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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

feiern sollte, hieß Ludwig Dessoir, jetzt ein Stern ersten Ranges an dem deutschen Theaterhimmel. Nachdem er noch so glücklich gewesen war, in einigen kleinen Rollen zu debütiren, machte der Herr Director in Stettin, wohin derselbe von Posen sich begeben hatte, Bankerott, und der junge Schauspieler sah sich gezwungen, sein Bündel zu schnüren und ein ferneres Engagement in der weiten Welt zu suchen. Von edlem Ehrgeiz schon damals erfüllt, beabsichtigte der fünfzehnjährige Künstler nichts Geringeres, als auf der königlichen Hofbühne und zwar in der Rolle des „Wilhelm Tell“ aufzutreten, wovon er sich einen ganz außerordentlichen Erfolg versprach. Natürlich wurde sein kühnes Anerbieten zurückgewiesen, aber er ließ sich nicht so leicht abschrecken, indem er sich mit demselben Anliegen an die damals in ihrem höchsten Glanze stehende Königsstädtische Bühne wendete. Der Regisseur derselben, Herr Nagel, gab ihm nach einer kurzen Prüfung den Rath, noch zu wachsen und sich erst bei einem kleinen Theater auszubilden, indem er ihn zunächst nach Spandau wies, wo der Director Krausnick, ein Bruder des bekannten Oberbürgermeisters von Berlin, mit seiner Truppe Vorstellungen gab. Hier fand Dessoir ein Engagement und spielte trotz seiner Jugend Liebhaber, Helden, komische Rollen und Bösewichter gegen ein äußerst bescheidenes Honorar.

Eines Tages befand sich ganz Spandau und besonders das Theaterpersonal in keiner geringen Aufregung. Es hatte sich nämlich wie ein Lauffeuer die Nachricht verbreitet, daß der gefürchtete Kritiker Saphir, der damals in Berlin ein satirisches Blatt herausgab, mit einigen jungen Schriftstellern in Spandau eingetroffen sei, um sich einen Jux zu machen. Am Abend besuchte natürlich die lustige und ziemlich angeheiterte Gesellschaft den Tempel Thalia’s, wo die „Ahnfrau“ von Grillparzer gegeben wurde. Hinter den Coulissen herrschte Heulen und Zähneklappern, und selbst den Muthigsten pochte das Herz. Mit Hohngelächter wurden von den verwöhnten Berlinern die Leistungen der „Bande“ aufgenommen, die erste Liebhaberin, die Tochter des Herrn Directors, trotz ihrer Schönheit verspottet, so daß sie weinend von der Bühne eilte. Jetzt kam die Reihe auch an Dessoir, der den „Jaromir“ gab und rückwärts auf die Scene stürzte, um sein Gesicht wenigstens beim ersten Auftreten den Spöttern zu entziehen. Alles ging auch gut, bis er sich im Verlauf der Rolle gezwungen sah, seine Vorderseite dem Publicum zu präsentiren. Da erschallte ein entsetzliches Gelächter über den jungen Künstler, so daß er nicht zu Worte kam und fast besinnungslos in den Stuhl niedersank, bis ihn der ehrwürdige Castellan mitleidsvoll beim Arm ergriff und mit sich fortzog. Hinter der Coulisse empfing ihn die Frau Directorin und löste ihm das Räthsel, indem sie auf seine weißen, durch einen häßlichen Fleck entstellten Tricots deutete. Trotz dieses Unfalls gelang es Dessoir im ferneren Verlaufe seiner Darstellung die Theilnahme und den Beifall des gefürchteten Saphir in dem Maße zu gewinnen, daß dieser in einer humoristischen Beschreibung seiner Fahrt nach Spandau folgende Aeußerung that: „Unter den Schauspielern befindet sich ein junger Mann, der den Jaromir mit vielem Feuer spielte. Es wäre traurig, wenn ein solches Talent in diesem Wust und Treiben untergehen sollte!“

In Spandau machte Dessoir auch die interessante Bekanntschaft des Uhrmachers Naundorf, der sich später für den Sohn des unglücklichen Ludwig XVI. von Frankreich ausgab und Ansprüche auf den Thron von Frankreich erhob. Derselbe war damals ein eifriger Theaterfreund und lebte unter ziemlich beschränkten Verhältnissen in Spandau, durch nichts ausgezeichnet, als durch seine Fertigkeit in der französischen Sprache. Nie sprach er mit Dessoir über seine hohe Abkunft, obgleich der damals ungefähr vierzig Jahre alte Naundorf den jungen Schauspieler sehr lieb gewonnen hatte und täglich mit ihm verkehrte. Oefters machten Beide einen Spaziergang von Spandau nach Berlin, um einer Vorstellung im königlichen Schauspielhause beizuwohnen, wobei sie aus ökonomischen Gründen die Gallerte besuchten und ihr mitgebrachtes frugales Abendbrod dort verzehrten, ein Beweis, daß der Erbe Frankreichs sich damals nicht eben in glänzenden Verhältnissen befand. Auf dem Rückwege nach Spandau in später Nacht spielte dann Dessoir das eben gesehene Stück seinem Begleiter vor, der, je toller jener schrie und gesticulirte, um so stärker applaudirte und seinen Beifall zu erkennen gab. Nach langen Jahren, in denen er nichts von seinem Freunde gehört, war Dessoir nicht wenig erstaunt, aus den Zeitungen zu erfahren, welche Ehre ihm in Spandau zu Theil geworden. Damals hoffte er durch die Verwendung seines hohen Gönners mindestens eine Anstellung am „Theatre Français“ zu finden, wenn erst Naundorf den Thron seiner Väter bestiegen. Leider aber gingen diese Träume nicht in Erfüllung, indem der arme Prätendent bekanntlich im Schuldgefängnisse endete.

