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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

war ganz damit einverstanden, denn Napoleon hatte ihm versprochen, seinen Enkel in anderer Weise zu entschädigen, indem er ihm selbst eine Gemahlin zuführen werde. Auf Napoleon’s Einladung kam der Erbprinz nach Paris. Als er die ihm bestimmte Braut sah, fühlte er sich sehr beglückt durch die Wahl, die der Kaiser für ihn getroffen.

In dem Herzen der jungen Stephanie erweckte hingegen die Erscheinung des Erbprinzen nicht so freudige Gefühle. Er hatte kein einnehmendes Aeußeres und sein Benehmen – er war sehr ernst, still, phlegmatisch, linkisch – konnte einem lebhaften, feurigen, geistreichen Mädchen wie Stephanie von Beauharnais nicht gefallen. Wo aber das politische Interesse sprach, durften persönliche Gefühle und Wünsche nicht laut werden, der kaiserliche Wille gebot der Prinzessin Stephanie durch Thränen zu lächeln. Mit großem Pomp ward die Vermählung vollzogen, der Erbprinz führte seine junge Gemahlin in seine Staaten. Während der Großherzog von Baden die Vermählung des Erbprinzen mit einer Verwandten des Kaisers Napoleon dringend gewünscht und die junge Fürstin mit großer Freundlichkeit bewillkommnete, war die übrige Familie, besonders die Mutter und ein Oheim des Erbprinzen, sehr aufgebracht über diese Verletzung des Legimitätsprincips. Die Familie verstand es, den Erbprinzen gegen seine Gemahlin einzunehmen, sie säete Zwietracht unter den fürstlichen Eheleuten, und der Prinz vernachlässigte die Prinzessin auffallend. In dieser Zeit legte man ihr geflissentlich Fallstricke, um bei dem kleinsten Schatten, der auf ihr Benehmen fiele, sie mit dem Schein des Rechts heftig anklagen zu können. Ihrer Unschuld und Tugend durfte aber keine Verführung nahen, sie gingen fleckenlos aus allen Versuchungen hervor. Die Anfeindungen der Familie hatten wirklich in der ersten Zeit dunkle Schatten auf die junge Ehe geworfen, aber das liebenswürdige Naturell und holdselige Wesen seiner Gemahlin entzückten und fesselten den Prinzen so, daß er endlich allen Verleumdungen sein Ohr verschloß. Mit Klugheit und Zartgefühl benahm sich die Prinzessin in der für sie peinlichen Lage, sie war sehr bemüht, sich die Gunst und Liebe der ihr feindlich gesinnten Familienmitglieder zu erwerben, ohne ihnen jedoch zu verhehlen, daß sie die Verwandtschaft mit Napoleon, die jene ihr zum Vorwurf machten, sich zur höchsten Ehre anrechne.

In Erfurt stand diesen beiden ganz französisch gesinnten Fürstinnen die Herzogin Louise von Weimar mit ihren echt deutschen Gesinnungen gegenüber. Was jene mit Selbstbefriedigung erkannten, die Uebermacht Frankreichs und die Unterordnung aller anderen Länder, erfüllte sie mit stillem Schmerz. Wie sehr hatte sie mit ihrer Familie und ihren Unterthanen schon darunter leiden müssen, wieviel Jammer und Unglück war über ihr verwandte und befreundete Fürstenfamilien und deren Länder gekommen! Die glänzenden Lustbarkeiten in Erfurt, bei denen Napoleon’s Oberherrschaft ebenso klar an den Tag trat, wie auf dem Schlachtfelde und am grünen Tisch, konnten der Herzogin von Weimar kein Vergnügen bereiten. Nur der Zwang der Etikette hatte sie nach Erfurt geführt. Wenn die Fürstin jenes Tages gedachte, da Napoleon nach der Schlacht bei Jena in Weimar eingezogen, der Verwüstungen, die seine Truppen in der Stadt angerichtet, wo sie ganze Häuser geplündert, Feuer angelegt, – wenn sie gedachte, wie kalt und schroff der Sieger sich gegen sie gezeigt, als sie in bescheidener Würde ihn an der großen Schloßtreppe empfangen, wie er ihr nicht einmal Rede gestanden, sondern sogleich in sein Zimmer geeilt war, konnte sie nur mit Widerwillen die Einladung nach Erfurt angenommen haben. Ihre feste großartige Haltung in der Audienz, die sie damals bei dem Imperator nachgesucht, die ruhige Gediegenheit ihrer Worte, mit der sie ihren Gemahl gegen Napoleon’s Drohungen und Vorwürfe vertheidigt, der laut äußerte, Fürst und Land entgelten zu lassen, daß der Herzog mit seinen Truppen an der Seite der Preußen gekämpft und ein preußisches Corps geführt, hatten zur Zeit selbst dem stolzen Sieger imponirt. Aeußerte er doch zu dem General Rapp: „Das ist eine Frau, welcher nicht einmal unsere zweihundert Kanonen haben Furcht einjagen können.“

Stillschweigend, ja mit gläubiger Miene mußte die Herzogin damals zuhören, wie Napoleon von der ihm unwillkürlich aufgedrungenen Nothwendigkeit seines jetzigen Feldzuges sprach, wobei er unter anderm sagte: „Glauben Sie mir, Madame, es giebt eine Vorsehung, welche Alles leitet, und ich bin nur deren Werkzeug.“

