frg. 139), Odysseus behauptet zu Achilleus, er sei gar nicht wegen des Mahles empört, sondern habe Furcht vor den Troianern (frg. 141). Schließlich scheint Thetis den Achilleus besänftigt zu haben (das neue Fragment). Den Chor bildeten wahrscheinlich die σύνδειπνοι, da das Stück auch unter diesem Namen zitiert wird (frg. 138. 139). Daß es ein Satyrspiel war, fehlen alle Anzeichen, aber sicher wohl ein viertes Drama. Rekonstruktion bei v. Wilamowitz a. a. O. 71f.
23. Ἀχιλλέως ἐρασταί (frg. 153–161 N.): Das Drama war ein Satyrspiel (frg. 157). Die Exposition scheint Peleus gegeben zu haben, wie er die sich verwandelnde Thetis gewann (frg. 154) und daß sie ihn wegen einer Schmähung verließ (frg. 155). Phoinix hält die begehrlichen Satyrn von seinem Zöglinge ab (frg. 157), auch edle ἐρασταί fehlten nicht (frg. 153). Irgendwie ist er dann zum Helden erwacht (frg. 160), vgl. v. Wilamowitz Berl. kl. Text. V 2, 72, 3.
24. Δαίδαλος (frg. 162–163. 165–167 N., dazu neues Fragment schol. Gen. Hom. XXI 282 = I 111 frg. 158 Pearson, fehlt bei Diehl). Die Fabel ist nicht zu eruieren. Deutet frg. 162 auf die Erfindung der Tischlerei, frg. 163 auf seinen kretischen, frg. 165 (vgl. Ichneut. 300) auf den sizilischen Aufenthalt? Andere Vermutungen bei Pearson I 110.
25. Δανάη (frg. 168–175 N.): Für die Identifikation mit dem Akrisios haben wir keinen Anhalt. Daß die Danae ein Satyrspiel gewesen sei, hat schon Welcker Gr. Trag. I 349 vermutet und wird durch frg. 170 nahegelegt, frg. 168 spricht Akrisios.
26. Διονυσίσκος σατυρικός (frg. 174–175 N., neues Fragment im Lex. Mess. Rh. Mus. XLVII [1892] 411 = I 118 frg. 171 Pearson, fehlt bei Diehl). Daß der Name Διονυσίσκος, wie das Lex. Mess. schreibt, nicht, mit Hesych und Anekd. Beck., Διονυσιακός richtig ist, hat Crusius Rh. Mus. XLVIII (1893) 152 gesehen. Der Inhalt war, daß der kleine Dionysos, von Silen erzogen (vgl. das neue Fragment), den Wein erfunden hat, an dem sich die Satyrn berauschen (frg. 174). Weiter heißt es von frg. 174 in den Anekdota: ὅλον τὸ μελύδριον πολιτικὸν (= gewöhnlich. Zucker verweist mich dafür auf Satyr. Leb. d. Eur. Kol. IV) ἄγαν γέγονε· μετὰ γὰρ τῆς ἄλλης ἐνεργείας λελυμένην ἐχει τὴν ἑρμηνείαν καὶ μεθύουσιν αρμόττουσαν, vgl. noch Süss De Graecorum fabulis satyricis (Progr. Dorpat 1924) 4.
27. Δόλοπες (frg. 176–177 N.): Auf Grund des Titels mit Welcker Gr. Trag. I 140 an die Abholung des Neoptolemos aus Skyros zu denken, die in den Skyriern dargestellt war, geben die beiden Fragmente keinerlei Handhabe.
28. Ἑλένης ἀπαίτησις (frg. 178-181 N.): Nach dem Titel zu urteilen, müßte die Tragödie etwa zum Inhalt gehabt haben, was man Schol. T Il. III 205 liest (vgl. auch Ovid. met. XIII 200ff.): ὅτε ἐκ Τενέδου ἐπρεσβεύοντο οἱ περὶ Μενέλαον, τότε Ἀντήνωρ ὁ Ἱκετάονος ὑπεδέξατο αὐτοὺς καὶ [1057] δολοφονεῖσθαι μέλλοντας ἔσωσεν· (ὅθεν μετὰ τὴν ἅλωσιν τῆς Τροίας ἐκέλευσεν Ἀγαμέμνων φείσασθαι τῶν οἴκων Ἀντήνορος παρδαλέως δορὰν ἐξάψας πρὸ τῶν οἴκων); zu letzterem s. o. nr. 19). Damit lassen sich frg. 178. 179. 663 vereinbaren. Auch 788 mag man hinzunehmen. Cramer Anecd. Ox. IV 378 = Etym. M. 430, 5 hat Welcker wohl mit Recht Euripides ab- und S. zugesprochen. Wie aber der Tod des Kalchas im Wettstreite mit Mopsos (Strab. XIV 643. 675 = frg. 181) hier unterzubringen sei, bleibt trotz Welcker Gr. Tr. I 123 völlig unklar. Vgl. auch Robert Heldens. II 1122.
29.Ἑλένης ἁρπαγή. Nur im Arg. Soph. Ai. erwähnt; ob eine Titelverwechslung mit nr. 28 vorliegt, ist nicht zu entscheiden. Sonst wäre nur an den Parisraub zu denken, da die Theseussage ausgeschlossen ist.
30. Ἑλένης γάμος (frg. 182–185 N.): Das Drama war, wie man aus Aristid. zper tvn tett. II 399 schließt, ein Satyrspiel, in dem die Geilheit der Satyrn durch den Anblick der Helena geweckt wurde.
31. Ἐπίγονοι (frg. 186–188. adesp. 2. 3. 358 N.), gewöhnlich mit der Eriphyle identifiziert, schwerlich mit Recht. Die Rekonstruktion ist möglich, weil Accius (Trag. Rom. Fr. I 173) das Werk benutzt hat (Cic. de opt. gen. or. VI 18, s. Ribbeck Röm. Trag. 489). Unter Hinzunahme von Asklepiades von Tragilos FGR hist. I 174, 29. Apollod. III 62 W. Diod. IV 65, 6 ergibt sich: Amphiaraos hat seinem Sohne Alkmeon befohlen, ihn an der Eriphyle zu rächen, bevor er nach Theben zieht, auch Delphi befiehlt es (Acc. frg. VI). Die Ungeduld des Heeres (Acc. frg. III und der Befehl drücken ihn (Acc. frg. VI). Eriphyle sucht durch Gebete und Opfer die Götter zu versöhnen (Acc. frg. X). Amphilochos (Acc. frg. IV) und Demonassa (Acc. frg. XI) treten auf. Letztere warnt die Mutter und rät dem Bruder ab, der aber nicht gehorcht (Acc. frg. VII). Nach dem Muttermorde, dem wohl ähnlich wie in den Choephoren ein Wortwechsel vorherging (frg. 187), tritt Adrast gegen Alkmeon auf (frg. adesp. 358). Apollon scheint (Antiphanes’ ποίησις bei Athen. VI 222 b) als deus ex machina die Lösung bewirkt zu haben, indem er die Schlacht von Glisa prophezeite (Acc. frg. XVI) und Alkmeon die Peloponnes zu meiden befahl (ebd. und frg. 188). Rekonstruktion bei Robert Heldens. II 958f.
32. Ἔρις (frg. 189–191 N.): Die Diktion von frg. 189 läßt an ein Satyrspiel denken. Der Titel ist dreimal überliefert und erinnert an Krisis, Momos, die sicher Satyrspiele waren. Man hat vermutet, die Hochzeit des Peleus und der Thetis, vor allem der Streit um den Erisapfel, habe das Thema abgegeben, vgl. Pearson I 140.
33. Ἐριφύλη (frg. 192–198): Seit Welcker und noch von Robert wird die Eriphyle mit den Epigonoi identifiziert, wenig wahrscheinlich gegenüber sechsfachem Zitat und der Tatsache, daß auch für Accius sowohl Eriphyle wie Epigonoi bezeugt sind. Weiter wissen wir nichts, da alle sicheren Bruchstücke Sentenzen sind, frg. 199 ebensogut in die Ἐπίγονοι gehören kann.
34. Ἑρμιόνη (frg. 200–201 N.): Den Stoff überliefert Eustath. Od. 1479, 10: als Menelaos noch in Troia war, vermählte Tyndareos die Hermione [1058] dem Orestes. Nach der Heimkehr wird sie ihm genommen und dem Neoptolemos gegeben. Als dieser aber in Delphi, weil er den Vater an Apollon rächen wollte, von dem Priester Machaireus erschlagen war (Pherek. schol. Eur. Or. 1655 FGR hist. I 78, 64 + Asklep. Trag. FGR hist. 171, 15 + Strab. 421), kehrt sie zu Orest zurück und gebiert ihm den Tisamenos οὕτω κληθέντα παρὰ τὴν μετὰ μένους τίσιν des Orest (schol. Eur. Or. 1655). Die Fragmente versagen, frg. 200 wird Argos angeredet, was doch unmöglich der Schauplatz gewesen sein kann. Von den Römern hat Liv. Andron. den Stoff behandelt. Der einzige erhaltene Vers zeigt, daß Anchialus, doch wohl der Sohn von Neoptolemos und Andromache, aufgetreten ist. Daß die gut rekonstruierbare (vgl. Welcker Gr. Trag. I 224. Ribbeck Röm. Trag. 261) Hermione des Pacuvius nicht auf S. zurückgeht, zeigt frg. I, wo die Anwesenheit des Neoptolemos in Delphi anders motiviert wird als bei S. Ribbecks Rettungsversuch a. a. O. 262 mit Berufung auf Euripides zeigt gerade, daß hier S. nicht zugrunde liegt. Von Philokles FTR gr. p. 759, 2 ist der Stoff auch ähnlich behandelt worden.
35. Εὔμηλος (frg. 202–203 N.): Es sind nur zwei Worte erhalten. Über die Fabel läßt sich nichts vermuten.
36. Εὐρύαλος (p. 177 N.): Die Geschichte von Euryalos erzählt Parthenios 3, wozu die alte Grammatikerbeischrift – über deren Zuverlässigkeit vgl. Rohde Gr. Rom.³ 122ff. – lautet: ἱστορεῖ Σοφοκλῆς Εὐρυάλῳ. Sonst ist das Drama bis auf eine nicht ganz klare Notiz bei Eustath. Od. 1796 (vgl. Welcker Gr. Trag. I 249) verschollen. Nach Parthenios war die Fabel: Odysseus geht nach seiner Rückkehr wegen gewisser Orakel nach Epirus und verführt dort Euippe, die Tochter seines Gastfreundes Tyrimmas, die den Euryalos gebiert. Als dieser erwachsen ist, schickt ihn die Mutter mit einer versiegelten Brieftafel nach Ithaka. Er kommt in der Abwesenheit des Odysseus an, die eifersüchtige Penelope erkennt ihn und überredet den heimkehrenden Odysseus, den Euryalos zu töten, weil er ihm nach dem Leben trachte. Odysseus wird zum Mörder des Sohnes, fällt aber selber bald von der Hand seines und der Kirke Sohnes Telegonos (vgl. Apollod. ep. 7, 36). Dies letztere war wohl in Form einer Weissagung gegeben, wenigstens klingt τρωθεὶς ἀκάνθῃ θαλασσίας τρυγόνος, das Meineke zu einem Trimeter umgestellt hat, nach Orakelstil.
37. Εὐρύπυλος: Daß es ein Drama dieses Namens gegeben habe, wußten wir aus Aristot. poet. 1459 b 6 (vgl. FTR gr. p. 838), daß es von S. sei, hat uns erst der Pap. Oxyr. IX 1175 (Ende des 2. Jhdt. n. Chr.) gelehrt. Neuer Abdruck bei Diehl 21ff., Hunt, Pearson I 146ff. Die Zuteilung des Papyrus an S. ist gesichert durch Wiederkehr von frg. 768 N., aus dessen Rahmenworten bei Plutarch Tyrwhitt schon früher die Existenz der sophokleischen Tragödie erschlossen hatte. Über den Inhalt läßt sich einiges vermuten. Nach Aristoteles a. a. O. war der Eurypylosstoff der kleinen Ilias entnommen. Der Auszug des Proklos berichtet: Εὐρύπυλος δὲ ὁ Τηλέφου ἐπίκουρος τοῖς Τρωσὶ παραγίγνεται καὶ [1059] ἀριστεύοντα αὐτὸν ἀποκτείνει Νεοπτόλεμος; vgl. Apollod. ep. 5, 12: ἀφικνεῖται δὲ ὕστερον Τρωσὶ σύμμαχος Εὐρύπυλος ὁ Τηλέφου πολλὴν Μυσῶν δύναμιν ἄγων· τοῦτον ἀριστεύσαντα Νεοπτόλεμος ἀπέκτεινεν, was durch Paus. III 26, 9 bestätigt wird. Homer Od. XI 520: ἀλλ’ οἷον τὸν Τηλεφίδην κατενήρατοτ χαλκῷ | ἥρω Εὐρύπυλον, πολλοὶ δ’ ἀμφ’ αὐτὸν ἑταῖροι | Κήτειοι κτείνοντο γυναίων εἵνεκα δώρων setzt die Sage als bekannt voraus. Uns klärt sie eine auf Akusilaos’ Namen gestellte ἱστορία im Schol. QV zu Hom. a. a. O. (FGR hist. I 57, 40): Ἐὐρύπυλος ὁ Ἀστυόχης καὶ Τηλέφου τοῦ ἡρακλέους παῖς λαχὼν τὴν πατρῴαν ἀρχὴν τῆς Μυσίας προίστατο. πυθόμενος δὲ Πρίαμος περὶ τῆς τούτου δυνάμεως ἔπεμψεν ὡς αὐτὸν ἵνα παραγένηται σύμμαχος. εἰπόντος δὲ αὐτοῦ ὡς οὐκ ἐξῆν αὐτῷ διὰ τὴν μητέρα, ἔπεμψεν ὁ Πρίαμος τῇ μητρὶ αὐτοῦ δῶρον [Ἀστυόχῃ]χρυσῆν ἄμπελον. ἡ δὲ λαβοῦσα τὴν ἄμπελον τὸν υἱὸν ἔπεμψεν ἐπὶ στρατείαν, ὃν Νεοπτόλεμος ὁ τοῦ Ἄχιλλέως υἱὸς ἀναιρεῖ. Den goldenen Weinstock hatte aber Zeus dem Tros als Sühne für den Raub des Ganymedes geschenkt, wie ein Fragment der Kleinen Ilias (Schol. Eur. Or. 1392; Tr. 822) berichtet (v. Wilamowitz Hom. Unters. 152). Unter den Herausforderungen zum Einzelkampf zählt Hygin. fab. 112 auf: Neoptolemus cum Eurypylo, Eurypylus occiditur. Nach Eust. Od. 1697, 35 hat Priamos dem Eurypylos eine seiner Töchter zur Ehe versprochen. (Sonstiges über Eurypylos s. o. Bd. VI S. 1348. Jacoby FGR hist. I 384). Diese Sage hat das Drama dargestellt. In den Papyrusbruchstücken findet sich der Rest eines Botenberichts, der den Zweikampf der Helden schilderte (frg. 5 Anf.), das Stück eines Kommos zwischen Astyoche (so Hunt mit Recht) und dem Chore, wo sie ihren Daimon und sich selbst anklagt (col. II), und ein Bericht wie die Frauen Trojas und Priamos selbst den Toten beklagten und priesen (col. III). v. 72 Diehl nennt Priamos den Toten τὸν τέκνων ὁμαίνονα: nach Eustathios a. a. O. war Astyoche die Schwester des Priamos. – Im ganzen werden wir uns das Stück, nach den Resten zu urteilen, als eine ungeheuere immer mehr anschwellende Klage vorzustellen haben, den Persern oder den Troerinnen etwa vergleichbar. Zur Rekonstruktion vgl. die editio princeps und v. Wilamowitz Neue Jahrb. XXIX (1912) 449, Pearson I 146ff.
38. Εὐρυσάκης (frg. 204 N.): Da nur ein einziges Wort erhalten ist, können wir nicht sagen, ob das gleichnamige Drama des Accius nach S. gearbeitet war. Die interessanten Fragmente hat Ribbeck Röm. Tr. 419ff. zu einer geistreichen, wenn auch kaum haltbaren Wiederherstellung benutzt; vgl. Pearson I 166.
39–41. Ἡρακλεΐσκος σατυρικός (frg. 208–209 N.). Dieser Titel (vgl. Dionysiskos) kann als zuverlässig überliefert gelten. Ob damit identisch ist
Ἡρακλῆς σατυρικός (frg. 205–206 N.): und dies wieder mit dem nur Ἡρακλῆς (frg. 207) genannten, haben wir kein Mittel zu entscheiden, noch weniger, ob dies gleichzusetzen ist mit
Ἐπὶ Ταινάρῳ σατυρικῷ (frg. 212–213 N. 3 D.) auch als Ἐπιταινάριοι (frg. 210–211) – doch wohl durch Mißverständnis? – zitiert, und ob darin die Hadesfahrt des Herakles hehandelt war. [1060] Ebensogut könnte man dann noch den Kerberos mit diesen drei identifizieren.
42. Ἠριγόνη (frg. 214–215 N.): Wir haben keine Möglichkeit auszumachen, welcher Sagenstoff hier behandelt war. Welcker Gr. Tr. I 215 hält Erigone für die Aigisthostochter und identifiziert das Werk ohne Grund mit dem Aletes. Dann könnte Accius seine Erigone nach S. gearbeitet haben. Mit mehr Wahrscheinlichkeit hat Ribbeck Röm. Tr. 620 in Erigone die attische Ikariostochter vermutet und auf Grund des verschriebenen Erotianzitats (frg. 215) Σοφοκλῆς ἐν Σμηριγόνῃ an ein Satyrspiel gedacht (ἐν σατυρικῇ Ἠριγόνῃ), vgl. E. Maass Anal. Eratosth. 133.