Bei einer solchen Wanderung nach Berlin mit Naundorf oder einem andern Freunde that auch Dessoir das Gelübde, daß er es dahin bringen wolle, noch einmal auf der königlichen Bühne aufzutreten und zwar über die große Freitreppe seinen Einzug in das Berliner Schauspielhaus zu halten. Obgleich von seinem Begleiter verspottet und ausgelacht, hat Dessoir seinen Schwur treulich erfüllt und sein Wort mit der ihn charakterisierenden Energie gehalten. Im Jahre 1847, wo er von dem damaligen Intendanten, Herrn von Küstner, zu einem Gastspiel eingeladen worden war, betrat er, wie er sich vorgesetzt, die königliche Bühne, indem er zugleich in Erinnerung an sein früheres Gelübde sich das gewöhnlich verschlossene große Portal öffnen ließ und über die nur ausnahmsweise benutzte Freitreppe zu dem Tempel seines Ruhms emporstieg, so daß er wörtlich sein sich selbst gegebenes Versprechen erfüllte.

Ehe er aber zu diesem hohen Ziel gelangte, wurde der Künstler von dem launenhaften Schicksal vielfach herumgetrteben; Jahre lang führte er das wechselvolle Leben des wandernden Komödianten an verschiedenen kleinen umherziehenden Bühnen und sogenannten „Schmieren“. So irrte er durch Pommern, Sachsen und Schlesien, allerlei komische und mitunter auch tragische Abenteuer erlebend. In einer kleinen Stadt gab er zu seinem Benefiz den „Hamlet“, obgleich ihm der praktische Director und alle Welt abgerathen und das damals sehr beliebte „Donauweibchen“ empfohlen hatten. Aber Dessoir wollte den Hamlet spielen, und wenn er auch keinen Groschen darauf einnehmen sollte. Nach hergebrachter Sitte mußte er die Honoratioren des Städtchens selbst einladen und von Haus zu Haus herumwandernd die Billete abzusetzen suchen. Es hatte die vorangehenden Tage zufällig stark geregnet, und die schlecht oder gar nicht gepflasterten Straßen glichen einem Sumpf. Aus Vorsorge hatte er sein einziges und bestes Paar Beinkleider hoch aufgestreift, um sie nicht zu beschmutzen. Seine Stiefeln jedoch trugen, da er, wie sich denken läßt, den Luxus der Ueberschuhe noch nicht kannte, deutlich die Spuren des langen, schlechten Weges. Eine ganze Wagenladung von Straßenschmutz heftete sich an seine Absätze und hinterließ, wohin er trat, die deutlichen Spuren seiner Gegenwart. In diesem Aufzuge trat er in das Zimmer einer begüterten Matrone, um sein Anliegen vorzubringen und sie zum Besuch des Hamlet einzuladen. Aber ehe er noch ein Wort sprechen und seine Wünsche ihr vortragen konnte, fielen ihre scharfen Blicke auf die unglücklichen Stiefeln, welche die weißen, sorgsam gescheuerten Dielen verunreinigten. „Will Er wohl ’raus!“ schrie ihm die zornige Frau entgegen. „Will Er wohl ’raus. Er Schw…d!“ Und als Dessoir zögerte, hetzte sie ein Rudel von Hunden, mit denen sie umgeben war, auf den armen Künstler, der schleunig die Flucht ergriff. Nicht viel besser erging es ihm bei seinen übrigen Besuchen, so daß er nach Abrechnung der Tageskosten auf seinen Antheil siebzehn Silbergroschen und zehn Pfennige erhielt. Dennoch hätte er mit keinem Könige getauscht; hatte er doch den Hamlet gespielt!

Auch nach Muskau, wo der berühmte Fürst Pückler residirte, wurde die Bande verschlagen, aber Niemand wollte sie aufnehmen, bis die Wirthin des Rathskellers, eine zärtliche Wittwe, sich der armen Künstler erbarmte und ihnen ein Unterkommen gewährte, gerührt von der kräftigen Schönheit des ersten Liebhabers. In der Hoffnung, vor dem Hofe spielen zu dürfen, lebten die ausgehungerten Jünger Thaliens auf Kosten der verliebten Wirthin in Saus und Braus, bis diese selbst sammt ihren Gästen von ihren unerbittlichen Gläubigern eines Tages an die Luft gesetzt wurde. Zu dieser Verlegenheit wendete sich der Herr Principal de- und wehmüthig an die Fürstin, da der Fürst selbst abwesend war, mit der Bitte, einige Vorstellugen in dem kleinen reizenden Hoftheater geben zu dürfen. Die Erlaubniß wurde ertheilt, und an dem bestimmten Abende erschien auch die Fürstin, eine Tochter des bekannten preußischen Ministers Hardenberg, die „angebetete Julie“ in den „Briefen eines Verstorbenen“, mit ihrem ganzen Hofstaat und sämmtlichen Beamten. Dessoir, welcher im letzten Act erst auftrat, hatte sich zu dieser festlichen Gelegenheit mit Aufopferung seines ganzen Vermögens einen neuen blauen Leibrock mit gelben Messingknöpfen anfertigen lassen und erwartete, damit Aufsehen zu erregen. Wer aber beschreibt seine Gefühle, als sich die Fürstin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_342.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)