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Die Fahrt mit dem Dampfwagen ist freilich nicht mehr so gemüthlich, wie die frühere alte Postfahrt. In unserer praktischen Zeit hat die Gemüthlichkeit überhaupt erstaunlich abgenommen. Jetzt regiert der Eigennutz in der Welt, und wer einen Eckplatz im Coupé bekommen kann, lehnt sich behaglich hinein, streckt die Beine vor sich hin, und kümmert sich nicht um den Nachbar.

Das ganze Reisen ist auch ein anderes geworden. Früher gehörte ein Entschluß dazu, den alten Wohnsitz zu verlassen, um irgend einen entfernten Ort zu erreichen. Vor allen Dingen mußte man sich einen Paß mit genauer Personalbeschreibung verschaffen – Tagelang vorher eingeschrieben sein, um nicht in einem lästerlichen Beiwagen befördert zu werden – und dann die Abschiedsvisiten. – Jetzt dagegen trägt man die Paßkarte fix und fertig in der Tasche – oder braucht sie auch nicht einmal, und ist aus irgend einem entfernten Theil Deutschlands zurückgekehrt, ehe nur irgend ein Mensch eine Ahnung hatte, daß man überhaupt fortgewesen.

Die Reisenden selber verband früher auch schon der gemeinsame Entschluß – die lange Fahrt mit einander. Wo zum ersten Mal Mittag gemacht wurde, saßen die „Passagiere“ von den „Gästen“ des Orts getrennt, im „Passagierzimmer“ allein und abgeschieden, oder im Gastzimmer an einem besonderen Theile des Tisches. Abends kehrten sie zusammen ein; Morgens tranken sie gemeinschaftlich Kaffee, und hatten im Postwagen wieder ein gemeinsames Leiden zu besprechen, das sie enger verband: die Klage über das letzte Nachtquartier.

Wie hat sich das in unserer Zeit geändert. Jetzt werden wir mit einer Anzahl von Personen zusammengeworfen, die uns nicht interessiren können, da sie vielleicht schon auf der nächsten Station aussteigen – selbst das wohin bleibt sich gleich, da sie uns wahrscheinlich nie im Leben mehr begegnen. „Reisegefährten“ – das Wort existirt gar nicht mehr; man grüßt sich höchstens, wechselt vielleicht ein paar Worte mitsammen, und kennt sich nicht mehr, sobald man aussteigt, trotzdem man vielleicht eine Strecke gemeinschaftlich zurückgelegt hat, die unter früheren Verhältnissen eine feste und dauernde Freundschaft begründet hätte.

Das macht der Dampf: die Concentration der Zeit, wie man es nennen könnte, mit der wir in ein Coupé erst zusammengepreßt, und dann wieder gewaltsam auseinander geschnellt werden. Wer kann sich dabei gemüthlich fühlen? Wo ist die beschauliche Ruhe beim Reisen geblieben, mit welcher der „Schwager“ vor der Abfahrt ein paar Stücke auf seinem Horn

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Friedrich Gerstäcker: Auf der Eisenbahn. Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Auf_der_Eisenbahn-Gerstaecker-1865.djvu/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)