Seite:Anfangsgründe der Mathematik I 005.jpg

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enthalten ist, und schliesset etwas unmittelbar daraus; so nennen wir solches einen Grundsatz. Z. E. wenn ihr bey der Erklärung des Circuls bedenket, daß die Linie, welche sich um den Mittelpunct herum beweget, immer einerley Länge behält: so werdet ihr bald begreifen, daß alle Linien, welche aus dem Mittelpunkte an die Peripherie gezogen werden, einander gleich sind. Diese Wahrheit nun ist ein Grundsatz. In diesem Verstande brauchet der Herr von Tschirnhausen dieses Wort; insgemein aber nennet man einen Grundsatz einen allgemeinen Satz, den man ohne Beweis einräumet. Und so nehmen das Wort Euclides und alle alte und neue Geometrae.

§. 17. Die Grundsätze zeigen, entweder daß etwas sey, oder daß etwas könne gethan werden. Ein Grundsatz von der ersten Art ist, den wir erst aus der Erklärung des Circuls hergeleitet, daß nemlich alle Linien, die aus dem Mittelpunct an die Peripherie gezogen werden, einander gleich sind. Hingegen ein Grundsatz von der andern Art ist, der aus der Erklärung der geraden Linie fließet, daß nemlich von einem jeden Puncte zu einem jeden Puncte eine gerade Linie könne gezogen werden. Im Lateinischen nennet man die Grundsätze der ersten Art Axiomata; die Grundsätze aber der andern Art Postulata.

§. 18. Weil nun die Grundsätze unmittelbar aus den Erklärungen gezogen werden, haben sie keines Beweises nöthig, sondern ihre Wahrheit erhellet,

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Christian Wolff: Auszug aus den Anfangs-Gründen aller Mathematischen Wissenschaften. Halle: Rengerische Buchhandlung, 1772, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Anfangsgr%C3%BCnde_der_Mathematik_I_005.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)