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überlassen ist, sondern dass diejenigen Männchen, welche in Folge ihrer verschiedenen Reize am besten im Stande sind, den Weibchen zu gefallen oder dieselben zu reizen, unter gewöhnlichen Umständen von letzteren angenommen werden. Wenn dies zugegeben wird, so ist es auch nicht schwierig zu verstehen, auf welche Weise männliche Vögel nach und nach ihre ornamentalen Charactere erlangt haben. Alle Thiere bieten individuelle Verschiedenheiten dar, und da der Mensch seine domesticirten Vögel dadurch modificiren kann, dass er die Individuen auswählt, welche ihm am schönsten erscheinen, so wird auch die gewöhnlich oder selbst nur gelegentlich eintretende Vorliebe des Weibchens für die anziehenderen Männchen beinahe mit Sicherheit zu der Modification der Männchen führen; und derartige Modificationen können dann im Verlaufe der Zeit beinahe in jeder Ausdehnung vermehrt werden, so lange sie nur mit der Existenz der Species verträglich sind.

Variabilität der Vögel und besonders ihrer secundären Sexualcharactere. — Variabilität und Vererbung sind die Grundlagen für die Wirksamkeit der Zuchtwahl. Dass domesticirte Vögel bedeutend variirt und dass ihre Abänderungen sich vererbt haben, ist sicher. Dass ferner Vögel im Naturzustande zur Bildung distincter Rassen modificirt worden sind, wird jetzt allgemein zugegeben.[1] Die Abänderungen können in zwei Classen eingetheilt werden: in solche, welche uns in unsrer Unwissenheit spontan aufzutreten scheinen, und in solche, welche direct zu den umgebenden Bedingungen in Bezug stehen, so dass alle oder beinahe alle Individuen einer und der nämlichen Species in ähnlicher Weise modificirt werden. Fälle der letztern Art sind neuerdings sorgfältig von Mr. J. A. Allen beobachtet worden,[2]


  1. Nach Dr. Blasius (The Ibis, Vol. II. 1860, p. 297) gibt es 425 unzweifelhafte Species von Vögeln, welche in Europa brüten, ausser 60 Formen, welche häufig für distincte Species gehalten werden. Von den letzteren meint Dr. Blasius, dass nur zehn wirklich zweifelhaft sind und dass die übrigen fünfzig mit ihren nächsten Verwandten vereinigt werden sollten; dies zeigt aber, dass bei einigen unserer europäischen Vögel ein beträchtlicher Grad von Abänderung bestehen muss. Es ist auch ein fernerer von den Naturforschern noch nicht festgestellter Punkt, ob mehrere nordamericanische Vögel als von den europäischen Arten specifisch verschieden classificirt werden müssen. Ferner werden viele nordamericanische Formen, welche bis vor Kurzem noch als distincte Species aufgeführt wurden, jetzt für locale Rassen angesehen.
  2. Mammals and Birds of East Florida; ferner: „An Ornithological Reconnaisance of Kansas“ etc. Trotz des Einflusses des Climas auf die Farben der Vögel ist es doch schwierig, die trüben oder dunklen Färbungen beinahe aller Arten zu erklären, welche gewisse Länder bewohnen, z. B. die Galapagos-Inseln unter dem Aequator, die weiten temperirten Ebenen von Patagonien und, allem Anscheine nach, auch Aegypten (s. Hartshorne, in: American Naturalist, 1873, p. 747). Diese Länder sind offen und bieten den Vögeln wenig Schutzorte dar; es ist aber zweifelhaft, ob das Fehlen glänzend gefärbter Arten nach dem Principe des Schutzes erklärt werden kann; denn in den Pampas, welche ebenso offen, wenn schon mit grünem Grase bedeckt sind, und wo die Vögel der Gefahr ebenso ausgesetzt sind, sind viele brillant und auffällig gefärbte Arten häufig. Ich habe zuweilen gedacht, ob nicht die vorherrschenden trüben Färbungen in der Scenerie der oben genannten Länder die Werthschätzung heller Farben seitens der dieselben bewohnenden Vögel beeinflusst haben könnte.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/129&oldid=- (Version vom 31.7.2018)