Schwärzer-Launen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: Joseph Resch
Titel: Schwärzer-Launen
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 1, Nr. 14, S. 105–108.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1845
Verlag: Braun & Schneider
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: MDZ München, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[105]


Schwärzer-Launen.


Auf der bayerischen Grenze in der Scharnitz treibt seit Jahren ein verwegener Mensch das Schwarzmachen, welchen wir eben so gut beim rechten Namen zu nennen wüßten, wie die Mautner und Grenzjäger, die oft genug seine Bekanntschaft machten, den wir aber in diesen Blättern umtaufen wollen, ihm und uns zu lieb. Er könnte, wenn er’s erführe, die Veröffentlichung seines Namens falsch verstehen, da dieser bisher nur in Steckbriefen gedruckt zu lesen war, und daß es sich mit dem Manne nicht gut in einer gewissen Spannung lebt, werden wir aus dieser Geschichte baldigst erfahren.

Der „Ranggelbube“, wie er heißen soll, so gut er auch alle Kniffe und Pfiffe seines Handwerkes kannte, und obendrein die Keckheit von einem Dutzend seiner Spießgesellen allein im Leibe hatte, war auch nicht immer glücklich in seinen Geschäften, wie das allen Leuten begegnet, die durch etwas gewagte Speculationen reich werden wollen.

Bei dem Gewerbe, dem er sich gewidmet hatte, und für das zufällig keine Patente ertheilt werden, rechnen die Ausübenden nicht ohne Scharfsinn darauf, daß diejenigen, die ihnen einen Strich durch die Rechnung machen sollen, solches unterbleiben lassen, oder wenigstens es nicht sehr ernstlich damit nehmen. Es ist ein leidiges Geschäft, bei Tag und Nacht auf allen Jöchern umher zu kriechen, auf daß man zum Schlusse, ob eines Pfundes Kaffee oder einer Rolle Tabak, von einem Schmuggler auch noch todt geschossen werden könne, und wenige Menschen werden sich, auch wenn sie dafür bezahlt werden, dazu berufen fühlen.

So hatte denn auch der Ranggelbube in Erfahrung gebracht, daß die Zöllner es vorzögen, bei Weib und Kind ruhig zu schlafen, und, wenn sie ihm etwa einmal auf einer Streife begegneten, in einem großen Bogen seitab auszuweichen, sobald sie ihn mit der Kraxe auf dem Rücken und dem Stutzen in der Hand in weiter Ferne erspähten. Deßhalb war er ganz zutraulich geworden, lief am hellsten Tage mit seiner Waare, und rief den Grenzjägern den freundlichsten guten Morgen zu, wenn er auf irgend einer Hochalpe ein verzagtes Paar dieser Grünspechte ausfliegen sah; ob dieser großen Sicherheit aber gab er sich kaum mehr die Mühe, zu erfahren, was in der umpfahlten Mautnerherberge [106] Neues vorging, und so blieb’s ihm ein Geheimniß, daß daselbst ein neuer Gewalthaber angekommen war. Die Menschen haben oft die wunderlichsten Passionen; was andere nicht um schweren Lohn thun, treibt der Eine aus purem Vergnügen, und in eben dieser Weise kannte der neue Zöllner keine größere Seligkeit, als die Schwärzerjagd. Vom Ranggelbuben vernahm er alsbald die verlockendsten Schilderungen, und da er einmal Wind hatte, verhalf er sich auch schnellstens auf die rechte Spur. Im lieben Mondenscheine wandelte der Schwärzer einmal über’s Grenzjoch, da sprang der Zöllner hinter einem Heustadel hervor, und ehe sich’s der Ranggel-Pauli versah, war er gepackt und sicher verbändelt.



Darauf ward der Pauli nach Innsbruck in’s Zuchthaus verschickt, und konnte zwei Jahre lang beim Wollhächeln darüber nachdenken, ob er oder der Kaiser bei diesen Streitigkeiten im Rechte sei. Es scheint, er entschied sich für’s erstere, denn da er frei ward und heimkehrte, brachte er durchaus keine größere Achtung für die Zollgesetze mit sich, und machte, schwarz, was ihm in die Hand kam. –

