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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

Krieg gegen Frankreich. Unterwegs sei ihm Kunde geworden von der Untreue seiner Gattin. Da wandte er sein Roß und ritt spornstreichs zurück, Grimm und Rachedurst im Herzen. Ohne ihrer Unschuldsbeteuerungen zu achten, schleuderte er sein Weib von den Zinnen der Burg hinab, und nach ihr seine beiden Söhne. Der dritte und letzte Sohn, ein Säugling, befand sich auf einer nahegelegenen Farm zur Pflege. Noch ganz im Banne seines Zornes eilte der Vater, auch diesen zu töten. Als er die Farm schon fast erreicht hatte, brach ein schreckliches Gewitter über ihn herein, der Regen kühlte die Hitze seines Blutes, er stand ab von seinem Vorhaben und bereute, was er getan. Auch stiegen ihm jetzt Zweifel auf an der Schuld seiner Gattin. Er überlieferte sich dem Gericht, und als er zur Antwort aufgerufen wurde: guilty or not guilty? gedachte er seinem Sohne das Erbe zu retten und schwieg. Darauf wurde gegen ihn die peine forte et dure zur Anwendung gebracht. Er ertrug sie standhaft – erzählt der rechtsgelehrte Kommentator – und starb nach 40 Tagen.

Das Schicksal dieses Mannes durchlebte ich im Traum. Als ich aufwachte, war ich in Schweiß gebadet, jedes Glied wie zerschlagen. –

Die erste Weihnacht in der Gefangenschaft. Es ist mir fast nichts mehr in Erinnerung von diesem Tage, der sich von den anderen nur dadurch unterschied, daß es mittags einen riesigen Plumpudding gab, dessen bloßer Anblick schon das Gefühl völligen Sattseins hervorrief. Acht Tage brauchte der Zellenreiniger, bis er ihn bewältigt hatte.

Ich saß tagsüber in meinem Lehnstuhl und las. Richtig hell wurde es überhaupt nicht mehr. Nebel in Permanenz. Die Bücher, die ich bevorzugte, waren alte Romane von Dickens, Thackeray und Kapitän Marryat. „Ein sonderbarer Geschmack“, meinte der Arzt, als er mich eines Tages bei dieser Lektüre antraf. „Wer liest denn heute noch diese Schmöker? Seit vierzig Jahren habe ich keinen mehr in der Hand gehabt.“

„Ich weiß nicht, warum ich sie so gerne lese,“ war meine Antwort, „vielleicht deshalb, weil sie so beruhigend und einschläfernd

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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/38&oldid=- (Version vom 31.7.2018)