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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

erkannte, als man ihn in jenes Krankenzimmer einsperrte, um ihn andern Tags nach irgend einem stillen Gefängniß zu schaffen, da entschloß er sich, in der Mitternacht des 12. November 1798, als der Glöckner eben das Fest aller heiligen Mönche einläutete, zu jener waghalsigen Flucht, die, Dank der Kletterfertigkeit des ehemaligen Bauernjungen, so glücklich gelungen ist.“

„Gottlob!“ rief ich, Heeringen dankend die Hand für seine Mittheilung reichend, – „es wird Einem selber wohl in dem Mitgefühl dieser so schwer gewonnenen Freiheit. Die Banzer Klosterpracht aber sickert arg zusammen vor diesem Lebensbild. Ich glaube, wir werden heute unsere alte Veste Koburg mit ihrer bescheidenen Lutherstube viel stolzer begrüßen.“

„Und das wollen wir, nachdem wir uns erst gründlich gestärkt,“ erwiderte Heeringen. – So geschah es, und das war die Maifahrt nach Banz, die ich erzählen wollte.

Im Herbst desselben Jahres stand ich als glücklicher Jenenser Student an dem Grabe des armen Mönchs und Professors der Philosophie. Das Leben hatte ihm noch die höchsten Freuden gegönnt. Damals über Koburg und Ebersdorf nach Jena entkommen, trat er hier als Privatdocent auf, die Studenten strömten ihm zu, und wie im Hörsaal blühte auch in der Familie, die er nun gründen konnte, ihm das Glück. Es war ein gerechter Stolz, mit welchem er von sich sagte: „Nackt ging ich gleichsam aus dem Kloster, und nun habe ich Alles, was ich bedarf. Alles, was ich bin, bin ich durch mich selbst geworden. Wie in mich selbst gewurzelt, erhob ich mich zu der Blüthe des Glücks, dessen ich mich mit meiner Familie erfreue.“ In seinen zahlreichen philosophischen Schriften und Vorlesungen stellte er sich anfangs auf die Seite Fichte’s, des kraftvollen Denkers und freimüthigen Forschers, wandte sich aber bald der Schelling’schen Schule zu, die er mit seinem immer noch regen religiösen Bedürfnisse leichter in Einklang zu bringen vermochte. Später folgte er einem Rufe als Professor und Collegienrath nach Charkow, wurde aber 1816 wegen einer freisinnigen Aeußerung aus Rußland verbannt und kam als Sechszigjahriger, von einer neuen Zeit Ueberflügelter nach Jena zurück. Er erhielt zwar eine Professur, aber die Jugendleiden rächten sich nun am Alter, und nach fast dreizehnjährigem Krankenlager, die bittere Armuth zum Genossen, war er am dreizehnten Januar desselben Jahres gestorben, in dessen Mailuft wir dem alten Glöckner seinen Tod verkündeten.

Auch der edle Gustav von Heeringen ruht nun schon seit fast achtzehn Jahren im Grabe. Still und einsam, wie er, mit redlichem Fleiß bis an sein Ende, gelebt hatte, so ging er heim. Seine durch Erfindungsgabe, Adel der Gesinnung und Anmuth der Darstellung ausgezeichneten Schriften haben es ihm verdient, daß sein Andenken vom deutschen Volke geehrt und seine Grabstätte ihm erhalten werde. Wer in Koburg vom Residenzschloß her durch die sogenannte untere Anlage zum alten Gottesacker geht, sieht an der höchsten Stelle die Mauer desselben durchbrochen. Ein Schritt hinein, und wir stehen vor der Stätte, wo der Dichter zwischen Mutter und Schwester ruht. Eine Steinplatte an der Mauer nennt die lieben Namen. Ein anderes Denkmal schmückt sein Grab nicht. Möge dieses Blatt als ein solches gelten, das ihm Dankbarkeit und treue Freundschaft gewidmet hat!

Friedrich Hofmann.     




Ein Mittag an der Berliner Börse.

Gerade gegenüber dem Dome oder genauer dem unvollendeten „Campo Santo“ Friedrich Wilhelm’s des Vierten erhebt sich ein imposanter Prachtbau im neueren Renaissancestyl, gewissermaßen auch ein Tempel, wo der Gott oder Götze unserer Zeit von seinen zahlreichen Priestern und Verehrern angebetet wird. Dieses moderne Heiligthum des Materialismus ist die Berliner Börse, seine Besucher sind die verschiedenen Banquiers, Speculanten à la hausse und à la baisse, Makler und Agenten.

