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jede zwei Noten unserer Scala haben viele dieser harmonischen Obertöne gemeinsam. Es scheint daher ziemlich klar zu sein, dass, wenn ein Thier immer genau denselben Gesang zu singen wünscht, es sich dadurch leiten lassen wird, dass es diejenigen Töne nacheinander anschlägt, welche viele Obertöne gemeinsam besitzen, d. h. es wird zu seinem Gesang Töne wählen, welche zu unserer musikalischen Tonleiter gehören.

Wenn aber ferner gefragt wird, warum musikalische Töne in einer gewissen Ordnung und einem bestimmten Rhythmus dem Menschen und anderen Thieren Vergnügen bereiten, so können wir hierfür ebensowenig einen Grund anführen, wie für das Angenehme gewisser Gerüche und Geschmäcke. Dass sie Thieren Vergnügen irgend einer Art bereiten, können wir daraus schliessen, dass sie zur Zeit der Brautwerbung von vielen Insecten, Spinnen, Fischen, Amphibien und Vögeln producirt werden; denn wenn die Weibchen nicht fähig wären, solche Laute zu würdigen, und wenn sie nicht von ihnen angeregt oder bezaubert würden, so würden die ausdauernden Anstrengungen der Männchen und die häufig nur ihnen allein zukommenden complicirten Gebilde nutzlos sein; und dies kann man unmöglich glauben.

Allgemein wird zugegeben, dass der menschliche Gesang die Grundlage oder der Ursprung der Instrumentalmusik ist. Da weder die Freude an dem Hervorbringen musikalischer Töne noch die Fähigkeit hierzu von dem geringsten Nutzen für den Menschen in Beziehung zu seinen gewöhnlichen Lebensverrichtungen sind, so müssen sie unter die mysteriösesten gerechnet werden, mit welchen er versehen ist. Sie sind, wenn auch in einem sehr rohen Zustande, bei Menschen aller Rassen, selbst den wildesten, vorhanden; der Geschmack der verschiedenen Rassen ist aber so verschieden, dass unsere Musik den Wilden nicht das mindeste Vergnügen gewährt und ihre Musik für uns widrig und sinnlos ist. Dr. Seemann macht einige interessante Bemerkungen über diesen Gegenstand[1] und „zweifelt, ob selbst unter den Nationen des westlichen Europa’s, so intim sie auch durch nahen und häufigen Verkehr verbunden sind, die Musik der einen von den anderen in dem nämlichen Sinne aufgefasst wird. Reisen wir nach Osten, so


  1. Journal of Anthropological Society. Oct. 1870, p. CLV. s. auch die verschiedenen späteren Capitel in Sir J. Lubbock’s Prehistoric Times, 2. edit. 1869, welche eine ausgezeichnete Schilderung der Gewohnheiten der Wilden enthalten.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/327&oldid=- (Version vom 31.7.2018)