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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

III.

Philosophische Briefe.

Vorerinnerung.


Die Vernunft hat ihre Epochen, ihre Schiksale, wie das Herz, aber ihre Geschichte wird weit seltner behandelt. Man scheint sich damit zu begnügen, die Leidenschaften in ihren Extremen, Verirrungen und Folgen zu entwikeln, ohne Rüksicht zu nehmen, wie genau sie mit dem Gedankensysteme des Individuums zusammenhängen. Die allgemeine Wurzel der moralischen Verschlimmerung ist eine einseitige und schwankende Philosophie, um so gefährlicher, weil sie die umnebelte Vernunft durch einen Schein von Rechtmäßigkeit, Wahrheit und Ueberzeugung blendet, und eben deswegen von dem eingebohrnen sittlichen Gefühle weniger in Schranken gehalten wird. Ein erleuchteter Verstand hingegen veredelt auch die Gesinnungen – der Kopf muß das Herz bilden.

In einer Epoche, wie die jezige, wo Erleichterung und Ausbreitung der Lektüre den denkenden Theil des Publikums so erstaunlich vergrößert, wo die glükliche Resignation der Unwissenheit einer halben Aufklärung

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft3_100.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)