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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

II. hinsichtlich des Schiller’schen Begräbnisses; auch insofern liegt das Gegentheil ihrer lügenhaften Angaben klar zu Tage. Indem sie auf die nächtliche Beisetzung der Leiche des Dichters als einer unwürdigen Bestattungsform schimpfen, indem sie das Tragen der Leiche durch Schneider (als wäre das Tragen des Sarges durch ehrenwerthe Bürger etwas Schimpfliches!), das Fortschaffen in eine Kalkgrube hartnäckig behaupten und die freche Behauptung wiederholen, daß der Dichter im Tode diese ehrlose Behandlung deshalb erfahren habe, weil er katholisch geworden sei, ignoriren sie zunächst das wichtige Factum, daß am folgenden Tage eine feierliche kirchliche Handlung, eine würdige Todtenfeier (sogenannte Collecte) mit einer Trauerrede des General-Superintendent Vogt, des höchsten evangelischen Geistlichen des Landes, und mit Aufführung einer Trauermusik aus Mozart’s Requiem unter allgemeinster Theilnahme in der St. Jacobskirche zu Weimar stattgefunden hat. Aber auch hinsichtlich der in der Nacht vorher erfolgten Beisetzung der Leiche ohne Trauerrede und Gesänge zerfällt der von den ultramontanen Blättern erhobene Vorwurf deshalb in Nichts, weil eben hierbei nur die damals in Weimar bestandene Sitte befolgt wurde. Zwar wollen sie auch diese Sitte nicht als damals bestehend zugeben; sie erdreisten sich vielmehr („Donau-Zeitung“ 1873, Nr. 7), gegen den Weimarischen Oberbürgermeister Fürbringer die komische Beschuldigung auszusprechen: „Um Schiller’s Beerdigung weiß zu waschen, schwärze Herr Fürbringer die Sitten der Stadt Weimar an.“ Die alte, noch 1805 gültige Weimarische Begräbnißordnung von 1763 liegt aber vor und bestimmt über das Vorrecht nächtlicher Beisetzung wörtlich:

„Diejenigen Personen, die ihre Leichen bey Abendzeit, ohne vorgängige Dispensation zur Erde bestatten zu lassen, vermöge ihres Standes und ihrer Geburt, die Erlaubniß haben, als Ministers, wirkliche Räthe und Cavaliers, ingleichen die von Adel in Städten und auf dem Landen haben bey dergleichen Abend-Beysetzungen jedesmahl die ganze Schule zu bezahlen, es wäre denn, daß sie ein unter 12 Jahr verstorbenes Kind begraben zu lassen hätten, als auf welchem Fall selbigen nur die halbe Schule zu bezahlen freystehet.

Den Titular-Räthen, Secretarien und allen andern geist- und weltlichen Bedienten bey hohen und niedern Collegiis, auch Aemtern, bis auf den Direktor Gymnasii und dessen übrigen Collegen inclusive, soll die Abend-Beysetzung, anders nicht, als gegen die, in das Waysenhaus zu erlegenden Dispensations-Gelder gestattet seyn, sollen aber mehr als die halbe Schule zu bezahlen, nicht angehalten werden können.

Sonst soll weiter niemanden, auch nicht einmal gegen Erlegung beträchtlicher Dispensations-Gelder die nächtliche Beysetzung nachgelassen werden.“

So lautete das Gesetz. Ihm und den localen Sitten gemäß ist verfahren worden. Keines Falls kann man der Stadt Weimar den Vorwurf der Theilnahmlosigkeit machen. Sowohl der Zudrang des Publicums zu der kirchlichen Todtenfeier am folgenden Tage, wie die Vereinigung, die Trauer und Thränen der jungen Gelehrten und Künstler, welche den Todten zur Begräbnißstätte trugen, beweisen die warme Theilnahme. Und hier gerade ist es, wo wir die ultramontane Presse bei offenbarer absichtlicher und wissentlicher Unwahrheit ertappen.

Sie hat behauptet, daß Schiller ehrlos begraben worden sei, daß er von Schneidern zu Grabe getragen und in eine Kalkgrube geschafft worden sei. Sie citirt den Bericht der Frau von Wolzogen; sie beruft sich zu ihrer Rechtfertigung auf die Darstellung eines Augenzeugen, des Obermedicinalraths Froriep. Frau von Wolzogen aber hat bezeugt: „Das Leichenbegängniß war dem Range des Verstorbenen gemäß angeordnet, aber zwölf junge Männer höhern Standes nahmen die Leiche den gewöhnlichen Trägern ab, und von liebenden Freundesarmen wurde sie zur Ruhestatt getragen;“ und Froriep (Schiller-Album, Stuttgart, 1837, S. 77) bezeugt als Augenzeuge, daß Schiller’s Leiche „von einigen jungen Gelehrten – unter denen Stephan Schütze und Heinrich Voß – Künstlern und Staatsdienern getragen,“ und in dem Cassengewölbe beigesetzt worden ist, „in welches sich einzukaufen jede bemittelte Familie das Recht gehabt habe.“ Die ultramontanen Blätter (das „Fränkische Volksblatt“ wie die „Donauzeitung“) gestehen zu, daß sie, als sie jene Beschuldigungen aussprachen, dieses wichtige Zeugniß, auf welches sie sich naiver Weise selbst berufen, bereits gekannt haben. Sie haben gewußt, daß Schiller nicht von Schneidern getragen, nicht in eine Kalkgrube geschafft worden ist, und indem sie dies gleichwohl behauptet haben, haben sie eben wissentlich und absichtlich gelogen.

