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für seine Studienzeit 500 Thaler zu schenken: damit mußte er leben - Gott allein weiß wie! Als Madame Brand starb, fielen ihre kleinen Pensionen weg, und Dorothee hatte nichts, aber auch gar nichts. So wenig der Onkel etwas für seine Schwägerin gethan, so wenig that er etwas für die Nichte. Jene 500 Thaler abgerechnet, schien die Familie gar nicht für ihn zu existiren, und Dorothee war also darauf angewiesen sich in der Welt fortzuhelfen. Sie that es mit der entschlossenen Ruhe, welche ein Grundzug ihres Characters war. Sie arbeitete was und wo sie konnte. Sie träumte von Ersparnissen für sich, von kleinen Geschenken für Leonor - - da versagten die Augen nach drei Jahren den angestrengten Dienst; sie mußte ein Unterkommen suchen. Nur in ihrer Kindheit hatte sie die Schule besucht; sogleich konnte weder von wissenschaftlicher Bildung, noch von Kenntnissen, geschweige von Talenten bei ihr die Rede sein. Ihre Talente waren Erkenntniß, gesundes Urtheil, fester Wille, und eine gewisse Tüchtigkeit, welche sich in praktischer Uebung ausbildet. Sie erkannte was sie leisten konnte und was ihr fehlte; sie war nicht einen Augenblick in Zweifel wozu sie sich zu entschließen habe. Sich redlich durch die Welt zu helfen schien ihr unter keinen Umständen eine Schmach.

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Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Erster Band. Berlin 1845, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn).djvu/148&oldid=- (Version vom 31.7.2018)