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trat zufolge Anordnung des Reichsjustizamts am 1. Mai 1906 in diesem Amte eine freie Kommission von praktischen Juristen mit dem Auftrage zusammen, einen formulierten Vorentwurf zu einem neuen Deutschen Strafgesetzbuch nebst Begründung auszuarbeiten.

Die Verfasser.

Der Kommission gehörten an:

1. der Verfasser dieses Abschnitts als Vorsitzender,
2. der Wirkl. Geheime Oberregierungsrat und vortragende Rat im Reichsjustizamt Dr. von Tischendorf als Stellvertreter des Vorsitzenden,
3. der Preußische Geheime Oberjustizrat und vortragende Rat im Justizministerium Dr. Schulz,
4. der Reichsgerichtsrat (anfänglich noch Preuß. Kammergerichtsrat) Ditzen,
5. der Bayerische Oberlandesgerichtsrat (jetzt Ministerialrat im Staatsministerium der Justiz) Dr. Meyer.

Im Juli 1908 trat an Stelle des behinderten Geheimrats Dr. v. Tischendorf der damalige Geheime Regierungsrat und vortragende Rat im Reichsjustizamt Dr. Joël und im Herbst 1908 an Stelle des erkrankten Geheimrats Dr. Schulz der Preußische Kammergerichtsrat Dr. Kleine in die Kommission ein, während um Neujahr 1909 der Reichsgerichtsrat Ditzen, der seine Stelle in Leipzig antreten mußte, durch den Preußischen Kammergerichtsrat Oelschlaeger ersetzt wurde. Am 22. April 1909 hielt die Kommission ihre letzte Sitzung und überreichte demnächst den fertigen Entwurf mit einer eingehenden Begründung dem Reichsjustizamt. Auf dessen Anordnung wurde er im Herbst 1909 unter dem Titel „Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, bearbeitet von der hierzu bestellten Sachverständigen-Kommission“, durch den Druck veröffentlicht, und zwar die Begründung in zwei Bänden (Berlin bei Guttentag). Hiermit wurde er der öffentlichen Kritik übergeben, die in reichem Maße an ihm geübt worden ist.

Der Umfang.

Der Vorentwurf beschränkte sich im wesentlichen auf den Bereich des geltenden Strafgesetzbuchs. Die vielfach, besonders von wissenschaftlicher Seite, erhobene Forderung nach möglichst umfänglicher Einarbeitung auch der sogenannten Nebengesetze lehnte er als unerfüllbar und unzweckmäßig ab, weil diese Gesetze meist an sich nicht strafrechtliche Materien beträfen, denen nur einige Strafbestimmungen angeschlossen seien, die nicht aus ihrem natürlichen Zusammenhange mit den anderen dortigen Vorschriften gerissen werden dürften, ohne in große Schwierigkeiten und Unklarheiten zu geraten. Auch wo die Einarbeitung hiernach wegen der vorzugsweise strafrechtlichen Natur der betreffenden Gesetze an sich möglich sei, sei mit großer Vorsicht zu prüfen, ob diese Vorschriften in das Strafgesetzbuch gehörten. Denn dieses sei nirgends eine Sammlung aller bestehenden strafgesetzlichen Vorschriften, sondern enthalte überall nur deren Kern, neben welchem eine Menge anderer, also sondergesetzlicher Bestimmungen beständen, die mit besonderen Bedürfnissen von Staat oder Gesellschaft zusammenhingen und nicht in demselben

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/309&oldid=- (Version vom 4.8.2020)