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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

hinterlassen, siedelte er im Mai 1844 mit seiner Frau und zwei Knaben nach Oldenburg über. Mit wahrer und warmer Begeisterung trat er in seinen neuen Wirkungskreis; beschirmt von einem kunstsinnigen und hochherzigen Fürsten, von allen Seiten unterstützt und gefördert, schuf er unter bescheidenen, ja theilweise beschränkten Verhältnissen eine Musterbühne, wie sie Deutschland nur selten besessen, indem er durch die mächtige Gluth seines Inneren Schauspieler und Publicum entzündete und wie im Sturme mit sich fortriß. Was er durch seinen jetzt unmittelbarsten Verkehr mit der Bühne an praktischer Einsicht gewonnen, verwerthete er in dem Drama „Johann von Oesterreich“, das einen entschiedenen Fortschritt nach dieser Seite hin bekundet. So näherte er sich mit gewaltigen Schritten dem Gipfel der Vollendung und des Glückes, als er mit einem Male dicht am Ziele jäh zusammenbrach. Eine entsetzliche Krankheit, gegen die er mit aller Ausdauer seines männlichen Muthes ankämpfte, überwältigte ihn und beraubte ihn der Herrschaft über seinen Körper. Nachdem er vergeblich alle Heilquellen versucht und seine letzten Kräfte in dem fruchtlosen Widerstande aufgerieben hatte, mußte er mit der Darstellung des Lessing’schen „Nathan“ seinem dramaturgischen Wirken ein Ziel setzen. 1840 hatte er noch „die Bilder im Moose“ herausgegeben, eine Novellen-Sammlung, die zwei der köstlichsten Perlen unserer Literatur auf diesem Gebiete umschließt: „die blaue Blume“ und „das Heimweh“; schon bei ihrem ersten Erscheinen in der „Urania“ hatten sie Alles entzückt. Vor zwei Jahren ist „der Sohn des Fürsten“ im Druck erschienen, dem Andenken des 1853 verstorbenen Großherzogs Paul Friedrich August gewidmet, jenes edlen Fürsten, der dem unglücklichen Dichter eine sorgenfreie äußere Lage gesichert und allein die Schuld einer ganzen Nation abgetragen hat.

Der arme Dulder hat seinen hohen Freund überlebt und schmachtet seit langen Jahren selber im qualvollsten Zustande der Erlösung entgegen. Er muß gehoben und getragen werden, da jede Bewegung ihm die ungeheuersten Schmerzen verursacht. Früher gewann er es bisweilen, um seine Familie zu beruhigen, mit unsäglicher Anstrengung über sich, aus dem Gemache, wo er vor Tische die Zeitungen zu lesen pflegte, allein in das anstoßende Wohnzimmer zu gehen; seit er aber bei einem solchen Versuche gestürzt ist und sich schwer beschädigte, hat er auch dazu den Muth verloren. Nicht ganze Worte, nur einzelne Sylben vermögen mit leisem, dumpfen Tone mühsam über seine bleichen Lippen zu gelangen, und so muß seine Gattin die Gedankenblitze verdolmetschen, die er in die Unterhaltung wirft, wenn sich am Abend jedes Donnerstages ein Kreis hochgebildeter Männer um sein Lager versammelt. Er nimmt an Allem noch den lebhaftesten Antheil, und daß selbst die schöpferische Ader seines Geistes zuweilen noch in alter Kraft hervorquillt, beweisen sein Festgedicht zu Schiller’s Jubelfeier, das dessen Tochter als die herrlichste Gabe jenes Tages bezeichnet hat, und die Verse zum Angedenken Arndt’s, die kürzlich von ihm in diesen Blättern veröffentlicht wurden.