Wir könnten hier als vollgültige Belege für den wahren Sachverhalt anführen: noch weitere Zeugnisse der Frau von Wolzogen über die allgemeine Trauer um Schiller in Weimar selbst, ferner des Dr. Julius Schwabe in dem oben genannten Werke über die Bedeutung der „Collecte“ zu jener Zeit; ebenso das Zeugniß des großherzoglich sächsischen evangelischen Oberpfarramtes über den Tod Schiller’s und über das Begräbniß desselben nach evangelischem Ritus und durch den höchsten evangelischen Geistlichen des Landes, nach dem betreffenden Todtenprotocoll der evangelischen Gemeinde, und einen Brief der Frau Charlotte von Stein, der vertrauten Freundin von Schiller’s Gattin an ihren Sohn Friedrich von Stein, von 1805 (bei Düntzer: Charlotte von Stein, Goethe’s Freundin, Stuttgart 1874, 2. Band, S. 218) über Schiller’s Begräbniß und die schon damals ausgesprochene Absicht, ihm ein Denkmal im neuen Gottesacker zu errichten. Aber all’ diese Zeugnisse überzeugen die Häupter jener Jesuitenpresse doch nicht, und für unsere redlich und deutsch gesinnten Leser im katholischen, wie im protestantischen Deutschland sind sie nicht nöthig.

Fragt man aber nach dem Motive solcher schamlosen Lügen, solcher grenzenlosen Frechheit, so ist dasselbe nur allzu klar und durchsichtig. Schiller, der begeisterte Sänger von Wahrheit und Freiheit, Licht und Recht, der entschiedenste Gegner aller pfäffischen Verdummung des Volkes, der dem ganzen Jesuitengesindel verhaßteste geniale Vertheidiger von politischer, Gedanken- und Religionsfreiheit, war der Liebling der deutschen Nation geworden; seinen hundertjährigen Geburtstag hat sie gleich ihrem eignen, als Nationalfest begangen; seine Dichtungen sind in Jedes Hand. Sie bilden Geist und Herz des Kindes wie des Erwachsenen. Ihn, gerade ihn, als einen reuig Bekehrten und ob dieser Bekehrung im Tode ehrlos Geschändeten erscheinen zu lassen, mußte ein hoher Gewinn für die Sache des Ultramontanismus sein. So soll schon im Jahre 1830 der Rector Weigl zu Regensburg in einer Vorlesung angedeutet haben, Schiller sei katholisch gestorben, und die „Donauzeitung“ fügt natürlich jetzt hinzu, sie habe erfahren, daß Weigl diese „Enthüllungen“ öfter als einmal gemacht hat, und daß er sie unzweifelhaft von Dalberg erhalten gehabt habe. Als dann das deutsche Volk den hundertjährigen Geburtstag des protestantischen Dichters mit Begeisterung gefeiert hatte, beeilten sich Daumer und Lukas, ihre „Conjecturen“ über Schiller zu veröffentlichen, indem namentlich Lukas a. a. O., S. 62. naiv genug bemerkte: „Haben wir denn nicht auch dann gewonnen, wenn wir für Schiller eine romantische Conversion nachgewiesen haben? Allerdings, denn dann hat der unbedingte Fortschritt das Recht verloren, Schiller’s Bild auf seine Fahne zu heften.“

Den großen Dichter als einen katholischen Märtyrer erscheinen zu lassen, Aussprüche seiner dramatischen Personen (wie es denn die ultramontanen Blätter in Wirklichkeit bereits thun) gegen die preußische und Reichs-Politik citiren zu können, mußte in der Gegenwart – in einer Zeit, in welcher gerade durch den deutschen Geist, zu dessen Erweckung Schiller selbst so wesentlich beigetragen, alle Stützen des unfehlbaren Papstthums wanken – doppelt willkommen erscheinen, dreifach willkommen aber in einer Zeit, in welcher ein fürstlicher Glaubenswechsel überall so viel von sich reden machte. Dies war der jesuitische Plan der ultramontanen baierischen Blätter, und die anscheinend befremdlichen Vorkommnisse bei Schiller’s Beisetzung, welche einst von Archenholz (in seiner „Minerva“, Jahrg. 1805, S. 548) und Andere, unbekannt mit den damals in Weimar üblichen Gebräuchen, gerügt hatten, mußten mit Berufung auf die beiden mehrgenannten Schriften die willkommene Handhabe zur Ausführung bieten. Hatte nicht Loyola das große Wort gesprochen, daß der heilige Zweck auch das elendeste Mittel heilige? – Wollen sie nicht etwa ihre Leser auch glauben machen, daß

ein Lessing (über dessen Tod die „Donauzeitung“ mit Daumer conjecturirt, daß er von den Freimaurern vergiftet worden sei!)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_136.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)