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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

mit trockenen Cocablättern fristet. Wenn dieses oder jenes Thier auf den steinigen scharfen Wegen die Hornhaut der Füße durchgelaufen hat, bekommt es allenfalls Sandalen aus Leder, die sich von denen seines Herrn nur dadurch unterscheiden, daß sie etwas kleiner und sorgfältiger angepaßt sind.

Kein Wunder, daß der Indianer bei so wohlfeiler Anlage bald reich wird, zumal er sich den Transport sowohl wie auch die Wolle gut bezahlen läßt und selbst ein höchst einfaches, fast erbärmliches Leben führt. Ja, er verdient gern Geld, obschon er eigentlich keinen Genuß davon hat; denn er vergräbt es in der Absicht, wie man hier allgemein glaubt, es dem Inka zu geben, von dem er hofft, daß er einst wiederkommen und die Indianer vom Joche der fremden Eindringlinge befreien wird.

Aber auch auf die äußere Erscheinung des Lamas giebt der Indianer viel; er liebt die rein schwarzen, weißen und braunen ebenso wie die mit diesen Farben regelmäßig gefleckten. Anders gezeichnete werden geschlachtet und gegessen. Bei den Festen spielen die Lamas keine geringere Rolle als die Glieder seiner Familie. Frau und Kinder flechten ihnen rothe Bänder mit kleinen Quasten in die Wolle und hängen ihnen rothe Troddeln in die Spitzen der Ohren; eine Reinigung ist nicht nöthig, da das Lama als Symbol der Reinlichkeit gelten kann. Die so geschmückten Thiere werden dann von geputzten Indianerknaben bestiegen, welche die Gäste der umliegenden Dörfer und Estancias (kleinen Ansiedelungen) einladen – eine besonders für den Fremden überraschende, anmuthige Erscheinung.

Wir reiten weiter durch die großartige baumlose Landschaft, welche rings von hochaufragenden schneebedeckten Bergriesen eingerahmt wird und in gleichmäßiger Oede sich unter dem reinen Blau des Himmels ausdehnt. Auf ganz ebenen Flächen oder zwischen Hügeln und nacktem Gestein, an Teichen und großen und kleinen Seen vorüber, deren Ränder mit spärlichem Schilf bewachsen sind und von Vögeln umschwärmt werden, führt unser Weg entlang. Ein Condor zieht vielleicht hoch in der Luft seine Kreise über uns und dann und wann erspähen wir ein Vicuña an einer Berglehne und fühlen uns fast verlockt, mit der treuen Büchse im Arm, es zu beschleichen. Aber wir müssen vorwärts eilen. Wir können uns Glück wünschen, wenn uns nicht einer jener furchtbaren Gewitterstürme überfällt, die so oft mit entsetzlicher Wuth über jene kahlen Höhen hintoben und ihre Massen von Schnee und Hagel über den schutzlosen Reisenden entladen, oder wenn uns nicht tagelang ein eisiger Nebel umschließt, in dem wir nur mit großer Mühe unsern Marsch fortsetzen können. Von dem Despoblado steigen wir während einer vollen Tagereise auf tiefer gelegene Flächen, die sogenannten Pampas, hinab, wo uns die Strohhütten verschiedener Indianer-Estancias, umgeben von dickwolligen Alpacas, Lamas und Schafen, mitten in cultivirten Gerste- und Kartoffelfeldern friedlich entgegenblicken, und wo wir fühlen, daß wir wieder unter Menschen sind.

Wer sie aber jemals durchritten hat, jene Hochflächen der Andes, wer sie nach allen Richtungen durchstreift hat, der hat sie lieb gewonnen, der sehnt sich immer wieder zurück nach ihnen; er fühlt sich dort dem Himmel näher und ist mit sich allein in der erhabenen Einsamkeit des Gebirges.




Aus der Briefmappe der Gartenlaube.


Von E. K.