Ein erschütternderes Schicksal hat selten einen Menschen getroffen, als Mosen; schnöderer Undank ist vielleicht niemals einem Dichter von so ehrlichem Streben und so hoher Bedeutung widerfahren. Während täglich speculirende Buchhandlungen die Erzeugnisse flacher Mittelmäßigkeit unter der Firma und in dem Formate von Classikern in die Häuser colportiren, warten wir immer noch vergeblich auf eine Gesammtausgabe von Mosen’s Werken; seine Gedichte sind nur zwei Mal aufgelegt, seine Romane und Novellen von der Sündfluth seichtester Unterhaltungsjämmerlichkeiten verschlungen worden. Am schwersten aber wird gegen den Dramatiker gesündigt, der Schiller am nächsten verwandt ist, ohne Nachahmer zu sein. Vaterländische Stoffe und vaterländische Gesinnung mit dem das deutsche Gemüth so mächtig ergreifenden und fortreißenden vaterländischen Pathos sind die unschätzbaren Vorzüge von Mosen’s dramatischen Dichtungen, die sämmtlich ihre Lebensfähigkeit auf der Bühne auf das Glänzendste dargethan. Warum werden sie uns mit solcher Hartnäckigkeit vorenthalten? Wie viel geradezu Unsinniges und Ekelhaftes bekommen wir allabendlich zu sehen und zu hören, und welche Wirkung müßte es bei dem Ernste unserer jetzigen Lage und der Richtung unserer heutigen Stimmung auf uns äußern, wenn Mosen in seinem „Heinrich der Finkler“ von den Bretern herab uns zurufen dürfte:

„O, hätt’ ich eines Domes Glockenstimme,
Ich wollte zu euch stürmen Tag und Nacht:
Vereinigt euch und rettet euch, ihr Brüder!
Ach, meine Hand ist schwach, vereinigt aber –
Vor unsrer Brust zerbräche eine Welt!
Wohl Eins! nur Eins! ein einzig deutsches Reich!




Blätter und Blüthen.


Das Officiersfest in Genf. Wie trotz aller Lehren der Geschichte, trotz Athen, Florenz, Venedig, Holland und Nürnberg, das Vorurtheil fortbesteht, daß die Künste nur in monarchischen Staaten gedeihen, so wiederholt man auch gedankenlos, daß schöne Festlichkeiten nur in solchen Staaten vorkommen können. Es ist freilich wahr, daß in freien Staaten der Polizeicommissar nicht in’s Haus des Bürgers treten und ihm befehlen kann, heute Abend so und so viele Lampen anzustecken und sich außerordentlich zu freuen über die Freude des Herrschers; es ist auch wahr, daß hier nicht eine Million aus der Staatscasse genommen werden kann, um eine Place de la Concorde zu schmücken und um den Schweiß von hunderttausend Steuerpflichtigen als Feuerwerk auf dem Trocadero zu verpuffen; und es ist ferner wahr, daß man in freien Staaten einer Municipalität nicht befehlen kann, wenigstens fünfzehnhunderttausend Francs auf die Pracht eines officiellen Abends zu verwenden, auf die Gefahr hin, im selben Jahre ein neues Municipalanlehen machen zu müssen; aber an der Stelle dieser Festlichkeits- und Beleuchtungsmittel gibt es in freien Ländern, besonders in gewissen Momenten, da es sich um das Vaterland und nicht um leeren Pomp und Gloire handelt, eine Einmüthigkeit, eine öffentliche Meinung, eine Begeisterung, die besser zu beleuchten und Städte zu schmücken und Jubel hervorzubringen versteht, als alle Polizeipräfecten, Viertelsmeister, Staats- und Stadtcassen der Welt. In der Ferne ist das schwer zu glauben, da das Festlichkeitsbudget freier Länder so winzig aussieht, neben den ungeheuren Kosten, wie sie z. B. ein 15. August oder ein Einzug in Paris verursacht. Aber es geht damit wie mit der berühmten Brücke von Lausanne. Als der französische Minister Teste dieses Wunder moderner Baukunst sah und erfuhr, daß es dem Staat nur 1,500,000 Francs kostete, konnte er es nicht glauben und rief aus: „Bei uns würde die Brücke so viele Millionen gekostet haben.“

