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selbst für Wilde, wie aus einer wohlbekannten Stelle in Mungo Park’s Reisen und aus den von vielen anderen Reisenden gemachten Angaben hervorgeht. In Folge ihrer mütterlichen Instincte entfaltet die Frau diese Eigenschaften gegen ihre Kinder in einem ausserordentlichen Grade. Es ist daher wahrscheinlich, dass sie dieselben häufig auch auf ihre Mitgeschöpfe ausdehnen wird. Der Mann ist Rival anderer Männer; er freut sich der Concurrenz und diese führt zu Ehrgeiz, welcher nur zu leicht in Selbstsucht übergeht. Die letzteren Eigenschaften scheinen sein natürliches und unglückliches angeborenes Recht zu sein. Es wird meist zugegeben, dass beim Weibe die Vermögen der Anschauung, der schnellen Auffassung und vielleicht der Nachahmung stärker ausgesprochen sind als beim Mann. Aber mindestens einige dieser Fähigkeiten sind für die niederen Rassen characteristisch und daher auch für einen vergangenen und niederen Zustand der Civilisation.

Der hauptsächlichste Unterschied in den intellectuellen Kräften der beiden Geschlechter zeigt sich darin, dass der Mann zu einer grösseren Höhe in Allem, was er nur immer anfängt, gelangt, als zu welcher sich die Frau erheben kann, mag es nun tiefes Nachdenken Vernunft oder Einbildungskraft, oder bloss den Gebrauch der Sinne und der Hände erfordern. Wenn eine Liste mit den ausgezeichnetsten Männern und eine zweite mit den ausgezeichnetsten Frauen in Poesie, Malerei, Sculptur, Musik (mit Einschluss sowohl der Composition als der Ausübung), der Geschichte, Wissenschaft und Philosophie mit einem halben Dutzend Namen unter jedem Gegenstande angefertigt würde, so würden die beiden Listen keinen Vergleich mit einander aushalten. Wir können auch nach dem Gesetze der Abweichungen vom Mittel, welches Mr. Galton in seinem Buche über erbliches Genie so gut erläutert hat, schliessen, dass wenn die Männer einer entschiedenen Ueberlegenheit über die Frauen in vielen Gegenständen fähig sind, der mittlere Maassstab der geistigen Kraft beim Manne über dem der Frau stehen muss.

Die halbmenschlichen männlichen Urerzeuger des Menschen und die Männer von wilden Völkern haben viele Generationen hindurch mit einander um den Besitz der Weiber gekämpft. Aber blosse körperliche Kraft und Grösse werden nur wenig zum Siege beitragen, wenn sie nicht mit Muth, Ausdauer und entschiedener Energie vergesellschaftet waren. Bei socialen Thieren haben die jungen Männchen gar


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/319&oldid=- (Version vom 31.7.2018)