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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Kräften zu lösen suchen; wenn es mir nicht gelingen sollte, so liegt die Schuld gewiß an mir und nicht an meinen Glaubensgenossen.“

„Und was wollt Ihr aus ihnen machen?“

Aus verachteten Juden geachtete Menschen, aus schachernden Hausirern nützliche Staatsbürger.“

„Und Ihr glaubt, daß die Christen uns eine solche Stellung einräumen werden, selbst wenn wir uns derselben würdig zeigen? Geht, geht, lieber Mendelssohn! Ihr träumt mit offenen Augen. Soll ich Euch erst an den Officier erinnern, der kaum vor einer Stunde Euch beschimpft hat, blos weil Ihr ein Jude seid? Wie er, denken alle Christen.“

„Ich glaube das Gegentheil und hoffe, Euch noch heute Abend von Euerer Ansicht zu heilen.“

„Und ich glaube,“ entgegnete der feurige Gast, die schwarzen Locken schüttelnd, „daß es nicht eher besser wird, bis der Messias kommt, auf den wir warten, der Sohn David’s, der das auserwählte Volk erlösen wird aus der Sclaverei und heimführen in das Land seiner Väter; bis die Zeit kommt, von der geschrieben steht in den heiligen Büchern, von welcher die Propheten verkündet haben, daß sie nicht ausbleiben soll nach den Tagen des Trübsals und des Elends.“

Mendelssohn antwortete nicht, sondern schüttelte nur lächelnd das weise Haupt; er nöthigte den Gast, von den aufgetragenen Speisen zu genießen, wozu derselbe sich auch nicht lange bitten ließ. Als das Mahl zu Ende war, sprach der Wirth den üblichen Segen, dann rief er seine Kinder, denen er mit einem frommen Spruch die Hände auf den Kopf legte, worauf sie von der sorgsamen Mutter zu Bette gebracht wurden.

Die beiden Männer blieben allein zurück und vertieften sich in gelehrte, talmudische Gespräche, als die Thür sich öffnete und mehrere Herren eintraten, von denen einer von Mendelssohn mit lautem, freudigem Ausrufe begrüßt wurde. Der neue Gast konnte ungefähr in den dreißiger Jahren stehen; er war von mittlerer Größe, breitschulterig und kräftig gebaut; die majestätische Stirn mit den zurückgestrichenen Haaren und vorzüglich die scharfen, durchdringenden Augen verkündigten schon äußerlich einen ungewöhnlichen Geist. In seinem ganzen Wesen lag etwas Festes, Energisches, verrieth sich bereits der abgeschlossene Charakter, wie es bei deutschen Gelehrten nur selten angetroffen wird. Sein vorwiegender Verstand und manche bittere Lebenserfahrung gaben ihm einen ernsten Anstrich; doch konnte er auch selbst heiter bis zur Ausgelassenheit erscheinen; sein Lächeln war dann bezaubernd und von hinreißender Liebenswürdigkeit. In den offenen Zügen herrschte eine unverkennbare Gutmüthigkeit vor, die freilich weit entfernt von unmännlicher Schwäche war. Man sah es den festen, ausgeprägten Linien des Gesichtes sogleich an, daß man es mit einem rücksichtslosen Forscher zu thun hatte, dem die Wahrheit mehr als Alles galt. Ungeachtet einer gewissen Bescheidenheit, womit er auftrat, zeigte er doch das Bewußtsein seiner geistigen Ueberlegenheit, die er zwar nur seinen Gegnern, niemals aber seinen Freunden empfinden ließ. Unwillkürlich wurde man durch seine Erscheinung an die Worte Shakespeare’s erinnert:

„Nehmt Alles in Allem; er war ein Mann.“

„Willkommen, mein lieber Lessing !“ rief ihm jetzt Mendelssohn entgegen, indem er ihm die Hand bot. „Willkommen, Ramler, Nikolai und Sulzer! Einen solchen Besuch hab’ ich für heute kaum noch erwartet.“

„Wir hatten uns schon längst vorgenommen,“ entgegnete Lessing, „Sie zu überfallen, da wir wußten, daß Sie am Freitag Abend sicher anzutreffen sind. Ich hatte wieder einmal Lust, mich mit Ihnen herumzustreiten und zur Abwechselung auch eine Partie Schach zu ziehen.“

„Das trifft sich prächtig,“ sagte Mendelssohn, indem er auf Satanof zeigte. „Sie finden hier einen Meister, vor dem ich die Segel streichen muß.“

Erst jetzt bemerkte Lessing den polnischen Juden, der sich bisher verlegen, fast scheu im Hintergrunde gehalten hatte.

