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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

ein Bächlein bilden, das bald auf schmalem Wiesengrunde, bald unter kleinen Partien dichter Fichten gar klar und lustig dahinflüstert. Tiefer Waldfrieden und beschattetes Halblicht umgiebt den Wanderer.

Folgt dieser nun im engen Thale dem neben dem Bache sich rechts windenden Wege weiter, so erinnert ihn nur noch der gebahnte Weg an Menschen und ihre Lebensspuren. Sonst scheint hier die Natur noch ungestört und unbeschränkt ihr stilles, hohes Leben zu führen. Rings ist Alles so schweigsam ernst, nur der Bach drunten springt munter und plätschernd über die ruhenden Steine wie ein fröhliches, ausgelassenes Kind, weiter und weiter. Plötzlich wendet sich der Grund mehr südlich, die Berge mit ihren Waldbäumen treten zurück, das Thal wird weit, der blaue Spiegel eines Teiches und eine Mühle bringen lautes Leben, ärmliche Häuser erscheinen in dem sich nach rechts biegenden Thale einzeln, als kleine gesonderte Heimwesen, – damit beginnt das Dorf Langendembach.

In ihm verlebte eine Genossin und eine der letzten Pflegerinnen unseres Schiller still, einfach ihres reichen Lebens ruhevollen Abend. Niemand hat das Leben Schiller’s von 1798 bis 1805 und seine Lebensgenossen klarer und unmittelbarer kennen lernen als diese Lebensgenossin, welche Schiller selbst „seine treue Seele“ zu nennen pflegte. An der Kirche und dem Pfarrhause vorbei kommen wir zu dem kleinen, aber gar freundlich einladenden Hause, das sich, auf rebenbekränzter Anhöhe, Wilhelmine Schwenke hat bauen und anlegen lassen, um nach dem Tode ihrer zur Freundin gewordenen Herrin Karoline v. Wolzogen, geborenen v. Lengefeld, ihren Lebensabend neben der Stätte ihrer Geburt und Kindheit zu verleben. Ist doch auch der wackere Pfarrer des Ortes ihres Bruders Sohn.

Gehen wir hinauf und treten still ein in das bescheidene Haus. Dort sitzt auf dem hohen Lehnstuhle eine hochbejahrte Matrone, – das bleiche, edle Gesicht unter dem weißen Häubchen sieht uns mit den großen, dunklen Augen wohlwollend, friedvoll an. Die ganze hohe, noch gerade Gestalt in ihrer so einfachen und doch so edlen Haltung erscheint uns wie eine Ahnfrau aus großer Zeit. Und eine große Zeit hat sie mit wunderbarem Gedächtnisse durchlebt. Gar nahe gestanden hat sie als Vertraute der Schwägerin Schiller’s, Karoline v. Wolzogen, unseren Heroen Schiller, Goethe, Körner, Wilhelm und Alexander v. Humboldt, vertraut war sie mit Pestalozzi, bekannt mit Herder. Ruhig, fast vergeßlich für die Dinge der Gegenwart, das Heute nur matten Auges ansehend, lebt sie auf, dringt Feuer in das Auge, wird die Erinnerung wunderbar klar, wenn sie von der großen Zeit redet, wo sie mit Schiller verkehrt, wo sie mit den Brüdern Humboldt umgegangen, wo sie mit Goethe sich unterhalten hat, wo sie in Paris (1802, 1807 und 1808), in Dresden und Loschwitz, in Stuttgart, in Wien (1813) mit der Familie Wolzogen lebte. Da führt sie uns, wie neu erwacht, mit klaren, lebensvollen Bildern hinein in die bedeutungsvolle Zeit, vor die ehrwürdigen und genialen Gestalten. Und doch ist Alles, was sie sagt und wie sie es sagt, so einfach bescheiden, so weiblich discret! –

Wer wollte da nicht gern einen nähern Blick thun in das Leben, das hinter dieser Matrone liegt? Wie interessant auch ein tieferes, specielleres Eingehen in ihr Leben wäre, so müssen wir uns doch versagen, unserer Erzählung das Interesse der Specialität zu geben, denn wir würden die Achtung vor der so bescheidenen, discret-getreuen Freundin schwer verletzen. Wir dürfen nur einen ganz allgemeinen Umriß geben.

