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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

uns manch schätzenswerthe Erinnerung aus jenen Zeiten mitgetheilt hat.

Zum letzten Male, es war im Jahre 1816, sang die Herzogin in Schiller’s Glocke von Romberg, der sein und des Dichters Werk selbst dirigirte. Denn viele musikalische Größen genossen die Gastfreundschaft des Hofes. Da entzückte das herrliche Violin- und Harfenspiel des Spohr’schen Ehepaares die Hörer, abwechselnd mit Methfessel’s lustigen und feurigen Weisen. Auch Ludwig Böhner, der musikalische Ahasver, schlich öfter, das Notenpacket unter dem Arme, um das Schloß herum und fand trotz seines gar nicht hoffähigen, abgeschabten Fräckleins gute Aufnahme, er, der ein thüringer Mozart hätte werden können, wenn nicht seine vielfachen Schrullen und üblen Angewohnheiten uns diesen Stolz geraubt hätten.

Die Hofcapelle, deren wirklicher Intendant die Herzogin war, erfreute sich in der musikalischen Welt eines guten Klanges und zwar unter der Direction des jugendlichen Johann Lorenz Schneider aus Burgpreppach in Franken, der später für Coburg gewonnen wurde, wo er als hoher Neunziger starb. Namhafte Mitglieder waren unter Andern der Componist von „Dein Wohl, mein Liebchen“, Johann Andreas Zöllner, der als Oboist und Contrapunktist bekannte Heuschkel aus Harras, der Lehrer Carl Maria’s von Weber, welcher hier einige Zeit wohnte, und des Cellovirtuosen Dotzauer aus Häselrieth.

Auch der dramatischen Kunst wandte die Herzogin ihre volle Theilnahme zu. Man spielte bei Hofe oder im Hoftheater, wozu ein früherer kunstsinniger Fürst ein ehemaliges Ball- und Fechthaus, das mit den Schloß-Parkanlagen in Verbindung stand, hatte herrichten lassen. Jetzt spottet man freilich über das verwetterte Gemäuer an der Werra, mit seinen zugigen Logen, kellerartigem Parterre und der halsbrechenden, mehr einem Tartarus als einem „Olymp“ ähnelnden Gallerie, Alles das umhangen von einigen ornamentalen Pappen- und Lappenfetzen, die von früherer Herrlichkeit zeugen. Man soll aber nicht vergessen, daß zu einer Zeit, da viele andere deutsche Städte und Residenzen, die jetzt mit herrlichen Gebäuden prunken, nicht im Entferntesten daran dachten, sich einen derartigen Raum zu beschaffen, derselbe zur Hebung und Belebung des Kunstgeschmackes vortreffliche Dienste geleistet hat.

Der Herzog verschrieb, freilich für theures Geld, Sänger, Schauspieler und Tänzer in Ueberfluß nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Frankreich und Italien. Decoration und Garderobe waren prächtig. Da sah man die Meisterwerke des Corneille, Racine und Voltaire in Reifröcken, himmelhohen Frisuren, Schuhen mit kothurnähnlichen Absätzen als Costüm einer Dido oder Iphigenie in italienischer und französischer Sprache aufführen. Doch treffen wir bereits auch Spuren von „Herrn Lessing“, und von da an brach sich die deutsche Kunst auch hier mit Macht Bahn.

Unter den berühmten Operncomponisten, die auch hier ihren Tactstock schwangen, heben wir besonders Ditters von Dittersdorf hervor, den echten Volkstondichter, der hier die lustigen Weisen seines „Doctor und Apotheker“, „Hieronymus Knicker“ und „Orpheus der Zweite“ ertönen ließ.

Rührend ist es, zu vernehmen, wie die Muse der Tonkunst tröstend und ermuthigend selbst noch am Sterbelager der Herzogin weilte. Sie hatte, um ihre bereits wankende Gesundheit zu stärken, eine Reise nach der Schweiz gemacht; bald nach der Rückkehr wurde sie auf ihr letztes Krankenlager geworfen. In Trauer umstanden dasselbe die Verwandten, welche von überall herbeigeeilt waren, in Rathlosigkeit die Aerzte. Da kam das Gerücht, Hermstedt sei angekommen, und bald ertönte im Nebenzimmer sein herrliches Spiel.

„Das ist mein bester Arzt,“ äußerte freudig überrascht die Kranke und fühlte sich wunderbar gestärkt.

Aber auch dieser konnte nicht helfen. Sie starb am 14. Mai 1818. Ihre entseelte Hülle deckt auf dem Friedhof zu Hildburghausen – denn unter ihren Mitbürgern wollte sie ruhen – eine kolossale eherne Leuchte, das rechte Bild ihres Lebens und Strebens.

