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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

Philosoph und der Dichter die großen und guten Menschen wirklich sind, deren Bild sie entwerfen – aber diese Veredlung des Geistes ist bei vielen nur ein unnatürlicher Zustand, durch eine lebhaftere Wallung des Bluts, einen rascheren Schwung der Phantasie gewaltsam hervorgebracht, der aber auch eben deswegen so flüchtig wie jede andre Bezauberung dahin schwindet, und das Herz der despotischen Willkühr niedriger Leidenschaften desto ermatteter überliefert. Desto ermatteter sage ich – denn eine allgemeine Erfahrung lehrt, daß der rükfällige Verbrecher immer der wütendere ist, daß die Renegaten der Tugend sich von dem lästigen Zwange der Reue in den Armen des Lasters nur desto süßer erhohlen.

Ich wollte erweisen, mein Raphael, daß es unser eigener Zustand ist, wenn wir einen fremden empfinden, daß die Vollkommenheit auf den Augenblik unser wird, worinn wir uns eine Vorstellung von ihr erweken, daß unser Wohlgefallen an Wahrheit, Schönheit und Tugend sich endlich in das Bewußtsein eigner Veredlung, eigner Bereicherung auflöset, und ich glaube, ich habe es erwiesen.

Wir haben Begriffe von der Weisheit des höchsten Wesens, von seiner Güte, von seiner Gerechtigkeit – aber keinen von seiner Allmacht. Seine Allmacht

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft3_120.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)