Friederike Wilhelmine Schwenke war die Tochter eines Pfarrers in dem zur Grafschaft Oppurg gehörigen großherzoglich weimarschen Dorfe Langendembach. Aus sehr einfachen, stillen Verhältnissen, aber mit einem frommen, treuen Sinne und großer Gewissenhaftigkeit ging sie früh in das Leben hinaus. Noch nicht achtzehn Jahre alt, trat sie im Juli des Jahres 1798 in dienstliche Verhältnisse bei Karoline v. Wolzogen, Gattin des weimarschen Geheimraths und Oberhofmeisters v. Wolzogen, der schriftstellerisch bekannten Schwägerin von Schiller. Sie selbst schrieb damals: „Welch großer Unterschied zwischen einem Kinde des Hauses und einer dienenden Person, welche Niemand beachtet und der man, wenn sie ihre Arbeit gehörig verrichtet, es überläßt, zu leben, wie sie will!“ Aber das reine, echt fromme Haus, aus dem sie gegangen mit der lebhaften Erinnerung an einen ehrwürdigen Vater, dabei ein gewisser edler Stolz, verbunden mit der Neigung, mehr zurückgezogen zu leben, schützte das junge Wesen in der neuen großen, glänzenden, aber auch versuchungsvollen Umgebung. Dazu hatte sich frühe in Wilhelmine Schwenke ein ungewöhnlich klarer, praktischer Verstand entwickelt, welcher sie bei ihrer großen Zuverlässigkeit, ihrer Treue und bescheidenen Hingabe mehr und mehr beachten ließ. „Viele herbe Stunden habe ich bestehen müssen,“ schreibt sie, „doch schützte mich mein Verstand vor Bitterkeit, und nie konnte ich das ehrwürdige Gesicht meines Vaters vergessen, wenn er mir Kernsprüche der Bibel einpflanzen wollte.“ Und das war es, was ihr auch bald Achtung von Menschen erwarb, die sie näher kennen lernten, und nach und nach ihre ganze Stellung in der Familie v. Wolzogen hob und sie dieser näher führte. Dabei sollten ihre großen Vorzüge durch die ungewöhnlichen Lebensverhältnisse und einige sehr schwierige Lagen der Familie v. Wolzogen sich immer mehr entfalten und dabei klarer hervortreten, was die Achtung gegen sie vermehrte.

Kleinere Reisen abgerechnet, lebte sie mit der Familie v. Wolzogen zunächst in Weimar zu einer Zeit, wo diese an sich kleine Stadt die größten und edelsten Männer des Volkes in sich schloß, wo ein geistiger Verkehr lebte, wie er nirgends wieder erschienen ist. Und gerade die Familie, in welcher unsere Wilhelmine Schwenke lebte, war ein Sammelplatz jener Männer, ein Mittelpunkt dieses Verkehrs.

Auf die Familie v. Wolzogen, deren Persönlichkeiten und Beziehungen hier näher einzugehen, möchte nicht am Orte sein; denn dieselben sind den Gebildeten unseres Volkes unter den hohen Erinnerungen an eine literarisch große Zeit bekannt, selbst von literarischer Freibeuterei vielfach an das Licht gestellt.

Als 1801 der Geheimrath v. Wolzogen vom Herzoge Karl August von Weimar nach Petersburg gesendet wurde wegen der beabsichtigten Verbindung des weimarschen Erbprinzen mit der Großfürstin Marie Paulowna, reiste Wilhelmine Schwenke mit Frau v. Wolzogen und deren sechsjährigem Sohne Adolph nach Dresden und zog im Sommer auf die Villa Körner’s bei Loschwitz, wo auch Friedrich Schiller mit seiner Gattin lebte; und mehr und mehr wurde auch unsere Schwenke eine vertrautere Genossin des geistreichen Kreises der drei vereinten Familien und ihrer Gäste. Wie natürlich mußte sich da der edle Kern des jungen Mädchens – in solcher Gemeinschaft und in dieser Gegend – zu entfalten beginnen! Neben ernsten wissenschaftlichen Verhandlungen (z. B. über Kant) das liebliche Spiel der Poesie, neben hoher Tragik liebenswürdiger Scherz – wir erinnern an „Gustel von Blasewitz“ – welche Funken geistreicher Einfälle und Gedanken mögen da herüber- und hinübergesprüht haben!

Als im Herbste Schillers nach Weimar zogen, ging Frau v. Wolzogen nach Dresden, bis auch sie am Ende des Jahres nach Weimar zurückkehrte. Schon im Frühjahr 1802 mußte Frau v. Wolzogen nach kurzem Aufenthalt auf ihrem elterlichen Gute Bauerbach bei Meiningen nach Paris reisen, wo Napoleon gerade als Consul das Ende der Republik herbeiführte. Eine neue Welt war vor unserer Wilhelmine in großartigen Erscheinungen und mächtigen Ereignissen aufgegangen. Wie viel sah, hörte und erlebte die Schwenke mit zweiundzwanzig Jahren gerade in dem Kreise, dem sie mehr und mehr angehörte, schon in der glänzenden Riesenstadt mit ihren Kunstschätzen und häßlichen Verschrobenheiten, mit ihrem übernächtlichen Siegesrausche und ihren tollen Gemeinheiten!

Erst gegen das Ende des September 1802 reiste die Familie v. Wolzogen über Straßburg nach Stuttgart und Ludwigsburg. In Straßburg hatte der Münster einen überwältigenden Eindruck, aber nach Paris auch einen versöhnenden auf unsere Schwenke gemacht. In Stuttgart und Ludwigsburg, wo unsere Wilhelmine schon mehr als Vertraute ihrer Herrin auftrat, machte sie die anziehendsten Bekanntschaften, von denen sie noch als von „ihren lieben schwäbischen Freunden“ im hohen Alter mit der lebhaftesten Anerkennung sprach.

Nachdem man in Weimar wieder Ende November eine längere Niederlassung gefunden, kam Wilhelmine Schwenke in lebhaften Verkehr mit Herder, Goethe und der Familie Schiller. Mit dieser Familie trat sie besonders in Jena in die freundlichste Beziehung. Frau v. Wolzogen war im Sommer von 1804 dahin gezogen, weil deren Schwester, Frau v. Schiller, ihre Entbindung in Jena erwartete. Leider wurde Schiller selbst ernstlich krank. Seine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_146.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)