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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Arztes ist, die Entfernung des in die Luftbläschen Ausgeschwitzten zu fördern, demnach also vor allen Dingen das Zerfließen desselben zu unterstützen (und zwar, wie oben schon gesagt wurde, durch feuchte Wärme). Natürlicher Weise müßte der Arzt zuvörderst diese Lungenaffection auch richtig erkennen können, und dies ist nur mit Hülfe des Beklopfend und Behorchens des Brustkastens möglich, da Lungenentzündungen sehr oft ohne große Athembeschwerden, Brustschmerz, Husten und Auswurf verlaufen, diese Krankheitserscheinungen übrigens auch anderen Lungenleiden zukommen können.

Gar nicht selten geht das in die Lungenbläschen Ausgeschwitzte, anstatt zu einer eitrigen Flüssigkeit zu zerfließen und dann entfernt zu werden, eine Umwandlung zu einer schwieligen, knorpelharten Masse ein, und dann bleibt das erkrankte Lungenstück zeitlebens verhärtet und zum Athmen untauglich. An einer solchen Verhärtung kann nun recht leicht der Arzt insofern mit Schuld haben, als er den Kranken nicht gehörig warm hielt; das kommt aber vor, wenn der Arzt mit dem Horchen und Klopfen (also mit der physikalischen Untersuchungsweise) nicht gehörig vertraut ist.

Bei der Lungenschwindsucht – welche in einer Ablagerung von eigenthümlich käsiger, entweder sich verhärtender oder zu Eiter zerfließender Masse (Tuberkelstoff) in das Lungengewebe besteht, wodurch das kranke Lungenstück zerstört wird (s. Gartenl. 1854. Nr. 15.) – zeigt sich der Heilungsproceß in ganz anderer Weise, als bei der Lungenentzündung. Im Umkreise der Tuberkelmasse nämlich, sowohl innerhalb als außen an der Oberfläche der Lunge, wird aus dem Blute eine schnell gerinnende (faserstoffige) Flüssigkeit ausgeschwitzt, welche sich nach ihrer Gerinnung allmählich zu einem dichten faserigen und schwieligen Gewebe umwandelt. Dieses Neugewebe bildet nun innerhalb der Lunge rings um die noch feste oder schon zu Eiter und Jauche zerflossene Tuberkelmasse eine fast unzerstörbare Grenze, welche das Vorwärtsschreiten des Zerstörungsprocesses in der Lunge (die Schwindsucht) verhindert. Gleichzeitig bedingt dieser heilsame Ausschwitzungsproceß auch noch eine vollständige Verstopfung und Umwandlung der Blutgefäße der erkrankten Lungenportion zu soliden Strängen, so daß nun, auch wenn diese Gefäße durch die Tuberkeljauche zerfressen würden, doch kein tödtlicher Blutsturz zu Stande kommen kann. Ebenso wird ein Durchbruch einer mit Eiter erfüllten Tuberkelhöhle (Vomica) der Lunge nach dem Brunstfellsacke hin (was stets tödtlich abläuft) dadurch verhindert, daß mit Hülfe des außen an der Lunge aus dem Ausgeschwitzten hervorgegangenen Fasergewebes eine Verwachsung der kranken Lunge mit der knöchernen Brustwand zu Stande kommt.

Hiernach wird der Leser hoffentlich einsehen können, daß bei der Lungenschwindsucht die Lunge nicht so lange und ununterbrochen fort zerfressen wird, bis nichts mehr zum Zerfressen da ist, und daß ein Mensch, dessen Lungen theilweise von der Schwindsucht schon zerstört sind, doch recht gut uralt werden kann, wenn er sich nur davor in Acht nimmt, daß nicht immer ein noch gesundes Stück seiner Lunge von frischer Tuberkelablagerung befallen und zerstört wird. Daß ein Lungenschwindsüchtiger, dem ein Viertel oder Drittel seiner Lunge abhanden gekommen ist, einige Beschwerden davon hat (wie Kurzatmigkeit, Husten, Auswurf), dürfte sich wohl von selbst verstehen und sollte einen vernünftigen Arzt und Kranken nicht zu allen nur möglichen Heilversuchen veranlassen. Die noch gesunde Lunge wolle man schützen, nicht aber die kranke wieder gesund machen, denn das ist unmöglich. Bock.


Varnhagen von Ense, sein Salon und seine Tagebücher.