43. Θαμύρας (frg. 216–224 N.): Das Drama wird bald als Θάμυρις bald als Θαμύρας zitiert. Daß letzteres die attische Form ist, bezeugt Cyrill Anekd. Par. IV 183, 14. Die Vita Soph. I (§ 5) überliefert, daß S. selbst die Hauptrolle agiert und dabei die Kithara gespielt habe, weshalb er auch in der Stoa Poikile so dargestellt sei. Da S. später nicht mehr selbst auftrat (vit. § 4), gehört das Werk zu den frühen Dramen. Die Maske des Thamyras hatte ein schwarzes und ein blaues Auge: Poll. IV 141, vgl. Asklep. Trag. FGR hist. I 170, 10: τῶν δὲ ὀφθαλμῶν τὸν μὲν δεξιὸν γλαυκὸν (so auch Schol. B Il. II 595, Ms.: λευκὸν) εἶναι τὸν δὲ ἀριστερὸν μέλανα. Die Bedeutung dieser Angaben ist nicht aufzuklären; Welcker Gr. Tr. I 427 wird schwerlich recht haben, wenn er meint, Thamyras sei zuerst sehend, dann starblind aufgetreten. – Für das Argumentum des Werkes hat Robert Heldens. I 414, 3, Welcker mit Recht folgend, Schol. A Il. II 595 in Anspruch genommen: οὗτος παῖς ἦν Φιλάμμωνος (als sophokleisch bestätigt durch das neue überall fehlende Fragment Schol. Eur. Rhes. im Rh. Mus. LXIII [1908] 420) καὶ Ἀργιόπης νύμφης, τὸ γένος Θρᾷξ (vgl. frg. 216), ὃς ἔσχεν αἰσχρὸν ἔρωτα, πρῶτος ἀρξάμενος ἐρᾶν ἀρρένων. οὗτος κάλλει πολλῶν διενεγκὼν καὶ κιθαρῳδίᾳ, περὶ μουσικῆς ἐρίσας ταῖς Μούσαις συνέθετο, ἂν μὲν κρείττων εὑρεθῇ, πλησιάσαι πάσαις, ἐὰν δὲ ἡττηθῇ στερηθῆναι οὗ ἂν ἐκεῖναι θέλωσιν.καθυπέρτερα. δὲ αἱ Μοῦσαι γενόμεναι τῶν ὀμμάτων αὐτὸν καὶ τῆς κιθαρῳδίας ( = frg. 223. 220) καὶ τοῦ νοῦ (= frg. 224?) ἐστέρησαν. Die Fragmente bestätigen dies ersichtlich zum großen Teile, auch Asklep. Trag. FGR hist. I 170, 10. Apollod. I 16 W gehen wohl auf S. zurück. Weiter hat Robert (Oidip. II 92, 179), von v.Wilamowitz (Hom. Unters. 345, 26) ausgehend, erkannt, daß frg. 221: ἐκ μὲν ἄρα Χθονίου (Mss.: ἐριχθονιου) ποτιμάστιον ἔσχεθε κοῦρον | Αὐτόλυκον, πολέων κτεάνων σίνιν Ἄργεϊ κοιλῷ dem Gesange des Thamyras wider die Musen entnommen ist, und in demselben der Sänger seine Ahnenreihe verherrlicht hat. Den Kommentar liefert eine auf Pherekydes gestellte, aber wesentlich auf S. zuzückgehende Historia FGR hist. I 92, 120 (vgl. S. 421): Φιλωνὶς ἡ Δηϊόνος θυγάτηρ οἰκοῦσα τὸν Παρνασσὸν ἐν αὐτῷ παρελέχθη καὶ Ἀπόλλωνι ⟨καὶ Ἑρμῇ⟩· εἶχε γὰρ τὸ κάλλος ἐράσμιον ἐπὶ τοσοῦτον ὤστεκαὶ τοὺς θεοὺς ζηλοτυποῦντας κατὰ τὸ αὐτὸ θελθσαι μίσγεσθαι. εἶτα ἐκ μὲν τοῦ Ἂπόλλωνος γίνεται Φιλάμμων, ἀνὴρ σοφιστής (vgl. Soph. frg. 820), ὃς καὶ πρῶτος ἐδόκει χοροὺς συστήσασθαι [1061] παρθένων, ἐκ δὲ τοῦ Ἑρμοῦ Αῦτόλυκος, ὃς οἰκῶν τὸν Παρνασσὸν πλεῖστα κλέπτων ἐθησαύριζεν. Diese Geschichte wird nun weiter ergänzt durch Konon 71, so daß wir ungefähr den ganzen Inhalt des Thamyrasgesanges kennen: Φιλάμμων παῖς Φιλωνίδος, ἣ γέγονεν ἐξ Ἑωσφόρου καὶ Κλεοβοίας ἐν Θορκικῷ τῆς Ἀττικῆς· οὗτος ὁ Φιλάμμων ὑπερφυὴς τὸ κάλλος ἐγένετο. μία δὲ τῶν νυμφῶν ἐρᾷ τοῦ νεανίου καὶ ἐγκύμων γίνεται. αiδουμένη δ’ἀπαίρει Πελοποννήσου καὶ εἰς τὴν ἀκτὴν παραγενομένη τίκτει κοῦρον Θάμυριν, ὃς ἡβήσας ἐπὶ τοσοῦτον ἧκε κιθαρῳδίας ὡς καὶ βασιλέα σφῶν, καίπερ ἐπηλύτην ὄντα, Σκύθας ποιήσασθαι. ἐρίσας δὲ καὶ ταῖς Μούσαις ὑπὲρ ᾠδῆς, καὶ ἄθλων τῷ νικήσαντι τεθέντων ἐκείνῳ μὲν τοὺς Μουσῶν γάμους, ἐκείναις δὲ ὃ ἕλοιντο τῶν αὐτοῦ, ἐξεκόπη τοὺς ὀφθαλμοὺς ἡττηθείς. Zur schriftlichen Überlieferung treten drei polygnotischen (vgl. Paus. X 30, 8) Einfluß verratende attische Vasen, die ohne Zweifel mit Recht auf unser Drama gedeutet sind. Mon. Inst. II 23 sitzt Thamyras, durch Beischrift bezeichnet, vor ihm steht eine alte Frau, in der Robert die Mutter Argiope erkennt (Held. I 414), einen Zweig in der erhobenen Hand, als ob sie den Sohn bekränzen wolle. Hinter ihm zwei Musen, die eine mit dem uns sonst nur aus frührömischer Zeit bekannten Namen Choronike (vgl. auch Welcker Gr. Tr. I 423, 15) bezeichnet. Einen etwas späteren Augenblick scheint Mon. Inst. VIII 43, 2 darzustellen. Diesmal trägt er einen Kranz, die Mutter steht hinter ihm mit erhobener Rechten, als ob sie ihn gerade bekränzt habe, in der Linken einen Lorbeerzweig. Vor ihm stehen zwei gleichfalls bekränzte Musen. – Die dritte (Zeichnung: Journ. hell. stud. XXV (1905) Taf. 1, Photographie der ganzen Hydria bei Hauser Jahresh. d. öst arch. Inst. VIII [1905] 37) jetzt in Oxford befindliche Vase zeigt den erblindeten, der die Leier fortgeworfen hat, vor ihm eine klagende Frau, hinter ihm eine Muse. (Über die angebliche Bostoner Hydria vgl. Studniczka Arch. Jahrb. XXXI [1916] 205).
44. Θησεύς (frg. 225 N.): Die zwei Worte des Fragments erlauben weder eine Vermutung noch die Identifikation mit der Phaidra.
45. Θυέστης α’ Σικυώνιος (sichere frg. 226–231 N., ungewiß ob aus Nr. 45 oder 46 frg. 234–247 frg. 4 D.): Robert Heldens. I 298 rekonstruiert mit Wahrscheinlichkeit, wenn auch nicht mit Sicherheit, folgende Fabel auf Grund von Hyg. 87. 88 und der a. a. O. Anm. 2 genannten Literatur: ,Nach der gräßlichen Mahlzeit von seinem Bruder aufs neue vertrieben, fragt Thyestes in Delphi an, wie er sich an Atreus rächen könne. Apollon antwortet, wenn er mit seiner Tochter einen Sohn erzeuge, so werde dieser sein Rächer sein. Er begibt sich nach Sikyon, wo er Pelopia zurückgelassen hat, und deren Liebe zu ihrem Geschlecht ist so groß, daß sie sich ihrem Vater hingibt und ihm den Aigisthos gebiert, der zuerst den Atreus und später den Agamemnon erschlägt‘. Eine Bestätigung seiner Vermutung findet Robert bei Seneca Ag. 294 und Soph. frg. 226. Sollte frg. 227 ἀποπλήκτῳ ποδί auf das Umstoßen des Mahles durch Thyestes gehen?, vgl. Aisch. Ag. 1601: λάκτισμα δείπνου ξυνδίκῳ τιθεὶς ἀρᾷ.
46. Θυέστης β' (sichere frg. 232. 233 N.): [1062] Robert hat Heldens. I 298ff. die außerordentlich komplizierte Fabel der Pelopidae des Accius nach dem Vorgange von Ribbeck Röm. Trag. 457ff. wiederhergestellt und a. a. O. 300 vermutet, sie könne S. als Vorlage gehabt haben. Da der Thyestesstoff außer von S. noch von Euripides, Agathon, Apollodoros, Karkinos, Chairephon, Kleophon, Diogenes von Sinope behandelt war, so tappen wir ganz im Dunkeln, ebenso über die Vorlage des Seneca.
47. Θυέστης γ': Kennen wir nur aus einer Schreibrechnung auf einem Londoner Papyrus; vgl. Bell Aegyptus II (1921) 281. Ob mit ihm etwa der Atreus gemeint ist, können wir nicht mehr ausmachen. Sicher ist nur, daß man im 2. Jhdt. n. Chr. in Oxyrhynchos drei Dramen dieses Namens gezählt hat.
48. Ἰάμβη (frg. 664 N. = frg. 731 Pearson): Von Welcker, ,weil der Gegenstand ganz undramatisch zu sein scheint‘ (Gr. Tr. I 73), verworfen. Hermann hat die Herkunftsangabe des einzigen Fragmentes in Niobe, Nauck in Amykos ändern wollen, Hartung, dem Pearson beitritt, nimmt Verwechselung von Sprecher mit Titel an und weist es dem Triptolemos zu. Das zitierte Wort: φενακίζειν gehört ohne Zweifel in niedere Sphäre. Die Jambe wird ein Satyrspiel gewesen sein, das Thema wohl aus dem Demeterkreis.
49. Ἴβηρες: Nur der Titel bekannt aus IG XII 1, 125, vgl. Kaibel Herm. XXIII (1888) 273. Heraklesfahrten?
50. Ἴναχος (frg. 248–273 N.): v. Wilamowitz Einl. in d. Griech. Trag. 89, 53 hat die Fabel rekonstruiert und wahrscheinlich gemacht, daß das Drama an vierter Stelle statt eines Satyrspieles gegeben sei. Die Hypothesis wäre etwa diese: In Argos herrscht Inachos, Sohn des Okeanos (frg. 248) und Gott des gleichnamigen vom Pindos strömenden Flusses. Seine Tochter, die Herapriesterin Io, wird die Geliebte des Zeus (Apollod. II 5 W.), der dem Lande ein goldenes Zeitalter bereitet. Plutos selbst scheint eingezogen (frg. 256. 253. 251. 261). Hera entdeckt das Geschehene (Apollod. a. a. O.). greift durch Iris ein (frg. 250), das Land dürstet, die Scheuern sind leer (frg. 262. 264. 265). Io wird in eine Kuh verwandelt und erhält den Argos zum Wächter (frg. 257–59). Hermes trat noch auf (frg. 250), tötete wohl den Argos und versöhnte die Hera. Zu frg. 257 vgl. Müncher Rh. Mus. LXIX (1914) 180, 1.
51. Ἰξίων (frg. 274 N.): Nur ein Wort erhalten. Da zweimal unabhängig S. als Autor genannt wird, kann man nicht mehr mit Welcker Gr. Tr. I 402 an Verwechselung mit Aischylos denken. Vom Inhalte wissen wir nichts.
52. Ἰοβάτης (frg. 275–276 N. und vielleicht Rh. Mus. XLVII (1892) 407: Σοφοκλῆς ἰοκ. στη), fehlt bei D.: καὶ νῷν τι σῆμα λαμπρὸν ἐνδεῖξαι βίου = I 215 frg. 297 Pears.). Den einzigen, zweifelhaften Anhalt über die Fabel gibt eine Historia nach Asklep. Trag. FGR hist. I 171, 13 vgl. S. 487. Danach würde das Drama in den Bellerophonkreis gehören; die drei Fragmente geben keinen Hinweis.
53. Ἰοκλῆς (frg. 277–278 N.): Nicht einmal der Titel ist gegen Zweifel gesichert. Poll. X 39 schreibt παρὰ Σοφοκλεῖ ἐν τῷ Ἰοκλεῖ, im Schol. [1063] Aristoph. equ. 498 dagegen steht παρὰ τὸ Σοφόκλειον ἐξ Ἰολέους (so V, vgl. Blaydes Aristoph. equ. S. 294, die Aldina hat Ἰολάου, vgl. Dindorf Poet. Sc. S. 144). Wir kennen nur einen Ἰοκλῆς, den Vater des Amphiaraos: ὁ ἰοκλεῦς ist wenigstens die Lesart von V in der Historia nach Asklep. Trag. Schol. Od. XI 326 = FGR hist. I 174, wo Eustath. ὀικλέος hat. Ebenso steht Diod. IV 68, 5 in den Hss. ἰοκλῆς und ἰοκλέους. In der Tragödie kommt der Name zweimal vor, Aisch. Sept. 609 haben P¹L ἰοκλέους, die anderen οἰκλ., Eur. Hik. 925 ist nur ἰοκλέους überliefert, an beiden Stellen zu halten, wenn man Kontraktion der Endsilben annimmt. Man darf also wohl festhalten, daß der Vater des Amphiaraos bei den Tragikern gegen die sonstige Überlieferung Ἰοκλῆς, der Pfeilberühmte, hieß. Weiter wissen wir von dem Werk des S. nichts.
54. Ἱπποδάμεια (frg. 431 N.): Es liegt, wie schon Ribbeck Röm. Trag. 442 gesehen hat, kein Grund vor, sie mit Welcker Gr. Tr. I 352 mit dem Oinomaos zu identifizieren. Robert Oidip. I 406f. hat wahrscheinlich gemacht, daß der Schluß von Hyg. 85 (vgl. frg. 431): hunc (Chrysippum) Atreus et Thyestes matris Hippodamiae impulsu interfecerunt. Pelops cum Hippodamiam argueret ipsa se interfecit, den Inhalt der sophoklëischen Tragödie angibt; a. a. O. II 140, 22 vermutet er, daß Accius seinen Chrysippus nach der Hippodameia des S. gearbeitet habe. Der Oenomaus des Accius, den Ribbeck Röm. Trag. 431ff. rekonstruiert, hängt dagegen von Euripides ab: Robert Heldens. I 216.
55. Ἱππόνους (frg. 279–283 N.): Daß unter den sieben gleichnamigen Heroen nur Hipponoos von Olenos, der Vater der Periboia und Großvater des Tydeus, in Frage kommt, lehrt frg. 279, daß es sich um die – wirkliche oder angebliche – Verführung der Periboia durch einen Gott oder Helden handelte, scheint aus frg. 280. 283 hervorzugehen. Welcher der verschiedenen mythographischeu Berichte (Diod. IV 35, i. Ps.-Plut. Prov. I 5. Apoll. I 74 W.) auf S. zurückgeht, ist kaum auszumachen. Bei Apollodor werden als Quellen genannt: Thebaïs, Hesiod, εἰσὶ δὲ οἱ λέγοντες, Peisandros. Ps.-Plut. geht auf Antimachos zurück: vgl. Schol. ABT Il. IV 400. Danach könnte in Diodor und in den εἰσὶ δὲ οἱ λ. des Apollodor S. stecken. Sie lassen sich ungefähr in Einklang bringen. Daß S. den Chor in diesem Drama hat Dinge sagen lassen, die über den Charakter des Chores hinausgingen und an die Parabase gemahnten, sagt Pollux IV 111. Vgl. Welcker Gr. Tr. I 428, Robert Heldens. II 926.
56. Ἱφιγένεια (frg. 284–291 N): Es ist nur bekannt, daß Odysseus darin zu Klytaimnestra redete (frg. 284), es sich also um eine aulische Iphigenie handelte. Es ist verführerisch in Hyg. 98 die Hypothesis zu sehen. Vgl. Robert Heldens. II 1101, Welcker Gr. Tr. I 107. [–] Ob in frg. 292 ἐν Ἰφικλείᾳ mit Boeckh ein oder gar zwei verschollene Dramen Ἰφικλῆς zu suchen sind, oder ob Ἰοκλῆς, Ἰφιγένεια drinsteckt, ist nicht auszumachen. Vgl. Welcker Gr. Tr. I 430.
57. Ἱχνευταὶ σάτυροι: Editio princeps Oxyr. Pap. IX (1912) 1174 aus einem Papyrus des 2. Jhdt. n. Chr. von Hunt, seither Fragmenta tragica papyracea ed. Hunt S. 1, Suppl. Soph. [1064] ed. Diehl S. 3. Terzaghi Sofocle i cercatori di traccie, Firenze 1913, Pearson I 218, freie Übersetzung von Robert, die Spürhunde d. S., Berlin 1912. Außer bei Hunt, Terzaghi, Pearson ausführliche Kommentare bei v. Wilamowitz N. Jahrb. XXIX (1912) 453, Robert Herm. XLVII (1912) 536ff. Münscher Rh. Mus. LXIX (1914) 170ff. Bethe S.-Ber. Akad. Lpz. 1919. Einzelheiten besprechen P. Maas DLZ 1912, 2784; Berl. Phil. Woch. 1912, 1075f.; 1913 226 Rossbach a. a. O. 1912, 1460f. Schenkel Herm. XLVIII (1913) 153f., Stahl Rh. Mus. LXVIII (1913) 307ff. LXX (1915) 145. Neueste Literatur s. Bell Journ. Aeg. Arch. VIII 1, 85. Daß S. den uns erhaltenen homerischen Hermeshymnus als Quelle benutzt hat, ist erwiesen. Die Freiheit, die sich Euripides im Kyklops gegenüber der Odyssee nimmt, bewahrt sich auch S. gegenüber seinem Vorbilde. Abgesehen von der notwendigen Einführung der Satyrn ist das Auftreten der Kyllene in dem uns erhaltenen Teile die wichtigste Änderung. Setzen wir mit P. Maas frg. 847 ὅρκος γὰρ οὐδεὶς ἀνδρὶ φιλητῇ βαρύς in den verlorenen Schlußteil, so würde auch dieser sich eng an den Hymnus gehalten haben (Hymn. v. 383). Die Szene war im Gebirge Kyllene, die Bühne zeigte einen χλοερὸν ὑλώδη πάγον ἔνθηρον (v. 215), darunter war die Höhle, aus der Kyllene und Hermes durch die Charonstreppe heraufkamen. Schauspieler waren wohl nur zwei, da von den vier Personen Apollon, Silen, Kyllene, Hermes immer nur zwei gleichzeitig auf der Bühne gewesen zu sein scheinen. Die Schlichtheit der Mittel zusammen mit der Einfachheit des metrischen Baues der Lieder – dazu rechne ich auch die für uns singulären iambischen Tetrameter v. 291ff. – würde eine Tragödie in die Frühzeit des S. rücken. Wir wissen nicht, ob wir für das Satyrspiel die gleichen Kriterien anwenden dürfen. – Trotz der genannten eingehenden Behandlungen sind die möglichen Folgerungen noch nicht annähernd gezogen, auch die Arbeit am Texte kann noch nicht für abgeschlossen gelten. ,Ehe der Fund in seiner ganzen Bedeutung erschöpft und verwertet ist, werden noch Jahre vergehen‘, Robert a. a. O.
58. Ἴων (sichere frg. 296–297 N.): Von Welcker Gr. Tr. I 391 mit der Kreusa identifiziert. Wir haben kein Mittel dies zu entscheiden, da die Fragmente nichts ausgeben.
