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Ausdrücke ἐσφαγμένοι und αἷμα), so ist erklärlich, wie das vorliegende Bild: die Seelen der Märtyrer unter dem Altar, entstehen konnte. Ursprünglich mag man bei dieser Vorstellung wohl an den wirklichen Altar in Jerusalem gedacht haben. Sehr leicht aber konnte sich von hier aus dann weiter die Anschauung entwickeln, daß der Aufenthalt der Seelen der Märtyrer unter dem im Himmel ebenso wie auf Erden befindlichen Brandopferaltar sei. Ähnliche Behauptungen liegen bei den Rabbinen tatsächlich vor. Schabbath 152b: „Die Seelen der Gerechten sind aufbewahrt unter dem Thron der Herrlichkeit“. Debarim Rabba Kap. XI: Er (Gott) sprach zu ihr (der Seele des Moses) ... ich will dich hinaufführen in den obersten Himmel und dich wohnen lassen unter dem Thron meiner Herrlichkeit bei den Cherubim und Seraphim und himmlischen Heerscharen (Weber, jüdische Theol.² 337f.). Schon diese Parallelen legen nahe, daß der Apok. hier an den irdischen Altar in Jerusalem nicht gedacht haben wird (gegen Sp.). Wie sollte auch der im Himmel befindliche Seher mitten unter all den Vorgängen, die im Himmel geschehen (Aussendung der vier Reiter), den irdischen Tempel überhaupt haben sehen können. Und dazu müßten wir dann noch voraussetzen, daß dieser zur Zeit des Sehers noch existiert hätte. Merkwürdig ist hier allerdings das eine, daß hier als etwas ganz Selbstverständliches ein Brandopferaltar[1] im Himmel erwähnt wird, von dem vorher gar nicht die Rede war, und der in die im voraufgehenden geschilderte Scenerie gar nicht so ohne weiteres hineinpaßt. Doch werden uns ähnliche Rätsel noch des öftern begegnen (s. Einleitung S. 124). Es scheint, daß es für den Apokalyptiker selbstverständlich war, daß sich im Himmel ein Tempel mit sämtlichem Zubehör befinde (daher auch die Einführung des θυσιαστήριον mit dem bestimmten Artikel), daß er aber diese Vorstellung mit der in Kap. 4 konzipierten in keiner Weise ausgeglichen hat. Die Märtyrer werden nun charakterisiert als hingeschlachtet „des Wortes Gottes wegen und des Zeugnisses, welches sie hatten“, d. h. besaßen. Es kann sich hier nämlich nicht um ein Zeugnis handeln, das sie abgelegt haben, da hierzu der Ausdruck εἶχον nicht paßt, sondern nur um ein solches, das ihnen gegeben ist; vgl. Joh 14,21. Das „Zeugnis“ ist also, wie das Wort Gottes, der objektive Besitz der Gläubigen. Wenn hier auch nicht ausdrücklich dies Zeugnis μαρτυρία Ἰησοῦ genannt wird, so ist doch Jesu Zeugnis, das er in seiner ganzen Predigt abgelegt hat, damit gemeint. Der Ausdruck λόγος θεοῦ καὶ μαρτυρία bedeutet also auch hier genau dasselbe, was er sonst (in der volleren Form) in der Apk bedeutet[2]. 6,10. καὶ ἔκραξαν[3] φωνῇ μεγάλῃ[4] λέγοντες· ἕως πότε (Joh 10,24), ὁ δεσπότης ὁ ἅγιος καὶ ἀληθινός (zu dem Vok. mit Artikel s. o. S. 164), οὐ κρίνεις καὶ ἐκδικεῖς τὸ αἷμα ἡμῶν ἐκ[5] (Lk 18,3 ἀπό; Apk 18,20; 19,2 ἐκ; vgl. Ps LXX 42,1: κρῖνόν με ... ἐξ ἔθνους οὐχ ὁσίου. I Sam 24,13: ἐκδικήσει με ὁ κύριος ἐκ σοῦ. Das ἐκ entspricht dem hebr. מִן‎) τῶν κατοικούντων ἐπὶ τῆς γῆς.


  1. Vielleicht ist mit de W. an den Rauchopferaltar 8,3 zu denken.
  2. Auf das Fehlen des Ἰησοῦ ist kein Gewicht zu legen (gegen Vischer).
  3. P An. εκραζον.
  4. ACP An.¹²³⁵; φωνην μεγαλην Q Rel.
  5. P An. Hipp. απο.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S270.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)