W. in Sttgrt. Die Mittheilungen über die Entstehung Ihres Buches waren für mich von großem Interesse, indeß dürfte Ihre Behauptung, daß derartige literarische oder kritische Schriften nicht zufällig entstehen und nur das Resultat jahrelanger unausgesetzter Studien sein können, doch nicht immer zutreffen. Es liegt mir zufällig ein schlagender Beweis des Gegentheils vor. Der erst vor zwei Jahren verstorbene, durch seine politische und literarische Wirksamkeit bekannte Dr. Adolf Ellissen in Göttingen stand seit 1870 mit David Strauß, dem genialen Verfasser des „Leben Jesu“, in lebhafter Correspondenz. Der erste der Strauß’schen Briefe, den ich der Freundlichkeit des Sohnes Ellissen’s verdanke, spricht sich über die Entstehung des geistreichen Buches von Strauß: „Voltaire“ sehr offen aus, und Sie mögen daraus ersehen, wie das Werk eigentlich gegen den Willen des Autors und nur gelegentlich entstand. Der Privatbrief enthält übrigens über Strauß’s Stimmung, seine Beurtheilung des Publicums etc. so viel des Interessanten, daß eine Veröffentlichung desselben sicher gerechtfertigt ist.

 „Darmstadt, den 18. October 1870.
Daß es gerade meine kleine Schrift über Voltaire sein würde, die mir die Freude einer neuen persönlichen Berührung mit Ihnen verschaffen sollte, dachte ich allerdings nicht. Ihre früheren Arbeiten über denselben Gegenstand mochten noch so bekannt geworden sein, sie blieben mir verborgen, da ich selbst erst seit Kurzem mit Voltaire und Voltarianis Bekanntschaft gemacht hatte. Uns von diesen alten Aufklärern zu unterscheiden, war ja für die Leute meiner Richtung eine Art Ehrensache gewesen; idealistisch und begeistert, wie wir waren, fanden wir uns insbesondere von allem, was frivol war oder auch nur schien, abgestoßen, und so kam es, daß ich Voltaire bis vor wenigen Jahren geradezu aus dem Wege gegangen war. An seinem Charles Douze hatte ich zwar, wie üblich, mein Bischen Französisch gelernt; wie ich aber später zu meinem Vergnügen unter Anderem den Candide lesen wollte, konnte ich ihm keinen Geschmack abgewinnen. Da fiel ich im Winter 1867–68, entsinne ich mich recht, mehr Friedrich’s als Voltaire’s wegen, auf den Briefwechsel dieser beiden Männer. Die Briefe Voltaire’s führten mich auf seine Werke, und so ließ ich mir in München, wo ich mich jenen Winter aufhielt, ein Dutzend Bände der trefflichen Beuchold’schen Ausgabe um’s andere holen, bis ich alle durchstöbert, alles mir wichtig Erscheinende gelesen hatte. Aber schreiben wollte ich nichts über ihn; ich war damals gegen das deutsche Publicum, dessen Männer nur Zeitungen, dessen Frauen (so schien es mir) nur noch Romane lesen, gründlich verstimmt. Darum excerpirte ich von dem Gelesenen nichts, und zwar nicht nur weil ich kein Buch machen wollte, sondern damit es mir nicht einfallen könnte, es zu wollen. Nun aber kam ich aus dem Lesen nicht mehr heraus. Es zeigte sich, wenn ich den Gegenstand los werden wollte, mußte ich etwas daraus machen. Also mußte ich einen guten Theil der Voltaire’schen Werke noch einmal lesen, diesmal excerpendo. Aber nun schreiben, wieder etwas schreiben, für wen? Für dieses Publicum, von dem ich ein paar Jahre vorher in mein Schreibbuch die Verse eingeschrieben hatte:

Das Publicum ist eine Kuh,
Die grast und grast nur immerzu;
Kommt eine Blum’ ihr vor die Nas’,
Die nimmt sie mit und fragt nicht: was?
Ist ihr wie andres Futter auch,
Beschäftigt das Maul und füllt den Bauch.

