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Hände hinter den Rücken, gerade wie in Rauch’s Statuette. Sein Gesicht war sehr heiter, klar und rosig, seine Augen außerordentlich dunkel, durchdringend und glänzend. Ich empfand eine ordentliche Angst vor diesen Augen und erinnere mich, daß ich sie damals mit den Augen eines Helden aus einer unserer Kindergeschichten verglich, welcher einen Pact mit einem gewissen Jemand abgeschlossen und dafür noch im höchsten Alter seine Augen in all ihrem grauenvollen Glanze behielt. Ich bilde mir ein, daß Goethe als ein alter Mann noch schöner gewesen sein müsse, als selbst in den Tagen seiner Jugend. Seine Stimme war sehr klangvoll und angenehm. Er richtete Fragen an mich über mich selber, welche ich, so gut ich konnte, beantwortete. Ich entsinne mich, daß ich mich zuerst wunderte und dann etwas erleichtert fühlte, als ich fand, daß er Französisch mit keinem besonders guten Accent sprach. Vidi tantum – ich habe ihn doch gesehen.“

Gern kam Thackeray, besonders wenn er deutsche Gäste bei sich sah, auf diese Zeit und auf Weimar zurück. Er sprach von Emil Devrient, welchen er hatte spielen sehen, und freute sich, als dieser treffliche Künstler einmal, ich glaube im Jahre 1851, auf einem Londoner Theater (St. James’ Theatre) in einigen seiner Shakespeare’schen Rollen erschien. Auch von der Schröder-Devrient, die er als „Fidelio“ gesehen, sprach er mit Bewunderung. Im Weimarschen Theater hörte er einst eine Aufführung von Beethoven’s „Schlacht von Vitoria“. Als, wie er sich ausdrückte, „unter einem Sturm gloriöser Musik“ die in die Symphonie verwebte englische Nationalhymne: „God save the King“ begann, erhoben sich alle unter dem Publicum anwesenden Engländer und blieben aufrecht stehen, bis die Melodie zu Ende war. – Etwas von dem Abendroth, von der Heiterkeit und Ruhe des Himmels, welche den Heimgang des Dichterfürsten umglänzte, war in Thackeray’s Stimmung und Worten, so oft er von der „theuren, kleinen, sächsischen Stadt“ sprach, „wo der gute Schiller und der große Goethe lebten und begraben liegen.“

Erinnerungen ganz anderer Art verknüpften Thackeray mit Paris. Das waren seine lustigen, seine ausgelassenen Tage, das war Etwas vom künstlerischen Zigeunerthum, sorglos, leichtsinnig, liederlich vielleicht, aber genial, als er mitten im Quartier Latin wohnte, als er die Ateliers besuchte und im Louvre studirte und copirte. Das Julikönigthum stand in voller Blüthe, mit all seiner innern Hohlheit und all seinem äußern Firniß; aber grell hinein in diesen Widerspruch, an dem es zu Grunde ging, zuckte der Blitz von Fieschi’s Höllenmaschine und der düstre, nordlichtartige Schimmer von Napoleon’s zweitem Begräbniß. Von St. Helena, wo Thackeray einst den gefesselten Prometheus an der Kette gesehen, brachten sie die Asche nach dem Dome der Invaliden. Sie glaubten, die Asche sei todt. Aber es waren noch Funken darin!

Damals hegte Thackeray die Absicht, sich der Malerei zu widmen. Er hatte ein ausgesprochenes Talent dafür, welches sich bis an sein Ende nicht verleugnete. Es ist in jedem seiner Werke zu erkennen, in der Schärfe der Umrisse, die er all seinen Charakteren gegeben; auch pflegte er anfangs seine Romane selber zu illustriren und war unerschöpflich in der Erfindung von komischen, außerordentlich geistreichen Initialvignetten zu seinen kleineren Arbeiten. Doch war es von vornherein mehr ein Talent für die Zeichnung, als für die Farbe; es war immer ein Zeichnen mit der Feder. Lange schwankte er zwischen der Feder und dem Crayon. Abwechselnd schrieb er Texte zu seinen Caricaturen oder zeichnete Caricaturen zu seinen Texten. Man sagt, daß folgender Vorfall die Entscheidung herbeigeführt habe. Er war zu einem Besuch von Paris nach London gekommen. Charles Dickens, ein Jahr jünger als Thackeray, hatte eben seine glänzende Laufbahn mit den „Pickwickiern“ eröffnet. Eines Tages trat ein Mensch von vier- oder fünfundzwanzig Jahren in die bescheidene Wohnung des Autors, der sich mit einem einzigen Buche und unter dem angenommenen Namen „Boz“ zum Gespräche von London, von England, von ganz Europa gemacht. „Ich heiße Thackeray,“ sagte der unbekannte junge Mensch; „ich bin Zeichner, ich möchte die Illustrationen zu Ihrem neuen Romane machen,“ Dickens lehnte das Anerbieten ab. „Gut,“ sagte Thackeray, „wenn Sie nicht wollen, daß ich zeichne, so werde ich schreiben.“

