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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


könnte schier Nathan der Weise betonen, ohne Frevel an Lessing; wie er von neidischem Grimm, von blinder Wuth sich an anderen Stellen fortreißen läßt, so ziemt es dem Schacherer des Rialto, dem Genossen eines Tubals und Consorten. Da ist nicht eine Viertelnote zu hoch oder zu niedrig; da ist nur sichere Lebenswahrheit, beobachtende Menschenkenntniß, der Natur treulichst abgewonnen, von der ersten bis zur letzten Silbe. Hamlet’s berühmtes „Leicht von der Zunge weg“ ist wie für seine Sprechweise erfunden.

Das zeigte sich am deutlichsten im „Faust“, in welchem Drama ich Lobe als Mephisto sah. Ja, so prägnant im Ausdruck, so schlagfertig in der kurzen Replik, so glockenrein in unermüdlicher Volubilität müßte Junker Voland, der „Schalk unter Geistern die verneinen“ seine Mittheilungen machen, wenn er uns einer Conversation würdig hielte. Ja, auch für diesen Baron aus der Hexenküche hatte Herr Lobe wieder einen ganz aparten, zuversichtlich-entschiedenen Klang der Stimme (was in der Musik timbre heißt), der mit schneidender Schärfe sich freche Unfehlbarkeit anmaßte und von vornherein jeder Gegeneinwendung den Faden abschnitt. Die infernalische Schlauheit seiner Aussprüche verbat sich eo ipso alle Widerrede; sie drang schmerzhaft in’s Gefühl bei denjenigen Doctrinen, deren Weltklugheit sich leider nicht immer wegleugnen läßt, mag es flugs der Satan sein, der sie ausstößt. Jedes Wort ein Stich, jeder Lehrsatz eine Wunde in’s Gemüth des Hörers. Vollendet war auch die pantomimisch-illustrirende Begleitung des tief durchdachten, makellosen rednerischen Vortrags. Ich bin ehrlich genug, einzugestehen, daß ich, was fließende Recitation, was Articuliren, Accentuiren betrifft, sollst ebenso unausstehlich krittlich werden mag, wie etwa der emeritirte Stallmeister, der jugendliche Bereiter in der Manége mustert. An Lobe’s Mephistopheles hab’ ich kein Tädelchen ausgespürt. Vermißt jedoch hab’ ich (um bei der lautersten Wahrheit zu bleiben!) eine Eigenschaft, deren Entbehrung vielleicht außer mir keinem andern Anwesenden aufgefallen ist, die wahrscheinlich auch ich nicht empfunden haben würde, wäre nicht im Gedächtniß mir jener Abend aufgewacht, wo zu Goethe’s achtzigjähriger Jubelfeier die erste Faust Aufführung in Weimar stattfand, und wo La Roche seinem Teufel eine Dosis ironisch-aristokratischen Höllenhumors beimischte, von welcher ich etliche Körnchen an zwei oder drei Stellen gern in Lobe’s Mephistopheles eingestreut hätte. Das ist aber auch die einzige Rüge, die ich anzubringen wüßte. Sie mag um so unbedeutender sein, weil sie bei mir doch wahrscheinlich nur aus der stets getreuen Verehrung für den Zeugen Weimarischer Herrlichkeit, für den Jubilar des Wiener Burgtheaters, für La Roche entstand – und weil sie übrigens dem Teufel des Lobe-Theaters keinen Eintrag im Ganzen that.

Fragt nun der Leser, was mich veranlaßt, auf meine alten Tage in dieses Blatt, das sonst Theaterkritiken gar nicht bringt, mich einzuschleichen mit einem Aufsatze, dessen schwatzhafte Breite der verwünschten „Reclame“ so ähnlich sieht, wie ein Ei dem andern? Dann lautet meine Antwort einfach folgendermaßen:

Jene dem Greise nachsichtig zugestandene Erlaubniß, mitunter in kindische Geschwätzigkeit verfallen zu dürfen, würde ich schändlich mißbrauchen, wollte und könnte ich davon besondere Wirkung erwarten. Achtet noch Jemand auf Aeußerungen des Einzelnen im Geräusch unzähliger Stimmen, die voller tönen? Ich begnüge mich schon, wenn es mir gelingt, hier und da Kennern und Freunden recitirenden Dramas ein aufmerkendes „Sieh doch, der Alte hat ja völlig Feuer gefangen!“ zu entlocken. Vor Denen aber, welche mich vorlaut schelten, will ich mich rechtfertigen – und zwar durch ein Gleichniß.

