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Seite:Die Chronik des Thietmar von Merseburg.pdf/231

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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg


22. Währenddeß ließ sich Balduin, Herzog der Wlandarier,1006 [Flandern], durch Jugend, Ueberfluß und durch die Einflüsterungen böser Rathgeber verleiten, sich gegen den König zu rüsten und die Burg Valentina[1] zu besetzen und seiner Herrschaft zu unterwerfen. Als der König das erfuhr, begab er sich sofort mit Heeresmacht vor die Burg und versuchte sie in wiederholten Stürmen zu erobern, zog aber unverrichteter Dinge ab, indem er jedoch den östlichen, wie den westlichen Insassen des Reiches die feste Weisung gab, daß er im nächsten Sommer den Balduin selbst mit Heeresmacht heimsuchen werde. Und diese ersehnte Zeit kam denn auch. Alsbald sammelte der König ein großes Heer und kam mit demselben an die Scella[2]. Am Ufer derselben erschien Balduin an der Spitze seiner Krieger und suchte den König durch täuschendes Hin und Herlocken am Uebergange zu verhindern. Die Unseren aber fuhren, auf den Rath gewisser Leute, heimlich zu Schiffe hinüber und vernichteten, indem sie plötzlich über ihn herfielen, seine allzu große Anmaßung. Als er floh, freute sich der König des Sieges in Christo, ging über den Fluß hinüber und verheerte das benachbarte Land. Als er aber an eine Abtei, Namens Gent[3] kam, ward er von den Geistlichen jener Kirche empfangen, und verschonte deshalb den Ort und alle dazu gehörigen Ländereien. Zuletzt flehte Balduin, durch die große Noth gezwungen, um Verzeihung des Geschehenen, welche er erlangte, worauf er bald nachher des Königs Vasall wurde, und Walekorn[4] nebst der obengenannten Burg aus des Königs Händen zu Lehen empfing.


23. Im Monat Juli, und zwar am ein und zwanzigsten, starb die ehrwürdige Frau Gisla, die hochangesehene Mutter unseres Königs, und ward zu Regensburg bestattet.

Nachdem nun unser Land zur Ruhe gebracht war, stellte der 1007

  1. Valentina, das spätere Valenciennes, in der Nähe des heutigen Lille gelegen.
  2. Die Scella, auch Scaldis genannt, die Schelde, war der Grenzfluß zwischen dem westlichen Lothringen und Flandern.
  3. Gent liegt auf der linken Seite der Schelde, auf der Grenze zwischen Lothringen und Flandern.
  4. Walekorn (Walchern), Insel an der Mündung des Rhein, etwas nördlich von Flandern, auch Walakra genannt.
Empfohlene Zitierweise:
Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/231&oldid=- (Version vom 30.9.2023)