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beseitigen, oder haben wir anzunehmen, dass diese Weibchen die Sporne speciell zu ihrer Vertheidigung bedürfen? Ein wahrscheinlicherer Schluss ist der, dass Beides, sowohl das Vorhandensein als die Abwesenheit von Spornen bei den Weibchen das Resultat von verschiedenen Gesetzen der Vererbung ist, welche unabhängig von natürlicher Zuchtwahl geherrscht haben. Bei den vielen Weibchen, bei welchen die Sporne als Rudimente erscheinen, können wir schliessen, dass einige wenige der nacheinander auftretenden Abänderungen, durch welche sie bei den Männchen zur Entwickelung gelangten, sehr früh im Leben auftraten und als Folge hiervon auf die Weibchen überliefert wurden. In den anderen und viel selteneren Fällen, in welchen die Weibchen völlig entwickelte Sporne besitzen, können wir schliessen, dass sämmtliche nacheinander auftretende Abänderungen auch auf sie überliefert wurden und dass sie allmählich die vererbte Gewohnheit erlangten, ihre Nester nicht zu zerstören.

Die Stimmorgane und die verschiedentlich modificirten Federn zur Hervorbringung von Geräuschen ebenso wie die eigenthümlichen Instincte, diese Einrichtungen zu benutzen, sind oft in den beiden Geschlechtern verschieden, zuweilen aber in beiden gleich entwickelt. Können derartige Verschiedenheiten dadurch erklärt werden, dass die Männchen diese Organe und Instincte erlangt haben, während die Weibchen vor einer Ererbung derselben dadurch bewahrt wurden, dass ihnen daraus eine Quelle von Gefahr, die Aufmerksamkeit von Raubvögeln und Raubthieren auf sich zu lenken, entstanden wäre? Dies scheint mir nicht wahrscheinlich zu sein, wenn wir an die grosse Zahl von Vögeln denken, welche ungestraft die Landschaft mit ihren Stimmen während des Frühjahrs erheitern.[1] Eine sicherere Folgerung ist, dass, wie die Stimmorgane und instrumentalen Einrichtungen nur für die Männchen während ihrer Bewerbung von speciellem Nutzen sind, diese Organe durch geschlechtliche Zuchtwahl und beständigen Gebrauch allein bei diesem Geschlechte entwickelt wurden, während die aufeinanderfolgenden Abänderungen und die Wirkungen des Gebrauchs vom Anfange an in ihrer Ueberlieferung in einem grösseren


  1. Daines Barrington hielt es indessen für wahrscheinlich (Philosoph. Transact. 1773, p. 164), dass deshalb wenig weibliche Vögel singen, weil dies für sie während der Incubationszeit gefährlich gewesen wäre. Er fügt hinzu, dass eine ähnliche Ansicht möglicherweise auch die Inferiorität des Weibchens im Gefieder gegenüber dem Männchen erklären könne.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/166&oldid=- (Version vom 31.7.2018)