Sein böser Feind, sein strenger Grenzhüter, stund wohl noch auf seinem Posten, und seine Lust, Defraudanten einzufangen, war nicht geringer geworden, wohl aber seine Kraft, denn ein Gebreste hatte ihn heimgesucht, dem kein Arzt gewachsen war, weil der Patient leider an der Krankheit Gefallen fand. In der einöden Wüstenei seiner frühern Station, im Böhmerwald, hatte der grimmige Wächter bereits seinen einzigen Freund und Tröster im Kruge gefunden, und hier im wilden Tyrolergestein floß ihm nun zufällig der Labetrunk doppelt aus dem Bierfasse im bayerischen Mittenwald und aus der Weinkandel im Scharnitzer Dörflein. Es kam dahin, daß der Zöllner tagtäglich betrübter ward und eben so tagtäglich sich reichlicheren Trost bald im Gersten-, bald im Rebensaft erholen mußte, dabei aber nicht immer den hellen Blick und die sichere Faust sich bewahrte, mit welchen er früher amtirt hatte. Solche Leibesschwachheit seines Widersachers gab dem Ranggelbuben seine ganze vorige Verwegenheit wieder, und auch ohnehin schien er, seit er aus dem gelben Vogelhaus in Sanct Niklas entlassen war, weit weniger Gründe zu haben, sich zu scheuen vor Gericht und Kerker. Dem Mautner hatte er aber dennoch durch sichere Hand melden lassen, er möge ihm aus dem Wege gehen, da er sonst ob der versessenen zwei Jahre mit ihm „raiten[1]“ würde. Der drohte hinwieder, der Pauli verlachte ihn, und als der Beamte Miene machte, ihm ernstlich zu Leibe zu treten, erklärte der Schwärzer, er werde seine Büchse nicht mehr mit Hasenschrot für die Beine des Zachäus, sondern mit einer Kugel für dessen Kopf laden.

In einer unwirschen Aprilnacht hatte sich der Ranggelbube zu Mittenwald bei seinem Helfershelfer die Kraxe vollgepackt mit Kontrebande, seinen breiten Rücken damit beschwert, seinen geladenen Stutzen unter die Juppe gewickelt, zum Schluß einen tüchtigen Spritzer Weihbrunnen und ein flinkes Kreuz darüber zu sich genommen, und war also reisefertig in Gottes Namen hinausgewandelt vor den Flecken. Es gehwindete abscheulich, und das Wetter machte den Buben alsbald so fuchsteufelswild, daß er mit dem lieben Herrgotte im Himmel zu zanken anfing, um so weniger also gesonnen war, irgend Einem auszuweichen. Mitten in das dichte Schneegestöber, das seinen rothen Bart in kürzester Frist in den eines Greises verwandelte, sang er zwischen ergiebigen Flüchen laut und den Sturm überschreiend alle Schnadahaggen gegen Mautner und Gensd’armen, die ihm beifielen. So kam er hinaus, wo auf der freiern Weitung über die junge Isar her, der Wind so recht mit aller Macht zu streifen vermag; vor ihm flimmerte im grauen Nebelbrodem der fahle Lichtring irgend einer verspäteten Lampe aus den Zollgebäuden, – links ab mußte nun bald sein Pfad bergauf geben nach dem Grenzgebirge. Hier hallte seine Stimme recht mächtig über die Haide, und nach einem kecken Jauchzer sang er:

„Und kummat der Teufel
„Heunt selbst auf mi an,
„Ich schießet’n z’samm’
„Wie ’n’an alt’n Fasan!“


  1. raiten – rechnen

[107] Noch war er mit dem Trutzlied nicht zu Ende, so stieß er mit dem Fuße an etwas quer über die Strasse liegendes, das er früher nicht bemerkt, da ihm der Wind gerade wieder eine Handvoll Flocken in die Augen geschüttelt hatte. Er dachte an ein Stück Holz oder einen Getraidesack, den etwa ein Fuhrmann verloren haben könnte, und trat ziemlich derb mit dem Fuße auf das Ding; das aber gab darauf einen Laut von sich, halb ein Seufzer, halb ein Knurren, und Pauli spürte nun, daß es etwas Lebendiges wäre. Er bückte sich zu dem Wesen nieder, das sich hier eine so ungute Liegerstätte gewählt hatte, und weil er im dämmerigen Schneeschein nicht zum Besten sehen konnte, half er sich mit Tasten nach, um zu erkennen, wen er da vor sich habe. Es war ein Mensch, – im Gesichte, an den Händen eiskalt, halb eingeschneit, dem Erfrieren näher als dem Aufthauen, – ein Verunglückter, ein Kranker.

Nun kniete der Pauli ganz zur Erde nieder, und suchte dem Manne näher in’s Gesicht zu sehen, rüttelte auch aus allen seinen Kräften an dem Erstarrten, um ihn von dem verderblichen Schlafe zu erwecken. Ein nochmaliges Knurren, wie ein scharfer Blick in das Antlitz des Hilflosen bestätigte die Ahnung, die in selbem Augenblicke in des Schwärzers Kopfe aufstieg. Vor ihm lag der Zöllner aus der Scharnitz; in Mittenwald mochte der mit schwerem Kopfe spät aufgebrochen seyn, und vom Rausch und Unwetter überwältigt, entweder niedergeworfen, oder, wie das Trunkene pflegen, in der süßen Meinung, in’s warme Bett zu steigen, freiwillig dieß gefährliche Lager gefunden haben.



Der Ranggelbube sprang jählings auf. „Hätt’ ich dich einmal,“ rief er wildfrohlockend. „Jetzt woll’n wir mitsammen raiten!“ und rasch griff er nach dem abgelegten Gewehre. Es knackte der Hahn, eine Weile stund er ganz still, – dann lachte er plötzlich hell auf und warf das abgespannte Gewehr über die Schulter.