Thackeray ging nach Paris zurück. Hier traf ihn plötzlich die Nachricht, daß er sein großes Vermögen verloren habe. Dieser Schlag zwang ihn zu regelmäßiger Beschäftigung. Er machte den Anfang, seine Drohung auszuführen. Er begann zu schreiben, für die Reviews, für die Magazine. Aber es ging ihm sehr kümmerlich dabei. Als sein Schneider ihm am Jahresschluß die Rechnung überreichte, konnte Thackeray sie nicht bezahlen. Thackeray war untröstlich. Aber Mr. Aretz, der Schneider, sagte: „Mon Dieu! lassen Sie sich das nicht zu Herzen gehen. Wenn Sie Geld brauchen, wie das bei Herren in fremden Ländern ja wohl vorkommen kann, so habe ich eine Tausendfrankennote in meinem Hause, welche zu Ihrer Verfügung steht.“ – Thackeray nahm das Darlehen an und stellte seinem generösen Gläubiger folgende Schuldverschreibung aus, welche sich noch jetzt in allen Ausgaben von Thackeray’s Werken als Dedication auf dem ersten Blatte seines „Pariser Skizzenbuches“ befindet: „Mein Herr! Die Geschichte oder die Erfahrung macht uns mit so wenigen Thaten bekannt, welche der Ihrigen verglichen werden könnten; eine Freundlichkeit von einem Fremden und einem Schneider erscheint mir so wunderbar, daß Sie mir verzeihen müssen, wenn ich auf diese Weise Ihre Tugend öffentlich und die englische Nation mit Ihrem Verdienst und Ihrem Namen bekannt mache. Lassen Sie mich hinzufügen, mein Herr, daß Sie Rue Richelieu im ersten Stock wohnen; daß Ihre Tuche und Zuthaten vorzüglich und Ihre Preise nicht hoch sind, und als einen bescheidenen Tribut meiner Bewunderung erlauben Sie mir, diese Bände Ihnen zu Füßen zu legen,“

Das war ein gut angelegtes Capital des Mr. Aretz, diese tausend Francs! Thackeray’s Ruhm waren seine Zinsen. Als Thackeray’s erster Roman, „der Jahrmarkt des Lebens“, ihn zu einer Celebrität ersten Ranges gemacht hatte, da strömte alle Welt in die Rue Richelieu, um den edelmüthigen Schneider zu sehen, welcher einem Dichter aus der Noth geholfen, und um sich von demjenigen einen Rock oder eine Weste machen zu lassen, welchem Thackeray sein erstes Buch gewidmet.

Freilich mußte Mr. Aretz lange darauf warten, so lange, als Thackeray selber, um für seinen Roman einen Verleger zu finden. Denn so leicht, wie seinem großen Rivalen Dickens, sollte es ihm nicht werden. Er hatte zehn Jahre geschrieben, ohne daß die Welt mehr als eine flüchtige Notiz von ihm genommen. Die „schwarze Sorge“ ließ ihn nicht dazu kommen, ein Werk von großem Umfang zu unternehmen. Er zersplitterte seinen ungeheuren Reichthum von Kenntnissen, von Witz, Geist und Erfahrung in lauter kleinen prismatischen Gebilden, die einen Augenblick schimmerten und dann verschwanden. Ein einziges größeres Werk, welches er angefangen, unterbrach ein trauriges Ereigniß, welches er nie ganz verwand: seine Frau ward wahnsinnig. Das Werk riß mitten ab, und Thackeray hat es nie zu Ende führen können. Mehrmals freilich setzte er an, um die Geschichte von der kleinen Caroline, welche von ihrem bösen Manne verlassen wurde, fertig zu schreiben; aber es gelang ihm nicht. „Die Farben sind längst eingetrocknet,“ sagte Thackeray, „des Künstlers Hand ist eine andere geworden. Es ist besser, das Fragment so zu lassen, wie es vor siebzehn Jahren war. Das Andenken der Vergangenheit erneuert sich, wenn ich es ansehe –

 Die Bilder froher Tage,
Und manche liebe Schatten steigen auf. –“

Ich glaube, daß wir auch den Roman, der seinen Namen weltberühmt gemacht, nur einem Zufall verdanken. Er beabsichtigte anfänglich damit nur eine Ausbeute seiner continentalen Erinnerungen. Aber der Eigenthümer eines Journales, dem er die Arbeit anbot, wies sie zurück. Um sie vor das Publicum zu bringen, wählte Thackeray nun die beliebte Form des heftweisen Erscheinens, und um das Publicum von Monat zu Monat in Spannung zu halten, entschloß er sich, die einzelnen Skizzen durch einen Romanfaden zusammenzuhalten. Allein in der Ausführung seines Planes wurde, gleichsam unter der Hand, die Nebensache zur Hauptsache. Im Schreiben lernte der Schreiber seine Stärke kennen. Es ist wahr, daß das Pariser Leben seine Streiflichter auf die Figur von Becky Sharp und das Atelier ihres Vaters wirft, und daß die Erinnerungen aus Weimar nicht ohne Einfluß blieben auf die Schilderungen von Amely’s Reise durch Deutschland. Aber doch ward der Roman, die Fabel und die Charakterzeichnung der Nerv des Werkes; die Aeußerlichkeit trat zurück vor der Innerlichkeit; – Indien, Deutschland, London und Brüssel, der Club, der Salon, das Schloß und der Seestrand wurden die Coulissen, und die Menschen traten in den Vordergrund – es wurde eine Aristophaneische Komödie, voll von bitteren Wahrheiten, es wurde ein Roman, dessen tiefer Hintergrund alle Lügen, alle Thorheiten, alle Nichtswürdigkeiten der modernen Welt, aber auch den unversiechbaren Born der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_183.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)