Friedrich Schlögl, der geist- und herzbegabte Verfasser des vielgelesenen Buches „Wiener Blut“ (nomen est omen!), erzählte mir kürzlich von einem Spaziergange mit Ferdinand Raimund, bei welchem dieser seinem Begleiter – neben welchem er den ganzen Tag hindurch stumm in Gedanken versunken hergegangen war – auf dem Gipfel eines Berges plötzlich laut zugerufen habe: „Nein, aber die Schönheit!“ – Darf Unsereiner, nachdem er dem Theatertreiben fast entfremdet und vielfachen finsteren Ahnungen vom Versinken dramatischer Kunst hingegeben war, beim unerwartet glänzenden Aufsteigen eines ihn neubelebenden Gestirns am düsteren Wolkenhimmel nicht ebenso hinausrufen, was ihn mit freudiger Hoffnung erfüllt? Ist es nicht zugleich Pflicht der Dankbarkeit? Keineswegs um Lobe zu loben, der meiner nicht bedarf; nein, meinetwegen, der Wahrheit zu Ehren habe ich versucht anzudeuten, was ich bei seinen Darstellungen empfand.

Wir klagten so häufig: „Es werden keine großen Schauspieler mehr geboren!“ Nun, hier ist einer unterwegs. Soll man ihm nicht glückliche Reise wünschen?

K. von Holtei.

Die „Igelsäule“ bei Trier. (Mit Abbildung, S. 531.) An der alten römischen Landstraße zwischen Trier, Metz und Rheims, zwei Stunden von ersterem Orte entfernt, erhebt sich in feierlich ernstem Ansehen die sogenannte „Igelsäule“, unstreitig das schönste Römerdenkmal diesseits der Alpen. Aus massiven, durch Kupfer verankerten, rothen Sandsteinquadern bestehend, erhebt sich dieses Denkmal bei einer Basisbreite von 16 Fuß bis zu einer Höhe von 71¼ Fuß. In fünf Abtheilungen steigt der Haupttheil in Form eines viereckigen Thurmes bis zu zwei Drittheil der Höhe des Ganzen und läuft dann in eine Pyramide aus, deren Fuß mit 4 Basreliefs in dreieckigem Felde verziert ist, während auf der Spitze, von Karyatiden getragen, eine Weltkugel mit einem emporfliegenden Adler ruht. Letzterer, bei Gelegenheit der Niederlage des französischen Generals Crequi 1675 durch eine Stückkugel kopflos geworden, faßt eine ebenfalls verstümmelte Jünglingsgestalt um die Hüfte. Die vielen, ein Universum bildenden und von geübter Meisterhand gearbeiteten Sculpturen, die sich an allen Seiten befinden, sind besonders bemerkenswerth. Scenen des alltäglichen Lebens, kämpfende Soldaten, Reiter, Aerzte und Lastträger wechseln mit Episoden aus dem Leben des Hercules, des Paris und der Andromache, Sirenen, Delphine und Tritonen mit Matrosen und Schiffsziehern; Darstellungen aus dem Familien- und öffentlichen Leben drängen sich mit religiösen Sinnbildern. Man erkennt den Sonnengott auf seinem Wagen; Handel und Gewerbe sind auf verschiedene Weise sinnlich angedeutet, und Comptoir wie Altar, Speisezimmer wie Küche sind berücksichtigt, kurz, wie Storck sagt, die Leiden und Freuden eines ganzen Menschenlebens, die gemeinen täglichen Beschäftigungen wie das hohe Leben der Phantasie, alles stellt sich in diesen Bildern dar, wie in einem Zauberspiegel. Während einerseits uns diese Darstellungen manchen schätzenswerthen Aufschluß gegeben haben und eine reiche Quelle von Forschungen bieten, haben sie andrerseits dazu gedient, eine heillose Wirrung in Aufstellung von Hypothesen über die Bedeutung des Denkmals zu veranlassen. Während einige Forscher meinen, Caligula sei in Igel geboren, habe eigentlich Cajus Igula geheißen und das Denkmal sei ihm zu Ehren gesetzt, meinen andre, es sei zur Verherrlichung der Eheverbindung zwischen Constantius Chlorus und der Helena errichtet worden. Nach der Behauptung einer dritten Linie von Gelehrten hätte Kaiser Trajan dasselbe an der Stelle errichtet, wo er von Secundus Securus Abschied genommen, nachdem er ihn, mit Aemtern und Würden bekleidet, aus dem Bürgerstande in den Adel erhoben. Wie auch die nachstehende verdeutschte Inschrift kund giebt, bezieht sich das Denkmal auf den Tod des in den Wellen umgekommenen Sohnes eines römischen Kaufherrn aus dem Geschlechte der Secundiner, welche als Agentes in rebus für Fortschaffung und Versorgung der Heere auch auf andern Inschriften vorkommen. Das Denkmal trägt eine lateinische Inschrift, in welcher der Inhalt der ersten Reihe nicht feststellen ist; die folgenden heißen in der Uebersetzung:

„… … und die Publia Pavata, Gattin des Secundinus Aventinus, und den L. Saccius Modestus und den Modestius Macedo seinen Sohn, haben Luc. Secundinus Aventinus und Secundinius Securus ihren verstorbenen Eltern und sich selbst bei Lebzeiten gesetzt.“


