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dünnbesäte Land aufs neue entvölkert, ist dagegen nicht durch Aufhetzung der Bevölkerungsteile gegeneinander, sondern auf dem Verwaltungswege, zustande gekommen.

Wir sind in den Berichten wiederholt der Tatsache begegnet, daß die Provinzialregierung in ihren Anordnungen sei es gehemmt sei es gefördert wurde durch Organe einer Nebenregierung, die, obwohl unverantwortlich, doch den Charakter einer höheren Instanz trug. Es ist die Organisation der Klubs des „Komitees für Einheit und Fortschritt“, die tatsächlich ebenso, wie einst das Spionagesystem Abdul Hamids, die Regierungshandlungen im Innern entscheidend bestimmt. Diese Organisation ist nicht eine Parteiorganisation im europäischen Sinne, denn sie besteht nur aus Führern und hat keine Volksmassen hinter sich. Sie ist nur eine dünne Schicht türkischer Intellektueller und ihrer Werkzeuge. Vor der Niederschlagung der türkischen Opposition im Jahre 1912 hatte die gegenwärtige Organisation noch mit einem Widerstande von seiten der Anhänger der liberalen Opposition und der vornehmen Alttürken zu rechnen. Zur Zeit besitzt sie die Alleinherrschaft und sorgt dafür, daß bei den Wahlen nur die von dem „Komitee für Einheit und Fortschritt“ bezeichneten Kandidaten gewählt werden. Eine Opposition im türkischen Parlament gibt es vorläufig nicht. Obwohl nur der Regierungsapparat, mit dem die militärischen Behörden zusammenwirken, eine Maßregel, wie die der Expropriation und Deportation des armenischen Volkes durchführen konnte, so war doch augenscheinlich das „Komitee für Einheit und Fortschritt“ und seine Organe in den Provinzen die Seele des ganzen Unternehmens. Es sorgte dafür, daß die Dinge nach Wunsch vonstatten gingen und nirgends durch Regungen des Wohlwollens oder der Menschlichkeit gehemmt wurden. Insbesondere lag auch die Organisation der Banden, für die alle nur brauchbaren Elemente, Kurdenstämme, berüchtigte Räuberbanden und entlassene Sträflinge, verwendet wurden,

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/193&oldid=- (Version vom 31.7.2018)