Doch wir wollen unsere Zeit nicht mit Vergleichungen verlieren und aus dergleichen Dingen kein fabula docet abstrahiren; es könnte uns auf Resultate führen, die zur Zeit nicht zeitgemäß sind. Nur der Hinblick auf französische Festlichkeiten und wie dergleichen veranstaltet werden, ist vielleicht erlaubt und hier am Platze, da die Genfer Augustfeste nichts Anderes waren, als eine einzige große Demonstration gegen Frankreich, und sich zu Pariser Festen verhielten, wie Freiheit zu Zwang, wie Bürgerthum zu Unterthanenthum, wie öffentliche Meinung zu einer eingelernten, gedankenlos ausgesprochenen Phrase. Noch näher läge uns die Vergleichung mit dem, was vor unseren Thoren, in unserer nächsten Nähe, in Savoyen vorgeht, wo bereits für den bevorstehenden Besuch des neuen Herren Präfecten Souspräfecten, Polizeicommissäre, Gensd’armen und geheime Polizei Jubelvorrath fabriciren. Aber wie gesagt, das kümmert uns nicht, kümmert uns um so weniger, als wir seit dem Genfer Feste die Besorgniß, dergleichen eines Tages hier selbst zu erleben, bedeutend vermindert fühlen. Wir glauben nach diesem Feste wahrhaftig, daß trotz der Nähe des Feindes und trotz des Mangels aller Festungswerke Genf im gegebenen Falle Europa ein Beispiel geben könnte, wie Sagunt und Numantia. Die société militaire, die Repräsentantin der Schweizer Armee, d. i., bei der populairen Beschaffenheit des Schweizer Heeres, des ganzen Schweizer-Volkes, welcher zu Ehren das ganze Fest veranstaltet worden, brachte bei dieser Gelegenheit die Bundesfahne hierher, also auf den bedrohtesten Punkt des Vaterlandes, in die Stadt, auf welche von allen Seiten französische Berge herabblicken; dies will und soll jedem Angreifer nichts Anderes besagen, als daß man das Palladium und die Ehre des Vaterlandes auf diesem bedrohten, alle Lüsternheiten barbarischer Eroberungssucht weckenden Punkte eben so gesichert betrachte, als wären sie in den verborgensten Schluchten des Oberlandes geborgen. James Fazy, die Spitze der Genfer Behörden, als er die Officiere in der Nähe der Orangerie empfing, gab diesem Gefühle den verhüllten Ausdruck, indem er sagte: „Man hat behauptet, daß Genf vor einem Handstreich des Fremden nicht gesichert werden könne und daß man den Feind anderswo erwarten müsse. Aber Schweizer Boden muß überall, wo er immer liege, vertheidigt werden; aber wir sind überzeugt, daß uns unsere Eidgenossen mit der Ueberzeugung von unserer gänzlichen Hingebung an das Schweizer Vaterland verlassen werden, und fest entschlossen, lieber Alles zu dulden, als das Band brechen zu lassen, das Genf mit der Eidgenossenschaft verknüpft.“

Mit Fazy’s Worten stand das Aussehen der ganzen Stadt in Harmonie; ja, jedes Haus sprach es noch deutlicher und unumwundener aus, was man denkt und fühlt, als die Worte des politischen Mannes es ausdrücken durften. Die ganze Stadt bis in die verborgensten Winkel, bis in die entferntesten Vorstädte und bis in die Verborgenheiten der Armuth, die glücklicherweise in Genf keine großen Quartiere bilden, war in ein Meer von Flaggen getaucht. Ueberall wehte die eidgenössische Flagge, das weiße Kreuz auf rothem Felde, in Verbindung mit der rothgelben Flagge des Cantons. Sonst pflegte bei Genfer Festen zwischen der oberen aristokratischen und der unteren liberalen Stadt ein gewaltiger Unterschied obzuwalten; jene schmollte und blieb stille, wenn diese sich freute; diese arbeitete

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_558.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)