59. Καμικοί (frg. 300–304 N.): Daß Zenobius IV 92 in seiner aus Apollodors Bibl. geschöpften (vgl. C. Robert de Apollodori Bibl. 49) Erzählung die Hypothesis unseres Stückes erhalten hat, beweist die Koinzidenz mit frg. 301. 302 (vgl. Robert s. o. Bd. IV 2001, Wagner Apollod. Epit. 132): Minos verfolgt überall den entflohenen Daidalos. Er verspricht demjenigen hohen Lohn, der einen Faden durch eine gewundene Muschel ziehen kann; so kommt er zu dem König Kokalos von Kamikos nach Sizilien, bei dem Daidalos sich verborgen hielt. Kokalos läßt Daidalos die Aufgabe lösen: dieser bindet den Faden einer Ameise an, die ihn durch die Windungen zieht. An der Lösung der Aufgabe erkennt Minos, daß der Gesuchte da sein müsse und fordert seine Auslieferung. Kokalos verspricht sie und nimmt Minos bei sich auf, aber seine Töchter töten den Gast durch siedendes Pech (vgl. Hyg. 44). Von Einzelheiten [1065] erfahren wir noch, daß der von Daidalos in Athen erschlagene Neffe hier Perdix (frg. 300) heißt und Daidalos irgendwann, wie Welcker Gr. Tr. I 434 erkannte, von seinen Flügeln gesprochen hat (fr. 304). – Die Aufgabe, einen Faden durch eine gewundene Muschel zu ziehen, und ihre Lösung sucht Zachariae Herm. L (1915) 475ff. auf orientalische Vorbilder wenig überzeugend zurückzuführen. Zur sprachlichen Form des Titels vgl. v. Wilamowitz Pindaros 296.
60. Κέρβερος (frg. 5 D.): Daß die Szene in der Unterwelt war, macht außer dem Titel das Lemma des einzigen Bruchstückes Schol. Apophth. Rh. Mus. LXΙΙ (1907) 570 wahrscheinlich: ἐν Κερβέρῳ δὲ Σοφοκλῆς ἄλλως τῇ λέξει (sc. ψυχαγωγεῖν) ἐχρήσατο. γησὶ γὰρ ‚ἀλλ’ οἱ θανόντες ψυχαγωγοῦνται μόνοι‘ ἐπὶ γὰρ τῶν διαπορθμευομένων ὑπὸ τοῦ Χάρωνος ψυχῶν λέγεται. Man wird kaum an etwas anderes denken als an ein Satyrdrama.
61. Κηδαλίων σατυρικός (frg. 305–310 N.): Von Kedalion kennen wir zwei Sagen, die eine aus der Tradition des mythologischen Handbuches nach Hesiod in Ps.-Eratosth. Katast. 32 und seinen Parallelen (vgl. Robert Erat. 32f.) oder ähnlich nach Pherekydes (Apollod. I 25 W), der offenbar aus Hesiod schöpfte. Der von dem Dionysossohne Oinopion wegen Vergewaltigung seiner Tochter Merope (mit Hilfe der Satyrn: Serv. Verg. Aen. X 763) geblendete Orion kommt zu Hephaistos nach Lemnos, dieser gibt ihm aus Mitleid seinen Diener Kedalion als Führer. Orion nimmt ihn auf die Schultern, wird von ihm zum Sonnenaufgange gelenkt und so geheilt. Die andere steht Schol. T Il. XIV 296 (und Eustath. 987, 8): ὅτε δὲ ἐταρταρώθη Κρόνος, Ἥρα ὡς παρθένος ὑπονοουμένη ἐξεδόθη Διὶ ὑπὸ Τηθύος καὶ Ὀκεανοῦ. τεκοῦσαν γοῦν Ἥφαιστον προςποιεῖσθαι δίχα μίξεως κυεῖν. καὶ Κηδαλίωνι τῷ Ναξίῳ παραδοῦναι χαλκευτικὴν διδάξαι. Da die erstere Sage mehr auf Orion gemünzt ist, sie auch eine lange Vor- und Nachgeschichte hat, dazu auf bestimmte Verfasser gestellt ist, werden wir trotz der Erwähnung der Satyrn bei Servius eher die zweite für S. in Anspruch nehmen. Die Fragmente erlauben keinen bestimmten Schluß.
62. Κλυταιμνήστρα (frg. 311 N.): Von Welcker Gr. Tr. I 108 mit der Iphigenie zusammengeworfen. Wir wissen nichts, zumal das zweizeilige Fragment noch nicht sicher geheilt ist.
63. Κολχίδες (frg. 312–323 N., dazu neues Fragment Rh. Mus. XLVII [1892] 406 = frg. 349 Pears., fehlt bei D.): Der Titel zeigt – die dreimal vorkommende Form Κόλχοι ist sicher verschrieben – daß der Chor aus Kolcherinnen bestand und die Argonautensage behandelt war. Die Rekonstruktion hat in der Hauptsache Welcker geleistet, Gr. Tr. I 333ff. Die Fragmente lassen keinen Zweifel, daß Apollod. I 127ff. W. im wesentlichen die Hypothesis gibt. Medea belehrt nicht nur in einer Stichomythie (Schol. Apoll. Rhod. III 1040) den Jason über die Art des bevorstehenden Kampfes, sondern gibt ihm auch die schützende Salbe, die aus einem Kraut bereitet ist, das dem Blute des Prometheus entsprang (Apoll. Rhod. III 851). Bei dieser Gelegenheit ist das Geschick des Titanen ἐν παρεκβάσει (fr. 316) erzählt worden. Medea läßt sich dafür von Jason Dank – also wohl die Ehe – schwören [1066] (frg. 315). Hierher mag frg. 320 über die Liebe des Zeus zu Ganymedes gehören. Die ehernen Stiere werden frg. 312 beschrieben, frg. 317 berichtet ein Bote dem Aietes von dem Aufsprossen der Riesen aus der Drachensaat. Den Apsyrtos töten sie wie bei Euripides Med. 1334 noch vor der Abfahrt im Hause des Aietes (frg. 319). Daß in Apollonios Rhodios noch manches auf S. zurückgehen mag, hat Welcker a. a. O. 335 mit Hinweis auf Schol. zu III 1372 IV 223 vermutet, s. v. Wilamowitz Hellen. Dicht. II 206. 230.
64. Κρέουσα (frg. 324–332 N. 6 D.): Welcker Gr. Tr. I 391ff. hat angenommen, der Gang der Handlung sei dem des euripideischen Ion ähnlich gewesen. Das ist möglich, aber es ist nicht einmal zu erweisen, ob nicht eine andere der vielen gleichnamigen Heroinnen die Heldin war. Fest steht nur, daß der Chor aus Frauen bestand (frg. 327), daß frg. 328 jemand mit ἄναξ angeredet wird, also ein Gott oder ein Fürst, vor dem sich der Sprecher wegen seiner Begier nach κέρδος verteidigt, daß frg. 330 an einen Sohn gerichtet ist, der irgend etwas nicht hören soll, und ein Greis auftrat (frg. 6 D), den irgend etwas ängstigt Das alles ist mit der Welckerschen These zwar vereinbar, aber es beweist sie nicht.
65. Κρίσις σατυρική (frg. 338–334 N.): Wenn, wie ich glaube, frg. 334 ἐν Κρησί richtig nach 333 emendiert ist, so war vermutlich das Parisurteil dargestellt, vgl. Pearson II 30 zu frg. 361 Kallimachos Hymn. 5 hat es benutzt: v. Wilamowitz Hellen. Dichtung II 16f.
66. ωφοὶ σάτυροι (frg. 335–337 N.): Das Argumentum haben Schol. Nikand. Ther. 343 und Ael. nat. anim. VI 51 bewahrt. Prometheus hat das Feuer gestohlen, Zeus, darüber erzürnt, verspricht dem Anzeigenden ein Mittel gegen das Alter. Die undankbaren Menschen tun es und laden das Mittel auf einen Esel. Der Esel, durstig von Marsch und Hitze, kommt zu einer von einer Schlange bewachten Quelle und verkauft derselben gegen einen Trunk das Heilmittel. Die Schlange erhält ewigen Durst und ewige Jugend. – Es ist leicht einzusehen, wie die um ihren Lohn geprellten Menschen als κωφοί (vgl. Aias 911: ἐγὼ δ’ ὁ πάντα κωφός, ὁ πάντ’ ἄιδρις κατημέλησα) bezeichnet werden konnten, weniger, wie hier eine weitere erhaltene Notiz (frg. 337) Platz fand, daß Kelmis, einer der fünf idäischen Daktylen, sich gegen die Mutter Rhea frevelhaft benommen und dafür von seinen Brüdern in Banden gelegt sei. Auch hätten die Daktylen die Bearbeitung des Eisens erfunden. Hing dieses letztere mit dem Feuerdiebstahl zusammen?
67. Λάκαιναι (frg. 338–340 N.): Durch Aristoteles poet. 1459 b 6 steht fest, daß der Stoff des Werkes der kleinen Ilias entnommen war und der Ἰλίου πέρσις dem Ablauf der Ereignisse nach vorauflag. Frg. 338: στενἢν δ’ ἔδυμεν ψαλίδα κοὐκ ἀβόρβορον zusammengehalten mit Proklos: καὶ μετὰ ταῦτα σὺν Διομήδει τὸ Παλλάδιον ἐκκομιζει ἐκ τῆς Ἰλίου, Schol. Aristoph. vesp. 351: ὅτι ⟨ἐπὶ τὸ Παλλάδιον⟩ δι’ ὑδρορρόας εἰσῆλθον οἱ περὶ τὸν Ὁδυσσέα und Serv. Aen. II 166: tunc Diomedes et Ulixes, ut alii dicunt, cuniculis, ut alii, cloacis ascenderunt arcem, et occisis custodibus sustulere simulacrum zeigt, daß der Palladionraub dargestellt war, also der Chor aus [1067] den Begleiterinnen der Helena bestand. Von den Monumenten lernen wir, daß Helena ins Vertrauen gezogen war, und daß Kassandra, die von Priamos eingesperrt war, damit sie das Volk nicht beunruhige, sich losreißt und den Untergang Troias verkündet, vgl. Robert Heldens. II 1233 und 998. Welcker Gr. Tr. 145ff.
68. Λαοκόων (frg. 341–347 N. 7 D.): Der Inhalt des Stückes war etwa folgender: Laokoon, der Sohn des Antenor (Schol. Lyk. 347), hatte sich vor dem Bilde des thymbräischen Apollon vergangen cum Antiopa sua uxore coeundo (Schol. Verg. Aen. II 201). Der Gott schickt von den kalydnischen Inseln die Schlangen Porkes und Chariboia (vgl. Pearson II 40), die in eben dem Heiligtume die beiden Söhne des Laokoon – Antiphates und Thymbraios Hyg. 135 –, aber nicht den Vater erwürgen. Durch diesen Vorgang gewarnt, durch den Befehl des Vaters Anchises, der sich der Weissagung der Aphrodite erinnert, angetrieben, verläßt Aineias mit den Seinen die Stadt und zieht auf den Ida, des bevorstehenden Unterganges der Stadt gewiß (Dionys. v. Hali. Arch. I 48). Aus dem Botenbericht, der dies erzählte, stammt frg. 344. – S. hat seine Tragödie einmal auf die Iliu Persis gegründet (s. Proklos) und vielleicht Züge aus Bakchylides übernommen (frg. 9 Bl.). Vgl. die vorzügliche Analyse der Überlieferung von Robert Bild und Lied 192ff., der obige Angaben folgen; die Welckersche Annahme (Gr. Tr. I 151ff.), Hyg. fab. 135 sei die Hypothesis, ist nicht mehr haltbar.
69. Λαρισσαῖοι (frg. 348–352 N. Neues Fragment 379 Pearson fehlt bei D. aus Schol. Gen. II. XXI 319, vgl. v. Wilamowitz Aischyl. Interpret. 16, 3). Das neue Fragment: Λάρισα μήτης προσγόνων πελασγίδων zusammen mit Ath. XI 466 C (frg. 348) läßt keinen Zweifel, daß der Mythos von Perseus und Akrisios behandelt war und das Stück im pelasgischen Larissa spielte, wohin Akrisios geflüchtet war wie bei Pherekydes FGR hist. I 62, 12, Apollod. II 47 ff. (der nicht wie Robert Heldens. I 235, 4 meint aus Pherekydes schöpft: vgl. Jacoby FGR hist. I 391), Paus. II 16, 1. Aber keine dieser Versionen gibt S. wieder, weil bei diesem Akrisios selbst den Agon veranstaltet hat (frg. 348). Daß derselbe auch stattfand, zeigt frg. 349. Die Einzelheiten entziehen sich uns ebenso wie beim Akrisios, s. o. Nr. 9.
70. 71. Λήμνιαι α' β' (frg. 353–357 N.): Es hat zwei Dramen dieses Namens gegeben (Steph. Byz. s. Δώτιον). Das eine für uns ganz verschollene mag den Männermord behandelt haben, Nachrichten von Bedeutung besitzen wir nur von dem früheren der beiden Dramen (frg. 354). Aus Schol. Apoll. Rhod. I 769 erfahren wir, daß die Landung der Argonauten auf Lemnos nach einem Kampfe mit den verbrecherischen Weibern (vgl. Stat. Theb. V 376ff.) die Grundlage des Dramas war. Schol. Pind. Pyth. IV 303 b fügt hinzu, es habe einen Katalogos der Argonauten darin gegeben; aus ihm stammt frg. 354. Die übrigen Fragmente geben nichts aus. Wie weit Apollonios Rh. Sophokleisches bewahrt hat, wissen wir nicht. Die auf Asklepiades ἐν τοῖς τραγῳδουμένοις gestellte Historia FGR hist. I 171, 14 gibt den Umriß der Lage zu allgemein, um Schlüsse auf [1068] S. zu erlauben, da Aischylos die Sage ganz ähnlich behandelt hat. Vgl. außer Welcker Gr. Tr. I 325ff. die Analyse der mythographischen Überlieferung bei Robert Heldens. II 850ff.
72. Μάντεις (frg. 358–365 N.). Dieses Drama ist mit einer aller Kritik spottenden Leichtfertigkeit seit Brunck mit dem Πολύιδος identifiziert worden. Dabei heißt es in den verschiedenen Lexicis, die über die Schreibung dieses Eigennamens orientieren: Πολύιδος· οὕτω καὶ τὸ δρᾶμα ἐπιγράφεται παρὰ Ἀριστοφάνει· μαρτυρεῖ δὲ καὶ Φιλόξενος. καὶ Σοφοκλῆς δ’ ἐν Μάντεσι συνέστειλεν· ὁρῶ πρόχειρον Πολυίδου τοῦ μάντεως, καὶ πάλιν’ οὐκ ἔστιν εἰ μὴ Πολυίδῳ τῷ Κοιράνου. Daraus geht klar hervor, 1. daß die aristophanische Komödie Polyidos zum Titel hatte, 2. daß das Stück des S. eben diesen Titel oder Nebentitel nicht hatte, weil sonst nicht besondere Verse daraus zitiert zu werden brauchten. Im übrigen gab es andere Sagen von diesem Polyidos wie von gleichnamigen Gestalten genug, um eine weitere Tragödie zu füllen. Da Aischylos in den Κρῆσσαι, und Euripides im Πολύϊδος dieselbe Fabel behandelt haben, können wir die sophokleische Version nicht wiederherstellen. Die Mythographen (Hyg. 136. 251. Apollod. III 17–20 W.) gehen, wie Robert Heldens. I 198ff. mit Recht bemerkt, in erster Linie auf Euripides zurück. Doch waren die Hauptzüge allen drei gemeinsam: Glaukos, der Sohn des Minos, ist plötzlich verschwunden. Minos erhält von einem Orakel den Bescheid, wer den besten Vergleich mit einem in seiner Herde befindlichen, dreimal am Tage die Farbe wechselnden Kalbe – weiß, rot, schwarz – fände, werde das Kind lebend zurückbringen. Die Seher – sie bildeten bei S. den Chor, frg. 361 ist der Teiresiassohn Phamenos genannt – wissen keinen Rat. Polyidos, der Sohn des Koiranos (frg. 359), kommt und vergleicht das Kalb einer Maulbeere in ihrem allmählichen Reifen. Mit Hilfe einer besonderen Opferschau (frg. 362?) und wohl auch, wie bei Euripides, der Vogelschau (frg. 364?) findet er den in einem Honigfasse ertrunkenen Knaben. Ihn lebendig machen kann er zunächst nicht (frg. 360). Mit der Leiche eingesperrt erschlägt er eine herankriechende Schlange, die von einer zweiten mit einem Wunderkraute wieder lebendig gemacht wird, durch das Polyidos nun auch den Glaukos von den Toten erweckt. Auf Verlangen des Minos gibt er dem Knaben noch die Sehergabe, nimmt sie ihm aber bei seinem Weggange wieder. Vgl. Robert Heldens. I 198ff. Welcker Gr. Tr. II 767ff.
73. Μελέαγρος (frg. 369–373 N. 8 D.): Wir wissen von diesem Drama, daß der Chor aus Priestern bestand. Da dieses vom Schol. A zu Il. IX 575 ausdrücklich als Entlehnung aus Homer bezeichnet wird, so dürfen wir wohl annehmen, daß die Belagerung von Kalydon durch die Kureten und die vergeblichen Bittgänge der Priester zum grollenden Meleager dargestellt waren. Frg. 369 ist ein Stück aus der Beschreibung der Eberjagd erhalten. Über den Schluß des Dramas gibt Auskunft Plin. n. h. XXXVII 40: (Sophocles) ultra Indiam fieri dixit (sc. electrum) e lacrimis meleagridum avium Meleagrum deflentium. Aus der Übereinstimmung dieser Notiz mit dem sonst ziemlich genau Homer folgenden Berichte bei [1069] Apollod. I 72. 73 W. schließt Pearson II 65 wohl mit Recht, daß in dem Handbuche die Hypothesis des Dramas erhalten sei. Im übrigen vgl. Robert Heldens. I 97ff., v. Wilamowitz Heldens. II BSB 1925 216, 4.
74. Μέμνων: Nur der Titel erhalten im Arg. Soph. Ai. in. Für die Identifikation mit den Αἰθίοπες haben wir keinen Anhalt.
75. Μίνως (frg. 374 N.): Für die Gleichsetzung mit Daidalos oder Kamikoi bietet das einzige Fragment keine Handhabe.
76. Μοῦσαι (frg. 380 N., erwähnt im Bücherkatalog IG II 2, 992 col. 125). Wir wissen nichts.
77. Μυσοί (frg. 375–379. 381–385, erwähnt im Katalog IG II 2, 992 col. I 24). Welcker Gr. Tr. I 414ff. hat in Hyg. fab. 100 die Hypothesis des Dramas vermutet. Teutkrantem regem in Mysia Idas, Apharei filius, regno privare voluit. Quo cum Telephus, Herculis filius, ex responso quaerens matrem, cum comite Parthenopaeo venisset, huic Teuthras regnum et filiam Augen in coniugium daturum promisit, si se ab hoste tutatus esset. Telephus condicionem regis non praetermisit: cum Parthenopaeo Idam uno proelio superavit. Cui rex pollicitam fidem praestitit, regnumque et Augen matrem inscientem in coniugium dedit. Quae cum mortalem neminem vellet suum corpus violare, Telephum interficere voluit, inscia filium suum. Itaque cum in thalamum venissent, Auge ensem sumpsit, ut Telephum interficeret. Tum deorum voluntate dicitur draco immani magnitudine inter eos exisse quo viso Auge ensem proiecit et Telepho inceptum patefecit. Telephus re audita inscius matrem interficere voluit; illa Herculem violatorem suum imploravit, et ex eo Telephus matrem agnovit et in patriam suam reduxit. – Daß S. diesen Mythos behandelt hat, lehren die erhaltenen Fragmente nicht unmittelbar, frg. 377 wird Mysien erwähnt, frg. 378. 379 scheinen von Musik und Gewändern für das Hochzeitsfest zu handeln. Erst die Entdeckung und Deutung des Telephosfrieses in Pergamon hat es fast zur Gewißheit erhoben, so daß Ribbecks Zweifel (Röm. Tr. 311) als überholt gelten kann. Sicher ist 1. daß auf dem Friese die ausgeschriebene Version des Hygin dargestellt war (s. vor allem Winnefeld Taf. XXXI 7 vgl. Text III 2, 178, dazu Robert Arch. Jahrb. II 245ff., III 45ff.), 2. daß Euripides, soviel wir wissen, diese Fabel nicht behandelt; hat, wir also 3., da einer der poetae minores als Quelle nicht in Frage kommt, die Wahl zwischen den Mysoi des S. und denen des Aischylos haben. Robert a. a. O. hat mit Recht gesagt, daß kein Kundiger diese komplizierte Handlung für Aischylos in Anspruch nehmen werde, mithin nur S. als Autor übrigbleibe. Vgl. noch Robert Heldens. II 1146.
