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männlicher Antilopen diesen Thieren während des gewöhnlichen Verlaufs ihres Lebens von irgendwelchem Nutzen sind. Es ist möglich, dass der ungeheure Bart der männlichen Pithecia und der grosse Bart des männlichen Orang ihre Kehle schützen, wenn sie mit einander kämpfen; denn die Wärter im zoologischen Garten sagen mir, dass viele Affen einander bei der Kehle angreifen. Es ist aber nicht wahrscheinlich, dass der Kinnbart zu einem besonderen Zwecke entwickelt worden ist, der verschieden von dem wäre, welchem der Backenbart, Schnurrbart und andere Haarbüschel am Gesichte dienen, und Niemand wird annehmen, dass diese als Schutzmittel von Nutzen sind. Müssen wir nun alle diese Anhänge von Haaren oder von Haut einfacher, zweckloser Variabilität beim Männchen zuschreiben? Es kann nicht geläugnet werden, dass dies möglich ist; denn bei vielen domesticirten Säugethieren sind gewisse Charactere, die allem Anscheine nach nicht auf Rückschlag von irgend einer wilden elterlichen Form her bezogen werden können, auf die Männchen beschränkt oder bei diesen viel bedeutender entwickelt als bei den Weibchen – z. B. der Buckel beim männlichen Zeburinde von Indien, der Schwanz beim fettschwänzigen Widder, die gewölbte Umrisslinie der Stirn bei dem Männchen mehrerer Rassen von Schafen, und endlich die Mähne, die langen Haare an den Hinterbeinen und die Wamme alleim beim Männchen der Berbura-Ziege.[1] Die Mähne, welche allein bei dem Widder einer africanischen Schafrasse auftritt, ist ein ächter secundärer Sexualcharacter, denn er wird, wie ich von Mr. Winwood Reade höre, nicht entwickelt, wenn das Thier castrirt ist. Obschon wir, wie ich in meinem Buche: „das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“ gezeigt habe, äusserst vorsichtig sein müssen, wenn wir folgern wollen, dass irgend ein Character, selbst bei Thieren, die von halbcivilisirten Völkern gehalten werden, nicht der Zuchtwahl des Menschen unterlegen und hierdurch gehäuft sei, so ist dies doch in den soeben speciell angeführten Fällen unwahrscheinlich und noch besonders deshalb, weil diese Charactere auf die Männchen beschränkt oder bei ihnen stärker entwickelt sind, als bei den Weibchen. Wenn es positiv bekannt wäre, dass der africanische Widder mit einer Mähne


  1. s. die Capitel über diese verschiedenen Thiere im I. Bande meines „Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“; auch Bd. II, 2. Aufl., S. 84; auch Cap. 20 über die Ausübung von Zuchtwahl seitens halbcivilisirter Völker. Wegen der Berbura-Ziege s. Dr. Gray, Catalogue etc. p. 157.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/278&oldid=- (Version vom 4.2.2018)