Seite:Der Schwindel der Schlangenbeschwörer.pdf/4

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Der Schwindel der Schlangenbeschwörer (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 5)

erfuhren folgendes: Nachdem ihnen die Giftzähne genommen sind, werden die Schlangen einzeln in Säcke gesteckt, deren Öffnung mit einer Schleife zu schließen ist, die man nur zuzuziehen braucht. Der Sack – der gewissermaßen als Gürtel dient – wird mit der Öffnung nach oben an der Schnur befestigt, die alle Eingeborenen um den Leib tragen. Während der „Beschwörer“ die Achtsamkeit der Zuschauer nach Punkten lenkt, wo er Schlangen vermutet, bückt er sich und rafft mit der rechten Hand etwas Gras oder Erde auf, um sich scheinbar den Zugang zum Schlangenloch zu bahnen; zugleich öffnet er mit der Linken die Sackschleife und läßt die Schlange in seine Hand gleiten. Dann reckt sich der Gaukler auf, zeigt das Reptil, und alle Zuschauer gewinnen den Eindruck, als sei es im Augenblick erst aus dem Schlupfwinkel gezogen.

Alles übrige beruht auf ähnlichem Trug. Die Schlangen- oder Nagawurzel, die von der indischen Aristolochia stammt, wirkt durch ihren Geruch betäubend auf die Reptile, so daß sie leichter zu greifen sind. Der „Schlangenstein“, dem das angeblich „ausgezogene“ Gift in der Milch entquillt, wird vorher mit Schlangengift gesättigt. Um es Leichtgläubigen glaubhaft erscheinen zu lassen, daß die gezeigten Kunststücke wirklich mit gefährlichen Schlangen unternommen wurden, steckt der Gaukler vorher Giftzähne in ein Tuch, das er den Reptilen zum Hineinbeißen vorhält, um den staunenden Zuschauern die kleinen todbringenden Waffen im Stoffe zu zeigen.

Es sind harmlose Tiere ohne Giftzahn, von denen die Gaukler sich beißen lassen. Die blutende Wunde beweist den Gaffern, daß der Beschwörern sein Leben aufs Spiel setzt, vielleicht um eine zahlreiche, hungrige Familie zu ernähren[WS 1] – wofür ihm reichliche Gaben werden. Auch der heilkräftige „Schlangenstein“, der nichts als ein halbverkohltes Stück Knochen ist, bringt dem Gaukler Geld. Der Glaube an die Wirksamkeit des Schlangensteins gegen den Biß giftiger Tiere gerät Tausenden zum Unheil, die lieber zu diesem trügerischen Mittel greifen, statt zum Arzt zu gehen. Alle Aufklärung erweist sich als vergeblich, und auch schwere Gefängnisstrafen, welche die Verkäufer dieses

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ernähern
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Schwindel der Schlangenbeschwörer (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 5). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1916, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Schwindel_der_Schlangenbeschw%C3%B6rer.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)