78. Μῶμος σατυρικός (frg. 386–391 N.): Es sind nur einzelne Worte erhalten. War der Stoff aus den Kyprien entlehnt? Vgl. Eris und Krisis.
79. Ναύπλιος καταπλέων (frg. 392–395 N.): Nach der hinterlistigen Verurteilung des Palamedes durch die Griechen fährt sein Vater Nauplios nach Troia, um von den Fürsten Rechenschaft zu fordern, muß aber unverrichteter Sache abziehen. Dies der vermutliche Inhalt des Dramas. Vgl. Schol. Eur. Or. 432 (dazu frg. 399). Apollod. [1070] ep. 6, 8. Tzetz. Lyk. 386. Doch bestehen noch mehrere andere Möglichkeiten, vgl. Pearson II 81ff. Welcker Gr. Tr. I 184ff. will es identifizieren mit
80. Ναύπλιος πυρκαεύς (frg. 396–398 und vermutlich 399. 400. 402. 404 N.): Daß dargestellt war, wie Nauplios die heimkehrenden Griechen auf die kaphereischen Felsen durch falsche Feuersignale lockt, sagt schon der Titel, Hyg. 116 mag die Hypothesis enthalten. Zur Identifikation mit nr. 79 verlockt frg. 396, zu dem natürlich frg. 399 gehört, wo nur ἐν Ναυπλίῳ überliefert ist, auf das deutlich Schol. Eur. Or. 432 angespielt wird. Möglicherweise sind aber in dem Scholion die Argumenta beider Dramen contaminiert. Frg. 401. 403. 405. sind nicht zuteilbar. – Zugrunde lagen wohl die Νόστοι (s. Proklos).
81. Ναυσικάα ἢ Πλύντριαι (frg. 406–408 N. 9 D.). Daß wir hier wirklich einmal einen Doppeltitel vor uns haben, lehrt der Vergleich von Athen. I 20f.: ἄκρως δὲ ἐσφαίρισεν (sc. ὁ Σ.) ὅτε τὴν Ναυσικάαν καθῆκε mit Eustath. Od. 1553f. ἐπεμελήθησαν … σφαιριστικῆς … Σοφοκλῆς ὁ τραγικός, ὃς καὶ ὅτε, φασί, τὰς πλυντρίας ἐδίδασκε τὸ τῆς Ναυσικάας πρόσωπον σφαίρᾳ παιζούσης ὑποκρινόμενος ἰσχυρῶς ἐδοκίμησεν. Der Handlung lag die bekannte Odysseestelle zugrunde, wie der Titel zeigt und frg. 406, wo Gewänder, frg. 408 wo ein Wagen erwähnt wird. Daß Odysseus seine Abenteuer erzählte, hat Reitzenstein, der Anfang des Lex. d. Phot. p. XIII mit Recht aus frg. 9 D. geschlossen. Das Drama war ein frühes Werk des Dichters: v. Wilamowitz Aesch. Interpr. 246, 1. – Goethes Nausikaaplan ist unmittelbar durch Homer und die südliche Landschaft inspiriert.
82.Νιόβη (frg. 409–413 N.): Daß S. den Untergang der 7 Söhne und 7 Töchter der Niobe in Theben geschehen, die Mutter aber nach Phrygien zurückgehen ließ, berichtet Schol. T Il. XXIV 602, daß auf eine uns nicht mehr recht erkennbare Weise die Knabenliebe hineingespielt hat, erfahren wir von Plut. amat. 17 (frg. 410) und Ath. XIII 601 a. Die Plutarchstelle beweist nicht, wie Emmann bei Roscher V 375 meint, daß die Tötung der Kinder auf der Bühne geschah – was wider den Stil der Tragödie ist –, da sie ebensogut auf einen Botenbericht gehen kann. Hermann bezieht den Tadel des Aristoteles poet. 1456 a 17 wegen zu großer Stoffülle einer Niobe im Gegensatze zu der des Aischylos auf unser Werk. Über die nicht sehr ergiebigen Papyrusreste im Britischen Museum (frg. 442–445 Pearson) vgl. Blass Rh. Mus. LV 96ff., zur Rekonstruktion Robert Hall. Winckelm.-Prog. 1903. Pearson II 94ff.
83. Νίπτρα ἢ Ὀδυσσεὺς ἀκαντοπλήξ (frg. 415–423 N.): Cicero Tusc. II 21, 49 sagt, Pacuvius habe in seinen Niptra die Klagen des verwundeten Odysseus besser als sein Vorbild S. gestaltet. Daraus ergibt sich, daß Niptra und Ὀδυσσεὺς ἀκανθοπλήξ dasselbe Werk sind; Aristoteles poet. 1453 b 34 nennt es τραυματίας Ὀδυσσεύς. Der Inhalt stellt sich, wenn man die Pacuviusbruchstücke mithereinzieht, etwa folgendermaßen dar: Odysseus hat in Dodona ein Orakel erhalten (frg. 417. 418), das ihn vor einem Sohne [1071] warnt. Er kehrt deshalb – von seinen letzten Wanderungen und ihrem Ziele sprechen frg. 415. 416, von früheren Pacuv. frg. V–VII – unkenntlich heim, wird aber, wie in der Odyssee, bei der Fußwaschung erkannt, von der das Stück seinen Namen trägt. Gleichzeitig ist Odysseus’ und Kirkes Sohn Telegonos nach Ithaka gekommen und hat dort geplündert. Es kommt zu einem nächtlichen Kampfe zwischen Vater und Sohn, Odysseus wird von dem Rochenstachelspeer des unerkannten Telegonos tödlich getroffen, das Orakel scheint nicht erfüllt (frg. 422. 423). Die Erkennung lehrt das Gegenteil. Versöhnung und Tod bildeten den Schluß. Vielleicht war die Heirat von Kirke mit Telemachos, Penelope mit Telegonos noch angedeutet. Daß der verwundete Odysseus – wie Philoktet – laut klagend dargestellt war, berichtet Cic. a. a. O. Vorbild war wohl die Telegonie des ,Eugammon‘. Vgl. für die Rekonstruktion Ribbeck Röm. Trag. 270ff., wo alles Material zusammengestellt ist, auch Welcker Gr. Tr. I 240ff., vorsichtiger v. Wilamowitz Hom. Unters. 194ff. T. v. Wilamowitz Dram. Techn. d. Sophokles 104.
84. Ξοανηφόροι: frg. 414 N. lautet: εἴρηται δὲ καὶ ἐν Ξοανηφόροις Σοφοκλέους ὡς οἱ θεοὶ ἀπὸ τῆς Ἰλίου φέρουςιν ἐπὶ τῶν ὤμων τὰ ἑαυτῶν ξόανα εἰδότες ὄτι ἁλίσκεται. Weiter ist nichts bekannt.
Ὀδυσσεὺς ἀκανθοπλήξ s. nr. 83.
85. Ὀδυσσεὺς μαινόμενος (frg. 424–429 N.): Aus dem Titel sehen wir, daß die bei Proklos in den Kyprien stehende bekannte Geschichte von dem verstellten Wahnsinn des Odysseus und seiner Überführung durch Palamedes behandelt gewesen sein wird (vgl. Hyg. 95). Die Fragmente ergeben nichts.
Οἰκλῆς s. nr. 53.
Οἰνεύς: Dieser Titel verdankt seinen Ursprung zwei Konjekturen von Dindorf zu Hesych. s. ἄλυτον und χερσεύει sowie einer doppelten Ergänzung bei Philod. de piet. p. 22 [Σοφοκλῆς] … ἐν Οἰ[νεῖ]. Oxyr. Pap. VIII 1083 ist der Rest eines Satyrspieles zum Vorschein gekommen, in dem wahrscheinlich ein Oineus Person ist, und das allenfalls von S. sein könnte. Doch trat dort auch ein Phoinix auf; der Titel Phoinix kommt bei S. ebenfalls vor. Die Reste sind wieder abgedruckt bei Hunt Fragm. trag. pap.
86. Οἰνόμαος (frg. 430. 432–436 N.): Da Robert Sarkoph. III 3. 386ff., vgl. Heldens. I 215, die Handlung mit Analyse der ganzen bildlichen und schriftlichen Überlieferung besprochen hat, so genügt hier eine kurze Inhaltsangabe: Oinomaos liebt seine Tochter inzesthaft und tötet alle Freier, nachdem er sie im Wagenrennen überwunden hat. Mit den Schädeln der Getöteten schmückt er den Tempel des Ares (frg. 432). Als Pelops kommt, erfaßt Hippodameia, die den Vater verabscheut, Liebe zu dem Ankömmling (frg. 433). Sie verspricht Myrtilos, dem Wagenlenker des Vaters, ihre Gunst, wenn er den König verrate (frg. 434. Schol. Apoll. Rhod. I 752. Schol. A Hom. Il. II 104. Apollod. ep. 2, 6). Dieser ersetzt die eisernen Nabenpflöcke durch Wachs, der König kommt bei der Fahrt zu Fall und wird von Pelops getötet. Myrtilos, der gewaltsam sich die Erfüllung ihres Versprechens [1072] von Hippodameia erzwingen will, wird von Pelops und ihr am Altare getötet (vgl. noch Diod. IV 73, 3. Ps.-Lukian. Charid. 19. Nikol. Damasc. frg. 17 FHG III 367. Hyg. fab. 253). Terminus ante quem für die Aufführung ist 414: Aristoph. av. 1337.
87. Παλαμήδης (frg. 437–440 N.): Da alle drei Tragiker die Fabel behandelt haben, läßt sich nur allgemein sagen, daß ihr Gang ungefähr der bei Hyg. 105 erzählten ähnlich gewesen sein wird. Aus der Verteidigungsrede des Helden ist frg. 438, wo er – doch wohl von sich selbst in dritter Person sprechend – seine Verdienste um das Heer aufzählt, vgl. Welcker Gr. Tr. I 129ff.
88. Πανδώρα ἢ σφυροκόποι, (frg. 441–445, vielleicht 760 N.): Der Doppeltitel ist gesichert durch Hesych (frg. 445). Nach frg. 444 zu urteilen war es ein Satyrspiel. Daß die Schöpfung des Menschen durch Prometheus unter Mithilfe der Pandora dargestellt war, hat Robert Herm. IL (1914) 35ff. auf Grund eines Vasenbildes gezeigt und danach frg. 441 καὶ πρῶτον ἄρχου πηλὸν ὀργάζειν χεροῖν gedeutet. Anders Pearson II 135ff.
89. Πελίας: frg. 446 N., noch dazu erst durch doppelte Emendation lesbar gemacht, ist der einzige Rest. Die Behauptung von Weizsäcker bei Roscher VI 1857, Pelias sei in keinem Drama Hauptperson gewesen, widerlegt unser Titel. Die Zuteilung des einzigen Fragmentes an die Tyro ist wider alle Methode, da die Etymologie des mütterlichen Namens natürlich auch im Pelias vorkommen konnte. Vgl. Robert Herm. LI (1916) 302; Heldens. I 40, 2.
90. Πηλεύς (frg. 447–455 N., frg. 451 schwanken die Hss. zwischen Euripides und S. Daß letzteres das richtige ist, weist nach v. Wilamowitz Ind. Lect., Gött. 1893, 27): Das Drama ist älter als die Ritter des Aristophanes, die 1099 einen Vers parodieren. Es muß damals berühmt gewesen sein, da Aristophanes immer wieder darauf zurückkommt (nub. 1154; Thesm. 870; av. 851. 857) und auch Phrynichos in den Satyroi (S. 382, 46 K.) es zitiert hat. Die Identifikation mit den Φθιώτιδες (Welcker Gr. Tr. I 205) widerspricht dem klaren Wortsinne von Aristoteles poet. 1456 a 2, der das Drama zu den ἠθικαὶ τραγῳδίαι zählt. Noch Nauck sieht im Schol. Eur. Tro. 1128 die Hypothesis, aber Schol. Pind. Pyth. III 166 lehrt, daß diese Fassung kallimacheisch ist (vgl. v. Wilamowitz Herrn. XL1V [1909] 475). Daß die Altersgeschichte des Peleus dramatisiert war, zeigt frg. 447. Möglich, aber nicht beweisbar, daß S. Vorbild für Kallimachos war.
Πλύντριαι s. Nr. 81.
91. Ποιμένες (frg. 457–478 N. 10. 11 D. frg. 467 wird durch Amherst. Pap. II 12 um den bei Diehl fehlenden Vers vermehrt: οὐ χαλκὸς οὐ σίδηρος ἅπτεται χροός = frg. 500 Pearson). Trotz der zahlreichen Fragmente ist das Drama nicht rekonstruierbar. Die Szene war bei den Troern. Hektor (frg. 458), der den Protesilaos getötet hat (frg. 457), der unverwundbare Kyknos (frg. 460. 467 und Arist. Rhet. II 1396 b 18) treten auf. Den Chor bildeten barbarisierende (frg. 472) Hirtensklaven (frg. 464). Es handelt sich um die Landungszeit, den Stoff boten die [1073] Kyprien. Frg. 461. 462 scheinen das Herannahen des Heeres zu schildern und stammen offenbar aus einem Botenberichte (vgl. frg. 477). Vgl. Welcker Gr. Tr. I 113ff. Robert Heldens. II 1120. Nach v. Wilamowitz De Rhesi scholiis (ind. lect. Gryph. 1877/78) waren die ποιμένες das Vorbild für den ps.-euripideischen Rhesos. Das Drama mit Campbell zu frg. 456 für ein Satyrspiel zu halten, verbieten die Chorreste.
92. Πολύϊδος (frg. 366–368 N.): Vom Argumentum wissen wir nichts, s. o. Nr. 72.
93. Πολυξένη (frg. 479–485 N.): Den Inhalt bildet der bei Proklos auf Iliu Persis und Nostoi verteilte Stoff: 1. ἔπειτα ἐμπρήσαντες τὴν πόλιν Πολυξένη σφαγιάζουσιν ἐπὶ τὸν τοῦ Ἀχιλλέως τάφον und 2. Ἀθηνᾶ Ἀγαμέμνονα καὶ Μενέλαον εἰς ἔριν καθίστησι περὶ τοῦ ἔκπλου. Ἀγαμέμνων μὲν οὖν τὸν τῆς Ἀθηνᾶς ἐξιλασόμενος χόλον ἐπιμένει (vgl. Apollod. epit. 5, 23. 6, 1). Der zweite Punkt ist für das Drama ausdrücklich bezeugt durch Strab. X 470 unter Anführung von frg. 479. Im weiteren Verlaufe weicht S. insofern bedeutsam von Euripides ab, als bei ihm der Schatten des Achill – wie Dareios in den Persern, Klytaimnestra in den Eumeniden – auf der Szene aus dem Grabe steigt (περὶ ὕψους 15 und frg. 480 bezeugt durch Apollod. περὶ θεῶν bei Stob. I 49, 50) und den Griechen die Zukunft weissagt: frg. 483 geht sicher auf das Mordgewand der Klytaimnestra, frg. 482 wohl auf den Sturm bei der Heimfahrt. Im frg. 481 scheint ihm Agamemnon zu antworten. Daß Achill die Opferung der Polyxene gefördert hat, ist nach dem Titel ohnehin selbstverständlich (vgl. Welcker Gr. Tr. I 176ff.). Daß Aristoteles in der Aufzählung der nach der kleinen Ilias gearbeiteten Dramen poet. 1459 b 7 mit dem Ἀπόπλους unsere Polyxene gemeint habe, ist durchaus unwahrscheinlich, da dieser Stoff für die kleine Ilias gar nicht, wohl aber für Iliu Persis bezw. Nostoi bezeugt ist. Vielmehr dürfte jenes Drama die Abfahrt nach Tenedos vor dem Siege zum Gegenstand gehabt haben.
94. Πρίαμος (frg. 486–489 N.): Daß frg. 489 sich auf die irgendwie erwähnte Aussetzung des Paris bezieht (s. o. Nr. 11), ist wahrscheinlich, weiter bieten die Fragmente keinen Anhalt.
95. Πρόκρις (frg. 490 N.): Es läßt sich nur eine schwache Vermutung aussprechen. Apollod. III 198 W. schließt seinen Bericht über die unfreiwillige Tötung der Prokris durch Kephalos mit den Worten: καὶ κριθεὶς ἐν Ἀρείῳ πάγῳ φυγὴν ἀΐδιον καταδικάζεται. Sollte das einzige Fragment: κολασταὶ κἀπιτιμηταὶ κακῶν von den Areopagiten gesagt sein und somit bei Apollodor S. zugrunde liegen?
96. Ῥιζοτόμοι (frg. 491–493. 746 [?] N.): Alles was wir von dem Inhalt wissen, steht bei Macrob. V 19, 9: in qua (nämlich den Ῥιζοτόμοι) Medeam describit (sc. S.) maleficas herbas secantem, sed aversam, ne vi noxii odoris ipsa interficeretur, et sucum quidem herbarum in cados aeneos refundentem, ipsas autem herbas aeneis falcibus exsecantem. Es folgen einige dieses beschreibende Anapaeste. In demselben Zusammenhange muß die Anrufung der Hekate frg. 492 gestanden haben. Die Analyse der Mythographen ergibt für dieses Drama des S. [1074] keine Resultate; vgl. Robert Heldens. II 867, der für möglich hält, daß Ovid. met. VII 297ff. und Paus. VIII 11, 2f. auf S. zurückgehen.
97. Σαλμωνεὺς σατυρικός (frg. 494–498 N. und vielleicht: ⟨θέλω κε⟩ραυνοῦν πυ⟨ρι⟩βόλους μὲν ⟨τὰς πλάκας⟩ bei Philod. περὶ εὐσ. Hermes LV [1920] 260). Als Hypothesis gilt mit Recht Apollod. I 89 W. Hyg. 61, vgl. Diod. IV 68, 2. VI 7, 4. Salmoneus erklärt, er sei selber Zeus, und läßt sich statt des Gottes Opfer bringen, macht den Donner nach, indem er in einem Sacke eherne Kessel seinem Wagen nachschleift, und, obwohl gewarnt (frg. 495), den Blitz durch himmelwärts geschleuderte Fackeln. Zeus tötet ihn mit dem Blitze. Aus frg. 494 scheint hervorzugehen, daß ein Symposion vorkam. Ob Salmoneus bei diesem seine Lästerungen ausstieß? Vgl. Robert Heldens. I 202f., Herm. LI (1916) 292ff.
