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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Ermuthigt durch das glänzende Zeugniß Rückert’s, trat ich 1840 bis 1843 nacheinander in Wien, Berlin, Dresden, Hamburg, Leipzig, Prag, Pest, Frankfurt am Main mit kaum geahntem Erfolge auf, was zur Folge hatte, daß ich fast an alle Höfe gezogen wurde. So hörte mich zum Beispiel im Juni 1843 die Königin von England im Buckingham’ Palace, im Juli desselben Jahres König Leopold von Belgien in Brüssel etc. Ein Jahr später heirathete ich den bekannten Componisten Henri Hugo Pierson, wodurch meine kurze Laufbahn als Improvisatrice schon wieder ihren Abschluß erhielt. Der Wille meines Mannes, Kränklichkeit, spätere Sorgen für meine zahlreiche Familie nöthigten mich, das öffentliche Auftreten zu unterlassen. Auch ordnete ich als gefügige Gattin meine Kunst gern der meines Mannes unter – meinen Namen dem seinigen. Was thut man nicht Alles für einen theuren Mann!“

„Aber sagen Sie,“ unterbrach ich die verehrte Frau, „was war es denn, das den gefeierten Componisten Pierson, der doch von Geburt ein Engländer war, an Deutschland fesselte?“

„Und Sie können noch fragen?“ belehrte mich mit strafend emporgehobenem Finger die resignirt gewordene Wirthin; „dort ist der Magnet! Nachdem Pierson, dieser herrliche Künstlertypus mit den langen, braunen Künstlerhaaren, mit dem männlich freundlichen Blicke, mit den gewinnenden Manieren, mit der wohlklingenden, fast gesangartigen Stimme, meine Freundin – um mit Wieland zu sprechen – als seine zweite Hälfte erkannt hatte, war ihm mit der Gattin Deutschland zur zweiten Heimath geworden. Und er hat seinen Entschluß nie bereut. Erblühte ihm doch in Deutschland das schönste Eheglück,“ und mit dem Blicke nach dem oben erwähnten Musensohne sich wendend, setzte sie hinzu, „und der lieblichste Ehestandssegen.“

„Wie gut Du zu schildern verstehst!“ sagte Frau Pierson in herzlichem Tone. „Du erinnerst mich aber auch an meine Verpflichtung, dem Geliebten heute noch eine Zeile zu schreiben. Und dazu – sollte ich meinen – wäre es nunmehr die höchste Zeit. Ohnehin sind wir am Schlusse meiner Selbstbiographie angelangt.“

Sich erhebend, deutete sie mit dem Finger nach dem großen Regulator, der auf ein Uhr zeigte. Sie grüßte nach allen Seiten – und verschwand am Arme der Freundin im Nebensalon.




Acht Jahre sind seit jenem denkwürdigen Abende verflossen, an welchem ich zur Corinna Deutschlands in freundliche, seither nicht unterbrochene Beziehung trat.

Die treffliche Frau Pierson verlor inzwischen ihren Gatten, mit dem sie abwechselnd in Wien, Mainz, Würzburg, Stuttgart und Hamburg gelebt. Ein Herzschlag endete sein Leben am 27. Januar 1873. Seine dem Hohen und Idealen zugeneigte Künstlerseele wurde heimgetragen in das Reich ewiger Harmonie. Dem zu früh Verstorbenen hatte die Gattin ihr Leben, ihr Streben, ihre Liebe geweiht, weshalb sie seit ihrer Verheirathung nicht wieder öffentlich auftrat. Auch hat sie bei keiner Gelegenheit – außer der ebenerwähnten in Stuttgart – wieder improvisirt, so daß das obige zum ersten Male von uns mitgetheilte Gedicht „An meinen Sohn“ die Bedeutung der allerletzten Improvisation der Corinna Deutschlands beanspruchen darf.

Während ihrer Ehe mit ihrem zweiten Manne war sie schriftstellerisch nicht unthätig. Ehrlich hat sie nach der Palme des Ruhmes auf literarischen und dichterischen Gebieten gerungen, und die Fülle wie der Gehalt ihrer zu Tage geförderten Leistungen berechtigt uns, sie zu den begabtesten Dichterinnen der Gegenwart zu zählen. Ihre Lieder und Operntexte wurden von den bedeutendsten Componisten in Musik gesetzt, ihre Kinderschriften hochgeschätzt und von Pädagogen empfohlen; im Märchen und in der Sage hat sie ebenso viel Begabung an den Tag gelegt, wie in Journalaufsätzen; ihre Novellen und Romane zeichnen sich durch Einfachheit der Schilderung und der Sprache, sowie durch verständnißvolle, psychologische Motivirung und spannende, lebensvolle Handlung aus. Auch ihr dramatisches Gedicht „Meister Albrecht Dürer“ trug ihr mannigfache Anerkennung ein. Zahlreiche Briefe von Alexander von Humboldt, dem König Ludwig dem Zweiten von Baiern, Tieck, Saphir, Meyerbeer, Reissiger, Marschner und Anderen bezeugen das Ansehen, dessen sie sich mit Recht erfreute. Marschner, ebenfalls ein geborener Zittauer, war übrigens, obwohl bedeutend älter, ihr aufrichtiger Freund von ihrer Jugendzeit an, und ist es stets geblieben.