Seltsame Anfrage. Ein französischer Doctor in Epinal erzählte vor einigen Jahren einer deutschen Dame folgendes Geschichtchen: „Während meiner Studienzeit saß ich eines Abends mit zwei Commilitonen an der Tafel eines Hôtels in Straßburg. Wir sprachen über Deutschland, machten uns über manches lustig und polemisirten stark gegen dasselbe. Da erhebt sich ein etwas entfernt an demselben Tische sitzender junger, großer Mann, erklärt, ein Deutscher zu sein und unehrerbietige Aeußerungen gegen sein Vaterland nicht dulden zu wollen. Wir waren frappirt über solche Sprache und gebrauchten nun erst recht keine Rücksicht. Kurz darauf tritt der junge Deutsche abermals zu uns heran und überreicht Jedem von uns seine Karte, welche den Namen von Bismarck trägt. Am andern Morgen wurden wir alle drei im Zweikampfe von dem Allemand gründlich gehauen. – Jetzt, wo Jedermann von dem großen Bismarck spricht, möchte ich wissen, ob das derselbe ist, dessen Bekanntschaft ich in Straßburg gemacht habe.“ Die deutsche Dame antwortete zuversichtlich: „Aehnlich sieht ihm das schon. Das ist er ganz gewiß gewesen.“ – Und nun fragen wir: ob sich die Dame wohl geirrt hat. Und ob nicht der wahre „Hauer“ hervortreten würde, falls „unser“ Bismarck die Schläge nicht ausgetheilt haben sollte?


Unbekannter Selbstmörder. Die großherzogliche Polizeiverwaltung in Gießen theilt uns ein „Ausschreiben“ mit, „die Ermittelung der persönlichen Verhältnisse eines unbekannten Selbstmörders betreffend.“ Nach demselben hat sich am 28. Mai dieses Jahres, Abends gegen sieben Uhr, auf dem Gießener Friedhofe ein fein gekleideter junger Mann mit einem Revolver erschossen. Sein Aeußeres kennzeichnete sich durch schlanken Wuchs, hellbraunes, etwas gelocktes Haar, spitze, vorstehende Nase, vollständige Zähne, ovales Gesicht ohne Bart. Kleidung und Wäsche sind elegant, und letztere trägt die gestickten Buchstaben F. R. Nach vorgefundenen Notizen hatte der junge Mann sich vom 6. Mai an in Triest, Wien, Mainz, Köln befunden und kehrte am 24. Mai im „Rappen“ zu Gießen ein. In Mainz hat er sich als „Friedrich Riedl, Bahnbeamter von Wien,“ in’s Fremdenbuch geschrieben; in Gießen erkannte das Dienstpersonal des Gasthofes an seinem Dialect in ihm den Oesterreicher. Er las viel in „Werthers Leiden“, bezahlte am 26. früh seine Zeche, ließ seine Effecten im Gasthofe zurück und brachte die zwei letzten Tage seines Lebens im nahen Dorfe Rödgen zu. Sein Tod erfolgte durch einen Schuß in die rechte Schläfe. Ein von ihm an die Gießener Studenten gerichteter Brief enthält unter Anderem die Stelle: „Wie schön waren meine Knabenjahre! Wie so hoffnungsvoll gestaltete sich Alles in meiner Studienzeit! Wohl war ich berechtigt zu den schönsten Hoffnungen; Alles war mir gut, Alles ging nach meinen Wünschen. Da – später – da kam eine Zeit: o, ich mag nicht an sie denken, und doch, der Gedanke an sie will nicht weichen – es ist zum Rasendwerden! Von da an ist ‚Unschuld, Freude, Leben‘ – dahin, Alles dahin; es verwandelt sich in Sünde, Qual und Tod!“ – Nachschrift: „ … Die silberne Taschenuhr könnt Ihr auch verschenken. Den Ring laßt mir …“ Dieser Wunsch und die Werther-Lectüre deuten auf die Ursache des Selbstmordes hin. Die Angehörigen werden nach all diesen Angaben über die Persönlichkeit des Unglücklichen nicht lange im Zweifel sein. Deshalb bietet die Gartenlaube zur möglichsten Verbreitung des behördlichen Ausschreibens hiermit gern die Hand.


Der Dank des Vaterlandes. Abermals eine Gelegenheit, wo dieser Dank sich noch zu bewähren hat. Ein braver Landsmann schreibt uns aus Lausanne, daß Geschäfte ihn nach Burgdorf bei Bern geführt und daß er dort die Gelegenheit benutzt habe, das Grab Max Schneckenburger’s zu besuchen. Dasselbe war nicht nur schwer zu finden, sondern liegt auch in einem so verwilderten Zustande da, daß ihm wenigstens neue Pflege werden muß. Vielleicht verhilft „der Dank des Vaterlandes“ dem Dichter, dessen „Wacht am Rhein“ die geistige Fahne unseres größten Kampfes war, auch zu einem würdigen Grabsteine. Der Anreger dieser Notiz, Paul Götze, schickt den ersten Thaler dazu. Wer folgt nach?



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_542.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)