98. Σίνων (frg. 499–501): Da uns weiter keine gleichnamige Sagenfigur bekannt ist, muß der Täuscher der Troer gemeint sein, zumal Aristot. poet. 1459 b 7 unter den stofflich der kleinen Ilias entsprechenden Dramen auch einen Sinon nennt. Die Fragmente bestehen nur aus einzelnen Worten. Frg. 501 ἐνθρίακτος. ἐνθουσιῶν könnte auf Kassandra gehen: Ribbeck Röm. Tr. 27, der glaubt, S. habe das Vorbild für den Eques Troianus des Livius Andronicus und des Naevius gegeben.
99. Σίσυφος (frg. 502 N.): Das einzige Fragment lehrt nichts, es mit Welcker Gr. Tr. I 402 zu diskreditieren, führt auch nicht weiter.
100. Σκῦθαι (frg. 503–508 N.): ,Es scheint, daß S. in seinen Σκῦθαι, dem Bedürfnis des Dramas entsprechend, diese Sagenform so umgemodelt hat, daß die verfolgten Argonauten in Tomoi landen, dort die Medeia den Apsyrtos töten und seine Gebeine auf den Feldern zerstreuen ließ‘. Robert Heldens. II 801, 7. Die außerordentliche Häufigkeit dieser Version (s. die Stellen bei Robert a. a. O.) läßt jedenfalls ein berühmtes Vorbild vermuten, und frg. 503 hebt ausdrücklich hervor, daß Apsyrtos Sohn einer andren Mutter sei als Medeia. Der Titel bestätigt auch Roberts Mutmaßung. Anders v. Wilamowitz Hellen. Dicht. II 197, vgl. 324.
101. Σκύριοι (frg. 509–517): Daß dieses Stück die Abholung des Neoptolemos aus Skyros durch Odysseus und Phoinix (Apollod. ep. 5, 11) behandelte, und in frg. 513 Worte des Jünglings an den greisen Erzieher seines Vaters erhalten sind, hat Robert Bild und Lied 34, 40 erkannt, vgl. Heldens. II 1220. Das Drama war wohl das Vorbild für den Neoptolemos des Accius (s. Ribbeck Röm. Tr. 402ff.), dessen Fragmente aber hier nicht weiterführen. Daß der Titel Σκύριοι, nicht Σκύριαι (wie Hesych zitiert) war, wird bestätigt durch IG II 2, 992.
Σύνδειπνοι, Σύνδειπνον Ἀχαειῶν: s. o. Nr. 22. Σφυροκόποι: s. Nr. 88.
Τάλως: frg. 164 = Schol. Apoll. Rhod. IV 1638: ὅτι δὲ εἴμαρτο αὐτῷ (sc. τῷ Τάλῳ) τελευτῆσαι λέγει Σοφοκλῆς ἐν Τάλῳ. Mit Recht hat man ἐν Δαιδάλῳ (vgl. frg. 163) vermutet, da das Zitat selbst zeigt, daß es in einem Talos kaum gestanden haben kann.
102. Τάνταλος (frg. 518 N.): Der Name ist erst [1075] sichergestellt durch das neue Fragment im Lex. Mess. Rhein. Mus. XLVII (1892) 410: Σοφοκλῆς Ταντάλῳ· Ἑρμῆς ἐδήλου τήνδε χρησμῳδὸν φάτιν (= II 211 frg. 573 Pearson fehlt bei D.). Der Inhalt scheint gewesen zu sein, daß Tantalos die Geheimnisse der Götter verriet (vgl. das neue Fragment, aus einer Rede des Helden?) und zur Buße in den Hades kam (frg. 518). Doch kann man nur vermuten. Wie weit Ox. Pap. II 2/3 = frg. 574/5 Pearson hierher gehören, ist ganz zweifelhaft.
103. Τεῦκρος (frg. 519–521. 666. Adesp. 318 N.): Da der noch zu Ciceros Zeit hochberühmte Teucer des Pacuvius sehr wahrscheinlich dem S. folgte, ist eine ungefähre Rekonstruktion Welcker Gr. Tr. I 191ff. und Ribbeck Röm. Tr. 223ff. gelungen: Telamon hat Jahre vergeblich nach dem Schicksal der Söhne geforscht (Pac. frg. I), Teukros kommt endlich mit der schlimmen Kunde (Pac. frg. IV. VI) und wird vom Vater verflucht (Pac. frg. XII, milder Soph. frg. 519), zumal ihm im Sturme (Pac. frg. XIV, S. frg. 520) Eurysakes abhanden kam, ja verstoßen (Pac. frg. XIX). Der Ausgang wird wie bei Horaz I 7 gewesen sein (Adesp. 318). Nebenfigur war außer Odysseus, dessen der Odyssee widersprechendes Auftreten doch durch Aristoteles rhet. 1416 b 1 gesichert scheint, Oïleus, der Vater des kleinen Aias, der zunächst den Telamon tröstet, dann aber durch die (von Odysseus gebrachte [?], vgl. Pearson II 215) Nachricht vom Tode des eigenen Sohnes gebrochen wird (frg. 666). Das Stück ist älter als 423: Ar. nub. 583.
104. Τήλεφος σατυρικός (frg. 522 N.): Wir wissen, da nur ein Wort erhalten ist, nichts vom Inhalt, wohl aber aus einer rhodischen Inschrift, daß es ein Satyrdrama war: IG XII 1, 125, vgl. Kaibel Herm. XXIII (1888) 273, gegenteilige Ansichten zitiert Pearson II 220.
105. Τηρεύς (frg. 523–538, vielleicht 804 und Aisch. frg. 304 N., vgl. Oder Rhein. Mus. XLΙΙΙ (1888) 541ff.). Das Drama ist älter als die Vögel des Aristophanes (vgl. v. 100 mit Schol.), lateinisch ist es von Accius nachgebildet worden (TR. R. FR. 218ff.), während Livius Andronicus einer anderen, bei Hyg. 45 erhaltenen Version (des Philokles?) gefolgt ist (Ribbeck Röm. Tr. 37ff., dort auch die Zusammenstellung der mythographischen Überlieferung). Vorzügliche Rekonstruktion bei Welcker Gr. Tr. I 374ff. (vgl. Ribbeck a. a. O. 577ff., Robert Heldens. I 156ff.), hauptsächlich nach Ovid. Met. VI 424ff. Ort der Handlung ist vermutlich (Thuk. II 29) Daulis. Der Thrakerkönig Tereus ist mit der attischen Königstochter Prokne vermählt, die unter der nun schon fünfjährigen Entfernung unter Barbaren leidet (frg. 524. 525) und ihre Schwester Philomela durch Tereus aus Athen zum Besuche holen läßt. Diese wird unterwegs vom König vergewaltigt und auf dem Lande verborgen, nachdem ihr die Zunge ausgeschnitten ist. Prokne meldet er ihren Tod (frg. 526). Philomela webt die Geschichte ihres Unglücks in ein Gewand und sendet dieses durch die bestochene Wächterin der Schwester zum Dionysosfeste. Prokne sucht sie im dionysischen Zuge auf, befreit sie und bringt sie zurück. Beide schlachten den Sohn des Tereus und der Prokne Itys und setzen ihn dem [1076] Vater als Mahl vor. Nach dem Mahle schleudert ihm die Mutter den Kopf ins Antlitz. Der König verfolgt die Schwestern mit dem Schwerte: da verwandelt sie Zeus zu Schwalbe und Nachtigall, den Tereus zum Wiedehopf, was durch einen Gott verkündet wurde. Frg. 531 sind die Schlußworte des Dramas. Über die Wirkung des Werkes auf Zeitgenossen und Nachwelt s. Robert Heldens. I 156, 3.
106. Τριπτόλεμος (frg. 539–560, wohl auch 753. 985 N. und 32. 37 D?): Das Stück ist nach der Kombination Lessings (Werke VI 332 Lachm.) beim ersten Auftreten des Dichters 468 aufgeführt worden (Marm. Par. ep. 56 + Plin. n. h. XVIII 65). Sicher ist nur, daß der künftige Zug des Triptolemos (frg. 541), auf dem er im geflügelten Drachenwagen fahrend (frg. 539) den Ackerbau überall verbreiten sollte, von Demeter darin geschildert war (frg. 541–547). Gehört, wie man glauben möchte, frg. 753 in den Triptolemos, so war von der Stiftung der Eleusinien auch die Rede. Was bei Hyg. 147, Serv. Georg. I 19, Myth. Vat. II 99 steht, hat mit den Fragmenten nur die Berührung, die durch den Stoff gegeben ist, ist aber im übrigen aus so verschiedenen Quellen kontaminiert, daß auf dieser Grundlage eine Rekonstruktion der Fabel, wie sie Welcker Gr. Tr. I 299ff. gegeben hat, nicht zur Evidenz oder Probabilität zu bringen ist. Mehr Wahrscheinlichkeit noch hat die Vermutung Pearsons II 242, daß Apollodor I 31f. auf S. beruhe.
107. Τρωίλος (frg. 561–578 N): Der jugendliche Troilos (frg. 562) ist mit seinen Rossen zum Heiligtum des thymbräischen Apollon vor dem skäischen Tore gegangen (Schol. T. Il. XXIV 257), begleitet von seinem Eunuchen (frg. 563. 562). Der in ihn verliebte Achilleus läßt Tauben fliegen, verfolgt den ihnen nachjagenden Knaben, vergewaltigt, tötet und verstümmelt ihn (Serv. Aen. I 474). Dies der zugrunde liegende Mythos. Wie er in Actio umgesetzt war, können wir nicht erraten. Einen Botenbericht des Eunuchen muß man nach frg. 562 annehmen. Welcker Gr. Tr. I 124ff. ist überholt durch Robert Heldens. II 1124.
108. Τυμπανισταί (frg. 579–587 N.): Von Mythischem wissen wir nur, daß Eidothea, die Schwester des Kadmos, als zweite Frau des Phineus erwähnt war: Schol. Soph. Ant. 980. Welckers Identifikation mit dem zweiten Phineus (Gr. Tr. 329ff.) entbehrt jeder Grundlage. Auch Roberts Vermutungen (Heldens. II 818f.) sind ganz unsicher. Der Titel läßt eher an den Dionysoskreis denken; frg. 587 beweist vielleicht für den Gesamtinhalt ebensowenig wie sich aus Antig. 980 der Inhalt des Dramas erraten ließe.
109. Τυνδάρεως (frg. 588 N. 12 D.): Von der Hypothesis wissen wir nichts. Welckers Identifikation mit dem Aletes ist unbeweisbar.
110. Τυρώ α': Ausdrücklich der ersten Tyro werden nur drei Hesychglossen zugewiesen (frg. 589–591), von den nur als Tyro zitierten Fragmenten können 600–604. 606–608 aus der ersten stammen, lehren aber nichts. Die Hypothesis hat Robert Herm. LI (1916) 299ff. auf Grund eines dort abgebildeten Reliefs rekonstruiert: Die von Poseidon schwangere Tyro [1077] wird ihrem Oheime Kretheus vermählt, gebiert nach kurzer Zeit die Zwillinge Pelias und Neleus und setzt sie aus. Diese werden von Pferdehirten gefunden und dem König gebracht, der die mitgegebenen Erkennungszeichen als seiner Gemahlin gehörig erkennt. Poseidon als deus ex machina löst den Knoten. Vgl. Robert Heldens. I 41, zweifelnd ist Preisendanz bei Roscher s. v. Tyro S. 1466.
111. Τυρώ β' (frg. 593–595 N. und zugewiesen, aber nur als Τυρώ bezeichnet 596–599. 605). Das Werk war älter als die Lysistrata, wo es 138 parodiert wird. Tyro, die Tochter der Aleostochter Alkidike und des Salmoneus hat schwer unter Mißhandlungen (deren Spuren die Maske zeigte [Pollux IV 141]) ihrer Stiefmutter Sidero zu leiden. Sie hat aber von Poseidon den Neleus und Pelias geboren, die, ausgesetzt, von Ziegenhirten aufgezogen werden. Herangewachsen ziehen sie zur Mutter, treffen diese am Brunnen, und es erschlägt Pelias, nachdem die Erkennung durch die Mulde erfolgt ist, in der die Mutter sie ausgesetzt hatte, die Sidero am Altare der Hera. Poseidon, der als deus ex machina auch hier wieder auftritt, versöhnt die Göttin, seine Söhne werden Nachfolger des auswandernden Salmoneus in der Herrschaft über Thessalien. Vgl. die auf Grund der bildlichen und mythographischen Überlieferung glänzend gelungene Rekonstruktion von Robert Herm. LI (1916) 273ff., kürzer Heldens. I 40. An ersterer Stelle wird auch versucht die Szenenfolge zu erraten, wobei man freilich weniger zuversichtlich wird sein müssen. Daß die Fetzen Hibeh Pap. I p. 17 = frg. 649 Pearson zu einer der beiden Tyro gehören, ist möglich, aber bei der Dürftigkeit der Reste ziemlich irrelevant.
112. Ὕβρις σατυρική (frg. 609–610 N): Das Argumentum ist nicht zu erraten. Auf einer Münchener Pelike, welche die Vergöttlichung des Herakles darstellt, heißt ein Satyr Hybris, der sich mit seinem Genossen der Waffen des Herakles bemächtigt. Die Anlehnung an ein Satyrspiel bemerkt schon Ch. Fränkel Satyr- und Bakchennamen auf Vasenbildem (Diss. Bonn, 1912) 28f., vgl. 72f. Siehe auch Ath. II 36 a'ff.
113. Τδροφόροι (frg. 611–613 N.): Welcker Gr. Tr. I 286 behauptet, die Geburt des Dionysos oder Semele sei der Gegenstand gewesen. Die Fragmente geben keinen Anhalt, eher möchte man aus frg. 611 auf Sizilien als Schauplatz schließen.
114. :Φαίακες (frg. 614–615 N.): Wir wissen nichts, was nicht der Titel lehrt.
115. Φαίδρα (frg. 616–631 N.): Da die gesamte Mythographie von den beiden Hippolytoi des Euripides abhängig ist, können wir das sophokleische Stück nicht rekonstruieren. Über die von Welcker Gr. Tr. I 394ff. zugrunde gelegte Asklepiadeshistoria FGR hist. I 174, 28 vgl. Robert Heldens. II 746, 5. Wenn Robert a. a. O. 743, 3 aus Plut. Thes. 28 schließt, die Mythopoiia sei in allen drei Stücken die gleiche gewesen, so ist die Stelle mit Jacoby FGR hist. I 488 vielmehr dahin zu verstehen, daß unter den τραγικοί nur Euripides gemeint sei, dessen Übereinstimmung mit den ἱστορικοί konstatiert werde. Die Fragmente ergeben, daß der Chor [1078] aus Weibern bestand, welche Phaidra bittet, ihre gottgesandte Leidenschaft verbergen zu helfen (frg. 618. 619). Von der Hadesfahrt des Theseus reden frg. 624. 625, seiner als des Synoikistes Staatsgesinnung dürfte frg. 622 angemessen sein, und frg. 621 war wohl sein Urteil über die Phaidra nach der Entdeckung. Vgl. noch Robert Heldens. II 743ff.
116. Φθιωτίδες (frg. 632–634 N.): Das Drama war nach Aristot. poet. 1456 a 2 eine ἠθικὴ τραγῳδία. Der Titel läßt vermuten, daß die Heimkehr des Neoptolemos zum Peleus nach Phthia behandelt gewesen sei. Frg. 633 könnte Phoinix zu Peleus gesagt haben, 632 zu Neoptolemos gesprochen sein. Über frg. 634 siehe die zweifelhafte Kombination Welckers Gr. Tr. I 208, der das Stück fälschlich mit dem Peleus identifiziert hat. Andere Vermutungen bei Pearson II 306.
117. Φιλοκτήτης ὁ ἐν Τροίᾳ (frg. 635–640 N. 13 D.): Als Stoff kommt wohl nur die Heilung des Helden durch Machaon und sein Zweikampf mit Paris in Frage (nach der kleinen Ilias, s. Prokl.). Frg. 635–637 zeigen Philoktet noch ungeheilt: es war also eine Art Fortsetzung des erhaltenen Dramas. Wüßten wir nur, wie weit wir die Analogie der beiden Oidipusdramen für chronologische Schlüsse benutzen dürfen! Weiteres entzieht sich uns; vgl. Welcker Gr. Tr. I 138, Robert Heldens. II 1215.
118/119.Φινεύς α' β' (frg. 641–649 N.): Die mit Unterscheidungsziffern versehenen Zitate lehren wenig, es sei denn, daß man die Erwähnung der Skythen und des Bosporos in frg. 641 auf die Argonauten beziehen will. Das Argumentum der einen Tragödie ist möglicherweise in einer Asklepiadeshistoria FGR hist. I 175, 31 erhalten: Phineus hat nach der Boreastochter Kleopatra die Eurythia geheiratet. Diese verleumdet ihre Stiefkinder bei Phineus und erhält von ihm die Erlaubnis sie zu töten. Zeus, erzürnt, stellt ihm die Wahl zwischen Tod und Blindheit. Er wählt μὴ ὁρᾶν τὸν Ἥλιον (sicher Dichterzitat). Der erzürnte Helios sendet die Harpyien, die ihm die Speisen verderben. So wurde er bestraft. Hierher könnte die Erwähnung (?) der Harpyien frg. 648 gehören. Mit größerer Sicherheit läßt sich eine zweite Version auf S. zurückführen. Nach Schol. Apoll. Rhod. II 178 hat S. den Phineus selbst seine und der Kleopatra Söhne Parthenios und Krambos auf Grund der Verleumdungen ihrer Stiefmutter Idaia blenden lassen. Diese Erzählung kehrt genau so Apollod. I 120 W. wieder, so daß wir berechtigt sind, auch einen anderen Zug dort S. zuzuschreiben: οἱ δὲ ὑπὸ Βορέου καὶ τῶν Ἀργοναυτῶν (sc. πηρωθῆναί φασιν τὸν Φινέα), ὅτι πεισθεὶς μητρυιᾷ τοὺς ἰδίους ἐτύφλωσε παῖδας. Er wird also von dem erzürnten Vater der Kleopatra geblendet. Da weiter ein aus Phylarch bei Sext. Emp. adv. math. I 262 bekannter Zug, daß Asklepios den Kindern das Augenlicht wiedergegeben habe, durch frg. 644 nahegelegt wird, so dürfte dies den Schluß gebildet haben. Das Wesentliche bei Robert Heldens. II 817ff., wo aber noch die Verwirrung nachwirkt, die Welcker Gr. Tr. I 329 durch Hereinziehung der Tympanistai (s. o. Nr. 108) gestiftet hat. [1079]
120. Φοῖνιξ (frg.651–653 Ν.): Die Fragmente geben keinerlei Anhalt. Der Phoenix des Ennius zeigt nähere Übereinstimmung mit Ilias IX 440ff. als mit den Resten des euripideischen Dramas, weshalb Robert Heldens. II 1035 S. als Vorbild vermutet.
121. Φρῖξος (frg. 654–656 Ν.): Die Fragmente geben nichts aus. Deshalb muß auch Welckers geistreiche Vermutung (Gr. Tr. I 318ff.), Hyg. astr. ΙI 20 sei die Hypothesis des Stückes, auf sich beruhen.
