Seite:Die Gartenlaube (1861) 184.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

ward, da schwand auch dem Gutmüthigsten der Glaube, daß unsrem Volke vom Bunde jemals Heil kommen könne. In diesen Tagen ist der Bundestag sittlich zu Grunde gegangen.

Aber die Gegner waren rührig. Der Minister v. Rochow belehrte die Elbinger Bürger, welche ihrem Landsmann Albrecht eine Adresse gesendet, daß es dem Unterthanen nicht zieme, „die Handlungen des Staatsoberhauptes an den Maßstab seiner beschränkten Einsicht anzulegen.“ Und die amtlichen Blätter ergingen sich in solchen Verleumdungen über die Sieben, daß Dahlmann, seiner Bescheidenheit zum Trotz, sich entschließen mußte, zum ersten Male in eigner Sache öffentlich zu reden. Er erzählte den Hergang in der classischen Schrift: „Zur Verständigung“. Freilich, das Buch mußte in Basel erscheinen. Wie es in Deutschland stand mit der Freiheit der Meinung, darüber sprach Dahlmann sich aus in der Vorrede, welche er der juristischen Vertheidigungsschrift seines Genossen Albrecht voranschickte. Die Güte eines Freundes des Verstorbenen hat mir das Blatt verschafft, und ich lese in den schönen gleichmäßigen Schriftzügen: „So lange es bei uns nicht in politischen Dingen, wie seit dem Religionsfrieden Gottlob in den kirchlichen, ein lebendiges Nebeneinander der Glaubensbekenntnisse giebt, (so lange, die das beste Gewissen haben könnten, sich gebehrden, als ob sie das schlechteste hätten, so lange der feigherzigste Vorwand genügt, um nur Alles abzuweisen, was an dem trägen Polster der Ruhe rütteln könnte,) ebenso lange giebt es keinen Boden in Deutschland, auf dem Einer aufrecht stehend die reifen Früchte politischer Bildung pflücken könnte.“ Daß die hervorgehobenen Worte nicht gedruckt wurden, dafür sorgte der Rothstift der Leipziger Censur. Denn sie enthielten einen deutlichen Hinweis auf die sächsischen Minister, welche zwar wohlmeinend genug waren, den Verwiesenen im Lande zu dulden, aber den Muth nicht fanden, für die gute Sache offen aufzutreten. So fand Dahlmann in Leipzig zwar edle Gastfreundschaft und werkthätige Hülfe von Vielen, denen es eine Lust war, ihm die Verbannung zu erleichtern, aber die an der Hochschule angekündigte Vorlesung durfte nicht stattfinden.

Bald ging er nach Jena; und wie schon in Göttingen die „Quellenkunde der deutschen Geschichte“ Zeugniß gegeben von dem rüstigen Fortgange seiner historischen Studien, so schrieb er jetzt in den Tagen der Muße seine erste größere Geschichtserzählung, die „Geschichte Dänemarks“. Ein gelehrtes Werk - denn „nach langer Arbeit unter Bausteinen wird man nicht alle Erde vom Kleide los, die Noten-Noth schleppt Einem wie die Erbsünde nach“ - aber auch ein schönes Lesebuch: denn Dahlmann verstand die damals bei uns noch sehr seltene Kunst, den rein-menschlichen Gehalt der Geschichte lebendig zum Leser reden zu lassen. Schilderungen wie jene des freien Bauernstaates der Ditmarschen oder die Charakteristik des grausamen Königs Christiern II. vergißt Keiner wieder.

Erst nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s IV. kamen den Sieben bessere Zeiten. Und es waren frohe Tage für Dahlmann, als ein ehrenvoller Ruf ihn nach Bonn führte und dort die Arndt und Böcking und Simrock und ein freudiges Willkommen der Studentenschaft ihn aufnahmen. Gar bald schmeichelte sich ihm der Zauber des rheinischen Gebens in’s Herz, dem kein Deutscher widersteht. Scheinen doch in diesem preußischen Rheinlande alle Gegensätze des deutschen Lebens, der ganze überschwängliche Reichthum unseres Volksthums auf kleinem Raume vereinigt; man sieht da einen Mikrokosmos von Deutschland. Der deutsche Großstaat mit seiner straffen Ordnung, seiner protestantischen Wissenschaft inmitten der katholischen Welt; die trauliche Enge des nordischen Familienlebens neben der ungebundenen Heiterkeit, der schönen Sinnlichkeit süddeutscher Art; und unter den geborstenen Trümmern der Ritterburgen ein ganz bürgerliches, demokratisches Geschlecht, das die trennenden Schranken mittelalterlicher Standesbegriffe schier völlig übersprungen hat und mit der rastlosen Thätigkeit moderner Menschen auf seiner Welthandelsstraße sich tummelt.