Wie innig die Liebe war, die sie mit ihren Geschwistern und vor Allem mit der Königin Louise verband, dafür zeugt noch heute ein vergessenes Denkmal, dessen Abbildung die nächste Nummer der Gartenlaube bringen soll. Dr. L. Grobe.     




Eine Leipziger Musikgröße.[1]

Von0 La Mara.


Leipzigs Musikleben und die Kunst im Allgemeinen haben einen empfindlichen, in gewissem Sinne sogar einen unersetzlichen Verlust erlitten, als Ferdinand David, der große Geigenkünstler, durch einen jähen Tod abberufen ward aus diesem Dasein. Mit ihm ging der letzte jener großen Namen dahin, an die sich Leipzigs glorreichste Musikepoche knüpft; mit ihm, dem Freunde Mendelssohn’s, dem Genossen Schumann’s, Hauptmann’s, Moscheles’, ward diese selbst nun ganz und für immer zu Grabe getragen. Vorüber ist die Zeit, da Leipzig die musikalische Suprematie in Deutschland behauptete, da ihm in Sachen der Tonkunst eine erste Stimme zuerkannt werden mußte in Europa, ja in der ganzen gebildeten Welt. Es braucht sich dessen vielleicht nur bewußt zu werden, um sich zu erneutem Aufschwunge aufzuraffen – an Kraft dazu wird es ihm nicht gebrechen. Aber wir erinnern uns der Worte Mendelssohn’s beim Tode seiner Schwester: „Ein großes Capitel ist nun eben aus und von dem nächsten ist weder die Ueberschrift, noch das erste Wort bis jetzt da.“

In den geweihten Kreis der Todten, deren Cultus sein künstlerisches Wirken vorzugsweise gewidmet war, ist jetzt auch Ferdinand David eingegangen. Es bedurfte dessen nicht zur Besiegelung seiner Meisterschaft in den Augen seiner Zeitgenossen. Was vom Künstler im Allgemeinen gilt, das litt auf ihn keine Anwendung. Nicht karg an Gunst, sondern reich an Sympathie, Dankbarkeit und Anerkennung hat sich ihm die Mitwelt erwiesen; eine Ausnahme, wie sie sich noch am ehesten beim reproducirenden Künstler findet. Daß selbst die große kunstfremde Masse der Bedeutung seines Genius Rechnung trug, daß er, der doch immerhin exclusive Künstler, einer weitgehenden Schätzung seiner Verdienste, einer unleugbaren Popularität genoß, das bezeugte die Theilnahme der Tausende, die sich versammelten, um ihm nahe zu sein auf jenem letzten Gange, von dem Keiner wiederkehrt.

Ferdinand David ward am 19. Januar 1810 zu Hamburg geboren, als Sohn eines Kaufmanns, der ihn dem eigenen Berufe zuzuführen gedachte. Statt irgend welcher kaufmännischer Talente machte sich indeß eine auffallende künstlerische Begabung schon frühzeitig an ihm bemerkbar, und zwar eine zweifache, die ihn gleicher Weise zum Maler wie zum Musiker bestimmt erscheinen ließ. Er portraitirte namentlich mit großem Geschicke, sodaß man eine Zeitlang schwankte, ob man ihn nach dieser Richtung hin ausbilden sollte, und seine Lehrer sogar darüber in Streit geriethen. Doch überwog am Ende der Drang zur Musik. Schon als zehnjähriger Knabe erregte er durch sein Geigenspiel die Bewunderung der Concertbesucher. In seinem dreizehnten Jahre bereits fand ihn Spohr, der berühmte Casseler Meister, zur Genüge gereift, um ihn unter seine Schüler aufzunehmen, unter denen er später die hervorragendste Stelle einzunehmen berufen war. Nur eines dreijährigen gründlichen Studiums bedurfte es unter der Obhut des Lehrers; dann entließ ihn dieser, damit er, selbstständig geworden, seine eigenen Bahnen weitergehe.

Den Lehrjahren ließ er nun nach Virtuosenart die Wanderjahre folgen. Meist in Gemeinschaft mit seiner jüngeren Schwester

  1. Wir wollen den in die nächste Woche fallenden Jahrestag des Todes (18. Juli) unseres um das deutsche Musikleben so hochverdienten, unvergeßlichen David nicht vorübergehen lassen, ohne dem Verblichenen durch den Abdruck des obigen aus berufener Feder geflossenen Artikels auch unsererseits den verdienten Zoll der Anerkennung und Dankbarkeit darzubringen und uns damit den Stimmen anzuschließen, die in der deutschen und außerdeutschen Presse zu Ehren des Meisters so zahlreich laut wurden.D. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_455.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2021)