Da fiel mir die geistvolle Prinzessin ein, deren Bekanntschaft und, ich darf wohl sagen, Vertrauen ich seit einigen Jahren gewonnen hatte, und für sie schrieb ich nun das Büchlein, ohne mich (außer dem stoffreichen Werke von Desnoiresterres) nach anderen Werken über Voltaire umzusehen, rein nur aus dem Eindrucke heraus, den ich für mich aus dem Studium seiner Werke bekommen hatte. Daher des Büchleins – Vorzüge, wenn es deren hat, und Mängel, deren es sicher sehr viele hat.

Natürlich hat mich nun nachträglich Ihre Schrift „Voltaire als politischer Dichter“ in hohem Grade interessirt; ich finde Ihre Uebersetzungen vortrefflich, treu und doch leicht, wie mit dem Pinsel Ming’s*[1] gemalt, Ihren Commentar instructiv und erleuchtend – ich und Meinesgleichen würden uns sehr freuen, das Büchlein in verjüngter Gestalt erscheinen zu sehen; – aber über das Publicum wage ich keine Vorhersagung, da ich mich in meinen Erwartungen von demselben gar zu oft für mich selbst getäuscht habe. Nur eins glaube ich jetzt zu wissen: da wir es nicht unterlassen können (ich meine Schriftsteller wie Sie und ich), ihm zu denken zu geben, so müssen wir dies wenigstens so thun, daß das Publicum sein eigenes Denken nicht gewahr wird; es muß meinen, wir erzählen ihm nur oder conversiren mit ihm – so lange hört es uns zu; sowie es entdeckt, daß es denken muß, läuft es davon.

Doch nicht blos über Voltaire’s politische Gedichte, auch über unsere jetzigen politischen Verhältnisse wünschte ich Ihre Meinung (die zum Theil wohl schon in Ihrem Büchlein über französische Thronfolger liegt) gelegentlich kennen zu lernen. Wie behagt Ihnen die preußische Annexion? wie macht sich die Stimmung in Hannover? was hoffen oder fürchten Sie von unserer deutschen Zukunft? Diesmal gehört zu den Hoffern

Ihr ergebenster
D. F. Strauß.


  1. * Eine Anspielung auf Ellissen’s durch Hans Hopfen’s Erwiderung bekannt gewordenes Originalgedicht: „Der Pinsel Ming’s“.




Kl. in Kbg. Immer und immer wieder das alte Mißtrauen in die Wahrhaftigkeit Andersdenkender. Wo sind denn die Vortheile, die sich dem Manne bieten, den Sie als einen „ehrgeizigen Egoisten“ bezeichnen – wo die Carrièrebahnen, auf denen er in Amt und Würden einlaufen soll? Bekämpfen Sie mit rücksichtsloser Energie die Tendenzen des Parteimannes, wenn sie Ihnen verwerflich und allgemein schädlich erscheinen, aber legen Sie dem Ehrenmanne nicht schmutzige Motive unter, die er nicht kennt und deren Vorhandensein Sie erst noch zu beweisen haben. Karl Vogt in Genf, der auch ein reiches politisches Leben hinter sich hat, schrieb mir vor Jahren einmal sehr richtig:

„Der hat aber jedenfalls Unrecht und großes Unrecht, der seine Abwägung als die allein ehrliche und die des Andern als eine von nicht ehrlichen Motiven bestimmte bezeichnet. Ich sehe unter meinen nächsten und liebsten Freunden ebenso viel tüchtige und überzeugungstreue Menschen auf der einen wie auf der andern Seite, ohne darum glauben zu können, daß die Einen Götter und die Anderen Lumpen sind, und ich denke, es wird fast Jedem, der eine etwas längere politische Laufbahn hinter sich hat, ebenso gehen.“


Hierzu die „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Verlag von G. L. Daube & Comp.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_345.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)