Diese ersten Bonner Jahre waren die heitersten in Dahlmann’s Leben, die Zeit, da sein Name in Aller Munde war. Damals entstanden aus seinen Vorlesungen seine beiden bekanntesten Geschichtswerke, die Geschichte der englischen und der französischen Revolution. Es war nicht die Absicht, die Resultate umfassender Quellenforschungen zu geben; aber wirken sollten die Bücher, die Mitlebenden belehren und warnen durch das treue und lebendige Bild verwandter gährender Zeiten. „Wer auf diesem Pfade sich irgendwie entzieht, nach Art der Buhlerinnen halb zeigt und halb verbirgt, da aufhört, wo er anfangen sollte, Ereignisse häuft, wo es sich darum handelt, die herbe Frucht der Selbsterkenntniß zu pflücken, der mag bequem sich im Vaterlande betten und überall, wo es hoch hergeht hochwillkommen sein; allein ein echter Jünger der Geschichte, ein Mann der Wahrheit, ein Freund Deutschlands ist er nicht.“ Der Zweck ward erreicht: kaum irgend ein anderes Buch hat in den Jahren, welche der Revolution unmittelbar vorangingen, den Gebildeten die Nothwendigkeit constitutioneller Einrichtungen für Deutschland so eindringlich gepredigt. Haben wir auch inzwischen gelernt, über Cromwell und die Helden des englischen Freistaats gerechter zu urtheilen, so hat doch das Ganze der Darstellung noch nichts an seiner ergreifenden Kraft verloren. Und an der Schilderung Mirabeau’s mag man erkennen, wie frei und unbefangen Dahlmann bei aller sittlicher Strenge in die Welt blickte. Der Mann, welcher zu lässig und kühn war, um die Ehre seines Privatlebens zu achten, aber in den Kämpfen seines Volks groß und hochsinnig voranstand – er findet gerechte und warme Würdigung bei dem deutschen Gelehrten, der eine gleiche Sonderung des privaten und des öffentlichen Lebens an sich selber nie ertragen hätte. Man klagt oft über die gedrängte Kürze von Dahlmann’s Styl. Aber ist es denn ein gutes Zeichen, daß unsere durch das rasche Zeitungslesen verderbten Leser nach jener englischen Breite verlangen, welche der gedankenreichen deutschen Natur nimmer zusagen wird? Freuen wir uns vielmehr, daß unsere Sprache noch nicht so abgeglättet ist wie die französische, daß sie reich und lebendig genug ist, um einen individuellen Styl zu dulden. Und individuell, ein Bild des Mannes selber ist Dahlmann’s Styl. Es war ihm unmöglich, seine Gedanken anders als nach reiflichem Erwägen zu Papier zu bringen. So wird ihn Jeder verstehen, der noch frisch genug empfindet, um ein mit ganzer Seele geschriebenes Buch auch mit ganzer Seele zu lesen. Ist sein Ausdruck dann und wann geschraubt, so ist er noch häufiger markig, energisch, bezeichnend; und auch schön kann er sein, wenn plötzlich aus der ruhigen Erzählung das übervolle Herz oder die gute Laune hervorbricht, wenn Dahlmann die großen Tage der Elisabeth schildert oder mit seinem Lächeln den gelehrten Narren Jakob I. uns vorführt.

Die Schriften über zwei fremde Revolutionen waren Sturmvögel der deutschen Revolution. Furchtbar rächte sich jene alte Unterlassungssünde, woran Dahlmann so oft warnend erinnert; durch einen mißlungenen Straßenkampf wurde Preußen ein constitutioneller Staat. Das deutsche Parlament trat zusammen, und hannoverische, schleswig-holsteinsche, preußische Wahlkreise wetteiferten um die Ehre Dahlmann, „den radicalen Unitarier, den entschlossenen Einheitsmann“, in die Paulskirche zu senden. Hatte Dahlmann schon zu Göttingen erklärt, die Souverainetät der Einzelstaaten sei mit dem Wesen eines Staatenbundes unvereinbar, so sah er jetzt den Augenblick gekommen, eine monarchische Gewalt über Deutschlands Fürsten zu gründen. Er war nie ein blinder Bewunderer Preußens gewesen: – noch bei seiner Bonner Antrittsvorlesung schien es ihm nöthig, sich gegen den Vorwurf, er hasse Preußen, zu rechtfertigen. Aber sein klares Auge erkannte die Nothwendigkeit, die Reichsgewalt an die Krone Preußen zu übertragen. Der sogenannte Siebzehner-Entwurf, wesentlich das Werk von Dahlmann und Albrecht, sprach diesen Gedanken aus, dessen Ausbau und Weiterbildung noch heute die Aufgabe unsrer nationalen Politik bleibt. Dahlmann scheiterte mit seinen Genossen an dem unlösbaren Widerspruche, daß eine Versammlung ohne Macht über die Macht in Deutschland verfügen sollte, daß ein Parlament ohne Einfluß auf Preußen die Krone Preußen seinen Zwecken dienstbar machen sollte, und daß neben diesem Reichstage ein Reichsverweser stand, der in sich nur den österreichischen Unterthan sah und trotz aller biederen Reden niemals andere als Habsburgische Zwecke verfolgte. Dahlmann am wenigsten war geneigt, die mangelnde legitime Macht des Parlaments durch die Kraft der Massen zu ersetzen. Der gehaltene Ernst seiner Rede war wenig geeignet für das dramatische Leben der Debatte. Ihm fehlte zum praktischen Staatsmanne der starke persönliche Ehrgeiz, die rasche Beweglichkeit und jene rücksichtslose Kühnheit, welche in den Personen nur Mittel zum Zwecke sieht. Das deutsche Parlament verlief sich im Sande, und Dahlmann erfuhr das tragische Geschick, daß manche seiner besten Tugenden in diesen Tagen wildester Bewegung ihm ein Hemmniß wurden. Aber es ist ein Unrecht, ihm zur Last zu legen, was die idealistische Unklarheit der Zeit verschuldete,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_184.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)