122. Φρύγες (frg. 657 N. 14 D): Das neue Fragment ist offenbar eine Weissagung der Kassandra bei irgendeiner Hochzeit. Die des Paris scheint wegen frg. 657 ausgeschlossen. Blass Rhein. Mus. LXII (1907) 272 denkt an Achilleus und Polyxena (Hyg. 110), bei der Achilleus erschlagen wurde. Doch bleibt es im Dunkeln. Da in Schol. Aisch. Prom. 436 offenbar S. mit Aischylos verwechselt ist, kann diese Stelle für die Rekonstruktion nicht herangezogen werden.
123. Χρύσης (frg. 658–662, vielleicht 668 N.): Aufgeführt ist das Drama vor den Vögeln, die es v. 1240 zitieren. Unsere Fragmente lehren über den Inhalt nichts, aber es ist wahrscheinlich, daß der Chryses des Pacuvius auf S. beruht, jedenfalls aber war dessen Quelle identisch mit dem von Hyg. 121 ausgezogenen Drama. Danach sind Orestes, Pylades und Iphigenie mit dem entführten Artemisbilde auf der Insel Sminthe gelandet. Dort war Apollonpriester Chryses, Sohn Agamemnons und der Chryseis, der die von Thoas verfolgten Ankömmlinge in seinen Schutz nimmt. Dieser will sie dem drohenden Thoas ausliefern, was aber durch den ἀναγνωρισμός, der durch den gleichnamigen Großvater Chryses herbeigeführt wurde, verhindert wird. Sie überfallen und töten gemeinsam den Thoas; vgl. Welcker Gr. Tr. I 211ff„ Ribbeck Röm. Tr. 248ff. Oder sollte das Drama etwa ein Satyrspiel gewesen sein? s. Pearson II 328.
Ὠρείθυια (fr. 701. 737. 870 N.): Daß S. ein Drama dieses Namens geschrieben hat, ist nicht glaubhaft bewiesen, vgl. Pearson III p. 20.42.118.
Zu diesen 123 kommen die 7 erhaltenen Dramen; damit wäre die Summe 130 der Vita (s. o. S. 1050) genau erreicht. Welche von ihnen athetiert waren, können wir nicht mehr wissen, auch nicht, ob sich weitere Doppeltitel in unseren Zitaten verbergen, wie früher gern angenommen wurde und auch noch von Pearson und Robert mehr als billig befürwortet wird. Ebenso bleibt ungewiß, ob nicht hinter den wenigen, von mir als unwahrscheinlich ausgeschiedenen Titeln etwas Richtiges steckt. Sicher Satyrspiele sind Nr. 1. 14. 15. 23. 26. 30. 39. 41. 57. 61. 65. 66. 78. 97. 104. 112, also 16, wahrscheinlich Nr. 25. 26. 40. 42. 48. 60. 88., also 7, zusammen 23, viertes Drama waren wohl Σύνδειπνον und Ἴναχος, es können somit unter den übrigen Titeln sich noch 7–8 Satyrdramen verbergen. Im ganzen dürfen wir sagen, daß wir so ziemlich alle Titel der unter S.’ Namen im Altertum umlaufenden Stücke kennen werden.
H. Die erhaltenen Dramen.
I. Überlieferungsgeschichte. Literatur: v. Wilamowitz Einl. i. d. griech. Trag. 127ff., dessen Resultate unter Verarbeitung der neuesten Forschung [1080] wiederholt sind von Pearson The Fragm. of Soph. I Introduction. Die erste Spur der Uberlieferungsgeschichte finden wir im 4. Jhdt. v. Chr. Es ist dies die bekannte Erzählung (vit. X orat. 841 E), Lykurgos habe die Dramen der drei großen Tragiker zum Zwecke der Wiederaufführung in maßgebenden Abschriften beim Stadtarchiv niederlegen lassen. Diese Hss. sind dann nach Galen in Hippokr. epid. III 2, 4 (XVII 607 K) durch einen Betrug des Ptolemaios Euergetes I. (247–21, Euergetes II. kommt kaum in Frage) in die alexandrinische Bibliothek gekommen. Die Erzählung ist um so glaubwürdiger, als sie auf die Zeit der ersten Wirksamkeit des Aristophanes von Byzanz führt, durch den die Beschäftigung mit den Tragikern, die Kallimachos und Zenedotos noch vernachlässigten (v. Wilamowitz a. a. O. 135), in Alexandreia aufkam. Daß sich Aristophanes auch um S. gekümmert hat, zeigt die Angabe der Vita (18) über die Zahl der Dramen, Schol. Ai. 746, und vier Stellen der Ichneutai (s. Pearson I p. XXXVIII 3). Die Hypothesis I der Antigone trägt heute noch seinen Namen und deriviert zweifellos aus einer echten, während die metrische zum OT wie die verwandten Argumente der Komödie nur den Namen usurpiert hat. Auf die Spur einer aristophanischen Hypothesis im Schol. Stat. XII 510 macht v. Wilamowitz a. a. O. 146, 36 aufmerksam. Wir müssen also annehmen, daß Aristophanes die erste wirkliche S.-Ausgabe gemacht hat. Die Reihenfolge der Dramen war vielleicht die alphabetische (v. Wilamowitz a. a. O. 150). Sein Schüler Kallistratos hat gleichfalls am S. gearbeitet (Pearson a. a. O. XXXIX). Von der Tätigkeit Aristarchs und der Aristarchäer für S. wissen wir wenig. Erst mit dem Beginn der Kaiserzeit sehen wir klarer. Der Grundstock der uns erhaltenen Scholien ist damals entstanden. Sowohl der anonyme Grammatiker, dem der wertvollste Teil der Scholien zum OK zu verdanken ist und der der Art des Theon nahesteht (v. Wilamowitz a. a. O. 156), als auch Didymos gehören hierher, auf den die S.-Scholien als Ganzes letzten Endes zurückgehen. Der letztere hat nicht nur ὑπομνήματα zu S. geschrieben, sondern auch eine eigene Recensio gegeben, wie man an den Bemerkungen Schol. OK 237; Ant. 45 noch erkennen kann. Daß auch Theon selbst, mehr als wir früher wissen konnten, an der Recensio der Tragiker gearbeitet hat, lehren Randnotizen der Ichneutai (s. Pearson I p. XLIV). Damit schließt die produktive Arbeit am Texte. Im 2. Jhdt. wird von einem Unbekannten die mit Scholien versehene Schulauswahl gemacht, die hier wie bei den meisten Dichtern die nicht aufgenommenen Werke verloren gehen läßt. Die Reihenfolge war Aias Elektra OT sicher, Antigone OK Trach. Phil, wahrscheinlich (v. Wilamowitz a. a. O. 196). Ob es ursprünglich mehr waren, ist nicht auszumachen. Zwischen dieser Auswahl und dem Archetypus unserer Haupt-Hss. scheint nun noch ein Redaktor, der Pythagoreer Sallustios, zu stehen, der in L als Verfasser der ὑποθέσεις des OK und der Antigone (II) genannt wird und sicherlich auch die zum Aias und OT (II) geschrieben hat. Wenn er von v. Wilamowitz richtig mit dem gleichnamigen Freunde [1081] Kaiser Iulians identifiziert ist, so gehört er dem Ende des 4. Jhdts. an. Jedenfalls werden etwa in dieser Zeit oder wenig später die Hss. geschrieben sein, durch die unser S. den Byzantinern zugekommen ist: Sie boten einen festen Text nebst Scholien, in denen eine auf den Durchschnittsleser berechnete Paraphrase die gelehrte Exegese immer mehr zurückgedrängt hatte.
Die älteste erhaltene Hs., der berühmte Laurentianus XXXII 9, gehört in die erste Hälfte des 11. Jhdts. und wurde lange für den Archetypos aller unserer Hss. gehalten. In der Tat ist sie so den anderen Hss. überlegen, daß sie für den Text die Hauptgrundlage bildet. Ob das anders werden wird, wenn der Leidener Palimpsest BPG 60 A, der als obere Schrift Anastasios Sinaita und Sophronios enthält, – nach v. Wilamowitz DLZ 1924, 2317 L gleichwertig – publiziert sein wird, bleibt abzuwarten. Nach Mitteilung von V. F. Buchner-Leiden konnte bisher nur sehr wenig gelesen werden, sodaß sich der Wert des Textes nicht beurteilen lasse. Jedenfalls hat der Leidensis, wie ich auf einer freundlich überlassenen Photographie feststellen konnte, fol. 48 statt der Hypothesis gleich LA und der Aldina die Apollodorstelle mit den charakteristischen Varianten; da er an einer Stelle etwas abweicht, ist er als Schwester-Hs. von L und dem Stammvater von A zu betrachten. Außer diesen beiden kommt vor allem der Parisinus 2712, A genannt, in Frage. Für die Einzelheiten vgl. Jebb, Introduction zu seiner Textausgabe und zu den einzelnen Stücken seiner kommentierten Ausgabe. Allerdings ist die von ihm vertretene Ansicht, daß eine Hs. des 6. bis 8. Jhdts. der Archetypos aller unserer Hss. sei, nicht mehr aufrecht zu erhalten. Das zeigen die Papyri: Der dem 5. Jhdt. n. Chr. entstammende Pap. Oxyr. 1369 des OT stimmt in ca. 70 nur teilweise erhaltenen Versen viermal mit den Jüngeren gegen L, davon zweimal sogar gegen AL überein und beweist damit, daß der Arm der ,recentiores' sich schon vor der byzantinischen Zeit von dem gemeinsamen Strome abgezweigt hat (s. auch Pearson Soph. fabulae Oxf. 1924, praef. p. VII sq., ebd. p. XXII, Verzeichnis der Hss.). Neben dieser echten Überlieferung läuft die Gruppe der von Demetrios Triklinios (Anfang des 14. Jhdts.) abhängigen Hss., die für uns fast nur den Wert einer gelehrten, stark mit Konjekturen durchsetzten Ausgabe haben. Sie ist am besten repräsentiert durch T = Par. 2711.
Der erste Druck des S. ist eine Aldina von 1502 und hat den Ven. 467, einen nahen Verwandten von A zur Grundlage; die zweite von Petrus Victorius unter Benutzung von L herausgebrachte Iuntina von 1547 bedeutete keinen wesentlichen Fortschritt. Verhängnisvoll aber wurde der 1553 von Turnebus zu Paris herausgegebene Text, der sich auf T stützte. Er brachte nämlich auf 200 Jahre die triklinianische Rezension zur Herrschaft, bis Brunck mit Hilfe von A durch seine Ausgabe von 1786 die reine Überlieferung wieder zu Ehren brachte, dann Elmsley 1820 L entdeckte und verwertete (vgl. Jebb Introd. z. Textausg. XXXIff.).
Die Scholien wurden zuerst 1518 von Lascaris gedruckt, es folgte die Ausgabe von Brunck [1082] 1786, heute noch nicht entbehrlich, da sowohl die aus dem Nachlaß von Elmsley Oxford 1825 erschienene, wie die von Papageorgios Teubn. 1888 beinahe nur den Laurentianus berücksichtigen. Die Ausschöpfung der Neben-Hss. für die Scholien ist noch nicht einmal in Angriff genommen. Die fast wertlosen byzantinischen Kommentare, an denen Moschopulos, Thomas Magister, Triklinios den Hauptanteil haben, hat Dindorf im II. Bande der Oxforder Scholienausgabe publiziert.
II. Ausgaben. Literatur. Es können nur die heute noch wissenschaftlich bedeutsamen Ausgaben und Werke genannt werden. Weitere Nachweise bei Christ-Schmid Gr. Lit. I⁶ 344f. 1. Gesamtausgaben: a) kommentierte: Die beste ist von Sir Richard Jebb Sophokles The plays and fragments (Cambridge, 7 Bde., dazu 3 Bde. fragments von Pearson). Weitere: S. erklärt von Schneidewin-Nauck, erneuert von Bruhn und Radermacher (Berlin Weidmann). S. ed. Lewis Campbell 2 Bde., Cambridge 1871. 1887. b) Textausgaben: Jebb Kleine Ausg., Cambridge 1897. Pearson Biblioth. Oxon. 1924 (vgl. v. Wilamowitz DLZ 1924, 2315ff). Eine heutigen Anforderungen ganz entsprechende Ausgabe fehlt noch, c) Scholien: s. o. 2. Einzelausgaben: Aiax ed. Lobeck mit Kommentar, Electra erklärt von G. Kaibel, Electra ed. Jahn-Michaelis. 3. Lexikalisch-grammatische Hilfsmittel: Lexicon Sophocleum von F. Ellendt-H. Genthe ed. II, Berlin 1872. Pearson im III. Bde. seiner Fragmente S. 192 bis 349. E. Bruhn Anh. zur Ausg. Schneidewin-Nauck. 4. Metrik: Eine in der rhythmischen Gliederung brauchbare Ausgabe fehlt. Wichtigste Hilfsmittel: v. Wilamowitz Griech. Verskunst (1921) passim, s. Index S. 629f. Otto Schroeder Sophoclis Cantica (1907). 5. Arbeiten über S.: Seit den Jahresberichten von Meckler bei Bursian 192 (1906) 1ff. und 147 (1910) 231 ff. (bis 1907) ist die wichtigste Erscheinung: T. v. Wilamowitz-Moellendorff Die dramatische Technik des S. (Phil. Unters. 21) und Robert Oidipus Kap. VI. Bei beiden auch die neuere Literatur passim. P. Friedländer Die griechische Tragödie und das Tragische II in Die Antike I 295. 6. Übersetzungen: v. Wilamowitz Oidip. Tyr., Philoktet. Hölderlin Antigone und Oidip. Tyr. mit Anm. Vgl. dazu v. Blumenthal Aischylos 71ff. Neustadt Preuß. Jahrb. Mai 1925 und im allgemeinen Hildebrandt Jahrbuch für d. geistige Bewegung 1910, 64ff.
III. Einzelbesprechung. Im folgenden werden die Einleitungen von Jebb, Bruhn, Radermacher, Kaibel, sowie die Ausführungen von T. v. Wilamowitz und Robert (s. Literaturverz.) im allgemeinen als bekannt vorausgesetzt.
1. Ἀντιγόνη: Daß dieses Drama kurz vor der samischen Strategie des S., vermutlich 443, aufgeführt ist und wohl den ersten Preis erhalten hat, dürfen wir der Aristophaneshypothesis ruhig glauben; für die chronologischen Schwierigkeiten vgl. Robert Heldens. II 946, 2. Es ist somit unter den datierten Werken des S. das älteste.
Eine epische Behandlung des Stoffes scheint [1083] es nicht gegeben zu haben; Mimnermos hat die Ismene in Buhlschaft mit Theoklymenos, also als Verräterin am Lande dargestellt (Hyp. Sall.). Ion von Chios (ebd.) dagegen hat berichtet, beide Schwestern seien im Heiligtume der Hera von dem Eteoklessohne Laodamas verbrannt worden. Mehr wissen wir von älteren Sagenformen nicht. Robert Oidipus I 362ff., vgl. Heldens. II 945f., hat aus der Tatsache, daß es in Theben kein Heraheiligtum gab, überzeugend geschlossen, daß der Schauplatz von Ions Version das berühmteste böotische Heraheiligtum war, das in Plataiai gewesen sein werde. Es hätten also wohl die Schwestern den Polyneikes bestattet, seien aber auf der Flucht von dem seinen Vater Eteokles rächenden Laodamas eingeholt und als Schutzsuchende im Tempel verbrannt worden. Diese örtliche Legende sei sowohl für Ion wie S. Quelle gewesen. Spuren davon bei S. weist Robert a. a. O. 364ff. nach. Daß S. dieses Motiv ganz frei gestaltet hat, liegt auf der Hand; insbesondere hat er auch dem Epos gegenüber darin geneuert, daß er den Haimon – dort das letzte Opfer der Sphinx – noch am Leben sein läßt.
Mit Recht haben Robert a. a. O. 332 und andere betont, daß die geistige Gesamtlage der Antigone im konträren Gegensatze zu den 25 Jahre älteren Ἑπτά des Aischylos stehe. Geht dort Eteokles und mit ihm ein ganzes Geschlecht unter, damit die Stadt gerettet werde (vgl. auch v. Blumenthal Aischylos 90ff.), so wird in der Antigone das dem Geschlecht Gebührende ohne Rücksicht auf die Polis durchgeführt. In der Kampf- und Redeweise der handelnden Personen des S. spiegelt sich dieser letztere Zwiespalt im Eintreten des Kreon für die ωόμοι προκείμενοι (v. 481) und der Antigone für die ἄγραπτα κἀσφαλῆ θεῶν νόμιμα (v. 454). Mag man in dieser Umkehrung des S. mit Robert a. a. O. auch den Unterschied zwischen der staatlich festgefügten Ordnung der Marathonzeit und der mit individualistischen Tendenzen geladenen, das Einzelgeschlecht dem Ganzen überordnenden Perikleischen Epoche sehen – alles dieses ist nur Spiegelung tiefer verborgener Kräfte.
Es ist seit Nietzsches grundlegender Entdeckung oft wiederholt worden, daß sich der unfaßliche Überschwang des griechischen Lebens im 5. Jhdt., der sich in der Dichtung am stärksten bei der Tragödie manifestiert, nur durch den Hereinbruch einer revolutionären geistigen Gewalt erklären läßt, die Nietzsche das Dionysische genannt hat. Dieser neue Aufbruch elementarischer Kräfte nach der äußersten Verfeinerung des sterbenden Ioniertumes wird aber erkauft mit Lockerungen, die schließlich den Verfall herbeiführen. Eine Seite davon ist diejenige, welche wir in der Antigone sehen: das Dominieren der Familieninstinkte über das staatlich Notwendige. Solches wird nun dadurch noch härter herausgetrieben, daß die dem Nomos dienenden Männer, Kreon und seine Schergen, als durchaus verächtliche Figuren gezeichnet sind, während ein Weib von herber, athenahafter Strenge und Reinheit zwar das Heroische verkörpert, aber dem Staate feindlich ist, den uralten Geboten des Blutes gehorsam. Der einzige nicht unedle Mann, Haimon, [1084] ist nur ihr Schatten, kaum anders als ihre Schwester Ismene. Die Amazonensage hat Erinnerungen an undenklich frühe mutterrechtliche Zustände bewahrt: Untergangszeiten bringen Reste solcher vorgeschichtlicher Vorstellungen wieder herauf. Das Weib als einzige heldenhafte Hüterin des noch immer lebendigen Blutzusammenhanges gegenüber einem sinnlos gewordenen Nomos ist der eigentliche Gehalt der Antigone. Mit diesem Symbole hat S., der Verwalter des Bundesschatzes und bald Mitstratege des Perikles, 40 Jahre vor dem Zusammenbruche die geistig-politische Gesamtlage seines Volkes gestaltet und gerichtet. Vgl. auch Taeger Thukydides 60ff.