Die Herzogin Louise war eine zu aufgeklärte Dame, um an ein derartiges Walten unsichtbarer Mächte zu glauben, hatte von den politischen Verhältnissen Verständniß genug, um zu wissen, daß nur Napoleon’s Thatendurst und Ehrgeiz an den immerwährenden Kriegen Schuld sei. Doch durfte sie, die Schwache, dem Gewaltigen nicht widersprechen, ihn nicht seiner Ueberschätzung überführen, wozu es ihr wohl an Beweisen nicht gefehlt hätte. In ihrer bedrängten Lage war die Herzogin schon zufrieden, als sie dem Kaiser abgewonnen, daß, wenn der Herzog in einer bestimmten Frist die preußische Armee verlasse, nach Weimar zurückkehre und sein Contingent zurückrufe, ihm verziehen und seine Souverainetät nicht vernichtet werden solle, was außerdem unwiderruflich beschlossen sei.

Bei dem Kriegswirrwarr war es anfänglich unmöglich gewesen, den Herzog aufzufinden, damit er die Forderungen Napoleon’s erfülle, um sich und sein Land vom Untergang zu retten. Napoleon, über diese Zögerung aufgebracht, sagte zu dem weimarischen Abgesandten, der ihm nach Berlin gefolgt war, ein eigenhändiges Schreiben der Herzogin mit der Bitte um Verlängerung der Frist für den Herzog zu überbringen: „Machen Sie es Ihrem Herzog recht einleuchtend, daß er sein Land und seine politische Existenz einzig und allein der hohen Achtung, ja der innigen Freundschaft verdankt, welche ich für seine Gemahlin die Frau Herzogin gefaßt habe.“

Der Herzog Karl August war nach Weimar zurückgekehrt, hatte sich der Nothwendigkeit, dem Rheinbunde beizutreten, gefügt, und noch eine bedeutende Contribution gezahlt, um nicht von dem Herrschersitz seiner Ahnen vertrieben zu werden. Es war eine Zeit schwerer Sorge und harter Bedrängniß für die Herzogin gewesen. Seit Jahrzehnten befand sich der weimarische Hof in einer Umgebung geistiger Elemente, welche ihn auf ein erhöhtes Lebensfeld versetzt hatten. Ein genialer Fürst mit großen und schönen Eigenschaften nährte seine reinsten Empfindungen, seine edelsten Erhebungen in der Freundschaft eines Goethe. Ihm zur Seite standen zwei ausgezeichnete Fürstinnen mit immer regem Bedürfniß geistigen Behagens, die Herzogin Amalia, die Mutter Karl August’s, und die Herzogin Louise, seine Gemahlin.

Männer wie Schiller, Wieland, Herder brachten Blüthen und Früchte diesem Kreise zu. In das schöne Geistesleben, das bis dahin in freier Höhe über den Tageswogen geschwebt, hatte Napoleon plötzlich die Fackel des Krieges geschleudert und schmerzlich fühlte die heldenmüthige Fürstin das rücksichtslose, barsche Auftreten des Kaisers gegen sie, den Zwang, den er auf ihren Gemahl ausgeübt, die Bedrückungen und Verluste, welche das Volk zu erleiden gehabt.

Mit solchen Empfindungen kam die Herzogin Louise von Weimar nach Erfurt, wohin Napoleon sie mehrmals zur Mittagstafel und zum Theater einlud. Der Kaiser hatte die größten französischen Schauspieler nach Erfurt kommen lassen, wo jeden Abend ein Trauerspiel von einem der berühmten französischen Classiker aufgeführt wurde. In dem sonst so stillen Erfurt herrschte in dieser Zeit ein reges Leben und lautes Treiben. Außer dem Kaiser Alexander und dem Kaiser Napoleon hatten sich alle Fürsten des Rheinbundes, Könige und Herzöge mit ihrem Gefolge dort eingefunden. Glänzende Equipagen rollten hin und her, hohe Militairs und Staatsbeamte in strahlender Uniform mit Sternen und Ordensbändern drängten sich in den Salons der Herrscher, auf den Straßen wogte die schaulustige Menge in dichtem Gewühl. Levers bei dem Kaiser Napoleon, Audienzen bei dem Kaiser Alexander und den Königen, Revüen, Paraden, Geschäftsbesuche füllten die Tagesstunden aus. Um fünf Uhr speiste der Kaiser Alexander bei Napoleon, die hohen französischen Würdenträger regalirten das Gefolge der Fürsten. Nach sieben Uhr Abends strömte Alles in’s Theater, das bis nach elf Uhr dauerte.

Als die Herzogin von Weimar zum ersten Mal nach Erfurt kam, war nur die Königin von Westphalen anwesend, die Erbprinzessin von Baden wurde erwartet. Die Herzogin machte zuerst der Königin von Westphalen einen Besuch, die nach dem Bericht einer Augenzeugin sie sehr freundlich aufnahm. Um fünf Uhr fuhr sie allein zu Napoleon und mußte mit allen Königen und der westphälischen Königin eine Stunde im Vorzimmer warten. Während dessen unterhielt sich Napoleon mit Alexander im Nebenzimmer laut und streitend. Als er herauskam, ging es sogleich zur Tafel, wo die Herzogin Louise an Napoleon’s Seite saß. Er war sehr freundlich gegen die Herzogin, bat sie zu essen und zu trinken, schenkte ihr selbst ein und sagte, als sie sich weigerte: „Aber trinken Sie doch, ich möchte Sie gerne zanken hören.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_186.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)