Einer der merkwürdigsten Männer der Gegenwart war unstreitig der bekannte Varnhagen von Ense, welcher durch seine Tagebücher noch nach seinem Tode das größte Aufsehen erregt und über das Grab hinaus eine unberechenbare Wirkung übt. In seiner Jugend Romantiker, war er zugleich ein erklärter Voltairianer, der schwärmerische Verehrer Goethe’s sympathisirte mit Heine und dem jungen Deutschland, der Freund von Gentz und Metternich jubelte bei dem Ausbruche der Revolution und ging mit den Häuptern der Demokratie Hand in Hand. Der kalte, glatte Diplomat besaß ein warmes Herz für das Volk und seine Leiden, der berechnende Politiker schloß sich ohne Besinnen jeder großen Bewegung an. Der Freund Lessing’scher Toleranz und Aufklärung schrieb ein Leben Zinzendorf’s voll Anerkennnug für den religiösen Schwärmer und hing an dem berühmten Theologen Neander mit rührender Zärtlichkeit. Heute verkehrte er mit der höchsten Aristokratie und morgen drückte er dem Proletariat die Hand, selbst den socialen Ideen aus ganzer Seele huldigend. Abwechselnd war er Officier, Diplomat, Gelehrter und Schriftsteller gewesen; er kannte das Leben am Hofe, wie das Kriegslager, und war in den Salons der vornehmsten Kreise eben so zu Hause, wie in der einsamen Stube des jungen Literaten oder des alten Bücherwurms. Auf seinem Lebensgange war er mit den ersten Männern seiner Zeit vielfach in Berührung gekommen, er war mit Goethe, Wilhelm und Alexander v. Humboldt, mit Fichte, Hegel und Schleiermacher bekannt, mit Uhland, Chamisso, Achim von Arnim und Bettina vertraut. Der junge Heine las ihm seine Erstlingswerke vor, und Gutzkow, Mundt, Laube etc. strebten nach seiner Anerkennung. Der Staatskanzler Hardenberg war ihm wohlgeneigt, Metternich suchte ihn in österreichische Dienste zu ziehen, Gentz war einer seiner intimsten Freunde. Souveraine und mediatisirte Fürsten zogen ihn in ihre Kreise, der höchste Adel verkehrte mit ihm und überhäufte ihn mit Zuvorkommenheiten; fremde Gelehrte von europäischem Rufe, wie Cousin und der berühmte Carlyle standen in fortwährendem Briefwechsel und innigem Verkehre mit ihm. Der hellste Stern des Daseins war ihm in der genialen Rahel aufgegangen, die ihren geistigen Glanz über den Mann ihres Herzens ausgoß. Die nordische Sibylle, welche mit prophetischem Blicke in den Blättern der Zukunft las, versammelte um sich die ersten und die besten Geister ihrer Zeit und schuf das Ideal einer höheren Geselligkeit für Berlin.

Aber nicht nur die größten Männer, sondern auch die größten Ereignisse des Jahrhunderts hatte Varnhagen aus eigener Anschauung kennen gelernt. Er sah die Monarchie Friedrich’s des Großen nach der Schlacht bei Jena zusammenstürzen, die Erhebung des deutschen Volkes, an der er lebendigsten Antheil nahm, die darauf folgende schmachvolle Reaction, die Freiheitsbestrebungen, durch die Julirevolution von Neuem angefacht, die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s IV. und die zum Theil durch den König selbst hervorgerufenen Bewegungen, welche die Revolution und all die nachfolgenden politischen Schwankungen herbeiführten. Mit historischem Blicke faßte Varnhagen all diese Strömungen des Zeitgeistes auf, an denen er bald handelnd, bald leidend Theil nahm, indem er die Thatsachen künstlerisch verarbeitete und in seinen „biographischen Denkmälern“ der Öffentlichkeit übergab, oder nur für sich und zu seinem eigenen Gebrauche mit bewunderungswürdigem Fleiße und staunenswerther Sorgfalt registrirte und sammelte. So wurde er im eigentlichen Sinne die „lebende Chronik“ seiner Zeit, ein unerschöpflicher Quell der Belehrung und Anregung für Alle, denen, wie mir, das Glück zu Theil ward, ihm persönlich nahe zu stehen und den interessanten Mann zu kennen.

Es war im Jahre 1852, als ich zum ersten Male in der zuvorkommendsten Weise von Varnhagen aufgefordert wurde, ihn zu besuchen, nachdem ich schon vorher in brieflichem Verkehre mit ihm gestanden hatte. Er bewohnte in der Mauerstraße das schöne, große Haus, in dem sich Rahel’s Kreis zu versammeln pflegte. Auf mein Klingeln öffnete der Bediente Ganzmann und ließ mich in ein hohes Vorzimmer, das mit Büchern in höchst einfachen Repositorien angefüllt war. Während ich gemeldet wurde, hatte ich Zeit, mich umzusehen und die Bemerkung zu machen, daß die vorhandenen Bücher nicht zum Staate dienten, da sie meist entweder gar nicht, oder nur sehr schlicht eingebunden waren und in der Mehrzahl stark benutzt schienen. Von Eleganz war in dem Entrée eben so wenig, wie in dem Wohnzimmer, in das ich geführt wurde, irgend eine Spur. An der einen Wand stand ein Bett mit rother, etwas verblichener Kattundecke, an der entgegengesetzten Seite ein Arbeitstisch mit Repositorium, Beide von gewöhnlichem rohem Fichtenholz, ohne jede Farbe und Politur, nur vom Alter und unzähligen Tintenflecken geschwärzt. In der einen Ecke befand sich ein hoher Schrank, der Thür gegenüber ein Sopha mit Roßhaarüberzug, dem man ansah, daß es viel benutzt wurde. Einige alte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_199.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2020)