2. Αἴας: Ein Aufführungsdatum ist nicht überliefert. Die aischyleischem Gebrauche entsprechende anapästische Form der Parodos zusammen mit der gleichfalls an den großen Vorgänger erinnernden Gestaltung des gewaltigen Helden stellen das Werk in die frühere Epoche des S. Die gelegentliche Verteilung des Trimeters auf zwei Sprecher rücken es allerdings scheinbar später als die Antigone, die dies noch nicht kennt. Es bleibt aber trotz T. v. Wilamowitz a. a. O. 51, 1 mehr als zweifelhaft, ob diesem Kennzeichen soviel Bedeutung beizumessen ist. Die Entscheidung dürfte anderswo zu suchen sein: Die Herkunft des Stoffes ist teilweise noch deutlich. Der Streit um die Waffen des Achill war sowohl in der Aithiopis wie in der kleinen Ilias erzählt. S. folgt in der Hauptsache (vgl. Jebb Introd. zu Aias p. XVIf.) letzterer: Ἡ τῶν ὅπλων κρίσις γίνεται καὶ Ὀδυσσεὺς κατὰ βούλασιν Ἀθηνᾶς λαμβάνει, Αἴας δ’ ἐμμανὴς γενόμενος τήν τε λείαν τῶν Ἀχαιῶν λυμαίνεται καὶ ἑαθτὸν ἀναιρεῖ (Prokl.). Daß auch ein Streit um die Bestattung des Toten vorkam, zeigt frg. III All. Aber eine wichtige Differenz bleibt. In der Aithiopis (vgl. Od. XI 547) sind Pallas Athene und troische Gefangene die Preisrichter, der Tiermord fehlt ganz (Jebb a. a. O. p. XV), ähnlich werden in der kleinen Ilias trojanische Mädchen über die Ansicht des Feindes, wer der größere Held sei, belauscht (frg. II All.), bei S. waren die Griechenfürsten selber die Schiedsrichter und damit stimmt Pind. Nem. VIII 26f. überein. Letztere Übereinstimmung weist deutlich auf Abhängigkeit oder eine gemeinsame vom Epos verschiedene Quelle. Pindars achtes nemeisches Gedicht gehört in die Spätzeit des Dichters (v. Wilamowitz Pindaros 411). Daß die gelegentliche Erwähnung des Thebaners S. die Anregung gegeben habe, kann für mehr als unwahrscheinlich gelten; als gemeinsame, uns noch kenntliche Quelle käme nur noch die Ὅπλων κρίσις des Aischylos in Frage, in der aber Thetis (oder die fünfzig Nereïden) Preisrichterin gewesen ist (frg. 174 N.), wie bei den Leichenspielen auch in der Aithiopis. Also scheidet dieses Drama aus. Nun ist soviel sicher, daß der Aufbau des sophokleischen Aias ohne das Motiv des ungerechten Urteils der Mitfürsten in sich zerfallen würde. Mithin liegt die Annahme nahe, daß S. es in die Sage eingeführt hat und Pindar von ihm abhängig ist, d. h. der Aias ist älter als die Antigone, ja muß noch der aischyleischen Zeit ziemlich nah gerückt werden. Auch Robert Oid. I 344 hält den Aias für älter als die Antigone.
[1085] Wie genau auch die Gestalt des Aias in den epischen Fassungen der Sage vorgebildet gewesen sein mag – S. hat es vermocht, das Bild des kriegerischen Helden, der am Zusammenprall mit göttlichen Mächten zugrunde geht, ohne sein Heroentum zu verleugnen, neu im tragischen Spiele heraufzurufen. Wenn Erscheinungen urzeitlicher Fülle und Wildheit in die hellere Welt gebändigten Volkstums eintreten, so erschöpft sich ihr Wirken in ihrem Dasein, in dem Sichtbarmachen des Elementarischen, während ihre Taten, weil nicht vom Maße geleitet, ein Dauerndes nicht zurücklassen und notwendig in einen vor der Logik sinnlos erscheinenden Untergang münden. Notwendig: denn die göttliche Ordnung muß gewahrt bleiben. Deshalb ist auch der gottverhängte Wahnsinn des Aias nicht das grausame Spiel einer marternden Gottheit, sondern, wie die geistige Auflösung aller Hochgearteten, das Symbol, hier sei irgendwie an kosmische Schranken gerührt worden. Danach ist der Tod des Helden nur noch der Vollzug eines göttlichen Urteils. Der Ablauf des Dramas bis zum mühsam erstrittenen Begräbnis dient dieses Doppelte immer wieder sichtbar zu machen: den notwendigen Untergang des urzeitig-reckenhaften in einer von Göttern durchwalteten Zeit, vielleicht mit jenem Vorwissen, welches den großen Dichtern eignet, daß seine gegenwärtige Epoche beim Sinken der lebendigen Kräfte bald wieder der titanischen Mächte bedürfen werde, um das Leben vor dem Verdorren zu schützen.
3. Οἰδίπους Τύραννος. Das Aufführungsdatum ist unbekannt. Die Acharner (v. 27) des Aristophanes, aufgeführt 425, stellen wahrscheinlich den terminus ante quem. In der Darstellung der Pest im Anfange des Werkes dürfte man trotz Robert (Oidipus I 304. II 106, 41, vgl. T. v. Wilamowitz a. a. O. 69f.) mit Recht die dichterische Formung der furchtbaren Ereignisse im 2. J. des peloponnesischen Krieges sehen. Das Drama ist also wohl zwischen 429 und 426 aufgeführt worden. Es unterlag nach dem Peripatetiker Dikaiarchos (Hypoth. II) im Agon dem Aischylosneffen Philokles. Die Herkunft der sophokleischen Version ist dunkel: Die uns bekannten epischen Fassungen der Sage (Od. XI 271ff. Oidipodie frg. I All.) stimmen darin überein, daß sie im Gegensatze zu allen drei Tragikern Epikaste nicht zur Mutter der vier Kinder machen. Was in den Kyprien (Proklos) stand, ahnen wir nicht. Die Odysseestelle kennt außerdem nicht die Sphinx, die Selbstblendung und Vertreibung des Oidipus. Das Wenige (Robert Oid. I 167f.), was wir sonst von der Oidipodie noch wissen,– Bethes Konstruktionen Theb. Heldenlied, sind widerlegt von Robert a. a. O. 149ff. – läßt es trotz der genannten Differenz als möglich erscheinen, daß sie, aber vielleicht erst mittelbar, Quelle gewesen ist. Denn 1. war in ihr die Sphinxsage, doch wohl ausführlich, behandelt (Hesiod. Th. 326 setzt sie voraus): das Ungeheuer empfing, wie OT 33f., einen regelmäßigen Menschentribut, Robert a. a. O., 2. spielte Kreon, dessen Sohn Haimon als letzter der Sphinx zum Opfer fiel, als König oder Verweser schon eine Rolle. Auf die Bühne hat zuerst Aischylos die Sage gebracht, aber die [1086] Reste seines Laïos und Oidipus sind so dürftig, daß wir trotz Erhaltung der Sieben nicht erkennen können, wie weit seine thebanische Tetralogie Vorbild für S. gewesen ist (vgl. Robert a. a. O. I 273ff.). Teiresias ist aufgetreten (Robert a. a. O. 275). Die schwierigste und meines Erachtens unlösbare Frage ist aber diese: Wann wurde das delphische Orakel als Hauptmoment in den Oidipusstoff eingeführt? Schon in Oidipodie oder Thebaïs? Dann würden diese zeitlich tief herabgedrückt. Von Aischylos? Das ist doch kaum glaubhaft. Am wahrscheinlichsten ist, daß zwischen dem ,homerischen Epos‘ und den Tragikern noch irgend ein Gedicht gestanden hat, das unter delphischem Einflusse den Stoff neu organisierte. Daß es sehr viele verschiedene Formen der Oidipussage gegeben hat, können auch wir noch erkennen. Wir müssen uns damit abfinden, das Vorbild des S. nicht mehr nachweisen zu können. Der einer ganz anderen Version folgende Oidipus des Euripides muß hier außer Betracht bleiben. Vgl. Robert Oid. I 305ff. Heldens. II 898f.
Im Oidipus Tyrannos ruft nicht wie im Aias und in der Antigone die Gestalt des Helden die Schauer mythischen Geschehens herauf, sondern die Vorzeitlichkeit seines entsetzlichen, vergeblich bekämpften Schicksals. Zweifellos sind in der Inzestehe des Königs durch die Sage Erinnerungen an menschliche, jenseits aller Geschichte liegende Urzustände bewahrt. Das Wiedererscheinen solcher vorweltlichen Lebensformen während einer nur im Kosmos sich erhaltenden Zeit führt zu verwandten und ebenso dem Willen des einzelnen entrückten Zusammenstößen und Untergängen, wie im Aias. Es ist aber hellenisches Gesetz, daß großes Schicksal nur den großen Menschen ergreift. Deshalb muß der vom Entsetzlicheren getroffene König sich noch härter bewähren, als der Held vor Troia: Er muß sich den Tod versagen. In dem Bewußtsein, daß keinem außer ihm so Furchtbares auferlegt werden könne und daß es nur ihm tragbar sei (v. 1413), geht er in selbstgewollter Blindheit gefaßt der grauenvollen Ungewißheit des Zukünftigen entgegen. Im Gesamtwerk des S., soweit es uns noch sichtbar ist, ist die Bedeutung des Oidipus diese: daß hier als in einer sich entgöttlichenden Zeit vorweltliches Schicksal heraufgerufen und getragen wird, weil die immer mehr sich ausbreitende geistige Zersetzung schon titanische Gegenkräfte fordert. Es wäre nicht unmöglich, daß S. an Gestalt, Leben und Untergang des Perikles, der auch schon zum Acheronta movere gezwungen war, solches Gesetz lebendig wirkend erkannt hätte. Dazu stimmt der oben gegebene Zeitansatz des Dramas.
4. Τραχίνιαι: Das Drama ist undatiert, es kann aber als erwiesen gelten, daß es nach dem euripideischen Herakles gedichtet ist (T. v. Wilamowitz S. dram. Techn. 90ff.), der seinerseits von U. v. Wilamowitz (Herakl. I² 134ff.) in die Zeit zwischen Ἱκέτιδες und Troerinnen, also zwischen 421 und 415, gesetzt wird. In das zweite Dezennium des peloponnesischen Krieges gehören also vermutlich auch die Trachinierinnen. Die Elektra des S. – aufgeführt vor 413, s. u. –, sicher aber der Philoktet (409), dürfte den terminus [1087] ante quemÄÄ abgeben (T. v. Wilamowitz a. a. O. 98). Die Frage nach der Quelle des S. ist beantwortet durch die Entdeckung von Bakchylides 15. Beiden liegt dieselbe epische Bearbeitung zugrunde, die wir aber, wie T. v. Wilamowitz a. a. O. 99 mit Recht bemerkt, nicht mit der Oichalias Halosis des Kreophylos von Samos identifizieren dürfen. Aus der Übereinstimmung von S. Tr. 749ff. usw. mit Bakchylides ergibt sich als sicher der Vorlage angehörig: Eroberung von Oichalia, Opfer von zwölf Rindern am kenaiischen Vorgebirge auf Euboia, Eifersucht der Deianeira und Übersendung des Nessosgewandes, Tod von Herakles und Deianeira. Daß die Gewandsage verbreitet war, lehrt ihre Erwähnung in dem ,hesiodischen‘ Katalogbruchstück frg. 135, 18ff. Rz. ed. min. In die Tragödie ist Herakles, soweit wir wissen – denn weder Zeit noch Art des oder der gleichnamigen S.-Dramen sind uns bekannt, s. o. G nr. 39–41 – erst durch Euripides, der Stoff der Trachinierinnen erst durch S. eingeführt worden. Ob S. sich, wie T. v. Wilamowitz a. a. O. 104ff. meint, im Aufbau der Handlung durch Anschluß an ein eigenes früheres Werk, die Νίπτρα, hat beeinflussen lassen, muß dahingestellt bleiben.
Der Anschein hat dazu verführt, zu glauben, die Trachinierinnen seien ein Drama der erotischen Leidenschaft, und man hat sich darüber beklagt, daß durch den Wechsel der Hauptpersonen kein recht einheitlicher Ablauf zustande komme. Es liegt aber, wie ähnlich oft bei S., das Hauptgewicht gar nicht auf der Darstellung menschlicher Charaktere und Schicksale, sondern auf jenem Punkte, wo die der olympischen Weltordnung entstammenden Menschen mit Wesen anderer Schichtung zusammentreffen und, ihrer dünneren Artung entsprechend, vor dem Elementarischen erliegen. Der Kentaur Nessos, ein urzeitlicher Anwohner menschenferner Gewässer, wird ob eines ungehemmten Triebes die Beute des die Erde von Ungetümen befreienden Herakles. Doch nicht ungestraft vertreibt der Irdische die dämonischen Wesen: sie bedienen sich der menschlichen Leidenschaften, als der letzten noch übrigen naturhaften Mächte, und vernichten, wenn auch spät, durch dunklen Zauber ihren Überwinder. Deianeira, in den Zusammenprall so furchtbarer Gewalten hineingeratend, fällt als ein schuldloses Opfer, Herakles aber wird im Feuertode zu den Göttern erhoben, damit im Widerstreite titanischer und olympischer Mächte das Übergewicht der Seligen erhalten bleibe.
5. Ἠλέκτρα: Die Datierung des Stückes macht Schwierigkeiten. Als erwiesen kann gelten, daß es älter ist als das gleichnamige Drama des Euripides (zuletzt T. v. Wilamowitz a. a. O. 228ff.), welches höchstwahrscheinlich an den Dionysien 413 (Kaibel El. S. 63) aufgeführt wurde, und daß es aus metrischen Gründen unter die späteren Werke des S. (U. v. Wilamowitz Herm. XVIII 242ff.), vielleicht noch hinter die Trachinierinnen (nach 421, s. o.) zu setzen ist. Damit käme man etwa auf die Zeit 419–15. Gleichzeitigkeit mit den Trachinierinnen ist nicht ausgeschlossen. Der Dichter benutzt die Form der Sage, die uns noch in den Choephoren des Aischylos gestaltet vorliegt. Die Änderungen, die [1088] er getroffen hat, um einerseits Elektra in den Mittelpunkt zu rücken, und die andrerseits durch die Verwandlung aus einem Teilstück in ein Einzeldrama bedingt waren, sind von T. v. Wilamowitz 164ff. eingehend und überzeugend erläutert worden. Ob S. daneben von noch älterer Überlieferung beeinflußt war, können wir nicht mehr ausmachen.
Die Elektra fesselt durch die unvergleichliche artistische Meisterschaft, mit der hier Szene für Szene dem durch Aischylos in seinem ethischen Gehalte erschöpften Stoffe die höchste dramatische Wirksamkeit abgewonnen ist. T. v. Wilamowitz hat dies im einzelnen nachgewiesen. Die dem Mythos ursprünglich innewohnenden oder von Aischylos eingesenkten Schauer hervorzurufen, scheint S. vermieden zu haben. Es ist, als ob jene Jahre nach dem Nikiasfrieden dem die Dionysien begehenden Dichter nicht erlaubt hätten, die Gewalten der Höhe oder der Tiefe zu bannen, und er sich habe begnügen müssen, den Gott mit der ganzen Pracht seiner Kunst zu feiern, ohne von seinem letzten Wissen und Wollen zu künden, weil in jener glanzvollen Aufstiegszeit des Alkibiades die Stunde nicht war, in der sein Weisen oder Warnen vernommen werden konnte.
6. Φιλοκτήτης: Das Drama ist laut der Hypothesis unter dem Archon Glaukippos (409) aufgeführt worden und hat den ersten Preis erhalten. Die Geschichte des Philoktetstoffes vor S. ist in allen Phasen ziemlich deutlich. Homer Il. II 271ff. setzt schon die uns bekannte Sage voraus: daß Philoktet am Schlangenbisse krank in Lemnos liege und die Argiver bald seiner gedenken würden. Die Abholung war ausführlich in der kleinen Ilias erzählt, s. Proklos: jμετὰ ταῦτα Ὀδυσσεὺς λοχήσας Ἕλενον λαμβάνει, καὶ χρήσαντος περὶ τῆς ἁλώσεως τούτου Διομήδης ἐκ Λήμνου Φιλοκτήτηω ἀνάγει. Hier darf nicht mit Robert Heldens. II 1209, 3 hinter Διομ. aus Apollod. ep. 5, 8 σὺν Ὀδυσσεῖ ergänzt werden, da Apollodor, wie aus der Beseitigung des Helenosorakels hervorgeht, einer anderen Quelle (der Aithiopis? Robert a. a. O. 1207, 2) folgt. Und weiter bei Proklos: καὶ Νεοπτόλεμον Ὀδυσσεὺς ἐκ Σκύρου ἀγαγὼν τὰ ὅπλα δίδωσι τὰ τοῦ πατρός. Man sieht deutlich: Helenos – von Odysseus gefangen genommen – hat wie bei S. (Phil. 604ff. 113ff.) Neoptolemos und Philoktet als notwendig für die Bezwingung Trojas genannt. Odysseus und Diomedes teilen sich in die Aufgabe, letzterer fährt als der unverdächtigere zum Philoktet – Odysseus hatte doch wohl, wie bei S., ehemals die Aussetzung bewirkt – ersterer holt Neoptolemos. Diese gegebenen Sagenelemente werden nun von den drei Tragikern auf das verschiedenste kombiniert oder gewandelt. Unsere Hauptquelle ist Dion von Prusa or. LII περὶ Αἰσχύλου καὶ Σοφοκλέους καὶ Εὐριπίδου ἢ περὶ τῶν Φιλοκτήτου τόξων. Den Prolog des euripideischen Werkes hat Dion außerdem or. LIX paraphrasiert, vgl. Robert Heldens. II 1208ff. Bei Aischylos kommt Odysseus allein (Dion LII 14) nach Lemnos und wird von Philoktet nicht erkannt. Er belügt den Helden (Dion LII 10) ähnlich wie Neoptolemos bei S. Während eines Anfalles seiner Krankheit stiehlt Odysseus den Bogen und [1089] überredet den Wiedererwachten zur Mitfahrt. Die Unwahrscheinlichkeiten, daß Philoktet den Olysseus nicht erkennt, daß die Lemnier sich zehn Jahre nicht um den Kranken gekümmert haben, werden ohne Erklärung vorausgesetzt (Dion LII 5. 7). Odysseus war beißend und listig, aber nicht unedel dargestellt. – Der 431 zusammen mit Medeia Diktys Theristai (Arg. Eur. Med.) aufgeführte Philoktet des Euripides trägt dem veränderten Stilgefühle durch rationalistische Motivierung, spannende Verwicklung und eingelegte Redekämpfe Rechnung. Odysseus, von Athena an Gestalt und Stimme unkenntlich gemacht, kommt mit Diomedes nach Lemnos. Er schleicht sich durch Lügenerzählungen in das Vertrauen Philoktets. Gleichzeitig schicken auch die Troer eine Gesandtschaft, um den Philoktet zu sich herüberzuziehen. Es kommt zu einem Redekampfe, der mit dem Siege des Odysseus endet: die Troer, von Philoktet bedroht, müssen abziehen (Robert Heldens. II 1211). Während eines Krankheitsanfalles stiehlt Diomedes dem Philoktet – der zwar die Troer abgewiesen hat, aber noch nicht für die Griechen gewonnen ist – den Bogen. Dem Verzweifelnden gibt Odysseus sich zu erkennen und überredet ihn zur Mitfahrt (s. (Robert a. a. O.). Der Chor bestand wie bei Aischylos aus Lemniern, die sich eigens entschuldigen müssen, daß sie den Dulder Jahre hindurch vernachlässigt haben. Auch tritt Aktor auf, scheinbar ein lemnischer Hirt. Er war der Vertraute des Helden und wird die Botenrolle gehabt haben. Die Neuerungen des S. liegen also auf der Hand: 1. Die Einführung des Neoptolemos statt des Diomedes, der nur in dem fiktiven Berichte (v. 570) beibehalten wird – in der kleinen Ilias scheint Neoptolemos erst nach Philoktet abgeholt worden zu sein –, 2. die Ersetzung des Lemnierchores durch die Schiffsmannschaft, 3. Herakles als deus ex machina. Allen drei Tragikern gemeinsam ist 1. die Täuschung des Helden durch einen Lügenbericht, 2. der Krankheitsanfall und im Zusammenhang damit 3. der Bogendiebstahl. Diese drei Motive dürften deshalb auf das Epos zurückzuführen sein.
