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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg

1012 ich oben bereits erwähnte, mit mir verwandt. Als ich aber, nachdem bereits die Abenddämmerung vorüber war, nach Walmerstidi [Wolmirstädt] kam, wo sie lag, und ins Zimmer trat, sah ich sie in großer Noth, weshalb sie auch unablässig Psalmen hersagte. Darunter hatte sie den einen Spruch fast ausschließlich im Sinn und Munde: „Deine rechte Hand erhält mich, o Herr, sie aber suchen umsonst nach meiner Seele.“ [Ps. 63, 9. 10.] An mich richtete sie kein Wort; als ich sie aber fragte, ob sie mit dem heiligen Oele gesalbt sein wolle, antwortete sie: „Gern, weil darnach Christi Wille schnell an mir in Erfüllung geht.“ Nachdem sie darauf umgekleidet war, ließ sie mich rufen, und als alles, was zur Oelung gehörte, ordentlich verrichtet war, sagte ich zu ihr: „Wie schön bist du jetzt!“ und sie sprach: „Ich sehe einen schönen Jüngling zu meiner Rechten,“ indem sie mit den Augen dahin zeigte. Darauf verließ ich das Gemach und schlief, von der Reise ermattet, lange, und als ich dann wieder wach war, hörte ich sie in heftigen Schmerzen stöhnen. Ich trat heran und sang das Psalterium, bis die Anwesenden erklärten, sie sei in den letzten Zügen. Da sprach ich, was in solchen Augenblicken zu sprechen ist, und so ging am 13. November, von den Heiligen selbst geladen, die beglückte Seele ein in die Kammer ihres himmlischen Bräutigams. Ihren Tod prophezeite ein Laie, ein Bürger zu Magadaburg, der krank darnieder lag, indem er sagte: „Frau Liudgerd wird diese Welt verlassen, und wahrhaft glückselig ist der, der denselben Weg zu gehen gewürdigt wird.“ Am andern Morgen mit Tagesanbruch ward die Leiche von uns begleitet nach Walbeck gebracht und am anderen Tage beim Kloster an der Nordseite, wo ihr Schwiegervater Liutherd seit 26 Jahren ruhte, begraben; ihr Gemahl, der Markgraf Wirinhari, beweinte sie voll unsäglichen Schmerzes; denn sie war die treue Hüterin seines Lebens und seiner Seele gewesen, und indem sie im Dienste des Herrn sich abmühte, und zwar mehr für ihn, als für sich selbst – denn sie fastete in der Kälte und unter unablässigem Gebete und verrichtete Werke der Barmherzigkeit – schützte sie ihn vor den Nachstellungen aller

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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/278&oldid=- (Version vom 3.10.2023)