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Mancherlei doktrinär anmutende Reden aus jener Zeit über „internationale Arbeitsteilung“ rechtfertigen solche Annahme. Aber die große Mehrheit derjenigen, die die Handelsvertragspolitik mitgemacht haben, war nichts weniger als „landwirtschaftsfeindlich“ – am allerwenigsten die Reichsregierung. Daß man das englische Beispiel nicht nachahmen dürfe, daß Deutschland aus den verschiedensten Gründen auf die Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft angewiesen sei, war nicht zuletzt auch Caprivis tiefeingewurzelte Überzeugung, der er oft genug Ausdruck gegeben hat. Nach der damaligen Sachlage aber, vor allem im Hinblick auf den hohen Stand der agrarischen Preise, glaubte man, die Herabsetzung der industriellen Zölle des Auslandes und deren vertragliche Bindung für längere Zeit mit einer Reduktion der Getreidezölle erkaufen zu dürfen, ohne daß die deutsche Landwirtschaft geschädigt würde. Dies um so mehr, als ja der im Jahre 1887 eingeführte Zoll von 5 M. gar nicht in erster Linie als Schutzzoll gedacht war, sondern Kampfeszwecken gegenüber Rußland dienen sollte. Dies war von Bismarck stets mit aller Energie betont worden. Jener Kampfzweck war nun erreicht, folglich konnte der Zoll, wenn dem nicht dringende Gründe des Preisstandes widersprachen (das Gegenteil war der Fall) wieder reduziert werden. Hierbei ist zu beachten, daß diese Reduktion immer noch um 50 Pf. über den Satz von vor 1887 stehen blieb.

Folgewirkungen der Ära Caprivi.

Es fragt sich nun, inwieweit alle diese Voraussetzungen durch die eingetretenen Folgewirkungen der Caprivischen Handelspolitik gerechtfertigt worden sind. Zweckmäßig erfolgt die Antwort für Industrie und Landwirtschaft gesondert. Daß die Wirkung der Handelsverträge für die gewerbliche Tätigkeit Deutschlands und für dessen Außenhandel ungemein günstig gewesen ist, wird heute von kaum einer Seite bezweifelt, so daß an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen zu werden braucht. Nur die zahlenmäßige Entwicklung des Außenhandels sei kurz angeführt. Legen wir zunächst die erste Periode der Verträge, die bekanntlich bis zum 1. März 1906 dauerte, zugrunde. Ausgangspunkt sei das Jahr 1894, in welchem (20. März) der russische Vertrag in Kraft trat. Aus- und Einfuhr stellten sich im Spezialhandel für diese 12 Jahre wie folgt:

Einfuhr   Ausfuhr
in Mill. Mark in Mill. Mark
1894: 4285,5 3051,5
1895: 4246,1 3424,1
1896: 4558,0 3753,8
1897: 4864,6 3786,2
1898: 5439,7 4010,6
1899: 5783,6 4368,4
1900: 6043,0 4752,6
1901: 5710,3 4512,6
1902: 5805,8 4812,8
1903: 6321,1 5130,3
1904: 6854,5 5315,6
1905: 7436,3 5841,8

Die Aufstellung ergibt eine Durchschnittseinfuhr pro Jahr von 5612,3, eine Ausfuhr von 4396,7 Mill. Mark. Die durchschnittliche jährliche Zunahme beläuft sich bei der Einfuhr auf 262,5, bei der Ausfuhr auf 232,5 Mill. Mark. Vergleichen wir hiermit die Steigerung der Außenhandelsziffern in der Zeit von 1872–1890 so springt der Unterschied in die Augen. Es ist nun allerdings richtig, daß die Tarifstaaten an

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/251&oldid=- (Version vom 20.8.2021)