Wie in der Elektra, so verläuft auch in diesem Drama das Geschehen zunächst nur in der menschlich-heroischen Sphäre, obwohl das Schicksal des Philoktet durch einen doppelten göttlichen Flug in Vergangenheit und Zukunft bestimmt ist: durch den gottgesandten Biß der Schlange und durch die gottgewollte Mitwirkung des Helden an der zwar hinausgeschobenen aber unabänderlich verhängten Zerstörung Troias. Zehn Jahre schon hat er Leiden erduldet, deren bloßen Anblick, wie er selbst sagt, keiner außer ihm ertragen hätte. Aber noch härtere Prüfung wird dem Gemarterten auferlegt, als ihm nach Ablauf der Frist die Wahl bleibt, weiter die einsamen Qualen zu ertragen oder zu den verhaßten Atriden vor Troia zu ziehen, um dort Heilung zu finden und Ruhm zu erlangen. Obwohl er seiner Gottverlassenheit sich bewußt ist (v. 254) und des furchtbaren Schicksals, das seiner nach Verlust des ernährenden Bogens harrt, vermögen weder die Drohungen des Odysseus noch die Bitten des Neoptolemos, ihn seinen Haß gegen die Atriden vergessen zu lassen: ,denn ich lebe [1090] zwar jammervoll, doch wenn ich sie vernichtet sähe, möchte ich glauben, der Krankheit ledig zu sein‘ (v. 1043). Seine Unbeugsamkeit wächst nur mit dem immer sich steigernden Drucke, bis er am Schlusse über Odysseus siegt und, Neoptolemos ihm die versprochene Heimkehr bereiten will. Doch anders haben es die Götter gefügt, die seiner vor Troia bedürfen: so muß der zu den Göttern erhobene Herakles dem einstigen Gefährten befehlen, sich seiner Sendung nicht zu entziehen. Mit Unrecht hat man hier von einer äußerlichen Entwirrung eines unlöslichen Knotens gesprochen: der heroische Mensch ist unüberwindlich durch seinesgleichen, ja durch das Schicksal, gehorcht aber ohne Zaudern der Stimme des Gottes. Damit ist dann aber auch dieses irdische Geschehen seiner menschlichen Vereinzelung entkleidet und in die göttliche Ordnung eingereiht. So hat S. noch einmal das Bild des allen Bedrängnissen des Schicksals trotzenden und nur dem Gotte weichenden Helden seiner Stadt aufgerichtet, vielleicht in der Hoffnung, es möchten die den nahen Untergang kündenden, ihm gewiß nicht verborgenen Zeichen trügen, und sein Volk sich, wie Philoktet, des Gottes Stimme gehorchend, zu Heilung, zu neuer Tat und zum endlichen Siege erheben.
7. Οἰδίπους ἐπὶ Κολωνῷ: Das Werk ist posthum vom Enkel des Dichters 401 aufgeführt worden (s. o. S. 1044) und war siegreich (U. v. Wilamowitz bei T. v. Wilamowitz Dram. Techn. 318, 3). Schwierigkeiten der Interpretation durch Zuweisung von Versen an den jüngeren S. zu beseitigen, wird man jetzt unterlassen müssen (v. Wilamowitz a. a, O. 363, 2). Die Vorgeschichte des Sagenstoffes ist dunkel. Durch den Oidipus Tyrannos gegeben ist die Blendung; ob er gemäß dem Orakel und dem eigenen Wunsehe verbannt wird, bleibt dort ungewiß. An die wohl sicherlich auch schon alte Verbannungssage haben sich nun mancherlei lokale Legenden angesetzt: an ziemlich vielen Orten glaubte man das Grab des Oidipus zu besitzen (v.Wilamowitz 326), so auch in Attica am Kolonos Hippios. Ein nicht ganz deutliches Orakel – Schol. OK 57 (nicht aus Istros) vgl. Robert Heldens. II 901. v. Wilamowitz 324 – lehrt wenigstens soviel, daß der Kolonos Hippios schon vor den Tragikern mit irgendwelchen Weissagungen, die die Böoter betrafen, in Verbindung stand, vermutlich also auch mit der Oidipussage. Euripides, der gerne Lokalsagen aufgreift, hat sie unseres Wissens durch seine Phönizierinnen (aufgeführt vermutlich 409) in die Literatur eingeführt v. 1703ff.:
O. νῦν χρησμός. ὦ παῖ, Λοξίου περαίνεται
Α. ὁ ποῖος ἄλλ’ ἦ πρὸς κακοῖς ἐρεῖς κακά;
O. ἐν ταῖς Ἀθήναις κατθανεῖν μ’ἀλώμενον.
A. ποῦ; τίς σε πύργος Ἀτθίδος προσδέξεται;
O. ἱερὸς Κολωνός, δώμαθ’ ἱππίου θεοῦ.
ἄλλ’ εἶα, τυφλῷ τῷδ’ ὑπηρέτει πατρί,
ἐπεὶ προθυμῇ τῆσδε κοινοῦσθαι φυγῆς.
An den gleichen Ortsmythos knüpft S. an, wenn nicht an Euripides selbst. Jedenfalls teilt er drei wichtige Voraussetzungen mit ihm: Oidipus erlebt noch den Zug der Sieben, wird verbannt und von Antigone begleitet (s. Robert Oid. I 407). Ein zweites, die Polyneikesszene beherrschende [1091] Motiv, die Verfluchung der Söhne wegen eines dem Vater angetanen Unrechtes, kennen wir als Urbestandteil der Sage: die Thebais schon hatte es (frg. II. III. All), bei Aischylos (Sept. 788ff.) durchdringt es das Geschehen, Euripides (Phoin. 68) nimmt es auf (vgl. Robert Heldens. II 905). Über diese angegebenen Hauptzüge hinaus lassen sich nur bedeutungsarme Einzelheiten als übernommen erweisen. (Anlehnung an Aischylos: v. Wilamowitz a. a. 0. 362, an den Philoktet des Euripides: v. Wilamowitz a. a. 0. 335, an die Phoenizierinnen: Robert Oid. I 458ff.). Die Gestaltung des Ganzen wie des Einzelnen ist trotz solcher Anklänge durchaus von sophokleischer Prägung.
Die beiden Hauptrichtungen des sophokleischen Schaffens: Das Heraufrufen des Grauens vor den dunklen, das Leben erhaltenden Mächten und die Darstellung des heldischen, jedem Wechsel des Schicksals gewachsenen Sinnes sind im OK am engsten verbunden und am deutlichsten sichtbar. Es ist oben gezeigt worden, welche uralten Bluterinnerungen den Verlauf im OT bestimmen; eine Lösung aus den furchtbaren Verstrickungen wird dort nicht gegeben, weil sie im Baume menschlichen Geschehens nicht gefunden werden kann. Aber auch die olympischen Götter, deren Amt es ist, diesen Kosmos zu bewahren, vermögen es nicht, den von Mensch und Gott Verstoßenen zu befrieden. So muß der Dichter den Helden zu den unteren Göttern geleiten. Seit dem Sturze sind viele Jahre des Umherirrens über den verbannten, nur von seinen Töchtern geleiteten Herrscher hingegangen, und der blinde Greis ist sich bewußt, daß nur noch ,ein trauriger Abglanz‘ seiner einstigen Leiblichkeit geblieben ist Trotzdem hat nicht das jähe Unheil, nicht langes Irrsal den Sinn des Fürsten tiefer zu beugen vermocht, als daß er gesteht: sich zu bescheiden hätten die Leiden und die lange Zeit ihn gelehrt, und ein Drittes: der eigene Adel. Unedle Reue ist ihm so fern wie unziemliches Schuldgefühl: mehr erlitten als getan habe er seine Werke. Deshalb erhielt sich allen Entstellungen des Schicksals zum Trotze adliger Wuchs und adliges Gebaren, welches sein Geblüt ihm verliehen hatte. Die Schmeichelreden und Drohungen des Kreon vermögen ebensowenig wie der Raub seiner Töchter oder die flehentlichen Bitten des Polyneikes ihn seinem gottbestimmten und selbstgewollten Schicksale zu entfremden, und gegen die Bedränger entbrennt er noch in der gleichen Heftigkeit, ja Wildheit jähen Zornes wie in den Tagen seines Königtumes. Nachdem er solchermaßen an einem Tage nochmals den ganzen Jammer seines irdischen Wallens hat ertragen müssen, geht er, vom Donner der Gottheit gerufen, er, der Blinde, die Sehenden führend, zu dem Orte seines Scheidens, wo er auf eine geheimnisvolle und schreckliche Weise den Augen des einzig anwesenden Theseus entschwindet, um nun für alle Zeit als segenspendender Heros die Athener zu schützen. Im OT war durch den Sturz des Königs das Übergewicht der Oberen über die Unteren hergestellt, die olympische Ordnung sieghaft befestigt worden. Im OK geschieht das Umgekehrte: der greise Dulder im Haine der Eumeniden, dieser von Aischylos aus [1092] den grausamen Hüterinnen der Blutrache in segnende Mächte verwandelten Gottheiten, ins Unsichtbare entrückt und nun selbst die schützende Stadt beschützend, gilt uns als Symbol, daß dem S. zwar die olympische Ordnung heilig war, daß er aber gleich Aischylos ihren Untergang voraussah, wenn man alles Furchtbare aus dem Leben vertriebe.
S. selbst hat den OK nicht mehr aufgeführt. Bald mußten die Athener, wie Antigone und Ismene den entschwundenen Vater, ihren zu seinen Göttern entrückten Dichter beweinen. Wer personale Ausdeutung der Dichtung liebt, mag in manchen Einzelheiten Anspielungen finden: etwa im Preis des Kolonos das Lob der Heimat des Dichters, er mag in der Gestalt des uralten Oidipus ein Selbstbildnis des gebrochenen Dichters sehen oder in der Entrückung des Helden das Vorgefühl des eigenen Todes — die Athener haben sein Walten lange über sein irdisches Dasein hinaus gefühlt und unbekümmert um menschlich-allzumenschliches Geschwätz ihn als Heros verehrt.
IV. Gesamtcharakteristik der Kunst des Sophokles. Aus den einander kreuzenden ionischen und dorischen Einflüssen, die für uns durch die Namen Phrynichos und Pratinas repräsentiert werden, hatte Aischylos durch die gewaltsame Herbheit in Wortwahl, Wortbildung und Satzfügung den tragischen Stil geschaffen. S. schließt sich — nach seinem eigenen Ausspruche, vgl. v. Wilamowitz Herm. XL 150f. — anfänglich der Art des Begründers an, bis er allmählich seinen eigenen Kunstcharakter ausbildet. So weicht die in jeder beginnlichen Zeit notwendig rauhe Fügung des Aischylos der ἁρμονία εὔκρατος des S. Verschwunden ist die dunkle Pracht verschollener Worte und kühner Neubildungen: nur selten werden sie gesetzt des Glanzes oder des Tones wegen. Anders fügen sich auch die Worte zum Satz. Es gibt einen Zustand der Sprache, in welchem die Worte einer elementaren Anziehung zu unterliegen scheinen, ohne von Logik und Grammatik gerechtfertigt zu werden. Derart ist etwa das berühmte Heraklitfragment: ,des Bogens Name ist Leben, sein Werk aber der Tod‘. Diese Wahlverwandtschaft wirkt auch bei Aischylos und narrt oft die am Faden des Denkbaren vorantastenden Ausleger. Das Merkmal des sophokleischen Satzbaues dagegen ist Klarheit, aber wiederum nicht die Klarheit des Logischen, sondern der Gegenständlichkeit, der plastischen Formung, die einen verschränkten Ausdruck, eine kühne Beziehung, ein seltenes Wort nicht verschmäht, ja manchmal fordert. Treffen Menschen zusammen, denen, wie Kreon und Antigone, nichts gemeinsam ist als Denken und Reden, so schwingt wohl augenblicksweise selbst das Dialektische mit hinein: scharf aufeinander bezogene Wendungen geben solchen Stellen einen fast rednerischen Charakter. Doch ist die Rhetorik bei S. nie Selbstzweck, wie manchmal bei Euripides, vielmehr ist sie die Form der menschlichen Beziehung, welche sich bildet, wo es keine andere Brücke gibt. Der berühmte Ausspruch des S., Aischylos tue das Rechte, aber ohne es zu wissen, bezeichnet eindeutig den Punkt, von dem aus ihrer beider dichterische [1093] Sprachen gleichem Ursprunge zum Trotze auseinanderstreben. Die Rhythmik des S. zeigt sowohl im Bau des Trimeters (Versschluß) wie der Chorlieder (Zurücktreten der iambischen und trochäischen Gebilde) dieselbe Erscheinung.
Nietzsche hat mit Recht die Entstehung und Entfaltung der Tragödie auf die Vereinigung des Dionysischen und Apollinischen als auf ein Urphänomen zurückgeführt. Weil er aber, von Wagner ausgehend, diese ungeheuere Einsicht sich am Aischylos gebildet hat, so überwiegt in seiner Beschreibung der Tragödie das Dionysische, indem es dort bis in die sprachlichen Einzelheiten sich hinabsenkt. Umgekehrt läßt sich die Sprache des S. am ersten der apollinischen Klarheit Homers vergleichen, wie es schon die Alten getan haben, während das Dionysische bei ihm in die Gesamtgestaltung eingeschlossen ist. Denn es liegt — wie Hölderlin sagt — ,in dem faktischen Worte, das, mehr Zusammenhang als ausgesprochen, schicksalsweise vom Anfang bis zu Ende gehet, in der Art des Hergangs, in der Gruppierung der Personen gegeneinander, und in der Vernunftform, die sich in der furchtbaren Muße einer tragischen Zeit bildet‘. Solche Spannung zwischen der plastischen Helle des Wortes und der dunklen Glut des Geschehens ist die Form, in der S. die Vereinigung der göttlichen Gewalten vollzieht. Um diese Spannuug aufrechtzuerhalten, mußte Hölderlin in seinen Übersetzungen das Wort dionysischer gestalten, weil der Gesamtverlauf, losgelöst vom Dionysosfeste und herübergetragen in das 18. Jhdt, eine andere Bedeutung erhielt. Seit der Zeit Goethes und Hölderlins ist der Sinn für die εὔκρατος ἁρμονία des S. in der gelehrten Welt zusehends geschwunden, und man hat sich bemüht, ihn neben Aischylos verächtlich zu machen, wie die archaische Plastik die Schätzung des Pheidias, wie Michelangelo Raffael verdrängt hat. Aber die Wendung hat schon begonnen und man wird wieder lernen, daß auch ,das Andante das Tempo der großen Leidenschaft ist‘.
Ein ähnliches Verhältnis wie zwischen der monologhaften Sprache des älteren und der aus dem Dialog geborenen des jüngeren Dichters hat auch zwischen ihren Gestalten statt. Aischylos als Rufer der Götter, als Wiedererwecker der Helden, als Schöpfer des neuen Menschen erfüllte Staat und Volk mit heroischem Geiste, ohne den das schöne Leben nicht aufblühen kann. Aber selbst dieses, jedes Maß übersteigende Werk wurde wiederum zur Stufe, auf der ein zweiter Göttersohn sich weiter emporschwang, indem er das möglich gewordene in Person und Werk darstellend vollendete. Denn noch galt es, eines zu überwinden, was alle aischyleischen Gestalten schicksalhaft umfangen hält: die Einsamkeit. In sich selbst beruhend, aber eines dem andern fremd sprechen, tun und leiden jene mit der rätselhaften Herbe, die wir an den frühzeitlichen Bildwerken gewahr werden. Kein liebendes Zueinanderneigen verbindet die Nächstverwandten: zwischen Okeanos und Prometheus oder Orest und Elektra ist keine Gemeinschaft als die des Ursprungs und des Schicksals, zu schweigen von der schlimmeren Verödung um Agamemnon, um Eteokles und den nur noch bei Göttern Schutz [1094] findenden Orest der Eumeniden. Doch ist hier kein Mangel. Des Aischylos Amt war die Begrenzung des heiligen Bezirkes, in dem glücklichere Erben den versöhnten Göttern die Tempel bauen und eine liebende Jugend die Seligen und sich selbst feiern sollte. Diese Einsamkeit, dieses Für-sich-sein ist nun bei S. überwunden. Selbst die Träger der entsetzlichsten Schicksale, wie Herakles, Antigone, Oidipus — der Aias steht der Weise des Aischylos näher — sind keine ‚uralten Riesengestalten‘ öder Wildnis, sondern leben unter und mit den Menschen, oder leiden, wie Philoktet, an ihrer Verlassenheit. Daß sich hier der Gesamtzustand des athenischen Lebens spiegelt, kann dem nicht zweifelhaft sein, der das Dasein und Schicksal des Themistokles mit dem Lebensablaufe des Perikles vergleicht, oder die älteren Akropolisgiebel mit dem Relief- und Giebelschmuck des Pheidias.
Aber S. war nicht nur ein Fortbilder des älteren, sondern auch der Hüter des von ihm selbst zur Reife geführten Stiles, und damit — denn die Tragödie war und blieb Staatsangelegenheit — des Lebens überhaupt. Wiewohl er von Euripides und dem neuen Dithyrambos in Silbenmaß und technischen Einzelheiten manches übernommen hat, den Kunst und Staat zersetzenden Tendenzen der Sophistik hat er keinen Einfluß auf sein Werk zugestanden. Kein Zweifel, daß des Euripides Leben und Werk seine verhängnisvolle Wendung genommen hat, weil S. die Götter ins Dasein gebannt hielt und dem Mitstrebenden den Weg der Ratio im Glauben und damit in der Kunst verbaute. Nicht aber hinderte die agonale Eris, daß S. dem wenige Monate vor seinem eigenen Ausgange abgeschiedenen Gegner vor dem Gotte und der Stadt eine letzte Huldigung erwies, indem er, selbst schwarz gekleidet, den Chor ohne Kranz einziehen ließ.
Mit dem Tode des S. ist die klassische Zeit des Gleichgewichtes aller Kräfte endgültig abgeschlossen. Platon kann sein neues Bild des Menschen nicht mehr im Einklange mit dem bestehenden Staate verwirklichen, und sein Geist muß schon aus einem Jenseits die Richte herabrufen, weil die Götter nicht mehr gegenwärtig genug waren, um das irdische Leben gestaltenträchtig zu erhalten. Solche Götterdämmerung vorauswissend wiederholt der Chor im letzten Werke des S. den uralten Volksspruch, der für Hölderlin und Nietzsche Symbol der alle Zeiten durchlaufenden geheimen Melancholie des Griechentumes war: μὴ φῦναι τὸν ἅπαντα νικᾷ λόγον· τὸ δ’ ἐπεὶ φανῇ, βῆναι κεῖθεν ὅθεν περ ἥκει πολὺ δεύτερον ὡς τάχιστα.
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