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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg


seine Thaten aufzunehmen, hängt eine silberne Tafel im Himmel, 1012 sie ist beinahe voll; sobald sie ganz bis zum Ende beschrieben ist, wird er den Augen der Menschen entnommen, um seinen Lohn zu empfangen.“ Er selbst aber wußte das auch vorher, denn er ließ die eine seiner Schwestern, die nicht geistlichen Standes war (die andere war Nonne), zu sich rufen und sprach zu ihr: „Erinnerst du dich, wie du mir einst versprachst, du wolltest, wenn du mich je beerben solltest, das Gut, welches ich zu Osulfstidi[1] habe, zum Heile meiner Seele dem heiligen Mauritius übertragen?“ Als sie ihm das alles versprochen und es mit erhobenem Finger, wie er’s verlangte, bestätigt hatte, hub er weinend wieder an: „Ich habe nicht lange mehr zu leben, du aber thue wie du gesagt hast, und sei versichert, daß ich von meiner übrigen Hinterlassenschaft euch, meinen lieben Schwestern, nichts vorenthalten oder kürzen werde.“ Er wußte, daß das alles erfüllt werden würde, allein er erwartete es doch erst nach einem längeren Zwischenraume. Er war acht und zwanzig Jahr lang Propst, und er versah dies Amt und trug diese Würde vor all seinen Zeitgenossen auf eine ausgezeichnet ehrenvolle Art. Er ließ einen ungeheuren silbernen Sarkophag anfertigen zur Aufbewahrung von Gebeinen der Heiligen. Die in Folge des großen Brandes zu Magadaburg eingestürzte runde Kirche ließ er von Grund aus neu errichten, und beabsichtigte für dieselbe ein Domherrencapitel zu bilden, dem er das ebenerwähnte Gut aus seinem Vermögen zuweisen wollte. Er war nicht redselig, sondern bewahrte in seinem Sinne manches, was er erst zu geeigneter Zeit offenbaren wollte. Das allein beklagte er vor seinem Ende am bittersten, daß er die Kirchen und die Geistlichkeit seiner Diöcese nicht mehr hatte einsegnen können; um das Pallium[2] trug er gar keinen Schmerz. Er hatte sich einen außerordentlich bedeutenden Vorrath von Büchern und erzbischöflichen Amtskleidern, außer vielen anderen zum weltlichen Gebrauch gehörigen Dingen angeschafft, was alles bei seinem plötzlichen Tode durch viele unnütze Hände

  1. Olvenstädt, ein wenig nordwestl. von Magdeburg, südwestl. von Retmerslevo.
  2. d. h. daß er dasselbe noch nicht vom Papste erhalten hatte.
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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/271&oldid=- (Version vom 3.10.2023)