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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg

weilend, mit unseren Fürsten für die Vertheidigung des 1015 Vaterlandes. Unser Feind Bolizlav aber that derweilen unserem Reiche keinen Schaden, sondern er befestigte nur das seine, und ward, als er den Ausgang der kaiserlichen Unternehmung erfuhr, gar fröhlich und sehr übermüthig. Und manche, denen die Verhältnisse bekannt waren, behaupteten zuversichtlich, daß der Kaiser damals, wenn er mit ganzer Heeresmacht vor ihm erschienen wäre, vermittelst der Furcht alles, was von unseren Landen unter der Herrschaft des Bolizlav stand, hätte wieder gewinnen und ihn ohne weitere Einräumung, als nur des Friedens, zur Unterthänigkeit bereit und willig finden können. Allein der König von Burgund, ein unzuverlässiger weibischer Mann, wollte die Verleihung der Güter, die er seinem Neffen versprochen hatte, wieder hintertreiben, und zwar auf den Antrieb derer, welche wie jenes unglückliche Kalb, wenn der Zügel der Gerechtigkeit nachgelassen ist, Lust hatten, frei in die Weite zu laufen[1]. Als aber der König dann wieder bei seinem Vorhaben bleiben wollte, vermochte er es doch nicht auf die Dauer ihrem boshaften Drängen gegenüber. Denn es giebt, wie ich höre, keinen König, der so regierte, wie dieser; er hat nichts, als den Titel und die Krone; die Bisthümer giebt er denen, welche seine Großen erwählen; zu seinem eigenen Bedarf hat er nur so geringe Einkünfte, daß er auf Kosten der Bischöfe lebt, denen er jedoch, so wenig wie andern, wenn sie irgendwie von außen bedrängt werden, beistehen kann. Daher gehorchen diese mit gebundenen Händen jeglichem Großen ebenso wie dem Könige, und leben nur so in Frieden. Darum nur regiert sie ein solcher Herrscher, daß die Wuth der Bösewichter desto freier ihr vernichtendes Spiel treibe, und daß nicht eine neue Verfassung von einem anderen Könige ausgehe, welche die eingewurzelte Gewohnheit gewaltsam aufhebe. Graf Willehelm, der ebenerwähnte, ist dem Namen nach des Königs Vasall, der That nach aber Herr im Lande. Auch heißt dort niemand Graf, als wer den Rang eines Herzogs hat, und damit seine Macht in diesem Reiche nicht

  1. Anspielung auf das mittelalterliche Gedicht Ecbasis captivi V. 66, 88 und 248.
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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/317&oldid=- (Version vom 6.10.2023)