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und mit einem hastig gemurmelten „Entschuldige“ erhob er sich, taumelte zur Treppe und begab sich nach oben an Deck. Allein wollte er sein, allein den bitteren Kampf vollends ausfechten und sich wieder zur Ruhe zwingen.

Bis ins Tiefste erschüttert blieb ich zurück. Mitleid, grenzenloses Mitleid krampfte mein Herz zusammen. Und all das, was ich mir einst als Gast des Hotel Düsterburg so felsenfest vorgenommen und mir immer wieder in die Seele hineingehämmert hatte: niemals mehr weich zu sein, niemals mehr für einen anderen Menschen irgendwie einzutreten, – es war ja längst vergessen – schon in dem Augenblick, als ich den elenden Erpresser vom Balkon in die Hecke hinabbefördert hatte.

Niemand kann wider seine Natur handeln, niemand. Alle Energie reicht nicht aus, das in uns zu unterdrücken, was als Kern unseres Wesens in uns hineingepflanzt ward schon in dem Moment, wo unsere Mutter ein zweites Geschöpf unter dem Herzen spürte, ein neues werdendes Leben. Meine Hilfsbereitschaft, das, was meine Kollegen überall in den plumpen Satz „Abelsen, Sie sind ein guter Kerl …“ zusammengedrängt hatten, war unausrottbar.

Armer Kamerad da oben!! Ich sah ihn in Gedanken vor mir wie schon so oft: an die niedere Reling gelehnt, mit traurigen Augen ins Weite starrend und um die Lippen das nervöse Zucken aufgescheuchter Seelenqualen!

Wenn ich ihm nur helfen könnte? – – Helfen, wo nicht einmal die Kunst der größten medizinischen Autoritäten Berlins ihm geholfen hatte?! Ich – – helfen?!

Empfohlene Zitierweise:
Max Schraut: Das tote Hirn. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1930, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_tote_Hirn.pdf/62&oldid=- (Version vom 31.7.2018)