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Waffen zu suchen, in die Häuser ein, plünderten, vergewaltigten die Frauen und folterten die Bauern, um Geld zu erpressen. Jeder, der sich beklagte, wurde verhaftet. Alle Militärdienstfähigen, auch die, welche sich durch „Bedel“, die gesetzliche Militärbefreiungssteuer (44 türk. Pfd., ca. 800 Mark für die Person) losgekauft hatten, wurden ausgehoben und als Träger und Straßenarbeiter hinausgeschickt. Als man hörte, daß die Träger unterwegs aus Nahrungsmangel an Entkräftung umkamen, und daß die Wegearbeiter von ihren muhammedanischen Kameraden erschossen wurden, flohen viele, die noch nicht eingezogen waren, in die Berge, worauf die Regierung ihre Häuser verbrannte. In diesem, wie auch in allen andern Wilajets, wurde die Entwaffnung systematisch durchgeführt, ehe die Massakers und Deportationen begannen. Die Entwaffnung in den Dörfern ging in der Weise vor sich, daß ohne vorherige Ansage oder öffentlichen Anschlag die Dörfer von Gendarmen umzingelt und nach Belieben zwei- oder dreihundert Feuerwaffen von der Bevölkerung gefordert wurden. Konnten der Dorfschulze und die Ältesten etwa nur 50 aufbringen, so wurden die Notabeln eingekerkert und mit der Bastonnade traktiert. In der Stadt Siwas wurde für die Auslieferung der Waffen fünf Stunden Frist gegeben. Fand sich nachher in den Häusern noch irgend etwas, das einer Waffe ähnlich sah, so wurden die Häuser angezündet und die Bewohner getötet.

Dann begann man mit den Verhaftungen der Notabeln und Daschnakzagan in den Städten. In Siwas wurden 1200, in Schabin-Karahissar 50 verhaftet und ohne Verhör abgeführt. Bei den Haussuchungen fahndete die Behörde auf Schriftstücke oder Briefe, aus denen man Beweise für regierungsfeindliche Gesinnung oder Anschläge irgendwelcher Art herleiten konnte. Obwohl nirgends etwas gefunden wurde, verbreiteten die Behörden das lügenhafte Gerücht, daß Hunderte von Bomben und Tausende von Gewehren

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/90&oldid=- (Version vom 31.7.2018)