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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg

1012 war er beim König wohl gelitten und erschien allen Großen des Reichs als ein höchst ehrenwerther Mann, den sein Vorgesetzter [der Erzbischof Tagino], nur durch die erzbischöfliche Weihe und den Titel allein übertraf. Er war aufrichtig und stets theilnehmend und ein tapferer Streiter für seine Kirche. Ohne alle Prahlerei leistete er seinen Nachbaren die zahlreichsten Dienste, zeigte dagegen, daß er selbst sich allein helfen konnte. Ich habe ihn vielfach mit einem Eidschwur versichern hören, daß er nicht aus Ehrgeiz, sondern zur Rettung der bedrängten und beinahe ersterbenden Kirche nach der erzbischöflichen Würde gestrebt habe. Auch erklärte er, dieselbe nicht verdient zu haben, vielmehr seien da zwei seiner geistlichen Mitbrüder, die er gern erwählt hätte, wenn er irgend hätte hoffen können, es möglich zu machen. Er war ein gerechter und auf seinem Wege fest beharrender Mann. Um Lob von Anderen war’s ihm nicht zu thun, doch entzog er Anderen dasselbe nicht. Von einem der edelsten Geschlechter seine Abkunft herleitend, befleckte er den ererbten Adel in keiner Weise, sondern schmückte ihn durch stets gesteigerten Eifer in der Tugend. Sein Vater war Herr Erp, ein Mann von preiswürdigem Lebenswandel, allen seinen Zeitgenossen theuer. Seine Mutter, Namens Amulred, leuchtete durch fromme Zucht und durch ein dem Herrn wohlgefälliges Wirken vor den anderen Frauen hervor. Nach dem Tode ihres Gemahls verwandte sie, so viel als sie irgend vermochte, zum Heile seiner Seele und zur Bewahrung seines Gedächtnisses. Ihrem Sohne Walterd aber ward es einst im Traume verheißen, daß er das Erzbisthum Magadaburg erlangen und eine mäßige Zeit besitzen werde, und in dem Jahre, in welchem diese Verheißung erfüllt werden sollte, erschien einer ehrwürdigen Matrone seine bereits verstorbene Mutter im Traume. Als nun die Matrone sie begrüßt und gefragt hatte, wie es ihr ginge, antwortete sie: „Ich befinde mich wohl,“ und setzte hinzu: „Weißt du, daß unser Erzbischof Tagino aus dieser Welt scheiden und Walterd ihm folgen wird, nicht um hier eine Zeit lang zu regieren, sondern um im jüngsten Gericht unter den Richtenden seinen Platz zu bekommen? Bestimmt,

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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/270&oldid=- (Version vom 2.10.2023)