Schon von halb zwölf Uhr an sammelt sich ein zahlreiches Publicum in der Vorhalle der Börse, einer prachtvollen Säulenhalle. Man drängt sich hier Mann an Mann dem Eingange zu. Inzwischen werden bei dieser Gelegenheit Ansichten über die zu erwartende Börsenstimmung ausgetauscht, auch vereinzelte Geschäfte abgeschlossen. Zehn Minuten vor Zwölf werden die Flügelthüren der Börse geöffnet und nun beginnt das weniger feierliche als geräuschvolle Schauspiel. Von allen Seiten kommen Gläubige und Ungläubige, die Bekenner aller Confessionen, und versammeln sich hier unter einem Dach mit anerkennenswerther Toleranz. Wir treten mit ihnen zugleich in den riesigen, durch zwei herrliche Fresken geschmückten, von hohen Säulen getragenen Saal, nachdem wir uns bei dem Wache stehenden Portier durch eine bekannte hiesige Firma legitimirt und in ein zu diesem Zwecke ausgelegtes Buch unsere Namen eingeschrieben haben.

Zunächst empfängt uns ein betäubender Lärm, ein Wirrwarr von lauten Stimmen, ein Rauschen und Brausen, wie wenn das aufgeregte Meer brandend gegen seine Ufer schlägt. Allmählich unterscheidet das Ohr einzelne für den Uneingeweihten räthselhafte Worte: „Lombarden 115, Amerikaner, Italiener, Franzosen, Geben, Nehmen.“ Dazwischen hört man meist nur Zahlen nennen, so daß man in Versuchung kommt, die Anwesenden für Schüler oder Nachfolger des berühmten griechischen Philosophen Pythagoras zu halten, der bekanntlich seine religiöse und philosophische Weltanschauung auf das Mysterium der Zahlen gründete. Auch sind die meisten Worte dem Laien unverständlich, denn die Kürze der Zeit, die den tausendfachen Börsengeschäften zugemessen, hat Worte und Bezeichnungen geschaffen, die in keinem Wörterbuche aufzufinden sein dürften; z. E. für „Niederschlesisch-Märkische Eisenbahnactien“ einfach „Niederträchtige“.

Auf bequemen Bänken sitzen meist in nachlässiger Stellung die Vertreter der verschiedenen Firmen; Andere bewegen sich ungenirt in den dazwischen liegenden breiten Gängen, wo jedoch zuweilen ein solches Gedränge entsteht, daß der fortwährend auf- und niederwogende Menschenstrom in’s Stocken geräth und der Nachbar dem Nachbar auf die Ferse tritt. Dabei befindet sich die ganze Versammlung in einer sichtlichen Unruhe, in einer schwankend zitternden Bewegung, ähnlich wie die bekannte religiöse Secte der „Shakers“ in Amerika, in einer nervösen Aufregung, die mitunter einen höchst bedenklichen Grad erreicht und sich bis zu krampfhaften Zuckungen steigert.

Besonders interessant für den unbetheiligten Beobachter dürfte das Mienenspiel der Gesichter sein. Man erzählt von einem Maler des Alterthums, der mit einem Pinselstrich ein lachendes Kinderantlitz in ein weinendes verwandelte. Dasselbe Wunder wiederholt sich hier öfters im Laufe weniger Stunden. Die Stimmung wechselt so schnell wie Sonnenschein und Regen im April. Fragt man nach der geheimnißvollen Ursache dieser überraschenden Wandlungen, so läßt sich dieselbe nicht mit Bestimmtheit angeben; sie scheint in der Luft, in unberechenbaren Einflüssen, in der reizbaren Constitution der Börse zu liegen. Ein bloßes Gerücht, das oft absichtlich erfunden und ausgestreut wird, ein leichtes Unwohlsein Napoleon’s, ein wahres oder falsches Wort von Bismarck, die Nachricht einer Rüstung in dem fernen Rumänien wirkt bald lähmend, bald aufregend auf die wenigstens in dieser Hinsicht überaus zarten Nerven der Börse, welch letzterer man aber doch das Zugeständniß machen muß, daß sie fast immer, wir möchten sagen instinctmäßig, ein richtiges Vorgefühl der politischen Constellationen hat. Besonders machen sich die elektrischen Strömungen des Telegraphen geltend. Schnell und zuweilen vernichtend wie der Blitz zuckt es von einem Ende der Welt zum andern; eine Depesche aus Wien oder Paris reicht hin, um Freude oder Schmerz, Jubel oder Bestürzung zu verbreiten, ein Augenblick genügt, um Hunderttausende zu gewinnen oder zu verlieren.

Ein besonders bewegtes Schauspiel bieten die sogenannten „Ultimo-Regulirungen“, welche am Ende jedes Monats stattfinden, wo dann die abgeschlossenen Geschäfte abgewickelt, die Differenzen gezahlt, Gewinn und Verlust ausgeglichen werden. Man kann sich ungefähr einen Begriff von der Größe und dem Umfang des Umsatzes machen, wenn man erfährt, daß allein der „Berliner Cassenverein“, durch dessen Hände meist die in Frage kommenden Werthstücke gehen, an einem solchen Tage oft zwölf bis sechzehn Millionen in Empfang nimmt, während diese Summe nur einen ganz winzigen Theil des monatlichen Umsatzes ausmacht, da die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_011.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2022)