„Der Teufel ist ja so voll, daß er’s gar nicht einmal merkte, wer ihm das Licht ausgeblasen hätt’, – dasselbe wär mir zu schlecht, – mit wem ich raufe, der muß dächt sehen und auf den Füßen stehen! – Warte Heiter, wir wollen lieber mitsammen heimgehen, – ’s wär dächt schad, wenn du nur so erfrieren müßtest!“

Mit all seiner Kraft faßte er den erstarrten Mautner vorne an der Brust, stellte ihn aufrecht und mit einem behenden, mächtigen Schwunge warf er ihn auf die Kraxe, und während er ihn bei den Armen festhielt, damit er nicht mit dem unfühlbaren Körper hinabgleite, trabte er, so schnell er konnte, mit der schweren Last gerade den Zollgebäuden zu.

Das große Gitter war sorgfältig versperrt, Pauli griff nach dem Glockendrahte und schellte aus allen Kräften. Alsbald kamen in Pelz und Schlappschuh und mit Laterne und Schlüßel die Thorhüter aus dem Hause, und unter der Thüre erschienen noch obendrein vorsichtige Grenzjäger, die das überlaute Geklingel aufgeweckt hatte. Scheltend öffnete der Zöllner dem einzelnen Manne, der aber rasch hereintrat und gerade auf das Haus zuging, wo die Andern mit Licht warteten.

„Der Ranggelbube“ riefen sie mit einemmale und wußten nicht, wie ihnen geschehe. Der aber nahm mit der frühern Gewandtheit seinen Mann vom Rücken, legte ihn vor die Stufen des Zollhauses und sagte dazu: „Da habt Ihr Euern durstigen Zachäus!“

Darnach rückte er sein Hütel etwas nach der Seite, wie zum Gruße, und ging mit der Kraxe voll Kontrebande ruhig durch die Zollstätte seinen Weg vorwärts, zum erstenmale unangefochten und höflichst bekomplimentirt von seinen Erbfeinden. –

Derselbe Ranggelbube trieb neben seinem Schmugglergewerbe zum Vergnügen aber auch etwas Wilddieberei und dabei leisteten seine jüngern Brüder eifrige Hülfe. Nun ist ein Förster durch ein solches Vermessen eben so leicht erzürnt, als ein Zollbeamter durch das Schwarzmachen; und obendrein hat der Waidmann gewöhnlich mehr heißes Blut, und ist gleich sehr aufgelegt, Wilddiebe zu schießen, wie Gemsen und Hirsche. So führten denn auch die Ranggelbuben und der Förster in der Riß ihren Krieg ernstlich genug, und zu öfternmalen war des Einen Blei hart an des Andern Ohr vorbeigepfiffen zur Warnung, daß man wohl auch besser zu zielen verstünde. Einmal that der Jäger einen zu guten Schuß, und ich weiß nicht mehr genau, ein Bruder oder sonst ein Kamerad des Pauli blieb todt am Platze.

Wochen darnach an einem schönen luftigen Sommerabende, saß der Förster in seiner Stube am offenen Fenster und [108] spielte mit seinem ersten einzigen Kinde, einem zweijährigen Mädel. Es war ein liebes, herziges Ding, kugelrund und voll Leben, seine vollen Wänglein glänzten wie ein Röslein im innersten Kern, und hundert feine Goldlocken ringelten sich um sein Köpfchen. Es stund auf des Vaters Knieen, blieb aber nicht die Minute ruhig, es trampelte mit beiden Füßen, zerrte an des Försters großem Schnautzbart, und wenn ihm der scherzend abwehrte und es sanft auf’s Händlein schlug, dann konnte es so herzlich lachen, daß es schütterte und der Alte nicht minder mitlachen mußte. Dazwischen aber that es auch wie ein rechtes Schmeichelkätzlein und halste mit den kurzen Aermchen den Vater und gab ihm Küße nach den Dutzenden, und wenn er fragte: „Mariele, wer bist du?“ – so antwortete es: „Vater sein Pullele“[1] – und schmiegte sich wieder recht fest an seine breite Brust.

Der Mann und sein Kind wiederholten geraume Zeit ihr zärtliches Spiel, dazu tändelte der laue Abendwind in den Rosenbüschen im schmalen Gärtlein, und die Linden neben dem einsamen Hause dufteten, und ein breiter Goldstrom fluthete ober den Bergen, – es war eben ein recht schöner, friedlicher Abend.

Mit einemmale krachte in der nächsten Nähe ein Schuß, und über des Försters Haupt hinweg schlug die Kugel in’s Getäfel der Stube. Der fuhr auf, und umfaßte in erster Angst sein Kind und starrte verwirrt aus dem Fenster. Da stund neben dem Gartenzaun ein Bauer mit dem Stutzen in der Hand und sprach: .„Ich bin’s schon, der Ranggel-Pauli. – Ohne das Kindel da hättest du jetzt auch schon deinen letzten Athemzug gethan! B’hüt dich Gott, Förster!“

– Damit ging er seines Weges; – er hat gar seltsame Launen, der Ranggelbube.



  1. Pullele – junges Huhn.