Die Publicationen der letzten Jahre ließ die Dichterin pseudonym erscheinen, und doch sind sie so gehaltvoll, daß sie, wie ja auch deren Aufnahme bewies, ihren früheren Ruhm erhöht haben würden. Ein an mich gerichteter, sehr interessante Aussprüche Fr. Rückert’s enthaltender Brief giebt den Grund dieser Pseudonymität an. Ich theile denselben mit, da ich mich des berühmt gewordenen Wortes von Buffon erinnere: le style c’est l’homme, und es von Werth sein dürfte, den Briefstil unserer Dichterin kennen zu lernen:

„… So Viele begreifen meine Liebe zur Einsamkeit und stillen Verborgenheit nicht ganz. Es mag sein, daß ich, namentlich meiner Familie gegenüber, nicht ganz Recht hatte, Vieles anonym und pseudonym herauszugeben; aber ich finde, man schreibt viel unbefangener, wenn es mit dem Gedanken geschieht: Niemand kennt Dich als Verfasserin, wenn er Dein Buch in die Hand nimmt. Dann befolgte ich in meinem Verfahren auch den Rath des verehrten Fr. Rückert. Als er – es war im Sommer 1841 in Neuseß – meinen ‚Albrecht Dürer‘ gelesen hatte, fragte er, die schönen durchdringenden Augen fest auf mich richtend: ‚Und in wie langer, wollte sagen kurzer Zeit haben Sie dieses dramatische Gedicht niedergeschrieben?‘ Als ich der Wahrheit gemäß geantwortet, sagte er: ‚Hören Sie meinen Rath: Schweigen Sie darüber! Nehmen Sie sich ein Beispiel an O. L. B. Wolff! Dieser gelehrte Mann kann schreiben, was er will, es wird immer Krittler geben, die von vornherein seine Bücher mit dem Gedanken zur Hand nehmen, daß sie nur flüchtige Erzeugnisse einer leichtfertigen Muse vor sich haben. Es giebt bei unserer herangebildeten Sprache so viele seichte Reimer, daß der schöpferische Dichter-Improvisator von Nichtkennern oder von neidischen Krittlern leicht für einen Reimer gehalten wird. Daß es unter den Dichtern einzelne Naturen giebt, die weise handeln, wenn sie, gehörige allgemeine Bildung vorausgesetzt, der Eingebung des Augenblicks folgend, aussprechen oder niederschreiben, was eben der Augenblick ihnen eingiebt, verstehen nur Wenige.‘ Diesen Rath habe ich als einen wohlgemeinten und weisen mir zu Nutze gemacht. Es ist mir eine so große Freude, die Gebilde meiner Phantasie als Novellen oder Romane, als Sagen oder Märchen zu gestalten, daß ich gern auf irgend ein artiges, anerkennendes Wort verzichte, welches mir vielleicht dann und wann gesagt werden könnte, wenn die meine Bücher lesenden Bekannten wüßten, daß ich sie geschrieben habe. …“

An dieser Stelle mache ich von einer Ermächtigung der Frau Pierson Gebrauch, indem ich dem Publicum zum ersten Male enthülle, daß der viel gelesene Roman „Die Unbekannte“, sowie die sämmtlichen Romane „Vom Verfasser der ‚Unbekannten‘“ der Feder unserer Caroline Leonhardt-Pierson entstammen.

Seit dem Tode ihres Gatten lebt sie, ernst und schweigsamer als je, bald bei ihren drei Söhnen und einer geliebten, noch unverheiratheten Tochter in Dresden, bald bei ihrer Tochter in Augsburg, mit der Sammlung ihrer lyrischen Gedichte beschäftigt.

Dr. C. Beyer.



Die Taufe „Friedrich’s des Großen“ in Kiel.


Die am 20. September dieses Jahres durch den ersten Kaiser des wiedererstandenen deutschen Reichs vollzogene Taufe des ersten eisernen, auf einer deutschen Kriegswerft erbauten Panzerschiffs hatte für Deutschlands Volk und Flotte hervorragende Bedeutung. Ist doch auch der Boden, auf dem der Weiheact stattfand, ein historischer. Denn hier befand sich die von der provisorischen Regierung Schleswig-Holsteins 1848 angelegte erste deutsche Kriegswerfte.

Noch jetzt sind die halbverfallenen Schuppen und die alte Helling der damaligen Anlage vorhanden, nur wenige Schritt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 713. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_713.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2021)