„Gut! Ich will mit Ihrem Gast eine Partie spielen, während Sie mit unseren Freunden Philosophie und Aesthetik treiben. Ich höre doch zu und wenn Ihr es mir zu toll macht, so fahr’ ich nach meiner gewohnten Weise mit dem kritischen Besen in Euere metaphysischen Spinneweben.“

Schüchtern folgte Isaak der ehrenvollen Einladung des berühmten Gelehrten, dessen Name und Schriften ihm nicht unbekannt geblieben waren. Gern hätte er ihm seine Bewunderung zu erkennen gegeben, aber die den besseren Juden fast angeborene Furcht, zudringlich zu erscheinen, schloß ihm den Mund. Das Spiel begann und schon nach einigen Zügen erkannte Lessing, daß er es mit einem ausgezeichneten Meister im Schach zu thun hatte; auch das geistreiche Gesicht Satanof’s flößte ihm Interesse ein. Er strengte sich an, die Partie zu behaupten, aber weil er zugleich auf das Gespräch der Uebrigen achtete und von Zeit zu Zeit seine scharfen Bemerkungen dazwischen warf, kam es wohl, daß er einige Fehler machte und Blößen gab, die indeß sein Gegner nicht benutzen wollte. Als sich dieser Umstand indeß mehrere Male wiederholte, wurde auch von Lessing das nachsichtige Benehmen des Juden bemerkt.

„Ihr schont mich, guter Freund!“ sagte Lessing. „Aber ich will nicht geschont werden. Warum benutzt Ihr Euren Vortheil nicht.“

„Vielleicht,“ entgegnete Satanof, „lasse ich mir einen kleinen Profit entgehen, um einen weit größeren zu haben.“

„Das läßt sich hören, doch wir spielen nicht um Geld. Ihr könnt mir daher nichts abgewinnen.“

„Muß es denn immer Geld sein, was man gewinnen will?“

„Ihr seid ein Jude, und verachtet das Geld?“ bemerkte Lessing mit einem freundlichen Lächeln, das seine Worte mildern sollte.

„Das nimmt Sie freilich Wunder, aber der Talmud sagt: Wissen ist mehr als Gold und Silber werth, es kann Dir nicht gestohlen werden; es ist wie der Ring des weisen Salomo, welcher Gewalt gibt über die Geister in der Höhe und Tiefe, der dem Besitzer alle Schätze der Welt verschafft.“

„Ich wollte, daß Ihr die Wahrheit sagtet,“ scherzte Lessing. „Mir hat mein ganzes Wissen noch nicht so viel eingetragen, daß ich ohne Sorge leben kann.“

„Weil Ihr Sinn nicht auf den irdischen Erwerb gerichtet ist, weil ein höheres Ziel vor Ihren Augen schwebt. Sie haben gesucht die Wahrheit und gefunden, um deretwillen ich hierher gekommen bin, und verlassen habe meine polnische Heimath, von Durst nach der Wissenschaft gequält, welche hier lebendig fließen soll.“

„Ich habe die Wahrheit gesucht,“ wiederholte Lessing nachdenklich, „aber nicht gefunden. Wer kann sich rühmen, sie gefunden zu haben? Auch wäre sie kein Glück. Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend ein Mensch ist, oder zu sein vermeint, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Werth des Menchen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit besteht. Der Besitz macht träge, stolz. – Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrhell, und in seiner Linken den einzig immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlosssen hielte und spräche zu mir: wähle! ich fiele ihm mit Demuth in seine Linke und sagte: Vater, gib! Die reine Wahrheit ist ja doch nur für Dich allein!“

„Bei Gott!“ rief Satanof mit leuchtenden Augen. „Sie haben gesprochen, wie unsere weisesten Gelehrten. Wenn Alle so dächten, wie Sie, würde kein Zank und Streit mehr sein in der Welt, Keiner dem Andern vorwerfen, daß er irrt, Niemand mehr verfolgt werden wegen seines Glaubens und seiner Religion.“

In einem Enthusiasmus war der Jude mit echt orientalischer Lebendigkeit aufgesprungen, und hatte die Schachfiguren in einander geworfen, so daß das Spiel nicht mehr fortgesetzt werden konnte. Auch Lessing trat jetzt zu den Uebrigen, um an der allgemeinen Unterhaltung Theil zu nehmen. Dieselbe drehte sich um die Ernennung Mendelsohn’s zum Mitgliede der Berliner Akademie, welche indeß von Friedrich dem Großen nicht gut geheißen wurde, indem der sonst so tolerante König mit eigener Hand den Namen des jüdischen Philosophen von der Liste der vorgeschlagenen Candidaten gestrichen hatte.

„Es ist kaum glaublich,“ bemerkte Professor Sulzer, „daß Friedrich der Große, der gekrönte Philosoph, bei seinen bekannten Ansichten über Religion so handeln konnte.“

„Ich habe keinen Grund,“ entgegnete der milde Mendelssohn, „mich über den König zu beklagen. Er hat bereits mehr für mich gethan, als ich billiger Weise fordern konnte. Hat er mir nicht voll Gnade das Bürgerrecht und die Erlaubniß, in Berlin zu wohnen, ertheilt, da ich bisher nur als Dienstbote meines Brodherrn Bernhard geduldet wurde, und jeden Augenblick ausgewiesen werden konnte.“

„In der That,“ rief der Buchhändler Nikolai. unsere Enkel werden es für Verleumdung halten, wenn sie einst hören, daß der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_578.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)